Milena C.

Saucen fehlen


Noch drei Tage bis Weihnachten

 
Ich sollte noch Saucen fürs Fondue Chinoise kaufen. Aber ich bin spät dran. Zu spät. Am liebsten mag ich Curry und Knoblauch. Karin wartet schon. Ich entscheide mich gegen die Saucen. Karin soll nicht warten. Es schneit, und die Stadt strahlt weihnachtlich. In froher Erwartung.
Ich habe mich mit Karin im neuen italienischen Restaurant verabredet. In der Altstadt. Soll sehr hübsch und gut sein, dort.

 
Karin hat zwei süsse Kinder und wird nicht müde, sich ihrer zu freuen. Länger als zwei Stunden halte ich das nicht aus. Das ist ein Erfahrungswert. Zwei Stunden sind das Maximum. Diesmal scheint es noch schlimmer. Karins Selbstgefälligkeit setzt zu neuen Höhenflügen an. So bleibt für meine Rolle in diesem Trauerspiel bereits nach einer Stunde nur der Abgang. Ich gebe vor, noch ein wichtiges längeres Telefongespräch führen zu müssen. Geschäftlich. Mit Übersee. Wie schäbig! Karin schluckt die Ausrede allerdings erstaunlich gelassen. Wer sich selbst genügt, wird von anderen nicht enttäuscht.

 
Ich überlege mir gerade, dass ein schönes Schaumbad jetzt genau das Richtige wäre, als mich eine rau-warme Männerstimme aus meinen Feierabend-Träumen reisst:
„So eilig. Nehmen Sie kein Dessert mehr?“
„Nein. Danke…Ich muss…“
„… nach Hause?“
„Oder so ähnlich. Genau.“
„Schauen Sie doch wieder mal vorbei.“
„Das mache ich“, murmle ich und versuche, mich selber zu beruhigen. Mir bleibt der Schnauf weg.
„Ist Ihnen nicht gut? Ist Ihnen schwindlig?“
Karin hat zwar erwähnt, dass der neue Ristorante-Besitzer gut aussieht, damit habe ich aber nicht gerechnet. Was auch immer hier passiert, es soll nicht sein. Es passt nicht zur Weihnachtszeit.
„Sie sind noch hier??? Es geht schon. Nur ein bisschen schwindlig.“
„Setzen Sie sich doch einen Moment.“
Er hat einen leichten Akzent, wenn er spricht.
„Hier. Ein Glas Wasser.“
„Danke.“
„… Ja dann: Frohe Weihnachten.“
„Frohe Weihnachten!“
Zu Hause zünde ich mir eine Kerze an.

 

 
noch zwei Tage bis Weihnachten

 
Ich melde mich krank. Ich fühle mich krank. Und schliesslich habe ich in diesem Jahr, das gerade zu Ende geht, gerade mal einen Tag gefehlt.
Karin ruft an. Sie will wissen, ob es mir besser geht. Dann fragt sie auch noch, ob ich einen speziellen Wunsch habe. Als Weihnachtsgeschenk. Dabei weiss ich genau: Wünschte ich mir was, hätte Karin kein Zeit, es zu besorgen. In den zwei verbleibenden Tagen schon gar nicht. Um mir das zu ersparen, sage ich schnell: „Nein, nein.“
An Silvester wird Karin selbst gebackene Lebkuchen mitbringen. Mir ist jetzt schon übel. Und vorher gilt es noch, das Fondue Chinoise zu überstehen. Und noch fehlen die Saucen. Ohne geht es aber nicht.
Eigentlich schön, so kurz vor Weihnachten sich einfach unter der Bettdecke zu verkriechen. Als Kind liebte sie Weihnachten. Da hatte das Fest noch diese ganz besondere Magie. Unter der Bettdecke ist die Welt auch geschützt.
Es klingelte an der Türe. Paul. Er scheint nicht akzeptieren zu können, dass Schluss ist. Er schenkt mir ein Buch. „Danke.“ Ich habe nichts. Ich biete ihm Cafe an und habe nicht mal hierzu Lust. Ob ich nicht gebacken hätte? Nein, habe ich nicht und kein bisschen das Gefühl, etwas verpasst zu haben. Dass ich nur einen ganz kleinen Christbaum habe, verschweige ich.
Ich bin froh, als Paul beschliesst zu gehen. Ich überlege kurz, ob ich ihn bitten soll, die Saucen zu besorgen, lasse es aber bleiben. An diesem 22. Dezember bringe ich so gar nichts auf die Reihen. Also gibt’s nur eins: Sich im Bett verkriechen und dort bleiben.

 

 
noch ein Tag bis Weihnachten

 
Ich zwinge mich, aufzustehen. Nach einer kalten Dusche geht’s dann auch erfreulich gut. Fast schon vergessen, mein Durchhänger von gestern.
Ich räume auf, sauge und wische, dekoriere das Wohnzimmer. Ich bin zufrieden. Jetzt fehlen nur noch die Saucen.
Also, mache ich mich auf den Weg in den Supermarkt. Total überfüllt. Alle sind gehetzt.
„Ciao. Geht es Ihnen wieder besser?“
„Oh… Hallo. Ja, ein bisschen.“
Warum kaufte er nicht bei einem Grosshändler?
„Übrigens, ich bin Simone.“
Ein schöner Tag. Ich habe die Saucen, und bald ist Weihnachten.

 

 
Weihnachten

 
Es klingelt schon mittags an der Haustüre. Oh nein. Das muss Paul sein. Echt.
Aber es ist nicht Paul. Es ist Karin. Völlig aufgelöst. Sie weint.
„Karin?“
„Es ist alles aus. Er weiss alles.“
„Was, alles? Was weiss Karl?“
„Simone… Simone und ich…“
„Jetzt komm erst mal rein. Bei dieser Kälte.“
Es schneit, und die Stadt strahlt heller als an jedem anderen Tag im Jahr.
„Frohe Weihnachten euch allen!“, brüllt der Privatradio-Moderator.
Die Saucen werde ich nicht mehr brauchen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.12.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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