Andreas Gritsch

Wolfgang sein Brief

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Tag, an dem ich mich das erste mal im Spiegel selbst erkannte, hängt mir nach wie ein Verbrechen. Gerne hätte ich meine Eltern dafür beschimpft, aber nach meiner Geburt haben sich beide gegenseitig erschossen. Ich wuchs in einem Pflegeheim auf, war das einzige Kind unter tausend alten Menschen und habe die Hälte von denen bis zu meinem zwölften Lebensjahr beim Sterben begleitet. Trotzdem war ich nur bis zu meinem siebten Gaburtstag ein kleiner, elender Bettnässer. Ich begann einfach eine schöne Todesart für mich zu wählen, dachte an sie vor dem zu Bett gehen, und wachte danch wieder trocken auf.

Wolfgang war mein bester Freund und nur zwei Stunden älter als ich. Wir wurden beide in der selben Klinik geboren, seine Eltern leben noch, wollen aber nichts mit ihm zu tun haben. Einmal sind wir nachts aus dem Heim abgehauen, um unsere gemeinsame Geburtsstätte zu besuchen. Leider gab es diese Gemeinsamkeit nicht mehr. Sie wurde für ein schmuckloses Billighotel geopfert und wirkte dabei noch mehr wie ein Krankenhaus als je zuvor.Wir gingen also hinein, tranken zwei Cola-light und prellten die Zeche. Das ganze wirkte für einen Moment wie ein kleines Stück vom Leben.

Heute bin ich zwanzig Jahre alt und wohne betreut. Erick schaut einmal die Woche bei mir vorbei. Er trägt immer diese weisse Kleidung und hat nie besonders viel Zeit. Er putzt mein Klo, schimpft auf die Soldaten und macht mir warmes Essen. Den Rest der Woche bin ich allein und stelle mir vor wie meine Eltern wohl gewesen sind. Hoffentlich, sag ich manchmal zu mir selbst, war mein Papa wie Brad Pitt, den find ich nämlich voll super. Ich esse gerne Muscheln, trage immer lila Socken und sitze gern am Teich.

Letzte Woche, es war ein Freitag, habe ich das erste mal in meinem Leben geweint. Da kam Johanna zu mir in die Wohnung. Sie ist sowas wie meine Ersatzmama und hat mir gesagt, dass der Wolfgang tot ist. Er hatte ein Krebsgeschwür im Schädel und wollte einfach nicht mehr. Das letzte was er getan hat, bevor er sich zum Sterben hingelegt hat, war einen Brief zu schreiben. Den hat mir Johanna gegeben, weil er nur für mich bestimmt war. Wolfgang hat mir darin geschrieben, daß es ihm bei seiner neuen Familie noch schlechter ging als im Heim. Der Papa kam immer wieder in sein Zimmer und hat sich zu ihm ins Bett gelegt. Seine Hose hat er irgendwann ausgezogen und wollte, daß sich der Wolfgang auch nackig macht. Er hat ihn dann festgehalten und gewürgt und geschlagen. Erst als seine eigenen Kinder, die im selber Zimmer geschlafen haben, anfingen nach der Mama zu schreien, hat er sich schnell wieder angezogen.

Nun hat mich also der Wolfgang in seinem letzten Brief darum gebeten, die beiden lieben Kinder davor zu bewahren, daß auch sie diesen Umgang erfahren müssen. Am nächsten Tag kam Erick wieder vorbei und ich habe ihn gefragt, was man gegen das Böse tun könnte. Im vorübergehen zwischen Klo und Küche sagte er nur, daß jeder Grundsatz des Bösen vernichtet werden sollte, damit erst gar keine Konflikte zustande kommen. Er kratze sich am Hintern, bafahl mir wie gewohnt mein Maul zu halten und endlich zu Essen. Nachdem er gegangen war stand ich auf, ging zum Fenster und starrte in den Himmel bis es dunkel wurde. Danach ging ich rüber zu Susanne, meiner Nachbarin die irgendwas mit Gesundheit studiert und mich mal auf den Golfplatz mitgenommen hat. Ich habe sie darum gebeten, mir doch freundlicher Weise einen ihrer Schläger zu borgen. Sie sah mich an, lachte und fragte mich nach irgendwelchen Nummern. Ich hab einfach den größten Schläger genommen, fuhr mit der U-Bahn zu den ehemaligen Eltern vom Wolfgang und hab die beiden Kinder totgeschlagen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 25.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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