Thomas Wienold

Instabil Teil 1

 In mir ist etwas drin, das will raus! Ich kann es kaum noch länger hinhalten. Ein Vulkan, der kurz vor dem Ausbruch steht. Groß ist dieser Berg. Dicht bewachsen mit Bäumen und Sträuchern, sogar ein kleines Dorf steht drauf. Alles fruchtbarste Erde und die Saat gedieh prächtig all die Jahre, die die Bauern aussähten.
Ich aber weiß, wenn ich explodiere, dann vernichte ich alles was auf mir war. Unwiderruflich! Die ersten Beben waren bereits zu spüren. Seismische Bewegungen die kleine Höhlen in mir drin zum Einsturz brachten. Unterirdische Seen wurden massiv umgelagert. Mein Atem ist derzeit Gift. Ich kann mich zwar immer wieder beruhigen, aber ich weiß nicht wie lange ich diesem unaufhörlich wachsendem Druck noch standhalte. Zwar habe ich schon kleine Ventile geöffnet, doch die reichen meines Erachtens nach bei weitem nicht aus, diese ungeheure Last auszugleichen.
Die Chemie stimmt nicht mehr in mir drin. Viel zu viel Gas, anstatt Schmelze die gemächlich dahin fließt. Eher ein brodelnsdes, hochexplo- sives Gemisch, was in mir aufstößt. Ich stöhne unter diesem Drängen nach oben. Ich glaube auch nicht mehr daran, daß sich alles wieder beruhigt. Im Gegenteil. Ich muss diesen Weg gehen. Wie dieser Vulkan, der eben ausbrechen muss, weil es in seiner Natur liegt. So muss ich nun einiges verändern. Ich werde mich dabei auf dünnes Eis begeben, werde auch den einen oder anderen Fehler machen, aber ich muß es jetzt tun.
So wie mein Leben dereit gemächlich dahinfließt, harmonisch zwar und angenehm, so ist es doch apathisch und scheinbar bewegungslos. Ich hatte es am Anfang gar nicht bemerkt. Die letzten Jahre waren irgendwie so spurlos an mir vorüber gegangen. Und selbst das hab ich nicht mitbekom- men. Wie jemand der von einer Narkose aufwacht und Stimmen hört, die er nicht zuordnen kann. Doch meine Sicht wird klarer und klarer. Mein Herzschlag sendet mir seit langem wieder Signale. So verdammt lang war es her, seit ich das letzte Mal drauf gehört habe. Und diese Signale ziehen mich hinunter in mein Bewusstsein, dort wo ich all die Jahre nicht mehr gewesen bin.
Mit Erschrecken stelle ich fest, dass dort nichts mehr ist, wie es mal war. Alles verändert. Unantastbar, plastisch.
Meine Träume stehen wie versteinerte Statuen auf Plätzen, wo sie einst lebendig tanzten und sangen, lachten und applaudierten. Wo sie mir in so manchem Tiefschlaf von ihrem unendlichen Wissen erzählten. Alles still.
Meine Fähigkeiten mich in vielen Formen und Facetten auszudrücken leuchteten früher wie blühende Felder in der Sonne. Jetzt ist da nur noch braches Ödland, farblos und ohne Duft. Nur einzelne Stellen noch, die der ihnen lebensfeindlichen Atmosphäre trotzten.
Meine Emotionen, mein ganzes, großes Spektrum an Gefühlen, das wie blaues, klares Wasser in einer Lagune voller bunter Fische in der Sonne glitzerte und kleine Wellen gegen den goldgelben Strand schickte, ist nichts weiter als ein trübes Gewässer, wo auf dem Grund abgebrochene Koralen und mit Algen überwucherte Steine stehen.
Die Empfindungen, ein weißer, hauchfeiner Sand in einem glänzenden Behältnis aufbewahrt und bei jeder kleinsten Regung aufstobend und das Licht durch die feinen Kristalle in allen Farben des Lichtspektrums widerspiegelnd, sind verklumpt. Der Sand ist nass geworden und unfähig kleinste Regungen in der eben beschriebenen Art und Weise zu reflektie- ren.
Dieser Anblick in welch desolatem Zustand sich meine Seele befindet, macht mich einfach nur fassungslos. Ich schaue mich um und mir schießen die Tränen in die Augen. Alles kaputt! Was war hier nur passiert? Ich übergebe mich, während die Erkenntnis sich Zeit lässt, ehe sie mir das Geschehene offenbart.
Sehe ich im ersten Augenblick einen zerstörerischen Akt gegen mich selbst? Habe ich mich all die Jahre in dieser inneren Fülle gebadet, sie mit Lügen beschmutzt und nichts aber auch nichts zurückegeben?
Die Erkenntnis führt mich durch den Scherbenhaufen, der da liegt. Sie fasst meine Hand und zeigt stumm auf die Bruchstücke der verwaisten Areale meiner Seele: die vertummten Träume, die verödeten Felder, das veralgte Wasser, der verklumpte Sand. Das sind also die Tatsachen. Mein Bauch fühlt sich komisch an und mein Magen wölbt sich gegen meine Rippen.
Just in diesem Moment wird mir bewusst, dass ich gerade falle. Und kein Boden ist in Sicht. Viel zu schnell geht's abwärts. Und überall nur Dunkelheit. Absolute Dunkelheit. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.01.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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