Andreas Gritsch

Pianomann

 

 

 

 

 

 

Eduard ist ungefähr dreißig Jahre alt, er sitzt gerne in seinem Zimmer und betrachtet dabei die Bewegung immer neuer Schatten an der Wand. Ich bin jetzt seit genau einem Jahr sein Pfleger, Eduard wurde vor zwei Jahren in unserer Anstalt aufgenommen, und seitdem hat er kein einziges Wort gesprochen. Fischer haben ihn eines Morgens am Strand gefunden. Er lag in den Dünen, sein schwarzer Anzug war völlig durchnäßt und er rang nach Atem. Eduard hatte keine Papiere bei sich, gab kein einziges Wort von sich und selbst seine Kleidung gab keinen Hinweis auf irgend eine Herkunft, weil sämtliche Etiketten entfernt waren. Dies alles geschah an einem ersten Dezember, deshalb gaben ihm die Pfleger diesen Namen.

Er war immer schon gern allein, wirkte aber den vorgetragenen Erzählungen in den Gruppenstunden nicht abgeneigt. Die anderen Teilnehmer akzeptierten ihn, obwohl selbst sein Gesichtsausdruck keine Stimmung nach aussen dringen ließ. Eines Tages aber stand Eduard plötzlich mitten in der Stunden auf und ging zum Piano das in der Ecke stand. Alle anderen wurden ganz still und er begann zu spielen. Niemand kannte diese Melodie, es schien auch kein Lied zu sein, sondern einfach seine Art sich auszudrücken. Diese Klänge berührten alle Patienten, sie schienen förmlich aufzublühn. Als er seine Finger zart für den letzten Ton von den Tasten nahm, begannen die anderen Teilnehmer zu klatschen. In diesem Moment erkannten die Pfleger das erste mal ein Lächeln in seinem Gesicht.

Seit damals hat Eduard nur noch für sich selbst gespielt. Die Menschen dürfen seine Musik weiterhin hören, aber keiner darf ihm dabei zusehen. Meißt geht er in den Abendstunden ans Piano, hängt seine Jacke halb aus dem Fenster uns öffnet beide Türen. Sobald jedoch ein anderer den Raum betritt, oder auch nur vorüber geht unterbricht er sein Spiel. Deshalb gilt dieser Moment seit einiger Zeit bei uns als Ruhestunde. Alle setzen sich dann hin, kommen zur Ruhe, gehen in sich und lauschen einfach nur dieser wunderschönen, fremden Musik. Schwester Edelgunde, meine Vorgesetzte hat mir eigentlich verboten davon zu erzählen, weil Eduard keine Krankenversicherung hat und wir ihn ohne Anmeldung bei uns haben, aber letzte Nacht hatte ich ein Erlebnis, daß es mir unmöglich macht weiter zu schweigen.

Ich hatte Nachtschicht und gerade meinen Etagenrundgang beendet, als ich auf dem Weg zum Pausenraum Eduard mitten auf dem Gang in der zweiten Etage begegnet war. Er trug seinen schwarzen Anzug, den ich bisher nur von den Geschichten meiner Kollegen kannte, gab mir ein Zeichen ihm zu folgen und ging voran in das Gemeinschaftszimmer. Als wir nun beide in diesem Raum standen, setzte er sich an das Piano und begann zu spielen. Ich konnte kaum glauben daß Eduard zum ersten mal seit so langer Zeit wieder für einen Menschen seine Musik spielt, der auch anwesend sein durfte. Diese Klänge ließen in mir die Hoffnung keimen, endlich einen Schritt vorwärts gekommen zu sein, um ihm zu helfen und auch etwas näher zu kommen. Doch plötzlich hörte er auf zu spielen, sah zu mir herüber und deutete mir, mich neben ihn zu setzen. Wir sahen uns an, Eduard berührte eine Taste mit einem hohen Ton, und sagte :" Das ganze war mir ein Vergnüngen". Er lächelte, ging durch die Tür und ist ebenso verschwunden wie er aufgetaucht war.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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