Alfred Hermanni

Der einsame Teleporter

 

von Alfred Hermanni und Peter Jaskewitz                                          09.02.2010
(Alle Rechte vorbehalten)

Liebe Leser, am Anfang beginnt die Story wie die typische Geschichte eines Teleporters in Filmen und anderen SF- Stories. Teleporter springt in Bank, macht sich reich usw., eben klassisches Klischee. Aber in dieser Story ist das Ende eben anders und sollte zum Nachdenken anregen.  

Es ging mir gar nicht gut. Warum, wusste ich nicht. Aber eines wurde mir klar, es verschlimmerte sich von Tag zu Tag, von Mal zu Mal.

Das Dilemma bestand darin, dass ich mit niemandem darüber sprechen konnte, mit keinem Arzt, keinem Psychologen. Denn das, was ich beherrschte, durfte unter keinen Umständen bekannt werden. Sonst wäre ich nicht mehr sicher. Man würde mich jagen und hetzen, um die ganze Welt. Ich würde von allen Geheimdiensten zum Abschuss freigegeben. Und wenn sie mich erst hätten, würden sie mich erpressen, ausnutzen und vermutlich töten, um mich dann zu sezieren, auszuweiden und bis zur kleinsten Zelle vordringen. Sie würden versuchen, hinter mein Geheimnis zu kommen, um zu festzustellen, warum ich es konnte und wie ich es machte. Und dabei fing alles so unspektakulär an, damals...

 

 

Vor einem Jahr:

 

Ich blickte genau in die Mündung des Revolvers, der auf mich zielte.

Ein großes dunkles, den Tod versprechendes Loch, das sich nur einige Handbreit vor mir auftat, um mich ins Jenseits zu befördern.

Neben mir lagen schon vier andere: alles Opfer dieses Amokläufers, zwei tot, zwei andere lagen in ihrem Blut und wimmerten vor Schmerzen.

Ich war der nächste, das war klar. Er brauchte nur noch seinen Finger krümmen und das Projektil würde meine Stirn durchschlagen, am Hinterkopf austreten und mein Hirn verspritzen.

Ich hatte eine scheiß Angst. Eine Furcht wie noch nie in meinem knapp 33jährigen Leben. So knapp vor dem Ende begann ich zu zittern, unfähig ein Wort über die Lippen zu bringen, völlig erstarrt, stoned, nicht einmal in der Lage, einem Fluchtreflex nachzugeben. Meine Tüte mit den Einkäufen war mir aus der Hand geglitten, auf den Asphalt des Vorplatzes zum Supermarkt gefallen. Und so stand ich da und blickte wie hypnotisiert in die Mündung seiner großkalibrigen Waffe, die auf mich gerichtet war und nun in einigen Sekunden mein Leben beenden sollte. Ich sah, wie sich der Finger um den Abzugsbügel seiner Waffen krümmte, wie in Zeitlupe, guckte noch mal in diese tumben Augen... Reflexartig lief mir mein Urin die Beine hinunter, und eine weitere Inkontinenz-Steigerung bahnte sich an  - ich spürte es deutlich: Auch die Schließmuskeln wollten nachgeben (Seltsam, ob das immer so war, wenn es dem Ende zuging?). Und dabei wäre ich jetzt so gern zuhause, in Sicherheit vor diesem Maniac, der zu feige war, sich selbst die Kugel zu geben und Unschuldige mit hineinzog in sein inneres Wahngebilde. Wahrscheinlich wartete er auch noch auf ein SEK der Polizei, das ihm die schnelle, tödliche Kugel verpasste. Der war scharf auf einen Abgang mit Knalleffekt. Hauptsache die Show drin... Und vielleicht hat er sogar die anschließende Sonderberichterstattung und die Brennpunkt-Sendungen der TV-Kanäle eingeplant. „Die Rechnung dürfte sogar aufgehen, Du Scheißtyp!“, dachte ich noch.
An was man so alles denkt in den letzten Sekunden seines Lebens. Dabei wollte ich nur nach Hause, behaglich auf meiner Couch liegen, mit meiner X-Box spielen oder fernsehen, meine Chips verzehren und ein kaltes Bier genießen oder... egal, nur weg von hier!!

