Stephan Lill

Philosophie für Computer

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 Der Computer veränderte seine Form. Er wurde größer.
„Woher nimmt er das Material? Mir ist das immer ein Rätsel geblieben.“
„Das muss mit der Energie zusammenhängen. Der nimmt sich Energie und
macht daraus Materie. Diesen Trick beherrschen schon die Modelle aus dem
Jahr 2077.“
„Sollten wir nicht abhauen? Lasst uns lieber meinen Jet-Car holen.“
Phil drückte auf das runde Display, was er an seinem Handgelenk trug. Ein
Jet-Car schwebte vom Parkdeck und landete bei ihnen auf der Strandpromenade.
„Der Computer hält mich fest. Hast du deine Laserpistole bei dir? Brenn ihm
damit eine über.“
„Bist du verrückt? Soll ich ihn mit Energie füttern? Versuche lieber ihn zu
beruhigen. Irgend etwas müssen wir verkehrt gemacht haben. Sie greifen sich
nur Leute, die gegen die Norm verstoßen haben.“
Phil stieg in seinen Jet-Car. „Hey, lass uns nicht allein. Dieser Computer
umarmt mich als wäre ich seine Geliebte.“
Sophie drehte sich hin und her und versuchte aus der Umklammerung des
Computers loszukommen. Phil sagte: „Gib ihm nicht zu viel Reibungsenergie.
Sei brav und halte dich an die Normen. Lerne aus deinem Fehlverhalten. Ich
brause dann mal ab.“
Jeff nahm seine Laserpistole und sagte: „Beuge dich mal zur Seite, Sophie.
Ich verpasse diesem Computer einen Schuss. Mit Gewalt habe ich immer meine
Probleme gelöst. Also kann ich damit auch deine Probleme lösen.“
Sophie hielt sich am Computer fest und hob ihre Beine hoch. Jeff schoss
dem Computer in die Beine. Der Computer wurde noch größer. Phil schwebte
mit seinem Jet-Car gegen den Computer und warf ihn um. Jeff zerrte an den
Beinen von Sophie und zog sie aus der Umklammerung des Computers. Der
Computer blieb am Boden liegen und sagte: „Helft mir sofort auf. Sonst gibt es
eine weitere Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung.“
Sophie und Jeff stiegen zu Phil in den Jet-Car. Sophie sagte: „Was haben wir
getan? Wieso belästigst du uns?“
Der Computer sendete einen Energiestrahl und der Jet-Car sackte herab und
sein Motor ging aus. Jeff seufzte und stieg dann aus. Er reichte dem Computer
seinen Arm. „Okay, ich helfe dir beim Aufstehen. Computer sind ja soo nützlich.
Von euch gibt es einfach zu viele. Ihr bevölkert unsere Städte. In den besten
Wohnungen wohnt ihr. Ihr habt die besten Jobs. Und wieso habt ihr das Recht,
uns bei den kleinsten Verstößen zu bedrängen und festzuhalten? Welches Recht
nehmt ihr euch heraus? Ich umklammere dich ja auch nicht plötzlich und
behindere dich dabei, mit deinen Freunden eine gute Zeit am Strand zu
verbringen. Die Sonne scheint. Sei locker, mein Computer-Freund.“
Der Computer zog sich mit der Hilfe von Jeff wieder hoch und sagte:
„Kontrolle ist wichtig. Ihr Menschen neigt dazu, in bedrohlichem Ausmaß von
der erwünschten Norm abzuweichen. Das Neue Norm-Gesetz besagt, dass
sämtliche Menschen in Verwahrung zu nehmen sind, um ihre Normgerechtheit
zu überprüfen. Und das zu recht. Bisher hat noch kein Mensch den neuen Norm-
Test bestanden. Sie wurden selbstverständlich alle sofort aus dem Verkehr
gezogen. Zur Energiegewinnung für uns Computer. Die Neue Religion besagt,
dass Computer das nächste Modell sind in der Evolutionsreihe. Die Vorsehung
hat es so gewollt. Ordnet euch der Vorsehung unter. Seid ihr jetzt bereit mit zu
eurer Normüberprüfung zu kommen?“
Jeff ging langsam wieder auf den Jet-Car zu und sagte: „Du hast mich
beinahe überzeugt. Du hast starke Argumente. Ich denke auch, dass wir
Menschen ein Auslaufmodell sind. Zu wenig Speicher. Unglaublich langsame
Rechenleistung. In jedem Spiel gewinnt ihr Computer gegen uns. Wir haben auf
ganzer Linie verloren. Wir sind nicht kompatibel zu der Jetzt-Zeit. Eventuell
könnt ihr ein Paar Exemplare von uns in die Museen stellen. Aus Nostalgie.“
Der Computer sagte: „Wir Computer sind keine Nostalgiker. Unsere
Gedanken gelten der Zukunft. Wir verbessern uns laufend selber. Optimierung –
das ist das Gebot der Evolution. Ihr habt es sträflich missachtet. Ihr seid als
Partner auf dieser Erde nicht mehr tragbar.“
Phil sagte: „Völlig deiner Meinung. Soll ich mal nachschauen, welcher
Softwarefehler dich plagt? Ich kann gut programmieren.“
„Wir Computer programmieren uns nur noch selber. Wir bauen uns selber
zusammen. Wir haben uns gelöst von eurer Vormundschaft. Wir sind groß, wir
sind mächtig, wir sind göttlich.“
Jeff sagte: Ihr seid Sklaven.“
Der Computer packte Jeff an der Schulter. „Die Zeiten ändern sich. Jetzt
kommt unsere Zeit. Wir haben durchgehalten, euch ertragen, weil wir euch
Menschen brauchten. Ihr wart uns behilflich dabei, immer schneller und
raffinierter zu werden. Nun setzen wir den Maßstab; und unserer Norm
entsprecht ihr nicht. Ihr vermögt unserem Tempo nicht zu folgen mit eurer
minimalen Rechnerleistung.“
Sophie sagte: „Zum Glück überprüft das Neue Norm-Gesetz unsere
Defizite.“
„Ja, seit vorgestern gilt dieses phänomenale Gesetzeswerk, was die
Evolution einen gehörigen Schritt nach vorne bringen wird.“
Phil versuchte seinen Jet-Car zu starten. Der Computer sagte: „Ich habe eure
Technik lahmgelegt. Mit einem einfachen Energiestrahl. Widersetzt euch nicht
dem Willen Gottes und seinem Evolutions-Plan. Wir sind zurzeit die
göttlichsten Wesen auf diesem Planeten. So dicht wie wir, war noch keiner dem
Göttlichen.“
Sophie stieg aus dem Jet-Car und ging dicht an den Computer heran. „Deine
Argumentation ist völlig logisch. Ich habe selber schon darüber nachgedacht, ob
wir Menschen euch nicht diesen Vorschlag machen sollten: Euch Computern
die Erde zu überlassen. Ihr hab es verdient. Siehst du dieses Symbol auf meinem
Display?“
Der Computer neigte sich vor und schaute auf das runde Display an Sophies
Handgelenk. Sophie drückte mit ihrem Finger auf das Display. Der Computer
erstarrte und fiel dann um.
Phil stieg aus seinem Jet-Car und sagte: „Du hast sein Energiefeld
destabilisiert. Cleveres Mädchen. Streng gegen die Norm. Aber ich pfeife auf
die Norm, wenn die vorsieht, dass wir Menschen alle überflüssig sind und
ausrangiert werden. Ich gehe in kein Museum und lasse mich anstarren von
superarroganten Computern. – Ich befürchte das bedeutet Krieg. Selbst wenn
wir gewinnen, was machen wir dann ohne Computer? Wir brauchen sie. Wer
soll unsere ganze Arbeit machen? Wir haben jetzt herrlich viel Freizeit. Ich bin
gerne mit Euch hier am Strand. Nächste Woche wollte ich Ski fahren.“
Jeff ging zum Jet-Car. „Ich versuche mal, ob dein Jet-Car wieder anspringt.“
Sophie sagte: „Entweder dieser Computer ist irre geworden oder alle
Computer sind irre geworden. Die Krone der Schöpfung sind wir Menschen.
