Christiane Mielck-Retzdorff

Der Götterbote

 

 

Der Götterbote

 

Gott hat sich vielmehr die Einfältigen und Machtlosen ausgesucht, um die Klugen und Mächtigen zu demütigen.

 

1.Korinther, Kap. 1, Vers 27

 

 

Mein Freund und ich hatten uns mal wieder richtig in der Wolle. Worum es ging, ist nicht so wichtig. Jedenfalls hatten wir einen Punkt der Feindseligkeit erreicht, an dem die Wortwahl bereits entglitten und die Sachlichkeit gänzlich verlorengegangen war. Wir standen an meinem Auto in einer Seitenstraße des Hamburger Hafenviertels, eingehüllt in unsere Wut und bewarfen uns mit Worten. Meines Erachtens war allerdings schon eine Phase erreicht, in der jede weitere Diskussion überflüssig war, und ich versuchte das Gespräch abzubrechen, wodurch ich meinen Freund nur noch mehr in Rage brachte.

Da störte ein Mann unsere Zwietracht, in dem er sagte:

„Entschuldigen Sie bitte.“

Mein Freund drehte sich um und brüllte ihn an:

„Hau ab, du Penner!“

In einem Punkt hatte er dabei offensichtlich recht. Nach der Kleidung und dem Pflegezustand dieses Mannes und seiner vom Alkohol bestimmten Körperausdünstung zu urteilen, handelte es sich um einen Obdachlosen oder schlicht Penner. Das war aber nach meiner grundinnersten christlichen Einstellung kein Grund, diesen Menschen dermaßen herablassend zu behandeln. Also fuhr ich meinen Freund an:

„Wie sprichst Du denn mit diesem Mann?!“

Und zu diesem gewandt:

„Was möchten Sie denn?“

„Haben Sie vielleicht Feuer für mich?“ kam es zwischen seinen leicht fauligen Zähnen hervor.

Mein Freund zückte ein Feuerzeug, entzündete es und streckte es dem Mann leicht angeekelt entgegen mit den Worten:

„Komm mir bloß nicht zu nahe. Du stinkst!“, was ihm sofort einen vernichtenden Blick von mir einfing.

Der Mann bedankte sich, wandte sich zu mir und sagte:

„Gott segne Sie, meine Dame. Ich wünsche Ihnen immer Glück auf Erden. Gott segne Sie“; und ging davon.

Völlig überrascht und innerlich betroffen, fragte ich mich, ob wir Menschen die Boten Gottes auf Erden überhaupt erkennen würden.

 

 

So passiert und niedergeschrieben von Christiane Mielck 1988

 

 

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Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

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