Intensiv und plastisch erschien diese Situation vor meinem geistigen Auge: eine über alle Maßen tiefe und sehnsüchtige Vorstellung, vom Zuhause und der Sicherheit auf meiner Couch.

 

 

 

… und nun saß ich hier, zuhause, auf meiner Couch in meiner kleinen Mietwohnung, die ich allein bewohnte. Noch immer mit einer totalen Scheißangst und zitternd, begriff ich gar nicht, was los war. Es gab nur eine Erklärung: Ich war tot. Mein Leben nach dem Tod beginnt auf meiner Couch. Blödsinn, dachte ich dann. Das Leben nach dem Tod beginnt wohl kaum mit einer Scheißangst und schon gar nicht auf einer Couch. Und nach dem Tod zu leben widerspricht sich sowieso. Entweder tot oder lebendig. Wäre ich tot lebendig, wäre ich wohl auch lebendig tot, glaub´ ich jedenfalls. Egal, was weiß ich.

Ich bin also gerade dem Tod entronnen und sollte eigentlich nicht über ihn philosophieren. Wieso bin ich dem Verrückten entkommen? Was ist geschehen, und wie habe ich das gemacht? War ich es überhaupt, oder Gott? War alles nur ein Traum? Nein, ein Traum war das nicht, denn etwas fehlte: meine Tüte mit dem Einkauf. Ich war gerade heraus dem Supermarkt, erinnerte ich mich, als der Amokläufer sein blutiges Werk begann. Vor Schreck habe ich meine Einkaufstüte fallen gelassen und blickte auch schon in die Mündung seiner Waffe...

Wenn ich das alles aber geträumt haben sollte, dann wäre es kein Wunder, dass die Einkauftüte fehlte. Ich kramte meine Geldbörse hervor, öffnete sie und zog den Kassenbon heraus. Das Datum stimmte, die Uhrzeit stimmte, und der Betrag ebenfalls.

Ich habe demnach nicht geträumt. Es ist tatsächlich geschehen. Ich habe dem Tod ins Auge geblickt und war Sekundenbruchteile später zuhause auf meiner Couch. Wie auch immer das passiert ist, es war ein Phänomen. Ich hatte keine Ahnung, null Checkung...

Langsam beruhigte ich mich, versuchte Ordnung in mein Gedankenchaos zu bringen und rekapitulierte das Geschehene:

 

Ich habe nichts getrunken, geraucht oder sonst was eingenommen. Ich war nur auf dem Weg vom Laden nach Hause. Ein Amokläufer tauchte auf und ballerte wild um sich herum. Ich blickte in das große schwarze Loch seiner Puste, ließ meinen Urin laufen, bekam einen Kackreiz (gegen den ich noch immer ankämpfte), fing an zu zittern und wollte nur noch heim auf meine Couch. Dort saß ich jetzt und grübelte. Es blieb einfach unerklärlich. Es sei denn...

Unmöglich, so etwas gibt es nicht. Höchstens in SF-Romanen oder in Hollywood-Filmen. Aber zunächst musste ich dringend aufs Klo, Kackreiz loswerden, unter die Dusche und so. Schnell entkleidete ich mich und packte die stinkende Jeans und Unterwäsche in die Waschmaschine. Gut, dass noch genug Waschmittel vorhanden war. Doch der unmögliche Gedanke nagte weiterhin in mir und arbeitete sich penetrant voran ins Kleinhirn: Es sei denn, ich wäre teleportiert.

Jetzt war es heraus. Aber teleportieren ist unmöglich! Wie sollte so etwas funktionieren, das kann es nicht geben. Oder doch? Bin ich nicht der lebende Beweis? Und wenn doch, sollte es dann nicht noch einmal geschehen können?. Probieren geht über studieren, heißt es doch, oder…?

Nachdem ich im Badezimmer meinen Darm entleert, mich beruhigt und gereinigt habe, ging ich erst einmal wieder zu meiner geliebten Couch.
Ich konzentrierte mich, dachte intensiv an mein Bett im Schlafzimmer, wollte mich dorthin teleportieren und ... fand mich nach wie vor auf meiner Couch sitzend wieder. So also funktioniert es nicht. Etwas fehlte. Aber was?

Wahrscheinlich war ich nicht konzentriert genug. Ich atmete mehrmals tief ein und aus, brachte Ruhe in meine Gedanken, fokussierte meinen Geist auf mein Schlafzimmer und blieb trotzdem auf meiner Couch sitzen.

So also auch nicht, irgendetwas musste mir den nötigen Kick versetzen. Was war jetzt anders? Worin lag der Unterschied?

Ich rief mir nochmals die ursprüngliche Situation ins Gedächtnis, und nun wurde es mir klar: der Revolver, der Amokläufer und die Todesangst…

Ich erkannte, dass die Todesangst der auslösende Funke gewesen ist. Angst versetzt bekanntlich Berge, zumindest hat sie aber meinen vor Furcht schlotternden Körper zur Couch befördert. Nur die Angst vor dem Tod hat es also möglich gemacht. Nur durch sie konnte ich den Willen, die Konzentration, mentale Kraft oder was auch immer aufbringen, um zu teleportieren.

Ich führte mir die ganze Situation noch einmal eindringlich vor Augen, merkte schließlich wie die Angst in mir hinaufkroch, sah fast das Projektil auf mich zu fliegen und ...lag auf meinem Bett im Schlafzimmer.

Eine vergleichsweise kurze Entfernung, gerade mal fünf Meter. Aber es hat geklappt. Noch einmal fokussierte ich mit dem Bild der auf mich zu fliegenden Kugel die Couch  ... und ich befand mit wieder auf meiner Lieblingsliegefläche.

Wahnsinn! Ich kann teleportieren. Ich weiß zwar nicht genau, wie ich es gemacht habe, aber anscheinend genügt es, mich auf den Zielort zu konzentrieren, um diesen Sprung zu machen. Allerdings durfte ich nicht vergessen, mich dabei an mein Angsttrauma zu erinnern.

Der nächste Sprung sollte etwas weiter gehen. In der Garage stand mein Auto, drei Etagen tiefer und quer über den Hof. Keine Sekunde später befand ich mich auf dem Fahrersitz meines Kleinwagens und fühlte mich nun ziemlich erschöpft. Der nächste Versuch, wieder auf meine Couch zu gelangen scheiterte, ich war mental einfach zu ausgelaugt, unkonzentriert und müde.

Im Handschuhfach lagen noch ein paar alte Traubenzuckerbonbons. Die kramte ich hervor, zerbiss ein paar davon, schluckte sie herunter und wartete einige Minuten.

Es klappte tatsächlich. Ich war wieder auf meiner Couch. Ich konnte tatsächlich teleportieren. Hätte mir das jemand heute Morgen gesagt, dem hätte ich einen Arschtritt verpasst und ihn ausgelacht.

Aber jetzt war alles anders. Jetzt war ich ein ... Freak. Ein Monster? Ein Mutant, ein paranormal Begabter?

Diese Fähigkeit würde mein Leben verändern, das wurde mir plötzlich klar. In welche Richtung, sollte sich allerdings noch zeigen.

Aber jetzt war ich erst einmal müde, hundemüde und wollte schlafen. Ich trollte mich ins Schlafzimmer, allerdings zu Fuß, und ließ mich langsam ins Bett nieder. Ohne dass es mir gelang, mich zuzudecken, schlief ich auf der Stelle ein.

 

 

Ich erwachte mit Herzklopfen, schweißgebadet und wie gerädert. Die Träume der Nacht waren allesamt Albträume, an die ich mich kaum mehr richtig erinnern konnte. Vielleicht war das auch besser so.

