„Opa. bist Du wirklich mal selber geflogen“? fragte Ella, meine Enkelin.
„Aber ja, mehr als zwanzig Jahre lang, mit Segelflugzeugen und manchmal auch mit Motorseglern, lieber aber ohne Motor“.
„Ganz allein am Himmel“?
„Meistens ganz alleine!.
Opa, davon musst Du uns erzählen, bitte“ kam es von Jochen, meinem Enkel.
„Das wird aber eine lange Geschichte“.
„Dann erzähl es halt auf zweimal“ meinten dann beide zusammen.
Ella war nun schon zwei Jahre auf dem Gymnasium. Jochen, von Ellas Hausaufgaben mehr abgeschreckt als überzeugt, überlegte noch, auf welche Schule er ab dem kommenden Schuljahr gehen sollte. Vorschläge seiner Eltern, beides Gymnasiallehrer, wiegelte er immer noch ab. Das habe noch Zeit, meinte er, er ginge lieber zu Opa, der erzählt immer so spannende Geschichten.
„Und wo soll ich mit dem Erzählen anfangen“?
„Einfach ganz von vorne“ sagten sie, beinahe gleichzeitig.
„Na, dann setzt Euch mal hin und macht es Euch bequem. Was wollt Ihr trinken? Ich muss erst mal überlegen, wo ich überhaupt anfange, denn das war damals nicht so einfach wie heute. Deutschland hatte schließlich einen fürchterlichen Krieg angezettelt und ihn ordentlich verloren. Vier Siegermächte teilten sich damals das Land, Amerikaner, Engländer, Franzosen und Russen. Und das noch Schlimmere war, die Drei aus dem Westen vertrugen sich nach kurzer Zeit nicht mehr mit den Russen aus dem Osten und so wurde Deutschland bald gründlich mit einem hohen Zaun in zwei Teile geteilt. Vierzig Jahre war es so geteilt. Als es wieder ein Land wurde, ward Ihr noch gar nicht auf dieser Welt“
„Und wie war das mit dem Fliegen damals“?
„Das war uns Deutschen zumindest im eigenen Land grundsätzlich verboten, ja nicht einmal daran zu denken war uns erlaubt, geschweige einen Fliegerclub gründen oder so was“.
„Aber Du bist doch geflogen, oder“?
„Ja, sicher, aber das begann für mich erst acht Jahre nach Kriegsende“
und ich fing langsam an, zu erzählen und alles stieg vor meinem geistigen Auge wieder auf, wie es damals war, das Fliegen lernen nach dem Krieg.
„Im Juni 1951 hatte die Alliierte Hohe Kommission das für die junge Bundesrepublik bestehende Verbot, Segelflugzeuge herzustellen, ein- und auszuführen, zu befördern und zu besitzen aufgehoben. Seit knapp zwei Jahren schon durfte man wieder über Fliegen reden und Modellflugzeuge bauen und seit dieser Zeit war ich im Aeroclub meiner Heimatstadt..
Rudolf Kaiser, auch ein Clubmitglied und nach wenigen Jahren ein weltweit bekannter und erfolgreicher Flugzeugkonstrukteur, baute seine erste, kleine KA 1 fertig, von der bereits in einer Modellflugausstellung 1950 eine Tragfläche und ein Teil des Schmetterlingsleitwerkes als „Riesenflugmodell“ der Öffentlichkeit gezeigt wurden und wir bauten im Verein fleißig ...
„Opa, was ist denn ein Schmetterlingsdingsbums“?
„Ein Schmetterlings- oder auch V-Leitwerk? Das ist am Rumpfende, oder am Schwanzende, wie Ihr wohl sagen würdet, eine Steuereinrichtung, die nicht aus einem senkrechten Seitenruder und einem wagrechten Höhenruder besteht, sondern aus beidem kombiniert, so
V-förmig“, und ich bildete es mit meinen Händen nach, „also so wie ein Schmetterling meist aussieht. Das erfüllt beide Funktionen, rauf-runter und links-rechts, bringt aber weniger Luftwiderstand und weniger Gewicht mit sich“.
„Mhm“! „Aha“! „Und warum macht man das dann nicht überall“?
„Die Frage ist berechtigt. Nun, es hat auch ein paar Nachteile, beim Trudeln sogar gefährliche. Aber lasst mal, das wird noch ein bisschen zu kompliziert.
Wo war ich stecken geblieben? Ach ja, wir bauten also fleißig unseren Schulgleiter, einen
SG 38, nach Zeichnungen des früheren Reichsluftfahrtministeriums. Ich bekam die Querruder zu bauen, die beweglichen Teile hinten an den Flügelenden. Doch erst das Jahr 1953 brachte auch für mich die entscheidende Wende und ich durfte endlich selbst an den Steuerknüppel. Zuvor sollte ich aber kurz etwas über die Umstände erzählen, unter denen wir damals überhaupt zum Fliegen kamen“.
„Meine Heimatstadt Coburg war damals an drei Seiten von diesem hohen Zaun, dieser Zonengrenze umgeben, die im Militärjargon Demarkationslinie genannt wurde. Davor breitete sich in einer Tiefe von rund zehn Meilen oder sechzehn Kilometern ein damals ADIZ, nämlich Air Defense and Identificaton Zone genannter , später in LuftÜZ umbenannter Bereich aus, ÜZ für Überwachungszone, in dem das Fliegen anfänglich überhaupt nicht, später nur mit Sondergenehmigungen und strengen Auflagen zu Zeitpunkt, Richtung und Höhe möglich war. Was blieb uns weiter übrig, als auf die Flugplätze befreundeter Vereine zu ziehen und uns dort am Flugbetrieb zu beteiligen. Unter diesen Umständen plante die Vorstandschaft ein Ferienfluglager in Greding zwischen Nürnberg und Ingolstadt , das vor allem der Vereinsjugend zu Gute kommen und zwei Wochen lang intensive Schulung ermöglichen sollte. Hochstarts mit unserem Schulgleiter an fremder Winde für eine Startgebühr von damals zwei Mark waren vereinbart und bis zur Erlangung der A-Prüfung, den ersten drei korrekt absolvierten Prüfungsflügen also, wurde mit etwa zwanzig Starts gerechnet“
„Fünfzig Mark konnte ich mir so gerade leisten, für meine neue Leidenschaft auszugeben. Euer Uropa war kurz nach dem Krieg sehr jung gestorben. Für ein Studium unmittelbar nach dem Gymnasium fehlte einfach das Geld. So wurde ich erst einmal Lehrling, Altlehrling, wie man damals sagte, denn mit weiteren fünf Abiturienten waren wir alle schon über Achtzehn, der Lehrmeister sprach uns mit „Sie“ an und der monatliche Verdienst war damals nicht viel mehr als ein Taschengeld. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen“.
„Also luden wir unseren zerlegten Schulgleiter mittels einiger alter Matratzen als Zwischenpolster auf einen von meinem Freund Karl organisierten Mercedes Dreieinhalbtonner, mein Fahrrad mit dazu und fuhren also, immer der Autobahn folgend nach Greding.
Auf dem Flugplatz, auf einer Kalvarienberg genannten Hochebene gelegen, angelangt begrüßte uns eine Meute Segelflieger inmitten zweier recht eigenwillig aussehender Segelflugzeuge, die ich noch nie vorher gesehen hatte und fragte uns recht spöttisch, was wir hier mit unserem Bauernadler wollten. Als wir unser Vorhaben erklärt hatten, meinten sie, das sei doch alles Vergangenheit, heute würde zuerst auf Doppelsitzern geschult, das sei sicherer und effektiver und wir sollten unseren Adler besser in der Halle lassen, denn der sei doch bestimmt noch mit Kaltleim gebaut und vertrüge die nächtliche Feuchtigkeit sowieso nicht.
Meine zaghafte Frage, was denn die Ausbildung unter diesen Umständen kosten würde, hatte zur Antwort, vierfünfzig pro Start und etwa zwanzig bis fünfundzwanzig Starts bis zur
B – Prüfung, mit A – Prüfung gäbe man sich doch heute gar nicht mehr ab, die hätte vor zwanzig Jahren zur Wasserkuppe gepasst. Ich schluckte, denn mir stand nicht einmal halb soviel Geld zur Verfügung als notwendig gewesen wäre, aber ohne Prüfung wollte ich keinesfalls nach Hause kommen. Was tun ? Klappe halten und wieder einmal daran denken, es geht immer vorwärts, immer aufwärts und wendet sich stets zum Guten, wenn man fest daran glaubt“.
„Am siebenundzwanzigsten Juli, so steht in meinem vergilbten und sich langsam auflösendem Flugbuch vermerkt, hatte ich meinen ersten Flug mit einem Lehrer namens Richter. Ich erinnere mich noch genau, wie ich zum ersten mal mit reichlich Herzklopfen in dieses recht hohe Gerät stieg, der Rumpf aus Stahlrohr, stoffbespannt, ein abgestrebter Hochdecker, der hintere Sitz erheblich höher, von wo aus der Fluglehrer über den Schüler hinweg an einer schrägen Verlängerung des Steuerknüppels in das Geschehen eingreifen konnte. Als ich auf dem Sitz von hilfreichen Händen festgeschnallt wurde, kam ich mir vor wie ein Delinquent auf einem elektrischen Stuhl, zumindest glaubte ich das in meiner Fantasie und ich hatte kurze Zeit Zweifel, ob Segelfliegen wirklich erstrebenswert sein könnte.
Ich bekam eine Einweisung in die drei eingebauten Instrumente, Fahrtenmesser links, Höhenmesser in der Mitte, Variometer rechts, mehr gab es nicht. Links eine rote Kugel an einem geflochtenen Drahtseil, die Betätigung der Schleppkupplung, rechts ein gelber Knopf zum Ausfahren der Bremsklappen, über die nur einer der beiden Doppelraab genannten Schulflugzeuge verfügte, einer Konstruktion, die sich ein ehemaliger Gewerbelehrer namens Raab ausgedacht hatte, unten ein paar Pedale für das Seitenruder, die sich auch noch einmal neben meinem Sitz befanden, damit der Fluglehrer wusste, wo er seine Stiefel draufstellen sollte und vor mir, wie gesagt, jener sagenumwobene Steuerknüppel, der so viele Menschen glücklich macht“.
„Ruderkontrolle mit entsprechenden Knüppel- und Pedalbewegungen sollte jeder Pilot vor jedem Start durchführen“ meinte mein Lehrer, dann schien er mit der Beantwortung seiner sonstigen Fragen zufrieden gewesen zu sein, die Haube wurde geschlossen, das Gerät ausgerichtet und das Seil mit lautem „Aus“, „Ein“ eingeklinkt und nochmals kräftig straffgezogen. Einer hob die Tragfläche hoch, die bis dahin schräg am Boden gelegen hatte, hob die Hand und die Spannung stieg. Das Schleppseil wanderte wie eine Schlange durch den kargen Rasen von uns weg, straffte sich, ein Ruck, ein Poltern über den reichlich mit flachen Kalksteinen übersäten Rasen und schon waren wir frei vom Boden, es rumpelte, flatterte, rauschte, pfiff, die Nase hob sich in den Himmel, ich solle die kleine Wolke da oben anpeilen und mit dem Seitenruder die Richtung halten, meinte eine Stimme hinter mir, der Höhenmesser stieg unaufhaltsam, zweihundert, dreihundert, vierhundert Meter, die Nadel des Variometers war praktisch am Anschlag, es knackte in meinen Ohren , die Geräusche wurden leiser und nach etwas mehr als einer halben Minute tat es bei etwa vierhundertfünfzig Metern Höhe einen Schlag, dass ich dachte, jetzt hat es die untere Rumpfhälfte herausgerissen. Wir machten einen erleichterten Satz, als sich das schwere Stahlseil vom Flugzeug gelöst hatte, der Lehrer drückte den Knüppel nach vorn, der Horizont wurde sichtbar und die Fahrtgeräusche normalisierten sich“.
„Erst mal schön gerade aus, such Dir einen Zielpunkt am Horizont und achte auf eine konstante Fahrt bei etwa fünfundfünfzig Kilometer, dann präge Dir das Fahrtgeräusch ein und halte die Nase immer schön gleichmäßig an der Horizontlinie, nein, nicht wegtauchen, komm etwas höher, langsamer, nicht so ruppig, jetzt warte mal, eine Linkskurve, bleib locker auf den Pedalen, Seitenruder und Querruder gleichzeitig nach links, ja, so ist es gut, dreißig Grad Schräglage reichen, nicht steiler werden, Ruder auf normal, jetzt auf den Steinbruch zu und schön die Fahrt halten, ja, so ist es recht, jetzt schau mal an unseren Start, ob jemand winkt. Das könnte bedeuten, wir haben ein Stück Seil an der Kupplung hängen, Du hast ja gemerkt, das Seil klingt von alleine aus, es könnte aber auch im letzten Moment gerissen sein, dann müssen wir den Rest an geeigneter Stelle abwerfen, sonst kann es bei der Landung Bruch geben, wenn es irgendwo hängen bleibt. Nein, es winkt niemand, so, die nächste Linkskurve, wieder schön gleichmäßig, bis wir parallel zu Startbahn fliegen. Parallelanflug nennt man diese Phase, achte auf den Höhenmesser, wir haben noch zwei Linkskurven vor uns, die wir aber so einteilen, dass die letzte in etwa einhundert Meter Höhe erfolgt, bevor der Endanflug zur Landung beginnt. Ja, nur weiter gerade aus, es langt bis zu dem Kugelbaum da vorne, versuche ein Gefühl für die Sinkgeschwindigkeit zu entwickeln, nein keine Angst, das Schütteln ist Thermik, die kommt von dem steinigen Südhang da unten, mit der fangen wir.
noch nichts an, immer geradeaus, ja, gut, jetzt die nächste Linkskurve, geht ja schon recht ordentlich, immer schön gleichzeitig Seitenruder und Querruder, jetzt zurück auf normal, der Raab dreht noch ein bisschen weiter und jetzt vielleicht noch ein bisschen weiter rechts halten, wir sind noch zu hoch, gut so und jetzt die letzte Linkskurve und ab jetzt lass mich mal machen“.
„Vier Minuten dauerte dieser erste Flug und war doch eine Ewigkeit, als wir rumpelnd und knirschend aufsetzen und sich die Fläche zum Boden neigt. Der erste Flug meines Lebens lag hinter mir. Reichlich benommen stieg ich aus und dachte mir, es wird schon werden. Ich half noch eine Weile mit, gelandete Flugzeuge zum Startpunkt zurück zu schieben, dann meldete ich mich als Zeltwache und als am Abend die Mannschaft hinunter in den Ort zu einem der zahlreichen Gasthöfe zog, blieb ich vor dem Zelt sitzen, aß den Rest meines mitgebrachten Vesperbrotes und versuchte erneut mit einen Strohhalm in der Hand das heute Gelernte in Erinnerung zu rufen und die Bewegungen und das Geräusch einzuprägen.
Zwei Tage später erhielt ich zwei Starts, wieder zwei Tage später sogar vier an einem Tag, das war, als wir fleißig Vollkreise übten, links herum, das machte keine Mühe, rechts herum wehrte sich etwas in mir und ich lehnte mich automatisch nach links. Mein Lehrer meinte, das sei typisch, aber rechtsherum hätte man später in der Thermik mehr Steigen.
Nach dreizehn Flügen mit Lehrer auf dem Doppelraab durfte ich mich dann doch auf den Schulgleiter zum ersten Alleinflug setzen, machte drei Geradeausflüge mit zehn und dann fünfzig Meter Schlepphöhe und am fünften August früh um sieben Uhr kam der erste Hochstart auf dem Schulgleiter als erster Prüfungsflug zur B – Prüfung. Kalt war es und das Wasser schoss mir in diesem offenen Cockpit in die Augen. Ich pumpte das Gerät mit der Bugkupplung unter ständigem Strömungsabriss auf fast zweihundertfünfzig Meter Höhe und war zum Endanflug trotzdem noch zu hoch. Ein wenig noch hin und her und dann ab zur Landung, Alles bestens, gleich noch einmal dasselbe und noch ein drittes mal und die B – Prüfung, jene zwei Schwingen auf blauem Grund waren geschafft. Ich bekam nach alter Tradition von der ganzen Meute den Hintern versohlt, packte meine Sachen und fuhr die einhundertsechsundsiebzig Kilometer mit dem Fahrrad auf der Landstraße über Nürnberg, Bamberg, Lichtenfels nach Hause. Meine Clubkameraden blieben noch für den Rest der Woche, aber ich hatte keinen Pfennig Geld mehr in der Tasche und musste heim“.