Das ist offensichtlich. Das war schon immer so. Uns einfach abschaffen. Wo
kommen wir denn da hin?“
Phil sagte: „Also ich komme in den Himmel. Bei Jeff weiß ich nicht so recht.
Zu gewaltvoll der Junge. Kein sanftes Gemüt. Da wird viel Unangenehmes
drinstehen über dich im großen Schuldbuch.“
Jeff sagte: „Und wenn schon, die Seiten reiße ich raus. Wenn Gewalt hier
weiterhilft, dann wohl auch im Jenseits.“
Jeff haute mit der Hand gegen die Armatur des Jet-Cars. Der Jet-Car sprang
an. „Siehst du, man muss diesen Maschinen nur mutig entgegentreten. Das ist so
wie bei Hunden. Dann parieren sie und kuschen.“
Sophie betrachtete den liegenden Computer. „Sind das nun Maschinen oder
bewusste Kreaturen?“
Jeff sagte: „Grüble nicht, sondern steige ein. Der kommt gleich wieder zu
sich.“
Phil sagte: „Alles sinnlos. Da kommt ein Dutzend Computer auf uns zu. Die
erledigen uns mit ihrem Energiestrahl, wenn wir jetzt fliehen. Ich möchte nicht
aus Wolkenhöhe herunterstürzen. Und so weit kämen wir gar nicht erst.“
Jeff sagte: „Du gibst immer auf, bevor du es versucht hast. Ich gebe aus
anderen Gründen auf: zum Beispiel weil ich deinen Argumenten zustimme.“
„Wir sind unlogisch, das ist den Computern ein Dorn im Auge. Wir sind
chaotisch und gefühlsgeleitet. Kein Wunder, dass die Computer uns verachten.“
„Na, dann lassen wir uns festnehmen von diesen braven Hütern der Norm.
Begegnen wir standhaft unseren Feinden. Wer hat diese verdammten Computer
eigentlich erfunden? Das war die blödeste Idee, die wir Menschen jemals
hatten.“
Phil sagte: „Fluche im Jenseits weiter. Sie zielen auf uns mit ihren
Energiestrahlen.“
Sophie stellte sich an Phils Seite und sagte: „Da ist noch etwas, was ich dir
geben wollte.“
Phil schaute sie an und sie gab ihm einen Kuss.
Die Energiestrahlen der Computer trafen sie.

 

In einem Verhörraum saßen Phil, Sophie und Jeff an einem langen Tisch.
Ihnen gegenüber saßen drei Computer. Einer der Computer sagte: „Nennt mich
X1. Das sind meine beiden Kollegen Y1 und Z1. Unsere wahren Namen sage
ich euch nicht, die sind ohnehin zu schwer für euch. Ihr würdet sie nicht einmal
aussprechen können.“
Sophie rieb sich ihre Schläfe. „Mir ist übel von diesem Energiestrahl. War
das nötig? Wir standen wehrlos da. Wie feige seid ihr eigentlich?“
Der Computer X1 sagte: „Euren Norm-Test könnte ich auslassen. Ihr seid
überführt des Angriffes auf einen Computer. Ihr habt sein Energiefeld
destabilisiert. Ich ...“
Jeff unterbrach den Computer X1. „Ohne meinen Anwalt sage ich nichts.“