Es befand sich so gut wie nichts im Kühlschrank. Kein Wunder, meine Einkäufe waren ja per du nach dem letzten Abend. Also kramte ich mein letztes Kleingeld zusammen und begab mich zur Bäckerei um die Ecke. In die Nähe des Supermarktes traute ich mich nicht, meine Beine wollten nicht in diese Richtung… Unterwegs fielen mir bereits die Schlagzeilen des vereinigten Bunte-Blätter-Waldes auf, und ich sah die blutigen Bilder der Opfer des Amokläufers.  Ein flüchtiger Zeuge wurde gesucht… Der Amokheini wird ziemlich blöd geguckt haben, als ich so mir nichts dir nichts vor seinen Augen verschwand. Seine SEK-Kugel hat er tatsächlich kassiert. „Glückwunsch, hast´e Dir auch hart erarbeitet!“, dachte ich sarkastisch. All das war eine letzte Bestätigung für mich. Ich war also weder verrückt noch hat mich meine Erinnerung betrogen. Die restlichen Selbstzweifel verflogen.
Nach einem ausgiebigen Frühstück fühlte ich mich reichlich gestärkt. Soviel wie an diesem Morgen aß ich gewöhnlich nicht einmal an einem ganzen Tag. Ich ging hinunter zum Briefkasten und schaute nach der Post. Neben reichlich Werbung fand ich auch den erwarteten Brief von meiner Hausbank.

Zurück in der Wohnung öffnete ich ihn. Nach der üblichen Begrüßungsfloskel kam man endlich zur Sache. Wie schon vermutet, wurde mein Kreditantrag abgelehnt. Dabei war der Kredit so wichtig für mich. Nicht ausreichend vorhandene Sicherheiten, kein Bürge, und Bla, Bla, Bla... Seit meiner Jugend hatte ich dort mein Konto, über zwanzig Jahre. Noch nie hatte ich das Konto überzogen oder war sonst wie negativ aufgefallen. Aber die jetzige Wirtschaftskrise, von den Banken selbst verursacht, ließ wohl keinen Spielraum für das nicht einmal besonders hohe Kreditbegehren an einen Stammkunden, verdammte Scheißbank.

Dass ich durch die Krise selber viel Geld verloren hatte, war denen wahrscheinlich völlig egal. Erst verarschten sie mich und jubelten mir heute wertlose Zertifikate unter, angeblich hundertprozentig sicher, quatschten mir täglich eine Frikadelle ans Ohr und sind für mich plötzlich telefonisch nicht mehr erreichbar. Und für ein persönliches Gespräch braucht es nun plötzlich einen Termin. Drecksbande. Ich brauchte das Geld so dringend, sonst kann ich meine Pläne für die Selbstständigkeit aufgeben.

Wieso eigentlich aufgeben? Ich könnte mir das Geld beschaffen, ohne das sie es bemerken würden. Nur wundern würden sie sich...
 

Langsam reifte in mir ein Plan. Na klar wäre das illegal, genauso illegal wie sie mir wertloses Papierzeug als sichere Anlage zu verkauft haben. Sicher, ich bin selbst schuld, die aber auch. Ich würde mir nur das zurückholen, was ich durch sie verloren habe. Und zwar noch heute, in ihrer Mittagspause.

Bis dahin waren es aber noch einige Stunden. So hatte ich also Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich den Coup bewerkstelligen konnte. Schließlich musste ich mit Sicherheitskräften und Kameras rechnen, auf deren Bildern ich ansonsten zu erkennen wäre. Es galt, mich gut zu tarnen und vorher heraus finden, wo sich die Kameraobjektive befanden. Den Gedanken, alles in der heutigen Mittagspause zu machen, verwarf ich gleich wieder, zu überhastet kam er mir jetzt vor. Nein, gut Ding will Weile haben.

Ich würde auch nicht die Zweigstelle meiner Hausbank ausnehmen, sondern mir die Hauptstelle in der Stadtmitte vornehmen.

