Karl-Heinz Jedlicka

Blumen von Bert

 

Bert saß im Bus, ganz hinten, in der letzten Reihe. Er grinste breit, fast vom einem Ohr zum anderen. Es war eine Szene, wie aus einem seiner Lieblingsfilme, und Bert genoss es, denn Bert ist ein absoluter Filmfreak. Dabei hatte der Tag eigentlich ganz grau angefangen, und es sah überhaupt nicht so aus, dass es einer dieser Tage werden sollte, von denen er seinen, wohl nie existierenden Enkeln noch erzählen würde. Verkatert hatte er sich aus den Bett geschält, und seinen Kopf unter den Wasserhahn gehalten. Heute ist der Tag, und er war sich klar, dass es ihm mehr als eine schlaflose Nacht in der letzten Zeit gekostet hatte. Er hatte die Einladung vor einer Woche bekommen, seitdem lief in ihm ein Film ab. Heute würde Marianne heiraten. Sie wird heute Nachmittag von Hartmut vor dem Traualtar geführt. Und er war eingeladen. Nah klar. Sie waren Erwachsenen Leute. Konnten damit umgehen, und schließlich war es Bert, der die Signale nicht erhört hatte. >> Hast du das von Thomas und Petra mitbekommen, << oder, >> ist das aber ein schönes Kleid, was die Braut da trägt... << Auf seinen Einwand: >> Wer heiratet heute denn noch?<<  >> Nah, Thomas und Petra.<< >> Natürlich, Thomas war immer schon ein Streber, Klassensprecher und Bausparvertragsabschliesser.<< Oh ja, Marianne hatte es versucht, als sie noch ein Paar waren. Eine Beziehung hatten! Furchtbares Wort. Und dann kam Hartmut. Bert mochte ihn, hatte ihn sogar vorgestellt, damals, auf der Stehparty. >> Dass ist ja ein unsympathischer Lackaffe, << hatte sie ihm zugeflüstert, und jetzt führte dieser Lackaffe Marianne in den Bund der Ehe, ganz groß aufgezogen, die Show, so wie es sich gehört. Natürlich war es vor allem Berts Schuld, dass es mit ihnen nicht mehr gestimmt hatte, und es besser war, sich zu trennen. Das hatte er auch voll eingesehen. nächtelange Gespräche, über Verantwortung und Pflichten, über seine Unstetigkeit oder Unordnung, über das was er im Leben wollte, und was sich eine Frau so wünscht, und so weiter und sofort, dass ganze Programm. Sie hatten sich Freiraum gelassen, den Bert eigentlich schon längst für sich beansprucht hatte, und sich dann getrennt, weil es nicht mehr ging. Dass Marianne schon seit einigen Monaten ein ( Bums-) Verhältnis, ihre Worte, mit dem Lackaffen Hartmut hatte, gestand sie ihm noch, und natürlich war auch das irgendwie seine Schult. Er war mit sich und seiner Vergangenheit im Einklang, dachte er, bis die Einladung zur Hochzeit kam. Zunächst hatte er nur ein überlegenes, >> wer es braucht,<< gezischt. Aber in den letzten Tagen, bemerkte er an sich eine Wende, die er gar nicht so mochte. Er dachte nach, über sich und das Leben. Dass tat er viel, sah er sich doch gerne als den einsamen Wolf, der durch die Großstadtschluchten streift, auf der Suche nach... Über die Zeit die verrinnt, dass Verhältnis zu andern Menschen, ja, über den Sinn oder Unsinn der Ehe. Alles solche Sachen, die in seinem Leben wenig zu suchen hatte. Bert hatte irgendwann die Einladung hervor geholt, nachgesehen, wo die Veranstaltung statt finden sollte. Nun schlenderte er mit hochgezogenen Schultern durch den Park. Er nahm einen Nebeneingang, um nicht an den ganzen Karossen vorbei zu müssen. Hier war er gerne unterwegs. Er liebte den Park, die Kirche, ja auch der Friedhof war ein Ort, wo es ihn immer wieder hingezogen hatte. Als er die Leute vor dem Eingang zur Kirche stehen sah, verharrte er hinter einer Hecke. Er hörte die Stimmen, rauchte, und wollte gerade wieder von dannen ziehen, als die Ereignisse sich überschlugen. Eine aufgeregte Frauenstimme ließ ihn um die Ecke spähen. Da stand Marianne, in einem weißen Brautkleid. Sie leuchtete förmlich, umringt von den anderen Frauen und Freundinnen. Ein aufgeregter, grauer Herr im Frack, trat aus der Kirche, ermahnte die Gruppe, dass man doch bitte beginnen wolle. Bert hätte sich jetzt aus dem Staub machen können, aber das Gesicht von Marianne war von Entsetzen gezeichnet, denn von glücklicher Erwartung, und Bert verstand auch bald, warum das so war. Der Brautstrauß war nicht da, tönte es zu ihm herüber. Was dieser Strauß für eine Braut für Bedeutung hatte, war ihm völlig fremd, aber er sah das Bild einer großen Hochzeit vor seinem inneren Auge, und da hielt die Frau in Weiß eigentlich immer einen Blumenstrauß in den Händen.

