Bernhard Dickhut

Weihnachtsgeschichtenlesung

Dass sie ausgerechnet mich fragen würden, hätte ich nicht gedacht. Ausgerechnet an diesem Tag, an diesem richtig heißen Sommertag, an dem mir beim Gedanken an den geplanten Grillabend bereits das Wasser im Mund zusammenlief. An diesem Tag hatten sie mich gefragt, ob ich nicht bei ihrer Weihnachtslesung zwei Weihnachtsgeschichten vorlesen könne.

Natürlich konnte ich.

Zwei Geschichten würden sogar gut gehen.

Zuhause angekommen, machte ich mich gleich auf die Suche nach geeigneten Weihnachtsgeschichten. Sie sollten besinnlich sein, nachdenklich machen und lustig – sollten sie natürlich auch sein.

Nichts einfacher als das.

Ich weiß ja, wo unsere Bücher stehen.

In meiner kleinen Hausbibliothek fand ich Bücher über Morde mit hinterhältigen fiesen Typen, mit coolen Detektiven, mit rauchigen Blondinen, die es schafften, tödliche Gifte in verschlossene Stiftsbierflaschen zu injizieren. Im Arbeitszimmer gab es nur Handbücher über Mordwaffen und Spurenbeseitigungen. Ich hatte sie mir angeschafft für den Fall, dass ich einmal unverhofft und spontan in eine Situation geraten würde, in der ich jemanden umzubringen hätte. Ich mußte auf Alles vorbereitet sein.

Im Zimmer meiner Frau fand ich Bücher über Ehegattenmorde und deren Spurenverwischung. Ich nahm mir vor aufzupassen, dass sie nicht unverhofft und spontan in eine Situation geraten würde, in der sie ihren Ehegatten hätte umbringen müssen. Das könnte ich ihr und vor allem mir nicht zumuten.

Weihnachtsgeschichten jedenfalls hatten wir keine. Nicht eine einzige. Das war mir peinlich. Ich hatte mich bis dahin für kulturell interessiert gehalten.

Absagen konnte ich die Lesung natürlich nicht. Also vertraute ich mich meinem Freund Claus an, der gleich versprach, niemandem zu erzählen, dass ich überhaupt keine Weihnachtsgeschichtenbücher besaß. Er war sich aber sicher, dass er welche hätte. Schon zwei Tage später stand er auf der Matte und brachte mir circa zehn Weihnachtsgeschichtenbücher.

Er wollte nichts davon hören, wie wertvoll die Bücher sind, wie pfleglich ich sie behandeln würde. Er meinte, ich solle sie einfach behalten. Dann hätte ich doch welche für den Fall, dass mal jemand in meinem Bücherbord nach Weihnachtsgeschichtenbüchern suchen würde. Das leuchtete mir ein und ich bedankte mich bei ihm mit einem gemeinsamen Leeren von ungefähr vier Stiftsbierflaschen.

Kaum war er gegangen, tauchte Jo auf und brachte mir einen Stoß von Weihnachtsgeschichtenbüchern. Er hätte von Claus gehört, dass ich da Bedarf hätte und ich könnte sie behalten für den Fall, dass mal jemand in meinem Bücherbord nach Weihnachtsgeschichtenbüchern suchen würde. Das leuchtete mir ein und ich bedankte mich bei ihm mit einem gemeinsamen Leeren von gut geschätzten vier Stiftsbierflaschen.

Als er gegangen war, habe ich mir Gedanken über den Zusammenhang von Alkoholismus und Weihnachtsgeschichtenlesungen gemacht.

Am nächsten Tag kam Anja, dann Anke, Gaby, Ingo und noch mehr Leute. Ich wusste gar nicht, wie viel Freunde ich hatte. Alle brachten Weihnachtsgeschichtenbücher. Alle musste ich behalten, brauchte sie nicht pfleglich zu behandeln, durfte gute Geschichten mit Eselsohren markieren und in den Getränkemarkt musste ich auch ständig fahren.

Am Folgetag kamen Leute, die ich gar nicht kannte, die meine Freunde nicht mal kannten, mit Wagenladungen von Weihnachtsgeschichtenbüchern. Ich holte Wagenladungen von Stiftsbierkisten.

Danach kamen Massen von Menschen, die kein Stiftsbier mochten, denen ich es zu verdanken hatte, dass meine Weihnachtsgeschichtenbüchersammlung inzwischen die Wohnung verstopfte und ich trotzdem kein Alkoholiker wurde.

Ich war richtig froh, dass wir keine Kinder hatten. Natürlich hatten wir Kinderzimmer für den Fall, dass wir einmal unverhofft und spontan in eine solche Situation geraten würden. Nun konnte ich sie bis zur Decke mit Weihnachtsgeschichtenbüchern bestapeln.

Ich gewöhnte mich daran, dass die Türglocke ging. Auch besaß ich mit Sicherheit einen riesigen Fundus von tatsächlich wunderbaren Weihnachtsgeschichten. Doch zur Auswahl der schönsten beiden Weihnachtsgeschichten fehlte mir einfach die Zeit..

Eine Woche vor dem ersten Advent rief mich ein Weihnachtsmann an, er wisse verlässlich, dass ich eine umfangreiche Weihnachtsgeschichtenbüchersammlung besässe. Ob ich ihm nicht etwas empfehlen könne. Es solle auch nicht zu meinem Nachteil sein.

Ich hatte keine Zeit mich über das üppige Honorar zu freuen, weil es schon wieder an der Tür schellte. Ein Mann versuchte mir lautierend etwas zu erklären. Schließlich übergab er mir eine schriftliche Botschaft aus einer chinesischen Stadt, die zehnmal größer als Dortmund war und von der ich noch nie etwas gehört hatte. Dort hatten die Einwohner Weihnachtsgeschichtenbücher für mich gesammelt. Er stellte den Container vor meiner Einfahrt ab und fuhr winkend, sich ständig verbeugend zurück nach China.

Völlig perplex suchte ich mein Haus nach noch nicht geöffneten Stiftsbierflaschen ab. Zwischendurch beantwortete ich die Anfragen weiterer Weihnachtsmänner mit der Stiftsbierflasche in der Hand. Nach jedem zehnten Anruf erhöhte ich mein Honorar. Trotzdem hörte die Nachfrage nicht auf.

Da mein Chef meine Kündigung nicht annehmen wollte, suchte ich verzweifelt meine Bücher über rauchige Blondinen, die es schafften, tödliche verfliegende Gifte in verschlossene Stiftsbierflaschen zu injizieren ohne Spuren zu hinterlassen. Ich fand sie im Arbeitszimmer. Als rauchige Blondine bot sich die Frau meines Chefs an. Sie wollte endlich ohne Häme Stiftsbierflaschen kaufen und ohne Ende Stiftsbier saufen.

Die ganze Geschichte hat eigentlich nur einen Nachteil. Ich kann Ihnen nun doch keine Weihnachtsgeschichte vorlesen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.12.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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