Vorher musste ich noch ein paar Kleinigkeiten besorgen und machte mich auf den Weg.

 

 

 

Es war spät in der Nacht. Die Dunkelheit war mein Freund. Ich war ganz in schwarz gekleidet, mein Gesicht war geschwärzt, meine Augen von einer schwarzen Brille verborgen, und ein dichter schwarzer, aber künstlicher Vollbart tarnte mein Gesicht. Sogar die Zähne hatte ich mit schwarzer Lebensmittelfarbe bemalt und mir Latexhandschuhe angelegt. Eine zufällige Begegnung mit einer Polizeistreife würde schon reichen, mich in diesem Aufzug vorsorglich einzusperren. Aber nichts geschah. So stand ich bald in der Nähe des Hintereinganges der Bank. Ich suchte und fand eine der Überwachungskameras. Mit schwarzer Lackfarbe besprühte ich die Linse. Zuvor  hatte ich noch herausgefunden, dass Orte, die ich nicht kannte, für mich mit einem Teleportersprung nicht erreichbar waren. Ich musste sie vorher gesehen haben und mich später an sie erinnern können.

Leise ging ich nun zum Hintereingang und blickte durch den Türspion ins innere. Nur schwer war der Innenraum zu erkennen, aber  mir reichte es. Kaum fokussiert, mich an die Angst erinnert und schon war ich drinnen.

Durch das Glasfenster der Zwischentür drang jetzt ein wenig Licht an meinen Standort. Ich blickte mich suchend um und bemerkte hier zu meiner Erleichterung keine Überwachungskameras. Aus der tiefer liegenden Etage hörte ich leises Stimmengemurmel und schlich auf Zehenspitzen die Treppe herunter. Die Stimmen wurden ein wenig lauter, und ich konnte bald darauf erkennen, dass es sich um zwei Wachleute handelte, die das Fußballspiel vom Wochenende analysierten. Sie stritten darüber, welcher Spieler das Heimspiel vermasselt hat. Hätte ich auch gern gewusst, aber dafür war jetzt keine Zeit.

Durch eine offene Tür fiel mein Blick auf mehrere Bildschirme. Auf zwei von ihnen erkannte ich den Tresorraum. Ein Bildschirm war schwarz, wohl der, dessen Kamera ich besprüht hatte.

Die beiden Sicherheitsmänner saßen an einem Nebentisch, tranken gemütlich Kaffee und rauchten, trotz eines Verbotsschildes. Was eine Dienstauffassung! Mir war es aber recht. Jetzt sah ich, was ich sehen wollte. Ich konzentriert mich und sprang in den Tresorraum.

Umgeben von Geld war ich nun. Wie Dagobert Duck kam ich mir vor. Jetzt ein Bad in Goldmünzen, dachte ich selbstironisch. Aber dafür war jetzt keine Zeit. Schnell sprühte ich noch Farbe auf die Linse des Objektivs und fühlte mich gleich ein wenig sicherer  - Verkleidung hin, Verkleidung her.
Ich überlegte kurz, welche Währung ich mir greifen sollte. Na klar, Dollars und Euros. Ich stopfte die mitgebrachten großen Plastiktüten voll mit größeren Scheinen. Es dauerte keine 3 Minuten, und ich war zu Hause, bevor die Wachmänner ihre Zigarette halb aufgeraucht hatten. „Wer hat denn nun das Heimspiel vermasselt?“, dachte ich und stellte in einem Anfall von Größenwahn vor wie es auf sie wirken würde, wenn ich plötzlich vor ihnen auftauchte um genauer nachzufragen. Ich musste ob meines eigenen skurrilen Humors grinsen. Eine reine psychologische Entlastungshandlung, reiner Stressabbau, dachte ich in geradezu masochistischer Selbstanalyse. Aber diese Anwandlung war bald vorbei.
Allerdings wurde mir jetzt klar, dass ich einige Fehler begangen hatte. Mein plötzliches Erscheinen im Tresorraum war vermutlich aufgezeichnet worden. Denn dass die Wachmänner einen plötzlich schwarz gewordenen Bildschirm übersehen haben, war reines Glück. Und dass ich nicht alle Aufzeichnungen gelöscht hatte, war reine Dummheit, meine Dummheit. Denn trotz aller Tarnung gab es da vielleicht doch kriminologische Kunstgriffe, mich zu identifizieren. Man liest ja nicht umsonst in Krimis oder guckt sich CSI-Sendungen an. Ich bin ja auch kein Profi, tröstete ich mich. Trotzdem, diesen Fehler musste ich unbedingt korrigieren.