 

 

Bert beschloss, dass er etwas tun musste. Angesichts der Unruhe, ja Panik in den Stimmen der Leute, begriff er; dass hier war ernst. Er sah sich um. Wo jetzt Blumen herbekommen. Kirche, da die Kapelle wo Trauerfeiern statt finden. Er selber war schon einige Male dabei gewesen. Der Friedhof, Gräber, und natürlich, überall Blumen, man musste nur den Mut haben. Er sprintete los. Nach kurzer Zeit kam er zurück. In der Hand einen bunten Strauß von Blumen, die so sicher nicht zusammen gehörten, und es war viel einfacher, als er gedacht hatte. Zunächst nur verhallten, hatte er schnell raus, aus welchen Kränzen oder Gestecken sich die Blumen leicht lösen ließen, welche noch zu gebrauchen waren. Er stopfte sie regelrecht zusammen, wickelte eine Schleife darum, brach einige Stile ab, damit der Strauß, sein Strauß, handlich wurde. Dann sprang er förmlich auf das Kirchenportal zu, an dem die Braut stand, in mitten von immer hysterischerem Stimmengewirr. Welch eine Szene. Bert stoppte ab, ging gemessenen Schrittes, den Strauß, seinen Strauß, vor den Händen haltend, auf die Braut zu. Alles verstummte, und sah ihn an. Marianne, Tränen in den Augen, erkannte ihn, sah den Strauß, hatte den Mund geöffnet, ohne etwas zu sagen. Er gab den Strauß in ihre Hände, einen Moment hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören können. Dann ergriff eine korpulente Frau das Kommando. Sie schob die Braut samt Brautstrauß zum Eingang, rief jemanden zu, man könne jetzt beginnen, bedankte sich etwas herablassend bei Bert, und stellte später ein angemessenes Trinkgeld in Aussicht, und die Prozession verschwand in der Kirche. Bert stand noch einem Augenblick alleine auf dem Vorplatz. Steckte sich eine Zigarette an, schlenderte langsam zum Ausgang. Er überlegte, was er mit dem angefangenen Tag weiter machen wollte. Zum Hafen herunter, dass würde zu seiner Stimmung passen. Den Tumult bekam er nur aus der Ferne mit. Es wurde gerufen, gemeckert, Eine Frau schrie, eine andere weinte. Ein kurzes Lachen war auch zu hören. Bert sah einige Leute in ihre großen Autos steigen, und er musste zur Seite springen, als sie an ihm vorbeipreschten. Fast bis zur Bushaltestelle konnte er das Gezeter von der Kirche herüber hören. Er musste auf seinen Bus warten, so dass bald einige Leute um ihn herum standen, die an der Hochzeit teilgenommen hatten, und so erfuhr Bert auch den Rest der Ereignisse. Nachdem das Unglück schon seinen Lauf hatte, dass man den Brautstrauß schlicht und einfach vergessen hatte, konnte die Trauung mit Verspätung endlich stattfinden. Die Orgel spielte, die Braut schritt, begleitet vom Brautvater, auf den Altar zu, wo der Bräutigam schon ungeduldig wartete. Und da, mitten im Gang, hielt die Braut an, sah mit Tränen in den Augen auf die Blumen, und schluchzte heftig. Dann riss sie sich den Schleier aus den Haaren, warf ihn in Richtung des Pfarrers und stürmte aus der Kirche. Bert sah die beiden Frauen nicht an, die sich neben ihm stehend unterhielten, laut, so dass er nicht mal die Ohren zu spitzen brauchte. >> Es soll ja schon mal vorgekommen sein, dass sich der eine oder andere kurz vor der Trauung klar wird, das ist nicht Richtig, oder so. Aber wie müssen sich nur die Angehörigen fühlen? <<

>> Ach, lass doch, lieber spät, als zu spät, aber ich glaube, das hat an dem Strauß gelegen. <<

Bert stockte der Atem. >> Wie soll ich denn das verstehen, der sah, na ja, etwas Geschmacksneutral aus, wenn ich mal so sagen darf, aber wegen eines nichtpassenden Straußes, sagt man doch keine Trauung ab, nicht in der Kirche, wenn alle schon da sitzen. <<

>> Nicht der Strauß, die Schleife, hast du nicht gesehen, der Strauß hatte eine Schleife um. Mit Knoten. Eine Trauerschleife. <<

>> Eine Trauerschleife? Dass ist nicht dein Ernst. <<

>> Doch, ich habe es genau gesehen. Und die Braut hat, bevor sie aus der Kirche gestürmt ist, die Schleife angesehen. Dass habe ich genau bemerkt. Glaub mir. Und auf der Schleife stand

-Im stillen Gedenken- <<

Bert grinste auf der Rückbank des Bus, der ihn zurück in die Stadt brachte. Wie ein Honigkuchenpferd. Eine ganze Weile noch, als die Kirche schon gar nicht mehr zu sehen war. Mindestens.

 

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Weil ich das Verschwenderische des Lebens begriffen habe, die Extreme erkannte und über den Weg von einem zum anderen nachzudenken anfing, weil ich verstand wie elend es ist, wußte ich auch, wie schön es ist und weil ich erkannte, wie ernst es auch ist wußte ich auch wie fröhlich es ist.

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