Jürgen Berndt-Lüders

Alt wird man von selber, ... wenn man Glück hat.

Bald habe ich Geburtstag. Den wievielten? Keine Ahnung, beim sechzigsten habe ich aufgehört zu zählen.

 

Alles hat sich geändert. Nichts ist schlechter, aber fast alles besser geworden. Ich kann hemmungslos mit jungen Frauen flirten, ohne dass ich in Verdacht gerate, baggern zu wollen. Junge Männer nehmen mir schwere Arbeiten aus der Hand, und fremde Leute reden mit mir wie mit einem Kind.

 

Weil ich schlechter hören kann als früher, sage ich einfach, ich hätte nichts verstanden, wenn jemand meint, er hätte mir die Sache schon tausendmal erzählt. Und mein Hörgerät verwende ich nur zum Nachbarn belauschen. Wenn meine Frau mit mir schimpft, drehe ich sehr weit auf, und das Pfeifen durch die Rückkopplungen killt jeden Vorwurf.

 

Wenn ich mir die Schuhe zubinden will, überlege ich immer erst, was ich noch alles erledigen könnte, wenn ich schon mal unten bin. Meistens bin ich selber erledigt, wenn ich längere Zeit unten war.

 

Meine Falten sind inzwischen so tief, dass ich plane, mir aus Afrika diese Madenhacker kommen zu lassen, die sonst mit den Büffeln in Afrika in der Serengeti eine Symbiose eingehen. Besser noch, ich gehe im Meer schwimmen und lasse mich von den Putzerfischen reinigen. In meiner Haut werden sonst bald ganze Populationen an Insekten überwintern. Und im Frühjahr, wenn die schlüpfen, umschwirren sie mich dann tagelang.

 

Früher haben mich die Frauen umschwirrt. Schön sahen sie aus mit ihren langen Zigarettenspitzen und dem Bubikopf. Ich habe gern mit ihnen Jitterbog getanzt, falls das jemandem von euch noch ein Begriff sein sollte.

 

Richtig klar wurde mir letzt erst, wie alt ich bin, als von meiner hübschen Nachbarin, die ich immer übertrieben freundliche behandle, der Vater starb. Durch ein Geräusch auf dem Flur wurde ich neugierig. Ich öffnete die Tür und sah vier schwarzgekleidete Männer eine Kiste die Treppe runter tragen. Als der Chef mich sah, ließ er den Sarg noch einmal abstellen.

 

„Soll ich mit anfassen?“, fragte ich hilfsbereit.

 

Er zog eine Karte aus der Jacke und übergab sie mir.

 

„Nein danke, aber hier ist unsere Adresse. Wir haben neue Modelle rein bekommen. Wenn Sie mal schauen möchten...“

 

Kurz darauf klingelte die hübsche Nachbarin an meiner Tür. Sie hatte noch ganz verheulte Augen, und ich bat sie herein, weil ich dachte, sie bräuchte jemanden zum Ausweinen. Vielleicht eine Chance, mal mit Händchenhalten bei ihr anzufangen. Sowas kann wie eine Frischzellenkur wirken.

 

„Keine Zeit“, sagte sie und drückte mir eine Schnabeltasse in die Hand. „Hier ist das einzige Stück von seinen Hinterlassenschaften, von dem ich nicht weiß, wer es gebrauchen könnte. Nehmen Sie’s. Aber bitte nicht fallen lassen. Die ist aus Porzellan.“

 

Kurz davor hatte ich bei einer jungen Frau überraschenden Erfolg. Sie sah mich kritisch von allen Seiten an, zog ein Foto aus der Tasche, verglich mich mit dem Bild und nickte. Ich durfte bei ihr einziehen, musste mich aber hin und wieder ans offene Fenster stellen, damit mich die Leute sahen. Ich musste Sachen anziehen, die in einem Extra-Kleiderschrank hingen und durfte dann die benachbarten Läden besuchen und Zigaretten und die Zeitung kaufen, und am Ersten gab sie mir immer den Personalausweis eines alten Mannes, den ich nicht kannte.

 

Die haben mir anstandslos eine fremde Rente ausgezahlt.

 

Nur an die Tiefkühltruhe durfte ich nicht. Die war verschlossen.

 

Aber die angenehmen Zeiten zwischen jung und akzeptabel und alt und hinfällig werden irgendwann restlos zuende sein.

 

Mir ist klar, irgendwann kommt der Restpostenaufkäufer von Blutspendedienst. Ehe der kostbare Saft einfach weg geworfen wird. Oder die Rentenversicherung bietet mir eine Pauschal-Abfindung an. Von zwei Monatsrenten, damit ich wenigstens noch was davon habe.

 

Meine Zeitung habe ich jetzt schon abbestellt. Diese schwarz umrandeten Dauer-Abwesenheitsmeldungen lesen sich wie das Klassenbuch aus meiner Grundschulklasse. Bald steht dort meine Anzeige, und die will ich dann nicht lesen müssen, wenn es soweit ist.

 

Gestern hat der Bankautomat meine EC-Karte nicht akzeptiert. Weil ich 1909 geboren bin und der Apparat diesen Jahrgang nicht lesen kann. Tags darauf habe ich einen Glückwunsch von der Bank zu meinem Ersten Geburtstag bekommen.

 

Ich warte auf den Tag, wo sie mit einem Hammer und einem Holzpflock hinter mir her laufen, um mich Untoten endgültig ins Jenseits zu befördern. Nach Transsilvanien fahre ich jedenfalls nicht mehr.

 

Die Zeiten sind unwiederbringlich zuende, in denen George Clooney angesprochen wurde:

 

„Sind Sie Jürgen Denkfix? Ich habe alle ihre Geschichten gelesen. Sie sind so charmant, so generös und so...sexy“,  und der Typ geantwortet hat, „sorry, Sie müssen sich irren, ich bin nur George Clooney...“

 

Letzt hatte ich die Geburtstagskarte vom Bundeskanzleramt für Juppi Heesters im Briefkasten. Weil die mit dem Geburtsdatum um eine einzige Zeile verrutscht sein müssen.

 

So, und nun ab mit meiner Geschichte zu e-stories. Ehe ich wieder vergesse, wie das geht...

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Jürgen Berndt-Lüders).
Der Beitrag wurde von Jürgen Berndt-Lüders auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Jürgen Berndt-Lüders als Lieblingsautor markieren

Buch von Jürgen Berndt-Lüders:

cover

Hass am Camino Frances von Jürgen Berndt-Lüders



Der Jakobsweg ist Sinnbild für Frieden und Ausgleich, und trotzdem gibt es auch hier Subjektivität und Vorurteile.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Satire" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Jürgen Berndt-Lüders

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

"Wann kommt dein Mann?" von Jürgen Berndt-Lüders (Besinnliches)
Körperwelten von Norbert Wittke (Satire)
Für eine gute Freundin von David Polster (Freundschaft)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen