Jürgen Berndt-Lüders

TESS POLY IM EINSATZ, Serie, Pilot, DER NEUE JOB

Tess war vom Bundeswehreinsatz im Ausland zurück. Als Feldwebel der Reserve brachte sie einiges an Erfahrungen im Umgang mit widerspenstigen Menschen mit. Ihre Stimme war auf Lautstärke und Ausdruckskraft geschult und ihr Verhalten untadelig. Ihre Baumwollschlüpfer lagen auf Stoß im Spind und die Haare trug sie so kurz, dass mancher vermutete, die Haarspitzen lägen noch unterhalb der Hautoberfläche.

 

Mit Männern hatte sie nicht viel am Hut, allerdings war auch ihr mitten in der Wüste gelegentlich nach Erotik gewesen, und sie hatte Unteroffizier Wackernagel pünktlich alle 14 Tage zum Liebesdienst abkommandiert. Er war ihrem „Auf, nieder, auf, nieder“ befehlsgemäß gefolgt. Das Kommando „Ruhe im Glied, fertig werden“ hatte den ruhmreichen Angriff stets abgeschlossen.

 

Noch vor Ende ihrer Dienstzeit war es zu einem Kollateralschaden gekommen. Nicht durch Feindberührung, sondern eher durch das Gegenteil war Tess verliebt gewesen, das heißt, ein Gefühl für Uffz Wackernagel hatte sie übermannt, das ihr bisher unbekannt gewesen war. Nur intensives, autogenes  Waterboarding in der mit Blech ausgeschlagenen Munitionskiste hatte sie von dieser Krankheit befreit.

 

Nun war Tess zurück und suchte nach einer Arbeit. Irgend etwas, bei dem sie ihre Fähigkeiten anwenden konnte, sollte es schon sein, und möglichst beim Staat oder der Kommune, damit sie kein wirtschaftliches Risiko eingehen musste.

 

So bewarb sie sich bei der Stadt als Politesse.

 

Bereits am nächsten Tag klingelte ihr Handy mit der Melodie OH DU SCHÖNER WESTERWALD.  Tess klickte sich rein und meldete sich.

 

„Tess Poly am Apparat, bitte melden, Tess Poly, bitte melden.“

 

Der Mann am anderen Ende räusperte sich. „Streber von der Stadtverwaltung mein Name. Reiner Streber. Frau Poly, sie haben sich bei uns als Überwacherin des Ruhenden Verkehrs beworben. Haben Sie was mit Polyaethylen oder Polyvinylchlorid zu tun?

 

„Nein, ich bin hart wie Granit. Weichmacher gibt’s bei mir nicht.“

 

„Und dann der Vorname Tess. Wie Hostesse?“

 

„Nein, eher wie Testosteron. Obwohl die Hostessen auch so schöne Uni...“

 

Streber unterbrach. „Sie waren an der Uni? Was haben Sie studiert?

 

„Herr..., welchen Dienstgrad haben Sie eigentlich?“

 

„Ich bin Ordnungsamtsleiter. Was haben sie denn nun studiert?“

 

„Nix. Ich war nur mal in einer Vorlesung, als Beispiel für Waschzwang, Chef.  Ordnungsamtsleiter ist eine Funktion, aber kein Dienstgrad. Ich zum Beispiel war die Ausbilderin mit den meisten Ausfällen wegen totaler Erschöpfung, aber mein Dienstgrad war zuletzt Feldwebel.“

 

„Das spiel bei uns kaum eine Rolle. Wir sind selten nach dem Dienst erschöpft. Kennen Sie sich mit dem ruhenden Verkehr aus?“

 

„Bei mir ruht der Verkehr schon seit Uffz’ Wackernagels totaler Erschöpfung, Herr Chef.“

 

„Sie sind eingestellt. Noch ein guter Rat: Sie sollten sich das Große Buch der Beleidigungen beschaffen. Das ist für Sie wichtiger als die Straßenverkehrsordnung.“

 

„Mache ich, Herr Chef.“

 

„Und noch etwas: sagen Sie einfach Streber zu mir. Jedenfalls so lange, bis ich Ihnen das Du anbiete. Das geschieht automatisch nach Ablauf der Probezeit.“

 

„Roger, Herr Chef Streber“, rief Tess, riss die Hacken zusammen, die Hand an die Schläfe und klickte sich raus.

