Melanie West

Verfolgungsjagd

 

Sie dreht sich nochmal um und sieht den leeren Parkplatz. Nur ein paar Autos stehen verlassen da. Stille, graue Novemberstimmung. Es ist kalt und sie sieht ihren Atem. Dann hört sie Schritte und sieht ihn von weitem. Es geht alles ganz schnell, sie denkt sie müsste zu ihm rennen und ihm Bescheid geben, aber dann greift er schon nach seinem Maschinengewehr und legt es an.
Er zielt und sucht den Horizont ab, jedoch tut sich nichts und sie beobachtet das Schauspiel. Es fühlt sich an, als ob die Zeit stehen geblieben ist. Ein schreckliches Gefühl ergreift sie, denn sie realisiert, dass er nicht der Einzige ist oben auf dem Dach. Es sind rund zehn Personen. Alle suchen sie ihn. Tot oder lebendig. Das Schlimme daran ist, dass sie nicht einmal, ob er gefährlich ist und was er getan hat.

Schreie hallen durch den Flur, eine Horde Menschen kommt auf sie zu gerannt, sie sieht den Mann auf der Bare liegen, er ist nicht mehr bei Bewusstsein und sichtlich angeschossen. Ihr Freund steht hinter ihr und will sie beschützen, beruhigen, aber sie lässt es nicht zu. Ihr einziger Gedanke ist - sie muss Jacob Bescheid geben. Keine Sekunde später steht Jacob vor ihr. Ganz ruhig und gar nicht besorgt. Sie sagt ihm, dass sein Bruder gerade eingeliefert worden ist, dass sie ihn geschnappt haben und dass er noch lebt. Sie fällt Jacob in die Arme, aufgewühlt und fix und nervös. Jacob beruhigt sie, seine Stimme fühlt sich gut an, vertraut und alles scheint in Ordnung zu sein. Dass sie jetzt seinen Bruder gefasst haben, dass er am Leben ist und es das Beste für ihn ist.

Im Wartesaal ist es voll. Dicke Luft, angespannte Stimmung, sie weiß nicht, wer hier zu wem gehört und wen sie noch anhören werden. Wer ist hier in den Fall noch verwickelt und wer ist hier krank? Krank sehen sie alle aus. Der Krankenhausgeruch steigt ihr immer tiefer in die Nase. Sie atmet tief ein, ihr Freund hält ihre Hand. Dann kommt eine Krankenschwester rein, sie ruft jemanden auf. Die Uhr an der Wand tickt. Am liebsten würde sie hingehen und sie abhängen. Immer wieder schaut sie drauf. Endlich, eine gefühlte Ewigkeit, fast erlösend, werden sie und ihr Freund von einem Kommissar gebeten mitzukommen.

Der Raum ist kühl, immer noch dieser Geruch. Sie setzen sich an den Tisch, zwei leere Kaffeebecher stehen darauf. Der Raum wurde kurzfristig umfunktioniert zu einem Verhörbüro. Der Kommissar setzt sich und legt sich einen Zettel zurecht.
Die Befragung dauert nicht lange, sie erzählt was sie gesehen hat und wie sie zu Angeklagtem und seinem Bruder steht. Dass ihr Freund dabei ist, ist ihr in dem Moment egal. Sie spricht offen davon, dass sie gegenüber Jacob immer noch familiäre Gefühle hegt und alles daran setzen würde ihm zu helfen. Sie war mehrere Jahre mit ihm liiert. Der Kommissar nimmt ihr Verhör auf und notiert sich alles. Danach werden sie entlassen, jedoch unter der Bedingung für weitere Rückfragen bereit zu stehen.

Sie glaubt, jetzt ist der Alptraum vorbei. Dass sie nach Hause gehen und den Vorfall vergessen und sich wieder dem Alltag widmen können. Außerdem tut es ihr leid, ihren Freund so links liegen gelassen zu haben. Sie ist froh dass er an ihrer Seite ist, auch wenn sie es ihm nicht sagt.

Als sie aus dem Fahrstuhl im Erdgeschoss des Krankenhauses steigen sieht sie durch die verglaste Drehtür am Haupteingang wie er abgeführt wird. Sie glaubt ihren Augen nicht, sie führen Jacob ab. Direkt in den Polizeiwagen in Handschellen, duckt er sich um ins Auto zu steigen. Er ist es, hundertprozentig. sie kennt seine Art, wie er sich bücken muss um ins Auto einzusteigen. Er misst fast ganze zwei Meter und auch wenn sie kurzsichtig ist, er ist es.

Es sind Sekundenmomente, losrennen würde gar nichts bringen, sie sind viel zu weit entfernt. Außerdem steht sie wie gebannt unter schock. Erst jetzt wird ihr bewusst, dass sie den Weg versperrt und einfach stehengeblieben ist - direkt vor dem Aufzug. Ihr Freund dreht sich zu ihr um und fragt was los sei, in dem Moment kommt eine Gruppe von Krankenschwestern an ihr vorbei und sie hört nur noch, wie sie von der Verhaftung des jungen Mannes sprechen, der seinen Bruder angeschossen und lebensgefährlich verletzt hat.


Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Melanie West).
Der Beitrag wurde von Melanie West auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Melanie West als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Klares Bild II: Gedachter Unsinn von Wilhelm Braisch



Gedankengänge und Gemütsbewegungen der besonderen Art - in Versform.

Texte die zum Nachdenken anregen. Emotionsgeladene Selbstreflexionen die, einem etwas tiefer wie, unter die Haut gehen.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Spannende Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Melanie West

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

FUCHS ALS LEBENSRETTER von Christine Wolny (Weihnachten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen