Stergios Stavropoulos

Drama: "Der Prophet und der Junge"

Irgendwo auf der Welt.

Es treten auf:
Prophet
Junge
Richter
Geschworene

Erste Szenerie

Prophet: Gott möge mit Dir sein.
Junge: Danke.
Prophet: Wie kann ich dir helfen?
Junge: Ich habe Fragen.
Prophet: Nun, dann stelle sie mir.
Junge: Gut, erste Frage: Warum hat der Mensch keinen freien Willen? Warum darf er nicht das tun was er will? Wonach ihm ist? Warum ist er dem göttlichen Willen unterworfen?
Prophet: Gute Frage. Was ist die Zweite?
Junge: Warum kann ich Gott nicht sehen? Warum antwortet er nicht, wenn ich ihn etwas frage? Was ist „Offenbarung“? Warum kommt er nicht wenn ich ihn nicht rufe? Wo ist er?
Prophet: Auch eine gute Frage. Und Deine dritte Frage?
Junge: Warum stirbt der Mensch? Warum wird er als einziges Wesen dieser Welt vom Tode verfolgt? Muss er sterben? Kann er nicht ewig leben? Was bedeutet „aus der Erde kommend – zur Erde gehend“?
Prophet: Mein Sohn, nun will ich Dir Antwort geben. Schließe Deine Augen.
Junge: Schließt die Augen, atmet ruhig, denkt an nichts Schlimmes.
Prophet: Schlägt ihm mit seiner Lehmrute auf den Kopf, diese zerbricht und die zerbrochenen Stücke verteilen sich vor den Füßen des Propheten und des Jungen.
Junge: Warum hast Du das getan?
Prophet: Ich habe Dir Antwort gegeben, wie Du es wünschtest.
Junge: Ich verstehe nicht.
Prophet: Du wirst es verstehen.

Zweite Szenerie

Tage später wird der Prophet zum Richter gerufen.

Richter: Ich habe von einem Vorfall gehört, der mir zu Ohren gekommen ist und der Dich betrifft, Prophet.
Prophet: Ich höre.
Richter: Zunächst. Was sagen die Geschworenen dazu?
Geschworene: Schuldig!
Richter: Gut, sprich.
Prophet: Was?
Richter: Bist Du schuldig?
Prophet: Zu welchem Sachverhalt?
Richter: Du wurdest von einem Jungen beschuldigt ihn grundlos geschlagen zu haben. Stimmt das?
Geschworene: Schuldig!
Prophet: Nichts, was auf dieser Welt passiert, geschieht grundlos.
Richter: Wie rechtfertigst Du diese Tat?
Prophet: So, habe ich nun nicht nach meiner Bestimmung gehandelt, so will ich mich schuldig bekennen; sieht aber das verehrte Gericht den wahren Grund für meine Tat, so will ich frei gesprochen werden.
Richter: Gut, wir hören.
Geschworene: Schuldig!
Prophet: Ich wurde gefragt; ganz genau drei Fragen wurden mir gestellt von jenem Knaben.
Richter: Welche?
Prophet: Die erste Frage: Warum hat der Mensch keinen freien Willen?
Richter: Und die zweite Frage?
Prophet: Die zweite Frage: Warum kann ich Gott nicht sehen?
Richter: Gut, und die dritte?
Prophet: Die dritte Frage: Warum stirbt der Mensch?
Richter: Und wie hast Du geantwortet? Indem Du ihn geschlagen und kein einziges Wort geantwortet hast, wie er Dich darum bat.
Prophet: Der Schlag war die Antwort.
Geschworene: Schuldig!
Richter: Inwiefern?
Prophet: Der Schlag beantwortet alle Fragen! „Warum hat der Mensch keinen freien Willen?“ - Hätte der Mensch keine Ordnung und würde nur nach seinem Willen leben, ohne Gottes Gebote zu achten, su würde nur Chaos entstehen. Jeder dürfte tun und lassen was er will. Jeder dürfte jeden schlagen, berauben, quälen und töten. Ich habe ihm demonstriert, dass ein Mensch ohne Gebote kein Gut und Böse kennt.
Richter: Wir verstehen. Und weiter?
Prophet: „Warum kann ich Gott nicht sehen?“ - Gott kann der einfache Mensch nicht sehen, aber er kann ihn von innen her in aller Ewigkeit vernehmen und spüren. Es ist wie ein Schmerz. Den kann ich auch nicht sehen, er ist einfach da. Ich muss kaum etwas dafür tun. Und er wird wiederkommen, bei jedem schmerzlichen Ereignis, das mein Leben kreuzen wird. Daher ist jedes Ereigniss, jeder Mensch, mit Liebe und Sorgfalt zu achten. Eine sanfte Umarmung als Liebesbeweis reicht; niemals sollte daraus ein Festkrallen werden.
Richter: Und Drittens?
Prophet: „Warum stirbt der Mensch?“ - Weil alles stirbt. Alles ist vergänglich. Jedes Leben, jeder Stein, jedes Meer, jedes Tier und jede Lehmrute. Alles hat einen Anfang und ein Ende. Alles muss irgendwann verschwinden. Es wird geboren oder erschaffen, aber es für die Endlichkeit gemacht. Der Mensch unterliegt den selben Gesetzen wie die Lehmrute: Geschaffen und vergangen. Erde zu Erde. Alles ist gleich.
Richter: Ich habe verstanden. Was ist das Urteil?
Geschworene: Schuldig! Richtet ihn!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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