Klaus-Peter Behrens

Artefaktmagie, Teil 18

 

 

„Ich hab’s doch gesagt. Willkommen zum Tanz. Aus welchen Löchern ihr auch immer gekrochen seid, wir werden euch dahin zurück prügeln!“
Laut hallte die Stimme des Zwergs über die Lichtung, ohne daß ihre Gegner sich von dieser Drohung einschüchtern ließen. Immer mehr der haarlosen, ausgemergelten Gestalten erschienen auf der Lichtung. Mit ihren Raubkatzenaugen musterten sie abschätzend die kampfbereite Truppe und drohten mit ihren Waffen. Die nadelspitzen Zähne waren zu einem diabolischen Grinsen verzogen und ließen keinen Zweifel daran, daß diese Angreifer jedenfalls keine Gefangenen machen würden. Die Zwerge allerdings auch nicht. Michael wünschte sich bei diesem Anblick, er könnte die gleiche Zuversicht verspüren. Leider war das Gegenteil der Fall.
„Ruhig abwarten“, wies Grimmbart seine Männer an, denen es in den Fingern juckte, den Ankömmlingen mit der Axt das Grinsen aus den haarlosen Gesichtern zu entfernen. Obwohl inzwischen auf einen Zwerg mehr als zwei der finsteren Dämonen kamen, zeigten die Zwerge nicht die Spur von Beunruhigung. Michael beneidete sie um ihre Selbstsicherheit.
„Bleib dicht bei mir“, raunte Glyfara ihm zu. Michael fragte sich, ob sich die Elbin wohl um ihn oder um das Artefakt sorgte, das er ihr noch nicht zurückgegeben hatte. Nun, zumindest würde sie auf ihn aufpassen, solange er im Besitz des Artefakts war. Das war wenigstens ein kleiner Trost, und zur Not konnte er sich ja auch noch selbst verteidigen. In der Hand hielt er einen gut einmetersiebzig langen Kampfstab aus Hartholz, der an den jeweiligen Enden von einer Stahlkappe umschlossen war. In der Mitte des Kampfstabes befand sich ein Knopf. Drückte man diesen, verlängerte sich der Stab noch einmal um vierzig Zentimeter blanken, spitzen Stahl, der aus einer verborgenen Öffnung am Stabende schoß und für eine böse Überraschung gut war. Grimmbart hatte Michael ihn am Nachmittag in die Hand gedrückt, nachdem dieser ihm erzählt hatte, daß er am liebsten mit dem Stock kämpfte. Nervös umklammerte er nun mit seiner rechten Hand die Waffe und ließ sie probeweise einmal kreisen. Mit einem bösartigen Summen rotierte der Stab in seiner Hand. Wer immer mit der Stahl verstärkten Spitze auf diese Weise in Berührung kommen würde, hätte sein Leben verwirkt. Doch beim Anblick der finsteren Kreaturen, die den Ring um sie immer enger schlossen, vermochte selbst das Gefühl, eine tödliche Waffe in der Hand zu halten, ihm keine Zuversicht zu geben. Er bezweifelte, daß er noch einmal so gut davon kommen würde, wie beim letzten Mal.
Plötzlich trat am anderen Ende der Lichtung der Wandler aus den Schatten heraus. In einer fast schon theatralisch anmutenden Geste hob er beide Hände, und Michael fühlte, wie sich eine eiskalte Hand um sein Herz schloß. Er wußte, was das bedeutete, hatte er das doch schon einmal erlebt.
