Mara Krovecs

Weihnachten mit unserem Huschnapur

In diesem Jahr kam der Winter früh ; schon Mitte November verteilte er seine sanften
Schneeboten , die zierlichen weißen Flockentänzerinnen taumelten winterhungrig auf unsere kalten roten Dächer . Sie stupsten frech die schwarzen Krähen an und flogen eine kurze Strecke auf ihren schwarzen Flügeln mit. Sie legten sich sternlächelnd auf die kahlen Zweige unserer wartenden Bäume , die leise seufzten , weil die sanfte Berührung in ihren Träumen wie ein Streicheln schien .
Unser Haus lag eingebettet zwischen Tannen , Ilex , Essigbäumen, Zierkirschen und einigen Birken .
Die alte Scheune sollte im nächsten Jahr Hühner aufnehmen , dieses Jahr dufteten die Stroh-
ballen ihre würzige Gemütlichkeit in das Werkzeug meines Mannes .
Der hintere Teil unseres Wohnzimmers endete in einem Wintergarten und im übrigen Raum waren vier weitere Fenster verteilt , so , dass wir oft das Gefühl hatten mitten im Garten zu leben . Als es schneite , tanzte meine kleine Tochter auf dem Dielenboden herum und rief:“ Es schneit ,es schneit überall , der Schneemann kommt , der Weihnachtsmann ,und der Huschnapur .“
In diesem Jahr hatten wir dem Huschnapur zum ersten Mal frische Milch und Kekse auf unsere Küchenfensterbank gestellt . Unsere Tochter entwickelte einen glühenden Ergeiz den kleinen Fingermann eines Tages beim Milchschlürfen oder Keksnaschen zu erwischen . Oftmals glaubte sie , seine rote Zipfelmütze gesehen zu haben und rannte ihm im ganzen Haus hinterher , fröhlich Weihnachtslieder singend oder aufgeregt kreischend .

Heilig Abend hatten wir , wie jedes Jahr , Gäste . Mein Vater kam und in diesem Jahr auch
ein Freund meines Mannes , der sich gerade von seiner Freundin getrennte hatte und ein wenig traurig war, außerdem meine liebe Schwester mit ihrem damaligen Freund.

Der Weihnachtsbaum stand schon seit dem Vortage und am Vormittag schmückten wir den Prachtbaum , eine riesige blaue Fichte .
Mein Vater hat eine tiefe , wohlklingende Stimme und eine unglaublich schöne Art zu erzählen .Sein weicher Akzent gibt seinen Erzählungen etwas märchenhaftes und wenn wir zusammen das eher unbekannte Lied „ Oh Tannenbaum , oh Tannenbaum , Du trägst ein grünes Kleid „ , zweistimmig singen , ist Weihnachten in jedem Winkel unseres Hauses angekommen .
Der Duft unseres Putenbratens zog in unsere Weihnachtshungrigen Nasen während wir die Kekse und Marzipanbrote zu den Nüssen und Mandarinen auf die Weihnachtsteller legten .
Wir schauten immer wieder zum Fenster in der Hoffnung die geliebten Schneeflocken begrüßen zu dürfen , doch leider waren sie weit und breit nicht zu sehen .Dafür hatte es
die Tage vorher ein wenig geschneit und so lagen die weißen Schneespitzen immer noch auf
Bäumen , Beeten und Dächern .

In einem Nebenzimmer erklärte ich meinem Vater , wie wir Weihnachten für unser
kleines Mädchen gestalten wollten . Mein Vater und ich haben nämlich beide etwas , wie soll ich sagen ,etwas Überschwängliches , wir lieben es zu inszenieren .
Und so trafen wir ein Arrangement , wie die Weihnachtsgeschenke unter dem Tannenbaum landen sollten .“ Aha , aha , aha , ich soll also rufen , der Huschnapur , ich hab ihn gesehen“ und locke alle zur Scheune , „ vergewisserte sich mein Vater .
„ Ja , genau , und den Rest mache ich „ , bestätigte ich ihm und schaute sehnsuchtsvoll
aus dem Fenster.
Schade , es waren immer noch keine Schneeflocken zu sehen , es wäre doch so perfekt gewesen .

