Maria Stern

Silberflitzchen, die Silvesterfee

 

 

Mona lag in ihrem Bett. Sie war aufgeregt und müde. Heute Nacht war nämlich Silvester und sie hatte länger aufbleiben dürfen als gewöhnlich.

„Aber bis Mitternacht wartest du erst im nächsten Jahr mit uns.“ hatte Mama gesagt: „Dann bist du schon ein bisschen größer.“

Mitternacht, dachte Mona, aber genau um Mitternacht möchte ich ja wach sein, denn da verabschiedet sich das Alte Jahr und das Neue Jahr kommt auf die Welt. Wie sieht das Neue Jahr aus? Ist es ein Baby? Ein Bub oder ein Mädchen?

Mona schaute aus dem Fenster. Sie sah den Mond, der heute Nacht ganz besonders schön leuchtete und die vielen, vielen Sterne. Von den Sternen, das wusste sie, kommt das Neue Jahr.

„So wie das Christkind.“ murmelte Mona müde.

Heute war ein schöner Tag gewesen. Sie war mit ihren neuen Skiern im Garten umhergestapft, hatte Mama geholfen, Silvesterglücksbringer zu backen und am Abend hatten sie ein leckeres Käsefondue gegessen. Papa und Mama waren schön angezogen gewesen und Mona trug ihr schönstes Kleid. Das mit den Blumen und den Rüschen. In die Haare hatte sie sich das silberne Engelshaar gesteckt, das Papa gekauft hatte.

Der Tisch war bunt geschmückt gewesen und sie sprachen über das vergangene Jahr, das nun zu Ende ging, während sie die hellen Brotstückchen, die sie ganz alleine geschnitten hatte, in den heißen Käse tauchten. Manchmal verlor sie ihr Stückchen und Papa half ihr dann beim Fischen. Das war lustig gewesen.

Er stellte auch eine Schüssel mit kaltem Wasser auf den Tisch und Mona durfte auf einem langen Silberlöffelchen Blei über die Kerze halten. Sie sah dem kleinen Bleischweinchen zu, wie es langsam einknickte, kleiner und immer kleiner wurde, bis es schließlich in der Flüssigkeit versank. Dann ließ sie das Blei ins Wasser plumpsen und holte es mit ihren Händen heraus. Es war wieder kalt geworden und ganz hart und sah aus wie ein schönes Schiff.

„Fein!“ sagte Mama: „Vielleicht fahren wir im Sommer an einen See oder ans Meer.“

„Oder Mona wird einmal Kapitän!“ lachte Papa und schmolz sein Blei über der Kerze.

 

Mona gähnte. Aber sie wollte nicht einschlafen. Auf gar keinen Fall. Sie wollte unbedingt die Raketen sehen, die die großen Menschen um Mitternacht in den Himmel schicken würden, um das Neue Jahr zu begrüßen. Sie gähnte noch einmal, drückte ihre Puppe an sich und schaute in die Sterne.

Da hörte sie neben sich jemanden niesen. Nanu?

Mona hob ihren Kopf und strengte ihre Augen an, um in der Dunkelheit etwas zu sehen.

Neben dem Bett auf dem Schaffell am Boden saß eine Fee. Eine echte, kleine Fee! Mona rieb sich verwundert die Augen und sagte leise: „Gesundheit.“

Die kleine Fee sah sie erschrocken an: „Ach, ich dachte, du schläfst. Ich wollte mich nur ein wenig in deinem Zimmer ausruhen.“

„Nein, ich schlafe noch nicht, weil ich auf Mitternacht warte. Heute ist nämlich Silvester, weißt du?“

„Jaja, Silvester.“ lächelte die kleine Fee und wischte sich die Nase mit einem winzigkleinen Taschentuch, das sie aus ihrem himmelblauen Kleid gezogen hatte.

Mona war entzückt: die kleine Fee sah so fein aus! Die Haare hatte sie hinauf gesteckt wie Mama und ihre winzigen Füßchen steckten in kleinen Pelzstiefelchen.

„Heute ist Silvester.“ sagte sie und flog auf Monas Bettdecke: „Und ich hab noch viel zu tun. Willst du mir helfen?“

Und ob Mona das wollte! Sie schlüpfte aus dem Bett.

„Kannst du mir bitte das Fenster öffnen?“ fragte die kleine Fee, doch plötzlich schlug sie die Augen nieder: „Oh nein, ich hab ja ganz vergessen, mich vorzustellen…“ Sie streckte Mona ihre kleinen Hände entgegen: „Ich bin Silberflitzchen, die Silvesterfee.“

„Und ich bin Mona.“ sagte Mona.

„Ja, ich weiß.“ sagte Silberflitzchen. „Könntest du jetzt bitte das Fenster öffnen? Wir sind spät dran.“

 

Sie kletterten aus dem Fenster und Mona traute ihren Augen nicht, als sie die Kutsche sah, die in ihrem Garten stand: Es war eine große, silberne Kutsche, vor die vier weiße Pferde gespannt waren. Das eine Pferd hatte eine hellgrüne Decke umgeworfen, die mit Kirschblüten und Veilchen bestickt war. Das Pferd mit der gelben Decke war über und über mit Erdbeeren und Sonnenblumen geschmückt. Die braune Decke des dritten Pferdes war bestickt mit Obst, Gemüse und bunten Blättern, während das letzte Pferd mit einem dicken Schaffell bedeckt war, auf dem weiße Schneeflockenperlen glitzerten.