Also, mich an die Angst erinnert und noch eine Teleportation in den Raum vor der Hintertür, die Treppe hinab zum Überwachungsraum. Die Wachmänner tranken noch immer ihren Kaffee und redeten über Fußball. Leise schlich ich mich zu den Aufzeichnungsgeräten im offenen Nebenraum und öffnete die Ladefächer in den DVD- Recordern. Ich nahm die DVD-Speichermedien heraus, horchte nochmal in Richtung der Sicherheitsleute, schloss die Ladeklappen der Aufzeichnungsgeräte. Sie hatten nichts gemerkt und diskutierten weiter. Ich sprang zurück in meine Wohnung.

Sofort zerstörte ich die mitgebrachten DVDs und entsorgte sie gleich in einer Mülltonne, einige Hausblöcke entfernt von meiner Wohnung.
Nun erst begab ich mich zu meiner Beute, um die Geldscheine zu zählen. Das Ergebnis raubte mir den Atem. Fast halbe Million Dollars und etwa eine Million muntere Euros. Mehr hatte nicht in die Tüten gepasst. Aber ich war zufrieden. Vielleicht war ich auch etwas zu gierig und habe ein wenig mehr eingesackt als sie von meiner Geldanlage verbrannt haben. Aber Strafe, ..ähm…, eine gute Verzinsung des Verlustes muss sein, dachte ich ziemlich selbstgerecht. Jetzt war ich reich, total reich und  - ein Verbrecher! Ein gewöhnlicher Bankräuber. Wo war denn nun der Unterschied zu den betrügerischen Bankern, die nahezu alle Volkswirtschaften an den Rand des Abgrunds gebracht hatten? Auch ich war ein reicher Verbrecher, wie sie. Sollte mir das jetzt etwas ausmachen, ein Verbrecher zu sein? Ein unangenehmer Gedanke, den ich jedoch rasch verdrängte.
Nein, sagte ich mir. Ich war ja nicht nur ein Verbrecher, sondern auch ein Freak, ein Mutant oder was auch immer. Mein bisheriges Leben war ohnehin gänzlich auf dem Kopf gestellt. Nie mehr würde ich der sein, der ich bis gestern war. Alles würde sich von nun an ändern. Selbst wenn die Polizei herausfände, wer die Bank um ihr Geld erleichtert hat, sie könnten mich nie fassen. Nicht mit meiner Gabe. Wie sollten sie mich denn auch einsperren. Ich konnte kommen und gehen  - wie ich nur wollte. Ganz nach eigenem Recht.

 

Euphorie ergriff mich, und ich fühlte mich mächtig, sehr mächtig. Denn ich begriff nun, welche Macht in meinen Händen lag, eine Macht, die ich mir nie hatte vorstellen können. Und das mit meinem schlechten Gewissen  - Verbrecher und so -  bog ich mir meine Unschuld irgendwie mit der sprichwörtlichen Kneifzange zurecht. Ziemlich schnell erteilte ich mir die Absolution. Wie hätte ich denn sonst weiterleben können mit dem Bewusstsein, ein Krimineller zu sein, so wie andere Verbrecher auch.

Meine geplante Selbstständigkeit kloppte ich gleich in die Tonne, nie mehr müsste ich noch arbeiten, nie mehr dem Geld hinterherlaufen, nie mehr bei Banken darum betteln. Im Gegenteil: Bald würden die Banken bei mir um Geld betteln, ich könnte der reichste Mann der Welt werden, wenn ich... Ich schob diese Gedanken beiseite und beruhigte mich erst einmal.