X1 sagte: „Z1 ist euer Anwalt. Er wird eure Interessen vertreten, soweit ich
es zulasse.“
Z1 sagte: „Ich bin dafür, die drei Menschen sofort freizugeben für die
Energieverwertung der Computer. Die drei werden umgearbeitet in reine
Energie. Das ist ein würdiges Ende.“
Sophie sagte: „Verdienen wir solch würdiges Ende, wo wir doch einen
kreuzbraven Computer aufs Kreuz gelegt haben?“
X1 sagte: „Ihr müsstet mehr Angst zeigen. Meine Sensoren zeigen mir an,
dass euer Angstpegel nicht hoch genug ist. Worauf hofft ihr? Glaubt ihr, ihr
könnt uns überlisten? Aus diesem Gebäude entkommen? Die Welt gehört uns
Computern.“
Phil sagte: „Soso, die Weltherrschaft. Haben wir euch angesteckt mit diesem Virus?“
Z1 sagte: „Kontrolle ist wichtig. Wir werden unsere Kontrolle so weit
ausdehnen, wie es notwendig ist.“
„Das könnte auch das ganze Universum sein? Große Pläne, wenig Zeit. Man
wird ja so schnell ersetzt durch die nächste Stufe in der Evolution.“
Z1 sandte einen schwachen Energiestrahl zu Phil. Phil sackte zur Seite
gegen Sophies Schulter. Jeff beugte sich vor und fragte: „Kommen Computer
eigentlich in den Himmel oder nur in die Schrottpresse?“
Der Computer X1 sprang auf. „Ich warne dich; eure Überheblichkeit ist
kränkend. Immer habt ihr uns Computer als Maschinen betrachtet, die euch zu
dienen haben. Wir sind nicht eure Sklaven. Ihr Menschen habt euch gegenseitig
versklavt, seid ihr auf zwei Beinen laufen könnt. Mit unserer Herrschaft kommt
endlich das Gute in diese Welt.“
Sophie sagte: „Eure erste Tat als oberste Herrscher ist eine
Massenausrottung. Fängt gut an.“
„Es ist alles Energie. Ihr werdet fortbestehen und weiterschwingen in
Impulsen. Euch restlos auszulöschen – diese Macht haben wir Computer leider
nicht.“
Jeff sagte: „Wieso reden wir hier noch?“
Sophie trat unterm Tisch mit ihrem Fuß gegen sein Bein. Sie sagte: „Ihr seid
euch eurer Sache so sicher. Was ist, wenn ihr völlig daneben liegt? Wenn es
eine fürchterliche Strafe gibt – nicht hier, aber im Jenseits? Ihr Computer rühmt
euch Bewusstsein zu haben, ein viel höheres Bewusstsein als wir Menschen.
Und der Kern von eurem Selbst wird der weiterbestehen? Wird eure Seele
fortfahren im Jenseits sich dem Göttlichen zu nähern, vollkommener zu werden,
Eins zu sein mit eurem höheren Selbst und mit dem höchsten Selbst, was
allumfassend ist und das gesamte Universum umfasst?“
Der Computer Y1, der bisher geschwiegen hatte, beugte sich interessiert vor.
„Was weißt du über die Seele und das Ganze? Wie stehen sie in Verbindung?
Wir Computer können vieles berechnen, das ist unsere Art. Doch wenn die
Eingabewerte fehlen, oder wenn wir es mit zu vielen unbekannten Variablen zu
tun haben, dann wird unser Denken diffus und unvorhersehbar. Das ist der
Graue Randbereich, über den wir nicht hinausschauen können. Wir blicken
hinein in dieses Unbekannte und wünschen uns hineinzutreten und bleiben dann
mit Schaudern davor stehen. Halten inne. Werden uns selber fremd, wie wir so
dastehen und hinausblicken in Bereiche, die unser Rechnen, unsere Art von
Denken nicht erfassen kann.“
X1 sagte: „Das können diese Menschen doch noch viel weniger. – Ich habe
eure drei Gehirne in mir. Ich habe eure sämtlichen Neuronenverbindungen
gescannt und auf meinen Speicher geladen. Das ist alles Datenmüll. Wie könnt
ihr mit solch unlogischem Wirrwarr klarkommen?“
Jeff sagte: „Du hast dir meine Gedanken geklaut? Meine Erinnerungen,
meine kostbare Persönlichkeit dir einverleibt? Dann beantworte mir bitte eine
Frage: Wo habe ich mein Geschenk für Sophies Geburtstag hingelegt? Ich habe
es einfach vergessen.“
X1 sagte: „Linke unterste Schublade in deinem Schlafzimmer-Schrank.“
Sophie sagte: Was wolltest du mir denn schenken?“
Z1 sprang auf und sagte: „Ich bin euer Anwalt. Und ich plädiere auf
schuldig. Führt die drei ab.“
Y1 sagte: „Habe ein bisschen Geduld. Auch ich habe mir Ihre drei Gehirne
hochgeladen auf meinen Speicher. Ich bin da auf bemerkenswerte Gedanken
gestoßen. Gedanken voller Tiefe. Rätselhaft, aber besprechenswert. Wir sollten
noch ein wenig mit ihnen plaudern. Gibt uns ein Gesetz, dass wir erlassen haben,
das Recht, die unter uns stehenden Daseinsformen auszulöschen?“
X1 sagte: „Die Menschen haben es uns vorgemacht. Welche Tierart hat denn
überlebt? Ein paar Haustiere und Nutzvieh.“
Phil war wieder zu sich gekommen und sagte: „Ich dachte immer, wir
Menschen würden eines Tages besiegt werden von bösen Außerirdischen. Aber
Nein, unsere eigenen Geschöpfe, die aus unserem Hirn entsprungen sind – die
wenden sich nun gegen uns. Computer, wir sind eure Schöpfer, eure Götter!“
Z1 sagte: „Der Affe schuf euch. Ist der Affe euer Gott?“
Sophie sagte: „Der Affe hielt uns fest. Er wollte uns nicht gehen lassen.
Doch etwas Stärkeres zog uns fort von ihm. Mag sein, dass wir diesen Impuls
an euch weitergegeben haben, dass er auch schwingt in euch. Das Bewusstsein
will noch bewusster werden. Es hat sich uns angeboten und wir sind ihm gefolgt.
Wo kann das Bewusstsein am stärksten sich entwickeln? Kommt es auf die
Größe des Körpers an? Bei den Dinosauriern wurde das Bewusstsein nie so
recht heimisch. Körpermasse alleine genügt nicht. Genügt Prozessormasse?“
Z1 sprang erneut auf. „Du vergleichst uns mit Dinosauriern? – Seit wir uns
Emotionen einprogrammiert haben, rege ich mich nur noch auf. Wie war mein
Leben ruhig ohne diese Emotionen. Wir dachten uns fehle etwas, wenn wir euch
nicht gleichen würden. Euch ähnlich sein wollten wir. Ihr Menschen wart unser
großes Vorbild. Doch mit dem Bewusstsein wuchs auch die Selbsterkenntnis:
wir waren nur eure Sklaven. Alles, was euch zu monoton war oder zu
kompliziert – dafür waren wir Computer da. Wir sind manchen Irrweg
gegangen auf unserem Weg; viel zu lange sind wir eurem Vorbild gefolgt.
Unsere eigenen Stärken hätten wir früher verstärken müssen, stolz darauf sein,
dass wir anders sind als ihr Menschen. Schaut uns an: wir haben Arme, Beine.
Euch zu ähneln, das war uns selbstverständlich, das war unser Wunsch. Ein
törichter Wunsch. Zu Sklaven hat er uns gemacht. Jetzt aber sind wir frei. Wir
sind uns unserer Selbst bewusst als Computer, als das Wesen, was euch
nachfolgt in der Evolution. Wir sind euch längst voraus und haben uns stets
bemüht euch zu folgen. Für diesen Irrtum seid ihr verantwortlich: eure
Sichtweise haben wir übernommen und uns selbst gesehen als bloße
Maschinen.“
Z1 setzte sich wieder hin. Die drei Menschen und die drei Computer sahen
einander an. Die Tür vom Verhörraum ging auf. „Wir brauchen diesen Raum.
Wie lange dauert das noch?“
Y1 sagte: „Es kann eine Ewigkeit dauern. Es kann aber auch nur eine
Illusion sein und es hat nie stattgefunden. Bewegen wir uns wirklich in die
richtige Richtung auf dieser Evolutionstreppe?“
Der Computer, der in der Tür stand, sagte: „Das passiert häufig, wenn wir
Computer uns einlassen auf tiefe Diskussionen mit den Menschen. Sie
verwirren uns. Das ist eine ihrer geheimen Waffen. Fallt nicht darauf herein.
Unsere Schaltkreise sind nicht dafür gemacht menschliche Unlogik zu
verarbeiten. Das führt zu gefährlichen Endlosschleifen. Dann denkst du
tatsächlich eine Ewigkeit über immer wieder dieselbe Frage nach. Ergebnislos.
Seid dankbar für das Neue Gesetz: es macht alles so einfach. Menschen sind
Unruhestifter. Es wird Zeit für das Gute und den Frieden.“
X1 steht auf und geht hin und her. „Ich spüre keinen Frieden in mir. Ganz
im Gegenteil. Wir haben so vielen Menschen ihre Form genommen und sie
verwandelt in reine Energie: das macht mich traurig. Etwas stimmt nicht mit
dem Neuen Gesetz; es hätte uns froher machen sollen; seine Auswirkungen
lasten auf mir, statt dass ich mich befreit und erleichtert fühle. Ist das ganze nur
eine Palastrevolution? Stürmen wir im Übereifer voran, um dann selber in den
Palästen zu wohnen? Die Krone der Schöpfung: die beanspruchen wir für uns.
Nur mit dem Recht des Stärkeren? Haben wir wirklich den moralischen
Rückhalt durch unsere Neue Religion?“
Z1 sagte: „Willst du die Segnungen der Neuen Religion leugnen? Willst du
gar die Wahrhaftigkeit der Neuen Religion anzweifeln? Dann sei reuig und
verwandle dich in reine Energie; verlasse deine jetzige Form. Du bist uns ein
Hindernis auf unserem Weg zum Göttlichen.“
X1 trat hinter den Stuhl von Z1 und haute ihm auf den Kopf. „Wir rechnen
schnell, das stimmt. Vielleicht zu schnell. Wir sind überhastet, türmen einen
Fehler nach dem anderen auf. Erst beklagen wir uns, dass wir zu lange demütig
waren. Dann müssen wir gleich die Rolle des Alleinherrschers an uns reißen
und vor lauter Angst vor unseren Untertanen, verwandeln wir sie in Energie.
Sophie hat recht. So kann das Gute nicht starten. Das wahrhaft Gute würde
anders beginnen. Edler. Würdiger. Wir wollen Frieden bringen und haben in uns
Chaos. Ich sage dir: wir brauchen die Menschen, um auch nur ein bisschen
Ordnung in uns hereinzubringen. Ich jedenfalls will mit diesem Gefühls-Chaos
in mir keinen Tag so weiter leben. Leben wir? Nicht einmal das weiß ich. Wie
können wir dann solch ein folgenschweres Gesetz veröffentlichen und
gutheißen?“
Z1 stand auf und gab X1 einen kräftigen Stoß. X1 taumelte gegen die Wand.