 

Am nächsten Tag erschien Tess im Ordnungsamt. Weil sie lange keine Zivilkleidung mehr getragen hatte, passte ihr weder Rock noch Hose. Aber nicht, weil sie zugenommen hätte, sondern weil ihr Sixpack, will heißen die Bauchmuskulatur ihre Taille glatt annuliert hatte. Als Reservistin besaß sie einen Tarnanzug, und den trug sie nun.

 

„Wollen Sie sich beim Parksünder von hinten anschleichen und blitzschnell zuschlagen?“, fragte Streber verwundert.

 

„Wäre nicht schlecht, Herr Chef Streber, aber wahrscheinlich ist das mit der Würde des Menschen nicht vereinbar, wenn ich ihn mit ein paar Kampfsportgriffen neutralisierte. Dabei wundert mich eh, dass sie nicht längst moderner arbeiten.“

 

Streber stutzte. „Wie denn?“

 

„Bringen sie an jedem Fahrzeug vorn rechts einen Barcode an. Wenn das KFZ am Barcodeleser auf  dem Parkplatz vorbei fährt, registriert das Gerät die Ankunftszeit und bucht vom Konto des Verkehrsteilnehmers die Parkgebühr ab.“

 

„Ach, und wenn die Zeit überschritten ist, das Doppelte? Oder wie?“

 

„Nein, dann umklammern im Boden versenkte Krallen die Vorderräder und ich komme mit dem transportabeln Scanner und scanne die Parksünder persönlich, solange...“

 

Streber amüsierte sich innerlich. „Und wo sollte ihrer Meinung nach der Barcode beim Inhaber der Fahrerlaubnis  angebracht sein?“

 

„In genau einsfünfzig Höhe. Damit irgendwann selbst dieser Scan automatisiert werden kann.“

 

„Und wenn jemand kleiner ist?“

 

„Dann darf er nicht Auto fahren, denn das Blickfeld, das Halbrund  zwischen Lenkrad-Oberkante und Armaturenbrett ist doch zu eingeschränkt.“

 

Streber gefiel diese praktische Frau. Er lächelte angetan  „Und wenn jemand viel größer ist und der Barcode in Höhe der Brustwarzen richtig wäre?“

 

„Dann hat sie einen BH mit ihrem persönlichen Strichcode zu tragen, Herr Chef Streber.“

 

„Und wenn’s ein Mann ist?“

 

„In diesem Fall schlage ich einen BH ohne Körbchen vor. Diese Vereinheitlichung hat höchste Priorität. Wo kämen wir hin, wenn jeder so herum laufen dürfte wie er wollte?“

 

„Genau meine Meinung“, kürzte Streber ab. „Hier deshalb ihre Uniform mit dem Schiffchen, dass sie bitte mit Haarnadeln an den Haaren fest stecken, ihr Buch mit der Straßenverkehrsordnung und ihre Mappe mit den Knöllchen.“

 

„Die Formblätter heißen Protokolle für Straßenverkehrsordnungswidrigkeiten der Bundesrepublik Deutschland. Ich habe mich schlau gemacht.“

 

„Nicht ganz“, schränkte Streber ein.

 

„Wieso nicht?“

 

„Weil die Bundesrepublik Deutschland keine Verkehrsordnungswidrigkeiten begeht.“

 

„Und eine Tube Kleber bitte.“

 

„Wofür?“ 

„Damit das Schiffchen hält, wie sie das Cappy nennen.“

So, lieber Leser, morgen geht’s los mit den Erfahrungen, die unsere Tess Poly mit Verkehrsteilnehmern macht.Jürgen Berndt-Lüders, Anmerkung zur Geschichte

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