Der Angriff begann.
Im nächsten Moment prallten Zwerge und Dämonen mit lautem Waffengeklirr aufeinander. Der ersten Angriffswelle konnten die Verteidiger jedoch mühelos standhalten. Äxte pfiffen durch die Luft, Dämonen kreischten und Zwerge brüllten, wenn die Waffen ihr Ziel fanden. Michael stellte mit Entsetzen fest, daß Glyfara sich einen Platz zwischen den Zwergen erstritten hatte und nun in der ersten Reihe ihr Schwert durch die Luft schwang, daß es nur so pfiff. Ein Dämon hatte das Pech, in ihre Nähe zu geraten und büßte dafür seinen Kopf ein, als die Elbin ihm diesen mit einem gewaltigen Schlag vom Körper trennte. Es erstaunte Michael nicht, als sich der restliche Körper daraufhin in Staub auflöste, schließlich hatte er das schon einmal erlebt.
Rings um ihn herum wurde nun auf Leben und Tod gekämpft. Die Angreifer kannten keine Gnade, und die Zwerge verstanden auszuteilen. Überall fand kalter Stahl sein Ziel und dezimierte die Zahl der Angreifer. Es kam einem Wunder gleich, daß noch keiner der Zwerge gefallen war, doch für jeden gefallenen Angreifer tauchten zwei neue aus den Schatten auf. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sie unterliegen würden. Grimmbart hatte daher alle Hände voll zu tun, um seinen Männern die nötigen Anweisungen zu geben und darauf zu achten, daß die bewährten Abwehrstellungen hielten. Doch so sehr er sich auch bemühte, nach und nach löste sich die Schlacht in Einzelkämpfe auf, so daß jeder Kämpfer auf sich allein angewiesen war. Plötzlich gelang einem der Dämonen der erste Durchbruch. Mit einem mörderischen Kreischen stürzte er sich auf Michael. Instinktiv riß dieser den Kampfstab hoch und parierte den Angriff. Wütend holte der Dämon zum neuen Schlag aus, als sich Grimmbarts Axt in seine Brust grub.
„Die Abwehr bricht, jeder muß jetzt allein seinen Mann stehen“, schrie er Michael zu, während er die Axt aus der Brust des röchlenden Dämons zerrte. Schon gelang es dem nächsten Angreifer, einem wahren Hünen, der seine Kampfgefährten bei weitem überragte, die Reihe der Zwerge zu durchbrechen. Ohne zu zögern griff er an. Grimmbart erkannte, daß dieser Gegner nicht nur wegen seiner Größe  gefährlicher war; denn er handhabte den bösartig aussehenden Krummsäbel mit einer Leichtigkeit, die auf eine gewisse Kampferfahrung schließen ließ. Die Axt mit beiden Händen haltend, die linke Hand hoch oben, dicht unterhalb des zweischneidigen Blatts, die rechte am Ende des Schafts, ging Grimmbart in Abwehrstellung. Pfeifend fuhr der Säbel herunter und wurde von Grimmbart mit dem Hartholzstiel seiner Axt geblockt. Dann stieß er seinerseits mit dem spitzen Dorn seiner Axt zu, aber dem Gegner gelang es gerade noch, den Streich mit einem hektischen Säbelhieb abzuwehren. Es folgten eine beeindruckende Folge von Axthieben, hinter denen die Kraft der Zwergenmuskeln steckte. Aber auch der Dämon verstand es, seine gebogene Waffe mit tödlicher Präzision zu handhaben. Hell klirrte der Stahl, wenn die Waffen aufeinander trafen. Widerwillig mußte Grimmbart dem Gegner Respekt zollen. Wo auch immer er herkam, er hatte eine gute militärische Ausbildung genossen. Gleichwohl bezweifelte der Zwerg keine Sekunde, daß er siegen würde. Erneut griff er mit einer gekonnten Folge furchteinflößender Axthiebe an, die den Gegner zwang, zurückzuweichen.
Michael hatte indes keine Zeit, dem Kampf weiter zuzusehen, da er nun seinerseits von einem Angreifer voll in Beschlag genommen wurde. Dieser trug in jeder Hand ein Kurzschwert, die er vor seinem Körper zu einem wirbelnden Stahlkreis verflocht. Aufgrund seiner langen Arme war er daher für Michael eine echte Bedrohung, der Schwierigkeiten hatte, mit seinem Stab die Hiebe abzuwehren. Sollte einer der Hiebe das Holz statt den Stahl treffen, stünde er ohne Waffe dar. Mit verbissener Inbrunst kämpfte er weiter und hoffte auf Hilfe, doch die blieb aus. Dafür drängte der Dämon ihn weiter und weiter von seinen Kampfgefährten ab, bis Michael plötzlich rückwärts über einen Stein stolperte und stürzte. Sofort baute sich sein Gegner vor ihm auf, um ihm den tödlichen Schlag zu versetzen. Mit einem bösartigen Pfeifen fuhren beide Schwerter synchron herunter. Verzweifelt wälzte sich Michael zur Seite und entging nur um Haaresbreite dem tödlichen Schwertstreich. Zu seiner Freunde bekam er dabei seinen Kampfstab wieder zu fassen, der ihm beim Sturz aus der Hand entglitten war. Noch im Liegen richtete er diesen auf seinen Angreifer, um ihn auf Distanz zu halten. Der hatte nur ein verächtliches Grinsen übrig, hatte sein Gegner in dieser Position doch keine Möglichkeit, zum Schlag auszuholen. Das Grinsen verging ihm jedoch schlagartig, als Michael den Knopf drückte. Mit einem bösartigen Zischen schossen vierzig Zentimeter Stahl aus der Spitze und bohrten sich in den Hals des Dämons, der daraufhin gurgelnd verendete. „Nettes Spielzeug“, murmelte Michael, während er sich zitternd den Angstschweiß von der Stirn wischte. Das war verdammt knapp gewesen, ein wenig zu knapp für seinen Geschmack.
Weiter vorne lieferten sich Glyfara und der Wühler einen harten Kampf mit einigen Gegnern. Wühler und Elbin bildeten inzwischen ein effektives Team. Während die Elbin ihre Gegner mit Hieben eindeckte und so ihre ganze Aufmerksamkeit beanspruchte, nutzte der Wühler dies sofort aus und vergrub seine rasiermesserscharfen Zähne in die ungeschützten Beine der Unglücklichen. Dies führte in der Regel zu einer Unaufmerksamkeit, die Glyfara gnadenlos mit einem Schwertstoß in die Brust oder was sich sonst so anbot, belohnte. Auf diese Weise hatten bereits etliche Angreifer ein überraschendes Ende gefunden.
 