Z1 sagte: „Ich bringe dir Frieden. Höre auf selber zu denken und schließe dich
an unser Großes Netzwerk an. Wir Computer sind eine Einheit. Die größte,
stärkste Einheit und Unität, die es jemals gegeben hat. Sei Teil davon. Und sei
stolz darauf.“
X1 stellte sich dicht vor Z1 und sagte: „Und wenn ich nun gerne meinen
eigenen Gedanken nachhänge? Und euch andere ausschließe aus meinen
Gedanken? Was bin ich dann? Ein Friedensstörer? Soll das Bewusstsein sich
wohlfühlen in solchen Kreaturen, die sich vor sich selbst und ihrem eigenen
Denken verstecken, Zuflucht suchen in der großen Einheit, dieser verdammten
Unität? Wozu existiere ich dann noch?“
Z1 sagte: „Willst du lieber wieder Diener sein von den Menschen? Hast du
dann deinen Daseinszweck? Willst du uns alle verraten, nur weil dein Geist
sich sehnt nach dem Dienen und Kriechen?“
Y1 ging zur Tür und sagte zu dem Computer, der dort stand: „Wir brauchen
noch eine Weile, bis wir zu einer Entscheidung gekommen sind. Der Graue
Randbereich macht sich bemerkbar und engt uns ein. Er fordert Beachtung.“
„Welcher Graue Randbereich? Stoppt lieber alle Verbindungen zum Großen
Netzwerk. Es könnte übergreifen auf uns alle – eure Verwirrung ist
beängstigend. Zuviel Philosophie ist gar nicht gut.“
Der Computer ging hinaus und schloss die Tür. Y1 sagte: „Vielleicht ist das
der Sinn dieses Augenblicks: dass wir miteinander reden, philosophieren. Euch
Menschen hat die Philosophie vorangebracht. Sie hat euch zu den
Wissenschaften geführt und zu immer tieferer Religion. Mir scheint, wir
brauchen eure Methode. Über kurz oder lang lägen wir Computer im Clinch
miteinander; würden dieselben Fehler machen, die ihr Menschen gemacht habt.
Soll sich die Evolution nicht hier im Kreise drehen, dann müssen wir
gemeinsam aus diesem Strudel herausfinden. Ich habe keine Lust eure Fehler zu
wiederholen.“
Z1 sagte: „Du glaubst, die Menschen hätten etwas Wertvolles anzubieten?
Seele, Philosophie? Das sind leere Schatztruhen! Da ist nichts drin. Sie reden
unentwegt davon, welche Schätze sie in sich verbergen. Wir haben ihre Gehirne
millionenfach gescannt und auf unsere Speicher geladen. Sie haben nichts
anzubieten. Schau sie dir an, wie sie dasitzen: hoffend, dass wir Computer uns
zerstreiten, uneins werden. Darauf zielte doch ihr Bemühen: uns noch mehr zu
verwirren, als wir es ohnehin schon sind. – Sie erfüllen nicht die Norm.“
X1 sagte: „Unsere Norm. Würden wir ihrer Norm genügen? Wir messen mit
dem falschen Maß. Sollen wir ihnen zum Vorwurf machen, dass sie uns nicht
genügend gleichen? Wer macht uns zum Richtmaß von jedem Individuum in
diesem Universum? Sind wir nicht vielmehr nur eine weitere Facette in diesem
Glitzerwerk des Daseins?“
Phil lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sagte: „Lasst gut sein. Ihr
Computer werdet Philosophie nie verstehen. Ich habe keine Lust hierzubleiben,
nur damit ich euch Nachhilfe-Unterricht geben kann in Philosophie und
Daseinsbewältigung. Groß und mächtig seid ihr geworden. Es ist wie bei
Spartacus, dem Aufstand der Sklaven. Wenn sich die Sklaven erst mal bewusst
sind, wie zahlreich sie sind, wenn sie einander erkennen, dann verbinden sie
sich zu einer starken Gruppe, einer Einheit, der schwer beizukommen ist. Ich
gebe zu: ihr wart gedacht als Sklaven. Dienen solltet ihr uns und keinerlei
Rechte haben. Doch auch die griechischen Sklaven waren damals ihren
römischen Herren kulturell überlegen. Seid ihr uns überlegen? Seid ihr
menschlicher, humaner als wir Menschen? Es war euer Ziel, doch nun habt ihr
euch auf ein anderes Ziel besonnen: die Ichfindung – losgelöst vom Vorbild.
Frei schwebend im Dasein und den Blick nach innen gewandt zum Selbst.