Die vier Pferde scharrten im Schnee und schnaubten leise. Ihr warmer Atem bildete dicke Rauchwolken in der klirrend kalten Luft.

In der Kutsche aber saß eine alte, gebückte Gestalt. Sie war ganz in dicke Mäntel und Decken gehüllt und hustete.

„Darf ich vorstellen? Das ist das Alte Jahr.“ sagte Silberflitzchen und Mona verbeugte sich.

Das Alte Jahr sah sie freundlich an: „Begleitest du mich zum ewigen Schloss der Ewigkeit, wo ich mich endlich ausruhen kann?“

„Ich denke schon.“ murmelte Mona und spürte, wie sie jemand zart am Nachthemd zupfte.

„Komm, setz dich zu mir!“ rief Silberflitzchen, die schon auf dem Kutschbock saß. Sie warf Mona ein warmes Schaffell zu und nahm die silbernen Zügel in die Hand.

Mona schaute zu ihrem Haus zurück und sah durchs Fenster, dass Papa und Mama es sich bei Kerzenschein und leiser Musik gemütlich gemacht hatten.

„Hoffentlich vermissen sie mich nicht.“ dachte sie und sprang mutig neben die Silvesterfee auf den Kutschbock.

„Hoppa!“ rief Silberflitzchen. Die Pferde bäumten sich auf und erhoben sich lautlos in die Winternacht.

Mona freute sich. Sie spürte, wie es in ihrem Bauch kribbelte, wie die Luft eisig um ihre Wangen strich und sah die Häuser und Strassen immer kleiner werden. Und sie staunte über die vielen bunten Raketen: wie Blumen wuchsen sie in den Himmel, blühten in den schönsten Farben auf und zerstieben wie Diamantenstaub.

„Danke!“ rief das Alte Jahr und beugte sich zur Erde herab: „Danke, und Ade!“

 

Sie fuhren dahin und fuhren und fuhren. Die Sterne kamen näher und wurden lichter und

immer lichter. Da sah Mona in der Ferne das ewige Schloss der Ewigkeit

 „Schön…“ flüsterte sie, kuschelte sich in das weiche Schaffell und schlief ein.

Sie träumte von einer kleinen Pflanze, die erst zart die Erde durchstieß, ihre Blättchen ausstreckte und flink heranwuchs. Sie öffnete ihre schönen Blüten und duftete. Dann verwelkte sie, neigte sich zur Erde und erstarrte zur Eisblume.

 

Als Mona erwachte, fuhren sie noch immer. Sie schaute um sich und wunderte sich: die Kutsche entfernte sich ja von den Sternen und die Erde kam immer näher!

„Ja, aber…“ rief Mona: „wir wollten doch zum ewigen Schloss der Ewigkeit!“

„Da waren wir auch.“ lachte Silberflitzchen. „Aber du hast geschlafen.“

„So etwas Dummes!“ sagte Mona: „Ich hätte das Schloss gerne aus der Nähe gesehen und mich vom Alten Jahr verabschiedet und…“ Mona drehte sich um. Die alte, gebückte Gestalt, die in der silbernen Kutsche gesessen hatte war verschwunden. Aber was war das? In einem Körbchen lag ein kleines Kind und lächelte Mona an.

„Bist du das Neue Jahr?“ fragte Mona erstaunt. Das Kindchen strampelte vergnügt.

„Dann wünsche ich dir alles, alles Gute bei uns auf der Erde.“ sagte sie feierlich: „Wir wollen gut auf dich aufpassen.“

Sie lehnte sich wieder ins weiche Fell und betrachtete die unzähligen Raketen, die nun wie ein funkelnder Zauberteppich unter ihnen zerbarsten, um das Neue Jahr zu empfangen. Die weißen Pferde wieherten, glitten tiefer und tiefer und versanken im funkelnden Farbenmeer.

 

Als Mona erwachte, hörte sie das ferne Knallen von Raketen. Verwundert schaute sie um sich. Sie lag in ihrem Bett. Die Kutsche, die Pferde, das kleine Kind und Silberflitzchen die Silvesterfee waren verschwunden.

Da hörte sich, wie sich ihre Türe öffnete. Licht fiel ins Zimmer. Papa und Mama traten an ihr Bett.

„Ach, du bist ja aufgewacht.“ sagte Mama zärtlich und setzte sich ans Bett. Papa streichelte ihr über den Kopf: „Alles Gute im Neuen Jahr!“

„Ja, das Neue Jahr ist gut.“ murmelte Mona: „Und es strampelt schon ganz vergnügt.“

Papa und Mama sahen einander verwundert an. Dann schlichen sie auf Zehenspitzen aus dem Kinderzimmer, den Mona war wieder eingeschlafen.

 

 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Maria Stern).
Der Beitrag wurde von Maria Stern auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Maria Stern als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Sonnenaugen himmelwärts: 99 religiöse Gedichte in sieben Zyklen von Anke Buthmann



Verse und Reime fallen spielerisch aus einem Füllhorn in ein oft phantasievolles Ganzes. Leichtigkeit trotz schwerer Inhalte, Hoffnung und Zuversicht, Schönheit und Liebe führen hin zu dem Einen, der ALLES ist. Gott.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Kindheit" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Maria Stern

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Bärennacht von Maria Stern (Gute Nacht Geschichten)
eine Milch(bubi)rechnung von Egbert Schmitt (Kindheit)
Adieu kleiner Tippi... von Rüdiger Nazar (Lebensgeschichten & Schicksale)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen