Berni Kestoi

Des Autors Ambitionen

An diesem Morgen beschlich ihn wieder diese diffuse Angst. Wirr und mit wuseligem Haar saß, viel eher hing er lustlos auf dem Stuhl. Mutlosigkeit war ihm in die Glieder gefahren. Er wusste nicht weiter. Soeben hatte er im Internet (ach – diese unselige Erfindung geschmackloser Sadisten) recherchiert, hatte sich auf unzähligen Seiten umgeschaut, wie er es überhaupt machen könnte, seine ersten Werke an die Öffentlichkeit zu bringen. Zu zerren besser gesagt, denn er wollte jetzt unbedingt veröffentlichen. Unbedingt! Am besten sofort, noch innerhalb dieses Quartals des Jahres, das zu einem bisher kaum benannten Jahrzehnt zählte, den laut seiner Meinung "Zehner-Jahren". Jahrelang, praktisch schon seitdem sie sich kannten, hatte er seiner Liebsten schon in den Ohren gelegen mit seinem ewiggleichen Labern über seine schriftstellerischen Ambitionen. Wie viele Ge-dichte und seit einiger Zeit auch Kurzgeschichten er bereits geschrieben habe, seit wie vielen Jahren er die Poesie und die Geschichtsniederschriften schon betreibe. Seit inzwischen 15 langen Jahren machte er das schon, seit er in seiner frühen, frisch blühenden Jugend entdeckt hatte, dass er nicht nur in der Schule liebend gern freie Aufsätze zu einem stichwortartig vorliegenden Thema verfasste. Veröffentlicht hatte er allerdings niemals etwas. Das hatte verschiedene Gründe. Einer davon war, dass er lange Zeit ein unreifer, entwicklungs-technisch retardierter großer Junge gewesen war, der noch nicht einmal eine Ahnung davon hatte, wie man so einfache Dinge wie Kontoauszüge zu drucken oder Überweisungsträger auszufüllen bewerkstelligen sollte. Nicht mal vom Bettenmachen oder einer sauberen Haushaltsführung verstand er etwas.

 

Folglich wusste er auch nicht, wie man ein Manuskript zum Verlag schicken könnte. Nicht mal das weltweite Netz wollte er zum Thema befragen. Ein weiteres sich auftuendes Problem war freilich, dass er zu feige war, sich einer breiten Allgemeinheit zu stellen, der Kritik, den Anregungen, dem Zweifel – oder sogar dem Lob. Wenn er allerdings ehrlich zu sich selbst war, konnte er sich eingestehen, dass er absurderweise vor Letzterem die größte Angst verspürte, das mächtigste Unbehagen. Sein Leben lang war er gescholten worden, kritisiert, ausgeschimpft für alles Mögliche, für seine Streiche der Kindheit, für seine mittelmäßigen Schulnoten in Fächern, in denen er eigentlich durch-aus fähig war. Immer schon war er ein vielseitig begabter, aufgeweckter und humorvoller Junge gewesen, ein Mensch, dem es durchaus nicht an der Intelligenz, dafür umso mehr aber an Disziplin und Konzentration auf Wesentliches mangelte. Immerzu hatte man ihm Vorhaltungen gemacht, ihm Vorträge gehalten ob seiner Ungeschicklichkeit und seiner geistigen Zerstreutheit, wegen seiner Vergesslichkeit (obwohl er grundsätzlich ein ausgezeichnetes, schon phänomenales Gedächtnis hatte), wegen aller Tollpatschigkeit und der albernen Ausbrüche. Daher scheute er Lob wie eine frisch gebrannte CD das Brennlaufwerk und betrachtete solchen stets mit Argwohn. Oftmals schien ihm Lob unerträglich, war er doch dauernde Schimpfe gewohnt, wollte er doch lieber kritisiert werden oder eben ganz in Ruhe gelassen. Lieber zweifelte er an sich und seinem Können, lieber übte er anhand solcher harter und unverblümt unverschämte aber ehrlicher Aussagen seiner Mitmenschen daran, sich und seinen Stil zu verbessern. So wuchs er, mit bösen Worten, mit harscher Kritik, mit Vorwürfen, so glaubte er. Verbale Streicheleinheiten taten ihm fast weh, verlegen druckste er dann herum, wurde wohl auch rot – und stammelte meist ein unbeholfenes, leise-bescheidenes "Danke". Manchmal hatte er es schon erlebt, ein großes Lob bekommen zu haben – und sich dann total sicher zu wähnen. Bald darauf blühte er regelrecht auf in dieser Sicherheit, machte aber prompt einen oder mehrere mehr oder minder schwere Fehler. Deshalb hütete er sich davor, Lob große Bedeutung beizumessen und schwor sich insgeheim, jetzt noch besser zu werden als ohnehin schon. Nun aber, jetzt, an diesem schäbigen Morgen fühlte er sich ausgelaugt, ausgebrannt, irgendwie kraftlos.

 

Ein Wochenendtag gab sich heut die Ehre, ihm die Stunden zu versüßen, aus seiner Sicht zu versalzen. Am Vorabend hatte ihm seine Liebste, im Beisein ihrer Mutter, aufgetischt, was für ein armseliger Wicht er doch sei, wie wenig er doch bisher zustande bekommen hätte, wie schlecht seine Schreiberei sei und dass er niemals etwas veröffentlichen würde, immer nur große Sprüche darüber reißen könne. Fraglos hatte sie in gewisser Weise recht, schließlich hatte er zumindest ihr gegenüber schon häufig damit geprahlt, wie er bald seinen ersten großen Roman veröffentlichen würde, wie er plane, einen erfolgreichen Bestseller zu konzipieren, wie er mächtig Kohle ins Haus bringen würde und sich ihre Wohnsituation drastisch verbessern würde. Vielleicht hatte er einfach zu dick aufgetragen. Etwas in ihm, so ein unbestimmtes, nicht näher fassbares Gefühl, sagte ihm jedoch, dass er den Durchbruch schaffen würde. Nicht sofort sicherlich, aber es würde kommen. Er konnte, vor allem aufgrund seines ungenügenden Bekanntheitsgrades, nicht damit rechnen, sofort einen Bestseller an den Start zu bringen. Das schafften nur die wenigsten bis dato unbekannten Autoren. Hape hatte zudem vorgemacht, dass es nicht schaden kann, ein sympathischer und wohlbekannter Komödiant der alten Schule zu sein, eine prominente Persönlichkeit mit Charme also, wenn man gedachte, als Autor erfolgreich zu werden. Bei Hape war das klar, der konnte das. Dem fraßen die Leute komödiantisch aus den Pfoten, er war immer so ein lieber und von Natur aus witziger, quirliger Kerl. So konnte dieser "Ich bin dann mal weg" schreiben, das laut SPIEGEL erfolgreichste Sachbuch der 2000er (wenn man dieses Jahrzehnt vor den 2010er-Jahren so nennen konnte). Er hatte dieses Glück nicht. Weder war er in eine Künstlerdynastie hineingeboren worden (von sei-ner Verwandtschaft war keiner ein bedeutender Schauspieler, Theaterkritiker, Journalist, Musiker oder Maler gewesen), noch hatte er das Glück, einen berühmten Vater, eine berühmte Mutter oder wenigstens berühmte Onkel oder Omas zu haben. Sein Ausgangspunkt war lediglich eine gut situierte Mittelschichtfamilie, Bildungsbürger zweifellos, aber frei von jeglichen künstlerischen Ambitionen. In seiner Verwandtschaft war er immer das schlechte Beispiel, der Schandfleck, den man immer hätte heranziehen können, wenn es darum ging, Außenstehenden oder jüngsten Mitgliedern des Verwandtenclans beizubringen, wie man es auf keinen Fall machen sollte. Das wurde aber nicht so praktiziert. Zumindest nicht offen. Lediglich wurde heimlich und verstohlen über ihn gelästert, wurden von ferneren Verwandten Vermutungen aufgestellt. Aufgrund seiner Schüchternheit, Unbeholfenheit und Unsicherheit im Auftreten hielten ihn wohl die meisten "buckligen Verwandten" für einen ausgemachten Deppen, für einen Dummbatzen.

 

Sogar geistige Behinderung wurde ihm vereinzelt angedichtet, denn es fehlte ihm an Eloquenz und am Mut, anderen gegenüber stark und selbstbewusst aufzutreten. Von der Mehrzahl seiner Verwandten wurde er kritisch und mitunter mitleidig beäugt, so wie man ein Zootier anschaut, das Nashorn etwa, das er im Münsteraner Zoo aus Langeweile immer hatte gegen eine Bretterwand laufen sehen – oder man schaute auf ihn und behandelte ihn zum Teil so, als sei er geistig behindert, als begriffe er die einfachsten Sachen nicht. Das fuchste ihn natürlich, aber er konnte wenig dagegen tun. Zu besonderen Anlässen, etwa zu Omas 80., dem 85. und nicht zuletzt dem 90. Geburtstag jedoch fand er seine spärlich gesäten Sternstunden. Dann nämlich gab er selbstgedichtete Poeme zum Besten, zum 90. sogar dichtete er einen neuen Text auf "Oh My Darling, Clementine". Letzteres war ein fulminanter Erfolg gewesen, ein Sieg auf der ganzen Linie. Einige Verwandte und deren Bekannte, die in so zahlreicher Zahl bei der großen Feier am 04.04. (eigentlich hatte sie immer am 20.03. gehabt, diesmal musste aber aus Zeitgründen erst im April gefeiert werden, einen Tag nach Opas Todestag, der sich dann zum 16. Mal jährte. Wie basserstaunt waren etliche der Verwandten, dass ein solcher Typ aus ihren Reihen, den sie immer für einen armen Tropf, einen Schwachkopf gehalten hatten, einen solchen Text geschrieben haben sollte. Der Text war aber nicht sein bester, auch blieb er von da an nicht der einzige. Bei seinen Eltern war es schon Usus, dass er jedes Jahr zu Weihnachten ihnen unter anderem einen komplett gefüllten breiten Aktenordner voll seiner neuesten Werke schenkte. Er versuchte sich dabei an allem, an Gedichten, Prosa, Elegien, Anekdoten bzw. einer Art Verschriftlichung dessen, was er sich als Hobby-Comedian ausdachte, Beobachtungen, die er machte, die vortragbar gewesen wären. Des Weiteren versuchte er sich an Kritiken und Rezensionen zu Speisen und Getränken die er probiert, CDs und Kassetten die er gehört, Radio- und Fernsehsendungen und Serien die er gesehen hatte. Sein Ehrgeiz in diesem Sektor des Lebens schien grenzenlos, schier unendlich. Unbedingt, ja, um nahezu jeden Preis, wollte er ein verdammt, ein wirklich guter Autor werden, einer der größten aller Zeiten, wenn möglich, zumindest aber einer, der im ganzen Land bekannt ist. Einer, der sich von der breiten Masse abhebt. Der weit herumkommt und viel erreicht. Der aber auch beliebt ist und Erfolg hat mit seinem größten Talent. Wenn dann alles soweit sein würde, würde er sich positiv geben, würde bescheiden berichten in Interviews, vielleicht würde sogar im SPIEGEL ein Interview oder sogar ein Ausschnitt aus einem seiner Bücher erscheinen. Doch das Problem war: Er wollte sich schriftstellerisch nicht unter seinem Wert verkaufen. Diesen Trash, diesen modernen Trivial-Kitsch der 2000er, diese Schund-Belletristik-Literatur, mochte er nie.

 

Schon Harry Potter hatte er gespalten gegenübergestanden, musste sich aber eingestehen, dass diese Geschichten nicht sooo übel waren. Solche Buchreihen wie dieses unsägliche Twilight waren nicht seine Sache. Er wollte etwas Anspruchsvolles schreiben, etwas Wert- und Gehaltvolles, das den Menschen etwas schenkt, etwas Wahres. Wahre Emotionen, wahre Werte, wahre Freude, aufrichtiges Interesse. Auch fiel es ihm in den Sinn, etwas Realitätsnahes, etwas "aus dem wahren Leben" zu verfassen.

 

Aber was nur, was zuerst, was zuletzt? Wie konnte, wie sollte er die Worte wählen, was war das Passende? Ja, was? Er wollte seinen wahren Traum leben, mehr als dieses bisherige, beschränkte Leben, mehr wer-den, mehr sein. Die Frage war nur: Würde er sich trauen? Würde er es wagen, diesen großen Schritt?

 

Mit Nervenkitzel in den Adern, einem kalten Luftzug im Nacken vor lauter Zagen und Angst fasste er nun einen Entschluss...

Gewidmet meinem guten Freund Marc de Champagne... äh Marc de Rüschjée. Mach es endlich, trau Dich! Schreib Dich nicht ab: Lern Lesen und Schreiben... hahaha! Also, hab keine Angst. Übrigens: Wie Du weißt, ist das nicht autobiografisch auf Dich bezogen, auf mich auch nicht. Du bist ja nicht ganz so "unbeliebt", MdR. Berni Kestoi, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.02.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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