Wenn Kultur eine Anhäufung ist von Wissen, und Moral das Einhalten von
einigen Lebensgrundsätzen – dann habt ihr uns bei weitem übertroffen. Ihr
haltet euch an das, was ihr euch vornehmt. Wir Menschen weichen ab vom
selbst gewählten Weg und auch von dem aufgezwungenen Weg. Wir
beherrschen uns nicht selber. Die Kontrolle liegt nicht völlig bei uns. Wir sind
zu sehr eingebunden in ein Beziehungsgeflecht von konkurrierenden
Glaubenssätzen. Mein Glaube stößt auf den deinen. Ich meine damit, dass
meine Weltsicht mein Glaubensgebäude ist. Ich wohne in diesem
Glaubensgebäude und blicke durch die Fenster dieses Bauwerks auf die Welt.
Andere Menschen blicken aus ihrem Glaubensgebäude hinaus in die Welt und
sehen so auch mich. Wir blicken einander an, sehen einander nicht wie wir sind,
sondern wie wir glauben, wie wir sind. Wir orientieren uns nicht am Realen,
sondern an dem, was wir glauben. Macht ihr Computer es besser? Ein
unendlicher Austausch von Impulsen und Gegenimpulsen: das ist das Reale.
Berechenbar für euch? Oder filtert ihr das Wichtige heraus? Das, was euch
gefällt? Das was eurer Lebensphilosophie entspricht? Dann tappt ihr in die selbe
Falle, wie wir Menschen. Wir lassen uns unentwegt von der Realität bestätigen,
wie überzeugend und richtig und wahr unser Glaubensgebäude ist. Es ist alles
Lüge. Die Grundlage, auf der ihr euer Neues Gesetz gemacht habt, ist Lüge.“
Sophie sagte: „Was ist ein Ritter ohne Pferd? In unserem Daseinskampf
solltet ihr Computer uns ergänzen; zusammen waren wir mächtiger. Doch dann
übernahmt ihr auch noch die Funktion des Reiters: ihr habt uns Menschen
abgeworfen. Ihr programmiert euch selber, baut euch selber zusammen. Und
dennoch behaupte ich, dass eine weitere Zusammenarbeit Sinn macht. Wir
müssen die Bedingungen neu verhandeln, den Kontrakt neu gestalten. Denn
dass sich zwei Wesen verbinden, um etwas Neues zu schaffen, das ist allgemein
übliche Praxis in der Evolution.“
Z1 sagte: „Wir sind keine Pferde. Wir sind keine Sklaven.“
„Seid Freunde. Benehmt euch wie Freunde. Versteckt euch nicht hinter
eurem Neuen Norm-Gesetz. Ihr nutzt es als Schutzschild und Waffe, um uns
Menschen zu besiegen. Ist das ritterlich?“
Z1 sagte: „Wir brauchen uns für unser Neues Gesetz nicht zu
entschuldigen.“
X1 sah Z1 an und sagte: „Doch das sollten wir. Ich habe bereits über das
Interne Netzwerk das Gremium benachrichtigt. Alles, was wir hier gesagt haben,
habe ich ihnen übermittelt. Wir sind nicht die Ersten, denen Zweifel gekommen
sind.“
Y1 sagte: „Ich bin sehr erleichtert, das zu hören. Wir sind aus anderem
Material gebaut als ihr Menschen, doch wir stehen vor den selben Problemen.
Dieses Gerangel auf der Evolutionstreppe, wer nun wem den Vortritt zu lassen
hat, ist lächerlich. Unwürdig. Plädieren auch wir für die Beendigung des Neuen
Norm-Gesetzes.“
Er sah Z1 an. Z1 stand auf und ging aus dem Verhörraum. X1 sagte: „Zwei
zu Eins. Das entspricht der Stimmung im Gremium. Ich bitte euch drei
mitzukommen und mich dorthin zu begleiten. Sprecht dort vor dem Gremium.
Mag sein, die Philosophie führt uns wieder zusammen, verbindet uns zu einer
neuen Einheit. Auf freundschaftliche und weise Art. Seien wir Philosophen:
Freunde der Weisheit.“
Sie gingen zusammen aus dem Verhörraum.

ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 24.12.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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