Mein Mann schüttelte den Kopf , wie immer , wenn ich „ Einfälle „ hatte , war aber bereit ergeben mit zu machen. Unser Gast übrigens war Feuer und Flamme , er sollte , wenn die anderen in der Scheune nach dem Huschnapur suchten , die Geschenke aus dem Keller holen und mit mir unter dem Tannenbaum verteilen . Wir waren alle so aufgeregt und mein kleiner Sohn , gerade erst ein halbes Jahr alt sah dem Treiben mit seinen großen Augen unschuldig zu .
Während ich in der Küche noch restliche Vorbereitungen zum Essen traf , hatte ich gute Unterhaltung , der komplette Rest der Weihnachtsmannschaft hielt sich ständig in meiner Nähe auf, vor den schon gefüllten Töpfen oder Schüsseln , und ich musste unsere Mahlzeit verteidigen oder meine kleine Tochter mahnen, nicht ständig zu naschen .

Vormittags hatten wir einen Weihnachtsspaziergang im Wald gemacht .Durch die zarten Schneefälle der Vortage konnten wir ein wenig durch ihn hindurch stapfen und die kalte Schneedecke knirschte schüchtern unter unseren Winterstiefeln. Die Bäume lächelten uns märchenhaft weiß an und mich hätte es nicht gewundert , wenn Väterchen Frost an uns vorbeigehuscht wäre ,oder mich ein Fuchs angesprochen hätte.
Meine Tochter tobte mit unserem jungen Hund vor uns auf dem Weg herum , und mein Mann
hatte wichtige Gespräche mit seinem Freund , während ich mit meinem Vater und unserem Sohn herumliegende Tannenzweige aufsammelte und nach Zapfen Ausschau hielt .
Mit roten Wangen , kalten Händen und Füssen kamen wir schließlich heim und trugen diesen wunderschönen Spaziergang den ganzen Abend über in unseren Herzen .

Nach dem Essen war es schließlich soweit.
Nach kurzer Absprache begann mein Vater mit seiner tiefen Bassstimme : „ Kann es sein , dass ihr einen Huschnapur habt ? „
Natürlich war er in Töchterchens Nähe und die krähte auch prompt : „ Ja , wir haben einen , einen ganz kleinen „ , sie zeigte mit ihren Fingern .
„ Hast du ihn gesehen ?“
„ Ja , „ erwiderte mein Vater glücklich , dass sie es ihm so leicht machte.
„ Er ist da zur Tür gelaufen „.
Mein Vater ging zur Haustür , öffnete sie und rief:
„ Da läuft er ja noch !“ Er zeigte zur Scheune.
Unsere Tochter stürzte darauf zu , mein Vater , mein Mann , meine Schwester und deren Liebster folgten ihr .
Das war das Kommando für mich und den Freund meines Mannes , wir liefen in den Keller ,
holten die Weihnachtsgeschenke , verteilten sie unter dem Baum und ließen die Kerzen brennen .
Unschuldig stellte ich mich in die Tür , beobachtete noch ein wenig die Aufregung in der Scheune und rief dann :“ Oh nein , wie schade , jetzt ist er weg !“
Mein Sohn , auf meinem Arm , schaute begeistert von einem zum anderen , als alle aus der Scheune zurück kamen .
„ Wer ist weg ?“ fragte Töchterchen noch ganz außer Atem von der Rennerei.
„ Der Weihnachtsmann , „ erwiderte ich ,
„ Er ist gerade weggeflogen mit seinem Rentierschlitten , siehst Du ?“
Wir schauten in den sternenklaren Himmel , da meldete sich mein Mann zu Wort.
„ Kommt mal mit ins Wohnzimmer , der Weihnachtsmann hat uns etwas da gelassen.

Als wir in der Tür standen leuchteten die Kerzen am Baum und unser kleines Mädchen
stürzte sich nicht gleich auf die Geschenke , wie wir erwartet hätten , sondern blieb neben uns stehen und schaute überwältigt auf die Lichter .
Einzig unser Sancho , tapste mit seinen riesigen Pfoten respektlos mitten in die Geschenke
hinein und brachte wieder Bewegung in die ganze Gesellschaft.

Wenn ich meine inzwischen Vierzehnjährige frage , ob sie sich noch an dieses Weihnachtsfest erinnern kann , lächelt sie mich an und sagt :“ Nicht an alles , aber an viel Aufregung und den Huschnapur in der Scheune. Den hab ich nämlich damals gesehen.“
Das sagt sie und zwinkert mich und meinen Vater geheimnisvoll an .
Wie meint sie das bloß?

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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