„Opa, erzählst Du uns noch, warum man Dir den Hintern versohlt hat“?
„Oh, das ist ein ganz alter Brauch und noch auf die Anfänge der Segelfliegerei auf der Wasserkuppe nach dem ersten Weltkrieg zurückzuführen. Es war wohl einer von den Darmstädter Studenten, der ohne die Erlaubnis seiner Eltern an so einem Segelfluglager der „Rhönindianer“, wie sie sich damals nannten, teilgenommen hatte. Ich weiß nicht mehr, war es Peter Riedel, Arthur Martens , Gottlieb Espenlaub oder ein anderer, der nach seiner Rückkehr von seinem Vater fürchterlich den Hintern versohlt bekam, als er erzählte, dass er beim Fliegen gewesen sei. Die Geschichte steht ganz genau in einem alten Segelfliegerbuch, das ich Eurem Onkel überlassen habe. Ist ja heute auch egal. Auf jeden Fall hat er davon seinen Freunden auf der Wasserkuppe geschrieben. Und dann hat irgend ein Fluglehrer da oben bestimmt, dass in Zukunft jeder nach seinem ersten Alleinflug als ausgleichende Gerechtigkeit den Hintern versohlt bekommt. Heute weiß das kaum einer mehr, warum, Hauptsache, es wird geschlagen“!.
„Unzählige kleine Anekdoten gäbe es noch zu erzählen, zum Beispiel, dass der Übelein, unser Vereinsfluglehrer mich nach Hause schicken wollte, weil, wer nichts zu essen hat, auch nicht fliegen darf. Ein paar ältere Gredinger halfen mir aber, widersprachen ihm und brachten mir sogar ab und zu etwas zu essen mit. Fünfzehn Mark musste ich mir noch von meinem Freund Karle leihen, aber ich hatte mein Ziel erreicht.
Im Herbst des gleichen Jahres folgten noch drei Schulgleiterhüpfer auf der Bertelsdorfer Höhe, dann war die Flugsaison 1953 zu Ende“.
„Reicht Euch das mal bis hierher, Ihr zwei Neugierigen“?
„Nein, weiter erzählen“!
„Na gut, dann lasst mich mal die Zeit in meiner Heimatstadt abschließen und noch ein bisschen in meinem Flugbuch blättern, denn bald bin ich nach Nürnberg gezogen, um in einer für mich neuen Firma zu arbeiten und damit hatte die Fliegerei erst mal ein Ende“.
„Im Frühjahr 1954 hat man mich als Altlehrling vorzeitig zur Gesellenprüfung als Werkzeugmaschinenschlosser zugelassen und anschließend in die Arbeitsvorbereitung übernommen. Danach gab es mit dem ersten Angestelltengehalt erst einmal Urlaub und den verbrachte ich mit einem Vereinskameraden und Spezl in einem Ferienfluglager der Mainzer Segelflieger in Ailertchen im Westerwald, denn bis dahin hatte ich lediglich drei Mitflüge als Co-Pilot in der neuen, vereinseigenen KA 2 in Bamberg mitmachen dürfen“.
„Stundenlang gäbe es aus diesem Ferienlager in dem „Oh, so schönen Wehehesterwald“ zu berichten. Achtundzwanzig Flüge mit dem Doppelraab, der den Mainzer Segelfliegern gehörte, davon sieben mit Lehrer und einer auf einem Kranich III führten zur C – Prüfung. Die Prüfung zum Luftfahrerschein war damals wegen des ständig starken Windes nicht erreichbar, weil man es einfach nicht schaffte, in einer Acht zwei achthundert Meter entfernte Zielpunkte zu umrunden. Wir kamen zwar meist bis fünfhundert Meter Schlepphöhe, aber dann ging es bei Gegenwind und durchwegs bewölktem Himmel fast fahrstuhlmäßig wieder abwärts. Doch ab jetzt schmückten drei weiße Schwingen auf blauem Grund den Kragen meiner Jacke. Im November des gleichen Jahres gab es noch einen Flug auf dem SG 38 in Lichtenfels, wo ein geeigneter Platz in einer Mainschleife gerade so außerhalb der ADIZ lag und dann war, fliegerisch betrachtet, auch diese Saison schon wieder zu Ende. Woher ich das alles weiß? Es steht hier in meinem Flugbuch, vom zuständigen Flugleiter beglaubigt“!
„In den noch folgenden Jahren intensivierte sich meine Freizeitbeschäftigung im Aeroclub Coburg, dessen Vorstand ein gewisser Georg Brütting war, Direktor einer Volksschule in Coburg, Herausgeber der Zeitschrift „Weltluftfahrt“ und ein weithin bekannter und erfolgreicher Luftfahrtschriftsteller, der bereits unzählige Bücher veröffentlicht hatte. Auch ich gehörte bald zu diesem Vorstand und nannte mich „Segelflugreferent“ im Gegensatz zum „Motorflugreferenten“, denn seit dem 5.5.1955 durfte auch wieder mit Motorflugzeugen geflogen werden, die Deutsche Lufthansa wurde wieder gegründet und leider änderte sich auch bald das Vereinsleben zu einer Zweiklassengesellschaft. Mit Motor flogen erst einmal die Reichen.
Der selbstgebaute Schulgleiter, der auch noch ein sogenanntes Boot, eine Verkleidung des freien Pilotensitzes für Hochstarts erhalten hatte, war nun im praktischen Dauereinsatz. Wir probierten ihn mit Hilfe von Gummiseilstarts zum Teil auf der Brandtensteinsebene, dem eigentlichen Coburger Flugplatz, östlich der Veste Coburg auf einer Art Hochebene gelegen aus. Da dieser Flugplatz aber noch von den Amerikanern benutzt wurde und wir nur zu bestimmten Zeiten dort fliegen durften, wichen wir des öfteren auch auf die Bertelsdorfer Höhe aus, damals ein einsam im Norden Coburgs gelegenes hügeliges Areal, heute teils bebaut mit Wohnungen für Immigranten aus Russland und dominiert durch Glaspaläste eines Schulungs- und Verwaltungszentrums der HUK Coburg.
Da so viele Erwachsene jahrelang nicht fliegen durften und natürlich ausgesprochen wild auf jeden möglichen Start waren, wir andrerseits nur über einen recht schrägen Vogel als Fluglehrer verfügten, einem stotternden Paketzusteller der Deutschen Bundespost, in Zagreb geboren und neben seinem Stottern auch sonst etwas skurril in seiner Lebensauffassung und Ausdrucksweise, hatte der Nachwuchs in dieser Saison noch keine Chance, außer kräftig mit am Gummiseil zu ziehen und den Erwachsenen zu kurzen Sprüngen wie weiland Otto Lilienthal zu verhelfen. Auch Rudolf Kaiser war mit seiner KA 1 regelmäßig mit von der Partie, aber Thermikflüge waren ihm bei dieser Ausgangsbasis genau so verwehrt wie allen anderen fluggeilen Teilnehmern, denn all diese Flugbemühungen erinnerten mehr an Modellflugversuche, bei denen die Flugzeuge nur etwas zu groß geraten waren.
Bereits im Vorjahr hatte der Aeroclub als Ergänzung zur KA II eine Rhönlerche angeschafft, die mit ihrem Stahlrohrrumpf auch mal härtere Landungen verzieh als die hölzerne, aber elegantere KA 2. Wir flogen in Zell bei Münchberg, bei Lichtenfels, in Bamberg, auf der Wasserkuppe und ich hatte mit mehr als hundert Flügen einiges an Stunden gesammelt und es gab für mich nichts Wichtigeres mehr als die Fliegerei“.
„So, dann lasst mich mal hier Schluss machen. Wenn es Euch interessiert, wie es weiterging, dann erzähle ich das Euch das nächste mal. Bis dahin suche ich Euch dann auch noch ein paar Bilder raus, ich glaube, da gibt es auch noch eine Menge Dias aus dieser Zeit“
„Versprochen, Opa“?
„Versprochen“!