Christiane Mielck-Retzdorff

Die Kleiderfalle

 

 

 

Hubert saß behaglich auf dem Sofa und las die Zeitung. Die Vögel im Garten zwitscherten in einen warmen Sommertag und die Vorfreude auf einen gemütlichen Grillnachmittag bei Freunden erfüllte Harald mit sonntäglicher Zufriedenheit.

 

Doch die Schritte die sich nun die Treppe hinab bewegten, ließen eine unbestimmte Unruhe in ihm aufsteigen, so wie bei einem leisen Donnergrollen in der Ferne, das ein Gewitter ankündigte. Schon stand sie strahlend in der Tür, seine wunderschöne und kluge Angelika, sein Weib, die Liebe seines Lebens und hielt in jeder Hand ein Sommerkleid auf einem Bügel hoch.

 

„Was meinst Du, Schatz, soll ich das Geblümte oder lieber das einfarbig Rote anziehen“, fragte sie unschuldig wie der Sommerwind, und Hubert unterstellt ihr auch nicht, daß irgendeine List hinter dieser Frage steckte. Aber genau diese Art von Fragen konnte der Beginn einer endlosen, unschönen Diskussion werden. Hubert war auf der Hut.

 

Egal, wie er auf diese Frage antwortete, würde er eines der Kleider disqualifizieren, was unweigerlich eine Begründung fordern würde, die er niemals überzeugend würde anbringen können, da ihm schließlich beide Kleider gleichermaßen gefielen und seine Frau zierten. Aber würde er genau das antworten, geriete er in den Verdacht der Gleichgültigkeit, des sich nicht ernsthaft mit dem offensichtlichen Problem seiner Frau Auseinandersetzens.

Also begann er in seinen Gedanken sorgsam abzuwägen, was für das eine und was für das andere Kleid sprach, blieb aber immer dort hängen, wo der Vorteil des einen der Nachteil des anderen wurde.

 

Während er noch grübelte, ertönte ungeduldig die Stimme seiner Frau: „Du sagst ja gar nichts. Findest du ein Kleid unpassend. Sollte ich lieber eine Hose tragen?“

 

„Nein, nein, ich liebe es, wenn Du Kleider trägst. Sie bringen deine tolle Figur so gut zur Geltung.“

 

Ganz auf die Problematik der beiden Kleider konzentriert, war er schon in die Falle getappt.

 

„Du findest also, daß Hosen mir nicht stehen?!“ stellte seine Frau gekränkt fest.

 

„ Aber, Liebling, das habe ich doch gar nicht gesagt. Ich sehe Dich eben auch gerne in Kleidern.“

 

„Soll ich jetzt etwa bei der Hausarbeit Kleider tragen?“

 

„Natürlich nicht. Die sind dazu viel zu unbequem“, versuchte Hubert sich zu retten.

 

„Wie willst denn du das beurteilen. Du trägst doch nie Kleider. Kleider sind sehr bequem.“

 

Hubert mußte unwillkürlich an Angelikas hautenges, schwarzes Etuikleid denken, bei dem er sich immer fragte, wie die Trägerin eine solche Disziplin in Sachen Baucheinziehen und Bewegung in Kauf nehmen konnte, um sich mit derartiger Bekleidung in die Öffentlichkeit zu begeben. Bei der Vorstellung sie würde darin auf dem Boden kriechend Krümel zusammenkehren, pendelte er zwischen Belustigung und Erregung.

 

Er versuchte seine Kontenance wiederzuerlangen, in dem er bemüht sachlich anmerkte:

„Hosen sind einfach robuster, also für körperliche Arbeit besser geeignet.“

 

Diese Aussage schien Angelika kurzzeitig zufriedenzustellen.

 

Doch dann sagte sie: „Ein Grillfest ist aber doch eine recht robuste Veranstaltung mit Glut, Asche und viel Ketchup. Außerdem sitzen wir vermutlich auf Holzbänken. Da sollte ich auf jeden Fall eine Hose tragen.“

 

Hubert dachte angestrengt nach, ob er diese vernünftige These bestätigen oder aus ästhetischen Gründen lieber auf ein Kleid bestehen sollte. Wobei dann noch die Frage im Raum stand, welches. Also versuchte er die Diskussion zum Ende zu bringen.

 

„Das ist eine weise Entscheidung, Liebes. Zieh doch deine neue Designerjeans an. Darin siehst Du umwerfend aus.“

 

„Aber im letzten Jahr haben alle Frauen Kleider getragen.“

 

Hubert witterte seine Chance.

„Als selbstbewußte Frau wird es Dir doch egal sein, was die anderen tun.“

 

„Wie kommst Du auf die Idee, ich sei selbstbewußt?!“ fragte Angelika provozierend, und Hubert wünschte sogleich, er wäre bei den Bekleidungsfragen geblieben.

 

„Aber, mein Hase,“ versuchte er zu beschwichtigen., „ Du weißt doch was Du willst, hast deine eigene Meinung und vertrittst sie auch. Das nenne ich selbstbewußt.“

 

„Da merkt man wieder, daß Du mir überhaupt nie zuhörst!“ entgegnete sie vorwurfsvoll.  „Ich weiß eben nicht, was ich anziehen soll. Blumen sind eigentlich zu lieblich, rot zu revolutionär und Hosen zu robust. Das bin ich alles nicht. Und nun fang bloß nicht mit dem schwarzen Etuikleid an. Ich will auch kein Sexobjekt sein.“

 

Nun verzweifelte Hubert langsam. Die einfache Entscheidung über das Tragen eines bestimmten Kleides schien sich zu einer ernsten Sinnkrise zu entwickeln. Angelika wirkte tatsächlich deprimiert.

 

„Okay, dann bleiben wir einfach zuhause. Wir würden jetzt sowieso zu spät kommen.“

 

„Das ist wieder typisch Mann, den Problemen lieber auszuweichen, als sie zu lösen.“

 

Hubert wollte Frieden und zu dem Grillfest gehen, also trieb er seine kleinen grauen Zellen dazu, eine Lösung zu finden.

 

Angelika hatte die beiden Kleider bereist auf den Boden fallen lassen und saß irgendwo zwischen traurig und schmollig auf dem Sessel. Hubert stand auf, ging zu ihr und setzte sich auf die Lehne. Sie machte eine abwehrende Bewegung, er ließ sich jedoch nicht davon abhalten, sie vorsichtig zu umarmen.

 

„Mein liebster Schatz, du hast ja vollkommen recht. Weder die Hosen noch eines deiner Kleider zeigen wirklich, wer Du bist. Vielleicht bist Du ja alles zusammen. Aber auf jeden Fall hast Du für heute nichts Würdiges zum Anziehen. Wir werden gleich Morgen deine komplette Garderobe erneuern. Du solltest nur das tragen, was deine einmalige Persönlichkeit ausstrahlt.“

 

„Ja, Hubert, bist Du denn verrückt geworden. Was das alles kostet! Meine Kleider sind doch fast alle noch ganz neu. Und….“

 

Angelika fing plötzlich an zu lachen und umarmte ihren Hubert. Dann griff sie nach den Kleidern und lief eilig die Treppe hinauf. Wenig später kam sie herunter. Sie trug die Designerjeans mit einer geblümten Bluse, einem roten Seidenschal und einem gigantischen schwarzen Hut.  

       

   

 

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Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
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