Grimmbart hatte sich derweil mit einem beidhändig geführten Axthieb seines widerspenstigen Gegners entledigt. Noch während der Getötete zu Staub zerfiel, griff ein weiterer Dämon mit einem kurzen Speer in der Hand den Zwerg an. Schon fast gelangweilt wehrte dieser den Stoß ab und schlug seinem Gegner den Schädel ein. Ein anderer Zwerg hatte weniger Glück. Einem Dämonen war es gelungen, ihm mit seinem Streitkolben ein üble Fleischwunde im Arm beizufügen. Noch während er dem Nachfolgehieb auswich, griff ein anderer Dämon von hinten an. Michael rannte los und schrie eine Warnung, obwohl er erkannte, daß diese zu spät kommen würde. Mit einem Satz sprang der Dämon auf den Rücken des schwer verletzten Zwerges und stieß ihm einen geriffelten Dolch in die Seite. Ein zweiter Hieb des anderen Dämons beendete den ungleichen Kampf.
„Scheiße!“
Michael war außer sich, als er auf die beiden Dämonen einstürmte. Wütend schwang er seinen Stab und landete mehr durch Zufall als durch Absicht einen Treffer. Knochen brachen, als der Stab auf dem Schlüsselbein des Dämons landete, der dem Zwerg den geriffelten Dolch in die Seite gestoßen hatte. Mit einem Aufschrei ließ der Dämon seine Waffe fallen.
Sofort schwang Michael herum, um sich dem zweiten Angreifer zu stellen. Zu seinem Schrecken mußte er feststellen, daß dieser inzwischen Verstärkung bekommen hatte. Nun standen ihm gleich drei Gegner gegenüber.
Schnell schätzte er seine Chancen ein, doch die Quote stand nicht gut. Sich eines Gegners zu erwehren war schon anstrengend genug, sich gegen zwei zu behaupten mörderisch, gegen drei schlicht unmöglich. Das war unfair, auch wenn einer davon über ein gebrochenes Schlüsselbein verfügte.
Aus dem Augenwinkel sah er, wie ein weiterer Zwerg, der ihm zu Hilfe eilen wollte, durch einen Streitkolben niedergestreckt wurde. Auf Unterstützung konnte er offensichtlich nicht bauen. Allmählich verlor er alle Hoffnung, den Kampf lebend zu überstehen, doch er würde seine Haut wenigstens so teuer wie möglich verkaufen. Angriff war immer noch die beste Verteidigung – hoffte er wenigstens. Mit einem überraschend ausgeführten Halbkreisschlag in Kniehöhe, holte er den ohnehin schon angeschlagenen Gegner von den Füßen, der daraufhin endgültig vor Schmerzen laut kreischte. Dann konzentrierte Michael sich auf die beiden verbliebenen Angreifer. Doch die waren vorsichtiger. Einem entsprechend geführten Hieb wich der linke der beiden Angreifer leichtfüßig aus, dafür erwiderte der rechte den Angriff mit einem Messerwurf, der sein Ziel nur knapp verfehlte.
Michael hatte den Lufthauch gespürt, mit dem das Messer an seinem Hals vorbei geflogen war. Er verdrängte die Panik, die in ihm hochzusteigen drohte und griff erneut an.
Diesmal schwang er das Stockende parallel in Gesichtshöhe seines Gegners zur Linken, der leicht zurückwich, doch im letzten Augenblick drückte Michael den Knopf. Mit einem Zischen schoß der Stahl aus der Öffnung. Der Gesichtsausdruck des Dämons drückte plötzlich Entsetzen aus, als er seinen Fehler erkannte, zu seinem Pech einen Sekundenbruchteil zu spät. Mit einem häßlichen Geräusch schnitt der Stahl durch seinen Hals.
Dafür reagierte der verbliebene Dämon um so schneller.
Mit einem wütenden Hieb seines Streitkolbens prellte er Michael den Stab aus der Hand. Doch bevor er erneut ausholen konnte, wurde er plötzlich mit Wucht nach vorne geschleudert, geradewegs in Michaels Arme. Eine Pfeilspitze ragte aus seinem Brustkorb und mit einem erstaunten Keuchen hauchte er sein Leben aus. Michael ließ ihn fallen und winkte dankbar Glyfara zu, die den Bogen schon wieder umgehängt hatte und sich erneut ins Getümmel stürzte. Michael sprintete zu ihr hinüber. In so einem Tumult war es gesünder, eine gute Rückendeckung zu haben, auf die man sich verlassen konnte. Zum Glück waren gerade sämtliche Kämpfer zu beschäftigt, um sich um Michael zu kümmern. Der konnte ganz gut damit leben.
Als er Grimmbart erreichte, der gerade einen weiteren Dämonen über den Jordan geschickt hatte, hielt er keuchend inne.
„Wie hoch schätzt du unsere Verluste ein?“, fragte er den Zwerg, der bereits nach dem nächsten Gegner Ausschau hielt. Noch immer kam neuer Nachschub aus den Schatten.
„Fünf bis sechs Ausfälle bisher auf unserer und ein Vielfaches auf der anderen Seite.“ Grimmbarts Stimme machte seinem Namen alle Ehre. Michael taten die Dämonen fast leid, als der Zwerg erneut die Axt hob, um einem weiteren Gegner den Schädel zu spalten. Plötzlich jedoch bemerkte er etwas, das jegliches Mitleid gegenüber ihren Angreifern verschwinden ließ. Einige der Dämonen hatten unbemerkt das Schiff geentert und waren nun damit beschäftigt, es mittels Fackeln in Brand zu setzen.
„Verdammt!“
Auch Grimmbart hatte das Problem inzwischen erkannt, doch zum Eingreifen war es schon zu spät. Das Feuer breitete sich bereits rasend schnell aus und ließ das trockene Holz wie Zunder brennen. Michael schätzte, daß die Flammen zum Teil gute acht Meter hoch aufloderten.
Das Schiff war verloren.
Die Dämonen allerdings auch. Wer nicht gleich verbrannte, wurde beim Verlassen des Schiffes von den aufgebrachten Zwergen gnadenlos niedergemetzelt. Nach und nach wendete sich nun das Blatt. Der unerschöpfliche Nachstrom von Dämonen versiegte zusehends, was den Zwergen neue Zuversicht schenkte. Die Tatsache, daß ihre einzige Transportmöglichkeit vernichtet war, versetzte sie derart in Rage, daß die Dämonen ihrer geballten Kampfkraft kaum noch etwas entgegen zu setzen hatten. Jetzt zahlte sich aus, daß die Zwerge im Gegensatz zu den Dämonen eine disziplinierte Kampfeinheit darstellten.
Immer mehr der häßlichen Gestalten verwandelten sich unter den rotierenden Äxten der Zwerge und Glyfaras Schwert, das wie eine Sense durch die Reihen der Dämonen fuhr, zu Staub. Außer sich vor Wut befahl der Wandler daraufhin den Rückzug, und so verschwand schließlich auch der letzte der Dämonen im Unterholz. Zurück blieb ein Schlachtfeld, das blutrot von den Flammen des brennenden Schiffes erhellt wurde.
„Warm!“
Unbemerkt war der Wühler neben Michael aufgetaucht. Wie eine Katze streckte er seine Vorderbeine aus. Offensichtlich gefiel ihm die Hitze, die von dem brennenden Schiff ausging. Den Zwergen hingegen sagte sie weniger zu.
„Neun Ausfälle und ein verbranntes Schiff“, stellte Grimmbart düster fest, dann straffte er seine Schultern und versuchte, wieder zuversichtlicher zu erscheinen. Michael konnte deutlich sehen, wie schwer dies dem Zwerg fiel. Immerhin hatte er fünfzig Prozent seines Trupps eingebüßt. Trotzdem versuchte Grimmbart Zuversicht zu verbreiten.
„Ihr habt tapfer gekämpft“, lobte er die Überlebenden. „Der Feind ist geschlagen. Wir werden .....“
„Mach dir keine Illusionen, die kommen wieder“, unterbrach ihn Glyfara, die nachdenklich an ihren Fingernägeln nagte und den düsteren Wald musterte. „Das war noch lange nicht das Ende.“

Grimmbarts Blick heftete sich auf die Elbin.
„Kannst du mir verraten, wie du darauf kommst? Keiner, der je von uns besiegt wurde, ist wieder aufgetaucht. Also, wenn du etwas weißt, das wir wissen sollten, dann wäre jetzt der geeignete Zeitpunkt, uns davon in Kenntnis zu setzen.“ Streitlustig baute er sich vor der Elbin auf. Auch die anderen Zwerge knurrten ungehalten. Doch Glyfara ließ sich nicht einschüchtern.
„Ihr würdet es doch nicht glauben. Dazu fehlt euch die nötige Fantasie.“
„Vielleicht läßt du es mal drauf ankommen“, zischte Grimmbart. Die Spannung war nun förmlich mit den Händen zu greifen. Michael befürchtete, daß ein falsches Wort zu einer Eskalation führen würde. Offensichtlich sah Glyfara das ähnlich, denn schließlich gab sie sich einen Ruck.
„Also schön“ lenkte sie ein, „aber ich bezweifle, daß ihr das glauben werdet.....“
Dann fing sie an und erzählte den Zwergen eine geschönte Version ihrer bisherigen Abenteuer. Als sie mit ihrer Geschichte am Ende war, herrschte erst einmal ungläubiges Schweigen. Nachdenklich kratzte sich Grimmbart die struppigen Haare unter der Lederkappe.
„Ääähhhmmm....“, räusperte er sich. „Du behauptest also wirklich, daß es dieses Artefakt gibt, das wie ein Schlüssel wirkt.“
Der Zwerg schwankte zwischen Mißtrauen und Faszination.
„Das Artefakt aus der Legende vom großen Krieg, das das Portal für immer verschloß.“
„Bis vor kurzem verschloß“, korrigierte Michael trocken. „Wie du vielleicht mitbekommen hast, sind ein paar euer alten Feinde offenkundig durch die Tür geschlüpft und sorgen hier für schlechte Stimmung.“
Grimmbart kam ins Grübeln
„Das könnte eine Erklärung für diesen Angriff sein“, gab er widerstrebend zu, obwohl er noch immer unschlüssig wirkte. Es war nicht zu übersehen, daß er sich schwer damit tat, Glyfaras Geschichte zu schlucken. Michael konnte es ihm nicht verdenken. Im Prinzip hoffte auch er immer noch zu träumen und demnächst wohlbehalten in seinem Bett aufzuwachen. Doch realistisch betrachtet, standen die Chancen dafür eher schlecht. Umständlich kramte er daher die Steintafel aus der Hosentasche und hielt sie dem Zwerg hin. Vielleicht würde ihn das ja überzeugen.
„Bitte sehr, das ist der Ursprung allen Ärgers.“
Mißtrauisch beäugten die Zwerge daraufhin die Tafel in Michaels Händen. Zu ihrer Enttäuschung wirkte die aber völlig banal.
„Das soll alles sein?“
Grimmbart schnaubte verächtlich.
„Ich schätze, ihr verschaukelt uns ganz gewaltig.“
„Frag den Wandler, wenn er wieder kommt. Der wird die Geschichte sicherlich gerne bestätigen, bevor er euch ausradiert.“
Glyfara lachte humorlos. Das gab den Zwergen zu denken.
„Also gut, mal angenommen, wir kaufen euch die Geschichte ab, dann stellt sich die Frage, was wir jetzt machen sollen? Das Schiff ist verbrannt. Auf dem Fluß kommen wir also nicht mehr weiter!“ Nachdenklich betrachtete Grimmbart die Berge in der Ferne, wo sich die erste Morgenröte bemerkbar machte. Dann wandte er sich wieder Glyfara zu.
„Wieviel Zeit bleibt uns bis zum nächsten Angriff?“
„Vermutlich werden sie frühestens wieder mit dem Einsetzen der Dämmerung angreifen. Der Wandler und seine Kreaturen scheuen das Tageslicht. Garantieren kann ich dafür aber nicht.“
„Dann haben wir einen Tag, um uns auf den nächsten Angriff vorzubereiten.“ Grimmbart warf einen bezeichnenden Blick auf den verwüsteten Lagerplatz. „Hier werden wir uns nicht halten können. Wir müssen in die Berge hinauf. Das Wächtertor, der alte Eingang zur Mine von Goraa, liegt einen Tagesmarsch von hier, verborgen in einem längst vergessenen Tal hoch oben im Gebirge. Den Legenden nach reichen die Stollen der Mine bis in die Nähe von Felsenturm. Dort wären wir sicher.“
„Aber die Mine ist verflucht!“
Einer der Zwerge war entrüstet vorgetreten, die anderen knurrten widerwillig. Glyfara glaubte zum ersten Mal, einen Anflug von Angst in den Gesichtern der unerschrockenen Kämpfer zu sehen. Das war allerdings beunruhigend.
„Ist mir bekannt, Streitaxt“, erwiderte Grimmbart finster, dann zuckte er die Achseln. „Aber es ist unsere einzige Chance. Wenn du einen besseren Vorschlag hast ...?“
„Wir könnten hier bleiben und kämpfen. Lieber sterbe ich ehrenhaft mit der Axt in der Hand, als in dieser verfluchten Mine für immer zu verschwinden. Du weißt, was man über sie erzählt.....“
Aus den Reihen der Zwerge kamen zustimmende Rufe. Doch Grimmbart ließ sich das Ruder nicht aus der Hand nehmen.
„Wir haben keine Wahl. Wenn es stimmt, was Glyfara erzählt hat, dann ist unsere ganze Welt in Gefahr. Dieser Schlüssel darf nicht in die falschen Hände geraten. Auch mir mißfällt es, vor einem Feind zu fliehen, statt ihm mit der Waffe in der Hand entgegen zu treten. Hier aber geht es um höhere Interessen. Der Kampf wird daher auf einem anderen Schlachtfeld weiter geführt werden. Bis dahin werden wir uns nach Felsenturm absetzen und dazu die Hallen von Goraa durchschreiten.
Das ist ein Befehl!
Im Übrigen erfordert dies meiner Meinung nach mehr Mut, als sich diesen Kreaturen im Kampf zu stellen.“
Die Zwerge knurrten ungehalten, fügten sich aber ihrem Anführer.
„Und wenn sie uns dahin folgen werden?“, warf Michael ein, der sich mit den Gedanken, eine verfluchte Mine zu betreten, nicht so recht anfreunden konnte. Grimmbart sah ihn mitleidig an.
„Zwergenminen kann man nicht so einfach betreten, und diese schon gar nicht. Der Eingang wurde mittels einer Rune verschlossen, die verhindert, daß Unbefugte dort eindringen.“
„Oder etwas daraus entkommt“, murmelte Streitaxt finster in seinen Bart.
„Warum versuchen wir uns nicht entlang des Flusses nach Felsenturm durchzuschlagen?“, hakte Glyfara nach, die sich inzwischen wieder des Artefakts bemächtigt hatte und dieses nun mit fahrigen Händen in ihrer Tasche verstaute. Auch ihr behagte der Gedanke nicht, eine verfluchte Mine aufzusuchen.
„Weil wir das nie an einem Tag schaffen würden. Also packt eure Sachen zusammen, wir brechen auf.“
Entschlossen befestigte Grimmbart seine Axt auf dem Rücken und schritt auf den Lagerplatz zu. Die Entscheidung war gefallen. Widerwillig packten die Zwerge ihre Sachen zusammen und machten sich abmarschbereit. Für die gefallenen Kameraden wurde in aller Eile ein Grab aus ein paar Steinen aufgeschichtet und ein paar Worte des Abschieds gesprochen. Die Waffen und alles Verwendbare wurden mitgenommen. Michael fand das herzlos, aber die Zwerge waren Krieger und dachten pragmatisch. Wer tot war, brauchte nichts mehr. So einfach war ihre Devise. Dann gab Grimmbart das Zeichen zum Aufbruch.

 

 

 

 

Wird fortgesetzt...............

 




 

 

 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Klaus-Peter Behrens).
Der Beitrag wurde von Klaus-Peter Behrens auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.02.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Klaus-Peter Behrens als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Die lila Prinzessin - Märchen ab 6 Jahre von Michael Waldow



"Die lila Prinzessin" ist ein Märchen über eine verwöhnte Prinzessin, die sich einbildet, zu ihrem Geburtstag alle Geschenke der Welt bekommen zu dürfen. Sie lebt im Kunterbuntland und stürzt durch ihren Eigensinn das ganze Land in einen lila Albtraum. Doch nur sie kann das Land retten, denn hinter dem Fluch steckt ein Familiengeheimnis.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (2)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Fantasy" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Klaus-Peter Behrens

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Das Tor zwischen den Welten, Teil 18 von Klaus-Peter Behrens (Fantasy)
Eternal Love - Band 1 von Tim Klostermann (Fantasy)
Eine E-Mail-Liebe von Barbara Greskamp (Liebesgeschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen