Fritz Frey

Wir behaupten das Gegenteil










Die Frage, wie die automatisierten
Abläufe der Assoziationen unseres Vorstellungslebens überwunden werden können,
ist schwierig, aber reizvoll. Gedanklich ist das Problem eigentlich schon
gelöst, wenn ich folgende Frage formuliert habe: Wie ist die Gegenwart zu
verneinen? Die Frage ist, wie kommen wir durch das Überwinden der Vorstellung
zur lebendigen Imagination. Zur Imagination als einem objektiven Wahrbild in
einer Gesellschaft des Subjektiven, in der es keine Wahrheit gibt. Die Griechen
kannten kein Wort für Wahrheit. Sie brauchten den Ausdruck ‚a lethia‘, was so
viel heisst, wie ‚nicht vergessen‘, ‚erinnern‘, für Plato und nicht nur für
ihn, bedeutete dies ‚Geisterinnern‘ der lebendig schaffenden Ideenwelt. Da ist
anzuknüpfen:

Wir behaupten das Gegenteil. Ich bin
– Ich bin nicht. Eigentlich sind wir da im Bereich der Verneinung des
Gegenwärtigen. Die Verneinung des Gegenwärtigen ist die Verneinung des
Anwesenden, dessen was anwest als Geist und Seele in der Leiblichkeit. Es ist
also die Verneinung des Wesens im gegenwärtig Gewordenen des Leibes. Das Wesen
ist das Geistige in der Erscheinung dessen, was gegenwärtig vor uns liegt. In
der subjektivierenden und damit alles relativierenden Gesellschaft wird das
Geistige in der Erscheinung verneint, indem behauptet wird, dass die
Erscheinungen nur unsere Vorstellungen sind, die sich selber aufgrund der
Rückkoppelungssysteme in unserem Organismus automatisch selbstorganisierend (autopoietisch)
organisieren. Das ist ebenso Verneinung des Gegenwärtigen. Die Verneinung der
Geistesgegenwart: Des Wesens im Anwesenden als Innerlichkeit des Menschenseins.
Daher kommt die Abwesenheit des Desinteressierten. Dies geschieht durch die
Geistesabwesenheit, das Desinteresse des Geistverlassenen.
Damit kommt es zur Entgeisterung. Die Gesellschaft des Subjektivismus ist
entgeistert. Die Bejahung des
Gegenwärtigen, des Anwesenden, des Geistigen, das in der Erscheinung anwest,
des Wesens also, ist ihr Gegenteil, ist Begeisterung.
Im ‚Ich bin‘ der Wirklichkeit fühle
ich Begeisterung. Im ‚Ich bin nicht‘ der
Vorstellung fühle ich Entgeisterung. Das ist Ohnmacht.
‚Ich bin‘ ist Leben, ist Identität mit dem Wesen im Anwesenden.
‚Ich bin nicht‘ ist Tod, Entgeisterung, Verlust des Wesens, das sich uns
entzogen hat. Wir leben gegenwärtig in Vorstellungen, nicht in Wirklichkeiten
sondern in subjektiven Illusionen. Deshalb sind wir entgeistert.
Leben bedeutet ‚Geburt ins Diesseits‘. Tod bedeutet ‚Geburt ins Jenseits‘. Wenn
ein Geist stirbt, wird er Mensch; stirbt ein Mensch, wird er Geist (Novalis).
In jeder Idee erleben wir eine Geburt, im Verwirklichen der Idee führen wir
diese in den Tod, in die feste Erscheinung. Erkennen wir die Idee in der
Erscheinung wieder, dann erkennen wir ihr Wesen, wir sind begeistert, da es im
Anwesenden west. Das Erkennen des Wesens ist Auferstehung in der Erkenntnis der
lebendig sich wandelnden Idee.
Wir erleben im Leben Tausende Geburten, Tausende Tode, ein stetes Auferstehen,
weil wir sonst nicht leben könnten. Im Verneinen des Wesens, das ist in der
Illusion, sind wir tot.

Geburt ist Weihnachten, Tod ist
Karfreitag, Ostern ist Auferstehung. Das ist der Weg der Ideenverwirklichung
und der Wesenserkenntnis im Erscheinenden. Das ist das Wesen der Kunst, die
schafft, sich aus dem Geschaffenen entzieht und es dem Betrachtenden überlässt
die Auferstehung zu erleben.

Wenn wir in unserer
subjektivistischen Gesellschaft das Gegenteil der Gesinnung dieser Gesellschaft
behaupten, dann sind wir in der Verneinung des gegenwärtig Gültigen. In der entgeisterten
Gesellschaft hat diese Verneinung durch den Subjektivismus keine Berechtigung.
Das müssen wir akzeptieren. Akzeptieren heisst aber nicht, dass wir es nicht
trotzdem tun können. Nämlich das Gegenteil zu behaupten.

In unserer die Gegenwart des Geistes
verneinenden Gesellschaft ist es nicht angebracht, das christliche Geheimnis
von Geburt, Tod und Auferstehung konsumfeindlich zur Darstellung zu bringen.
Man darf es nicht so darstellen. Dass dies so ist, ist auch ein Gegenwärtiges,
das Gegenwärtige des Wesenlosen. Die Verneinung dieses Gegenwärtigen ist
folglich die Bejahung des Wesens. Die Verneinung der Verneinung ist die
Bejahung. Daraus entsteht Begeisterung durch Wesenserkenntnis. Wir sind
begeistert, das Gegenteil zu behaupten und einen Weg dieser Verneinung
darzustellen. Daraus ergibt sich die Frage: Wie stelle ich in der ‚Gesellschaft
der Verneinung des Geistes-Gegenwärtigen‘ Geburt, Tod und Auferstehung dar?

Das ‚Ich bin‘ ist das Gegenteil, die
Verneinung des ‚Ich bin nicht‘ und umgekehrt.
Das Leben die Verneinung des Todes und umgekehrt.
Das Lächeln überwindet das Weinen, es behauptet das Gegenteil.
Die Freude die Trauer,
Die Liebe den Hass.

Immer ist es auch umgekehrt.
Die Verneinung der Verneinung der Geistesgegenwart im Anwesenden ist das Überwinden
der Gewalt, die wir dem Erscheinenden und damit dem anderen Menschen durch
unsere Vorstellungen antun, denn die Vorstellungen verneinen das Wesen im
Anwesenden. Deshalb sind sie unwirklich. Die Gewalt aber ist wirklich. Die
Verneinung des Wesens führt vorerst zum Identitätsverlust, weil wir das Wesen
selber sind. Wir finden unsere Identität wieder in der Wesenserkenntnis. Aber
wir müssen durch diese transpersonale Krise gehen, um unsere wirkliche
Identität zu finden.
Die Wüste blüht nach einem einzigen Regen.
Der Keimling entsprosst dem toten Samenkorn.
Aus dem dürren Ast entspriessen grüne Blätter.
Im Lazarett der Kriegsgeschundenen stellt die Frau eine Sonnenblume in den
Raum: Sie behauptet das Gegenteil.
Der Arzt nimmt die Hand einer Mutter, deren Sohn im Sterben liegt.
Der Geiger macht Musik beim Sterbenden. Er behauptet das Gegenteil.
Durch die Verneinung der ‚Gewalt der Verneinung des Wesens im Anwesenden‘
schaffen wir den Durchbruch durch unsere Identitätskrise zum Quell des Lebens,
unseres ‚Ich-bin‘, zum Wesen unserer selbst, zu unserer wirklichen Identität,
zum wahren Menschsein.
Die Möglichkeit dessen, dass wir das Gegenteil behaupten können, macht uns
frei. Es kann uns niemand zwingen, den Durchbruch zu schaffen. Wir können in
der ‚Verneinung des Wesens in der Erscheinung‘, in unserer Vorstellung also,
verharren.
Das Bild vom Menschen im Menschen ist Wesenserkenntnis unter Menschen. Es ist
das Bild vom Antlitz des Menschen. Dieses ist die gesuchte Imagination.
Behaupten wir das Gegenteil dessen was Phrase, Konvention und Routine sind!
 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Fritz Frey).
Der Beitrag wurde von Fritz Frey auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.12.2009. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Fritz Frey als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Zwei himmlische Gefährten von Marion Metz



Lilly Nett ist ein überaus durchschnittlicher Mensch und Lichtjahre davon entfernt, sich selbst bedingungslos zu lieben. Sie fühlt sich zu dick, ihr Mann ist nur die zweite Wahl und grundsätzlich entpuppt sich ihre Supermarktschlange als die längste. Ihr Alltag gleicht der Hölle auf Erden. Lillys Seele schickt ihr beständig Zeichen, doch ihr Ego verhindert vehement, dass Lilly Kontakt zu ihrem inneren Licht findet. Bis ein einschneidendes Erlebnis den Wandel herbeiführt und sie wie Phoenix aus der Asche neu aufersteht: Geliebt, gesehen, vom Leben umarmt.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Gedanken" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Fritz Frey

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Die Traumfrau von Fritz Frey (Zauberhafte Geschichten)
Vom Glück, eine Katze zu haben von Mylène Frischknecht (Gedanken)
Meine Bergmannsjahre (neunter Teil) von Karl-Heinz Fricke (Autobiografisches)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen