Dietrich Wilhelm

Die Freude über den gefundenen Groschen

 

Ich möchte ja nicht indiskret sein, aber habe ich richtig gesehen, hast du ihr eben ein Geldstück gegeben? Ich glaube es war ein Groschen.

 

Ja, ganz recht.

 

Nun, wenn ich nicht genau hingesehen und den Groschen gesehen hätte, man hätte glauben können, dass du ihr etwas Besonderes geschenkt hättest.

 

Das stimmt ja auch.

 

Wie meinst du das, ein Groschen ist doch nichts wert?

 

Da irrst du dich allerdings. Ein solches Geldstück hat schon einen Wert, und zudem war dieser Groschen noch ein besonderer.

 

Klar, zehn lumpige Pfennige; aber ich denke, du kannst mir das sicher etwas genauer erklären.

 

Ich will es versuchen. Aber sei geduldig und höre genau zu!

 

Natürlich, denn ich bin ja deine ausführlichen Erklärungen gewöhnt.

 

Ich will mit dem scheinbar einfachen anfangen. Ähnlich wie ein Familienoberhaupt seine Angehörigen hat, so hat auch der Groschen als Münze seine eigene Familie. In ihm sind Ein-, Zwei,- und Fünfpfennigstücke enthalten. Er steht als Münzwert sowohl zehn Pfenningen, fünf Zweipfennigstücken als auch zwei Fünfpfennigstücken gleich; eine Anzahl von Kombinationen der genannten ist ebenso möglich um den gleichen Wert wiederzugeben. Schon hieran kannst du sehen, dass diese Münze sich schon von anderen unterscheidet.

 

Das kann es doch wohl noch nicht gewesen sein, oder?

 

Es wird sicher auch in deinem Sinn sein, dass ich bei meinen weiteren Ausführungen einige Dinge etwas mehr darstelle und andere nur andeuten werde.

Wie die sichtbaren Einzelheiten, so zum Beispiel die pflanzlichen Symbole auf der Vor- und Rückseite oder auch die Staatszugehörigkeitsbezeichnung weiter erläutert werden könnten, will ich mich in diesem Fall auf die Zahl zehn beschränken.

 

Ich bin gespannt.

 

So wie diese Zahl schon in der Antike eine ganz besondere Stellung einnahm, spielt sie auch in der heutigen Mathematik eine besondere Rolle. Nicht nur, dass im gewaltigen Metrischen System die Zehn bzw. die Abstufung in Zehnerschritten in der Länge, in der Fläche und auch in der räumlichen Ausdehnung ein absolutes Maß darstellt, so fand sie auch durch die Erhebung zur Potenz Zugang zur höheren Mathematik.

Es hat mich schon immer fasziniert, wenn man mit scheinbar wenig Kraftanstrengung und mit geringen Mitteln eine hohe Wirkung erzielen konnte. So verhält es sich hier auch mit der scheinbar kleinen Zehn. Denn es ist für jeden, der sich einigermaßen mit Zahlen bzw. der einfachen Mathematik auskennt ein leichtes, durch das simple Verschieben eines Kommas in einer Zahl oder das Anhängen bzw. Streichen einer Null am Zahlenende eine durchaus gravierende Veränderung vornehmen kann.

Damit genug zur Zehn.

Aber wie du weißt, hat eine Münze verschiedene Seiten und so sind auch hier noch andere Aspekte zu betrachten.

 

Ich höre schon noch zu, erzähl nur weiter.

 

Allerdings möchte ich noch zur Münze als solches erwähnen, dass sie durch ihren Symbolcharakter von je her im Bereich des Gegenständlichen eine besondere Rolle spielte. Als Einheit bzw. als Währung wird sie einer Vielheit von Dingen und sogar auch menschlichen Leistungen wertemäßig entgegengesetzt.

Zum Groschen als solches aber nun zurück. In der Kunst zum Beispiel, und auch das möchte ich nur kurz anzeigen, fand er Beachtung. Erinnere dich an so manchen Schlager, denke an Berthold Brechts Drei-Groschen-Oper und ebenso an Beethoven, der sich seiner annahm.

 

Ich erinnere mich.

 

Bevor ich endgültig auf unseren Groschen komme und wir dann auch feststellen können, ob ein Groschen den man bekommt im einzelnen oder auch im besonderen einen Zugewinn darstellt oder nicht, möchte ich zuerst die Art und Weise betrachten wie man überhaupt zu einem Groschen kommen kann.

Ich bitte dich nochmals um Geduld, aber du wirst eingestehen, wenn sich am Ende wirklich das herausstellt was ich bezüglich des Groschens vorgab, sich auch ein mühsamer Weg lohnte?

 

Ich kenne dich ja, du bemühst dich kurz zu sein und bist doch so lang. Fahre fort.

 

Danke für dein Verständnis. Bin ich doch selbst ein wenig gespannt, ob ich in meiner Betrachtung so auskomme wie ich es mir erhoffe.

Eine Möglichkeit ist es, sich größere Münzen wechseln zu lassen oder auch kleinere dagegen einzutauschen. Desweiteren bei Kaufhandlungen, bei denen ich einerseits Geld erhalte oder es für etwas bezahle und dabei Wechselgeld zurückerhalte. Den Anteil an Groschen kann ich dem Zufall überlassen oder auch durch Erbitten beeinflussen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an meine Kindheit als ich auch schon mal einen Groschen geschenkt bekam; darüber war ich dann sehr glücklich.

 

Sag schon endlich, wie du zu diesem Groschen gekommen bist!

 

Ich fand ihn! Ja das stimmt wirklich. Ich war dieser Tage auf dem Heimweg, zu Fuß unweit der Wohnung. Am Straßenrand in der Rinne neben dem Bürgersteig lag er. Ich fand ihn durch Zufall; oder auch nicht?

Irgendwie stimmte mich dieser Fund nachdenklich.

„Geld auf der Straße! Wer es dort sucht, wird es bestimmt nicht finden; das wäre auch zu einfach. Das Jemand in der heutigen Zeit überhaupt noch eine Münze beachtet, wenn sie nicht gerade silbern ist ins Auge fällt. Wer bückt sich in der heutigen Zeit denn noch für einen Pfennig wenn er ihn wohl mehr zufällig entdeckt. Wer den Pfennig nicht ehrt usw., das denke ich, ist sowieso schon lange vorbei.“

Auf jeden Fall hob ich ihn auf und nahm ihn mit.

Wahrscheinlich weil der Weg zu kurz war um ausreichend darüber nachzudenken und da meine Gedanken und Fragen irgendwo im Unklaren blieben, bekam diese Münze, dieser Groschen für mich einen besonderen Wert.

Mein Lieber, du musst mir jetzt allerdings helfen eine Brücke zu bauen, denn ich drohe irgendwie stecken zu bleiben.

 

Bloß das nicht, wo ich doch ahne, dass du bald die Lösung präsentierst. Sag, was kann ich tun?

 

Versuche dich doch bitte noch einmal ganz genau an die Szene zu erinnern, als ich ihr den Groschen gab. Du hast sie ja offensichtlich genau beobachtet. Versuche sie doch noch einmal so genau wie möglich zu beschreiben.

 

Ich werde es versuchen soweit es mir möglich ist.

Also, ich sagte ja bereits am Anfang, wenn ich den Groschen nicht gesehen hätte, dass das Geschenk, so will ich es mal nennen, eine kleine Kostbarkeit, etwas Besonderes sein musste. Die Gesten des Gebens einerseits und des Nehmens andererseits hatten etwas Feierliches an sich. Du strecktest ihr deine fest geschlossene Hand hin und sie, als ahnte sie etwas hielt ihre geöffnete Hand entgegen. Und nachdem du deine Hand öffnetest und den Groschen in die ihre legtest verschloss sie ihre Hand genauso fest wie zuvor deine. Obwohl mir deinerseits die Sache unvorbereitet oder vielleicht auch spontan schien, konnte ich ihrerseits keine Anzeichen von Überraschung feststellen.

Was mir vielleicht sonst noch auffiel war, dass ihr euch in diesem kurzen Moment, denn vielmehr war es nicht, tief in die Augen schautet.

 

Eine wunderbare Beschreibung. Ja, ich schenkte ihr etwas Besonderes. Es war aber bestimmt auch das Glück des Zufalls; dass ich diesen Groschen in meiner Tasche fest in der Hand hielt und mir in diesem Moment ein Mensch gegenüberstand, den ich von ganzem Herzen mag.

Und so denke ich, ist es mir auch jetzt dank deiner Ausführung möglich, dir das an und für sich Besondere einigermaßen zu erklären.

Die äußeren Werte mein Lieber sind oft sehr gering und so unscheinbar. Trügerischer Schein verhüllt oftmals die überragenden Dinge. Sie liegen unausgesprochen in der Tiefe. Das Geheimnis einer gewissen Ausstrahlung liegt eben im verborgenen Bewusstsein besonderer Werte, liegt aber auch in der Zurückhaltung und Diskretion. Es ist wie einen feinen zarten Faden in der Hand zu halten, der beim Zugriff vieler schnell zerreißt.

 

Dem Groschen gab ich aber etwas Besonderes mit, nämlich Wärme. Ich tankte ihn auf mit der Wärme meines Körpers. Sie nahm so nicht nur den Groschen von mir, sondern durch die Wärme auch ein wenig meiner Zuneigung in sich auf.

 

Ich mag sie und offensichtlich mag sie auch mich.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.12.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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