Andreas Schindler

Edouard Mouton II

Navigationssysteme

Der Monat April im Jahre 2009 war einer der wärmsten seiner Art. Ob damit der Sommer des Jahres schon vorgezogen wurde, musste sich noch herausstellen. Ich genoss die Sonne am Meer auf einem unbestimmten Deichabschnitt Ostfrieslands, sah weit auf das Meer hinaus und lauschte dem Geschrei der Möwen, die sich wichtige Informationen mitzuteilen versuchten. Dann und wann ließ ich meine Blicke entlang des Deichverlaufes ziehen und beobachtete bald eine Herde Schafe, die genüsslich dabei war, die Gräser des Deiches kurz zu halten und damit auch sorgen, dass er mit einer festen Grasode bedeckt war. So wurde Fressen zu einem sehr wichtigen Instrument. Die Schafe waren emsig damit beschäftigt ihren Dienst im Küstenschutzes zu leisten, und machte dabei kaum Anstalten, sich weiter zu bewegen. Dort wo sie standen, war genug Arbeitsmaterial.

Nur ein Schaf bewegte sich entgegen dem allgemeinen Trend, mal nach links, mal nach rechts und dann wieder gerade aus. Staunend nahm ich auch zur Kenntnis, dass es begann rückwärts zu gehen und nach links einzuschwenken. Als dieser Vorgang abgeschlossen war, stoppte es kurz und setzte seine Bewegung vorwärts fort, bevor es kurz danach wieder nach links abbog. Diese Manöver erinnerten mich an ein Auto, dessen Fahrer versuchte, den richtigen Weg zu finden. Mir kam ein Verdacht, der sich alsbald bestätigte. Plötzlich nämlich schlug das Schaf den Weg in meine Richtung ein und als es nahe genug heran gekommen war, erkannte ich in ihm Edouard Mouton.

Er war so vertieft in ein Gerät, das er bei sich trug, dass ich befürchtete, er würde mich nicht erkennen und an mir vorbei ziehen. Also begrüßte ich ihn schnell, als er auf Hörweite heran gekommen war.

Bonjour, Monsieur Mouton, warf ich ihn entgegen.Ah, guten Tag, antwortete er ebenso freundlich, wenngleich ich das Gefühl hatte, dass ich ihn aus wichtigen Überlegungen heraus gerissen hatte. Sie scheinen beschäftigt zu sein, führte ich den Dialog fort. Nicht wirklich, antwortete er, ich versuche mich nur mit diesem Gerät zurechtzufinden. Auch bei mir hält dann und wann etwas Technik Einzug.

Verwundert schaute ich ihn an. Technik?, fragte ich ungläubig. Ja, entgegnete er, da ich viel unterwegs bin, habe ich mir, einer Empfehlung folgend, ein Navigationssystem zugelegt. Wenn ich vorher bei dem Wort Technik noch neugierig skeptisch war, so viel ich jetzt aus allen Wolken.

Ein Navigationssystem?Ja, warum denn nicht? Als ich mich auf den Weg zu meinen friesischen Verwandten machte, hatte ich enorme Schwierigkeiten den richtigen Weg zu finden. Sicherlich liegt es auch daran, dass sie sich Tag für Tag entweder in östlicher oder westlicher Richtung bewegen. Obwohl ich allerdings wusste, wo sie sich aufhalten, habe ich enorme Zeit damit verschwendet, sie zu finden. Mein Cousin Jan Skep empfahl mir daraufhin so ein Gerät. Er besitzt selber eins, obwohl ich mich frage warum. Wozu benötigt man ein Navigationssystem, wenn man sich eigentlich nur in zwei Richtungen bewegt?

Ich gestehe, diese Ausführung rief in mir eine enorme Ungläubigkeit hervor. Aber sie kam von Edouard Mouton, war also genauso plausible wie unverständlich. Allerdings war das nichts außergewöhnliches in den Begegnungen mit Edouard. Oder anders ausgedrückt: Es war immer so.

Kannst du mir nicht einige Dinge erklären? Ich willigte ein und wir begannen über Navigationssysteme zu fachsimpeln. Wenn ich ein Ziel eingebe, dann erfragt das System zunächst ein Land, danach eine Stadt und die Straße und zuletzt die Hausnummer, erklärte Edouard mir und setzte fort, Das allerdings ist bei meinen Verwandten, ob nun die friesischen oder die in der Bretagne immer schwierig. Sie bewegen sich kaum in Städten und haben selten eine Adresse, an der sie sich gewöhnlich aufhalten. Zwar weiß ich in der Regel immer, wo sie sich gerade aufhalten, aber in den seltesten Fällen kann ich eine Straße und schon gar nicht eine Hausnummer eingeben.

Das war verständlich und es erinnerte mich daran, wie es mir ergeht, wenn ich einen Stellplatz für mein Wohnmobil suche und nur Koordinaten des Global Positioning Systems, kurz GPS habe. Wenn das Navigationssystem keine Eingabe solcher Koordinaten vorgesehen hat, wird es schwierig. Also begann ich Edouard etwas von geographischen Koordinaten zu erzählen. Und Edouard hörte aufmerksam zu.
Das Problem besteht zunächst darin, die Oberfläche einer Kugel auf eine Ebene zu bringen. Dazu benötigt man eine Projektion ..., berichtete ich. Edouard hörte zu. Ist dieses geschehen, setzte ich fort, muss man ein Koordinatennetz auf diese Abbildung bringen, mit einer y - und einer x - Achse. Die y - Achse bezeichnet nun nördlich des Äquators den Nord-Wert, auf der Südhalbkugel den Südwert. Um nun die Mitte des Koordinatennetzes zu bekommen, an der also alle Werte auf Null gesetzt sind, hat man neben dem natürlichen Äquator, der ja in Ost-West-Richtung die Erde an ihrer breitesten Stelle umspannt, eine weitere Linie gebraucht, eben eine, die die Pole miteinander verbindet. Nach langen Hin und Her legte man diese Linie so fest, dass sie durch die Sternwarte von Greenwich verläuft. Dort wo sie nun den Äquator überquert, liegt Null, gültig für alle Himmelsrichtungen. Null y und Null x. Edouard hörte zu.

Mit so einem Gitternetz, kann man nun jeden Punkt der Erde festlegen und definieren, ohne eine Stadt, eine Straße und eine Hausnummer zu kennen. Edouard schaute mich an, überlegte kurz und sagte: Das ist ja wie im Leben. Alle Einflüsse, die auf uns treffen sind Projektionen. Man muss nur noch lernen, die Karte zu lesen. Denn Navigationssysteme für das Leben und den Umgang mit anderen Leben gibt es nicht.

Erstaunt und sprachlos folgte ich seiner Schussfolgerung, mit der ich einfach nicht gerechnet hatte. Nun sag mir doch noch, unterbrach er das Schweigen, warum gibt es im System manchmal Anweisungen ausschließlich für uns?

Wie meinen sie das, Monsieur ?, versuchte ich meine Fassung wieder zu erlangen. Manchmal, so erklärte er mir, sagt das Navigationssystem In 200 Meter Schaf links abbiegen...!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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