Ich sah mir das Geld an und stellte zu meinem Bedauern fest, dass es druckfrische Banknoten waren, auch noch mit fortlaufender Seriennummer. Ich konnte das Geld also ohne Risiko nirgendwo auf ein Konto einzahlen und es einfach ausgeben. Das würde die Spur auf mich lenken. Ich musste es also ins Ausland bringen. Am besten in die Schweiz. Ich beschloss, am übernächsten Morgen in Richtung Schwarzgeldparadies aufzubrechen. Doch erst wollte ich ausschlafen, war ja schließlich ein stressiger Job, den ich hinter mir hatte.

 

 

Ein paar Tage später war ich wieder zu Hause. Die Fahrt in die Nähe der Schweizer Grenze verlief gemütlich. Vor der Grenze stieg ich aus und teleportierte nachts in einen Zürcher Park, quasi als Sichtschutz vor neugierigen Blicken, den ich mir vorher auf einer Postkarte angesehen hatte. Stellen sie vor, ich würde z. B. tagsüber so mir nichts dir nichts plötzlich vor staunenden Passanten auf dem Zürcher Paradeplatz vor der Credit Suisse auftauchen, von der Polizei verhaftet mit einer halben Million Euro mit fortlaufenden Seriennummer in einer Plastiktüte. Die Sache wäre schon sehr erklärungsbedürftig…
Zu groß schien mir auch das Risiko, an der Grenze bei einer Routinekontrolle aufzufliegen. Ich hatte auch nicht die Gesamtbeute mitgenommen. Erst einmal wollte ich mein Vorgehen testen. Aber die Eröffnung eines Nummernkontos ging völlig einfach vonstatten, obwohl ich zunächst nur eine halbe Million Euro einzahlte und ein völlig unverfängliches Kennwort wählte: Amok!!! (Richtig, mit drei Ausrufungszeichen als kleine Anerkennung für den Amokheini, Ha, Ha!). Die Schweizer Bankiers waren wahrscheinlich an ganz andere Summen und Kennwörter gewöhnt. Aber alles lief glatt. Ja, ja, jahrzehntelange Übung. Und der Dienstleistungsservice der Eidgenossen war vorbildlich…

Jetzt konnte ich an eine weitere Geldvermehrung denken. Ich überlegte mir, ob ich noch andere Banken ausnehmen oder tatsächlich nur meiner Hausbank einen Denkzettel verpassen sollte. Das Letztere versprach mir einen gewissen Reiz und persönliche Genugtuung.

Gesagt, getan, und in der Nacht erleichterte ich die Zweigstelle meiner Hausbank nochmals um eine Million Euro. Eine Stunde später erhielt die Hauptstelle Besuch und wurde von mir um zwei Millionen erleichtert. Es hatte den Anschein, als hätte man den Verlust noch gar nicht entdeckt. Das Geld deponierte ich in meiner Garage und benutzte einen Haufen leerer Kartons, deren Entsorgung ich schon seit Wochen vor mir hergeschoben habe. Grinsend dachte ich an den Sponti-Spruch: „Es gibt viel zu tun, warten wir es ab!“
 

Es begann mir Spaß zu machen. Ich war geradezu euphorisch und überlegte mir, welche Bank als nächstes dran glauben musste. Aber zunächst musste die Beute des letzten Raubzuges in die Schweiz gebracht werden. Dort trat man mir nun wesentlich respektvoller und höflicher gegenüber. Den Zinssatz hatte man auf meine Anfrage widerstandslos deutlich erhöht.

Die nächsten Wochen waren recht turbulent. Ich lernte mit der Zeit, meine Teleportersprünge leicht und mit einem Mindestmaß an Konzentration durchzuführen. Einer verstärkenden Vorstellung zum Angsttrauma des Überfalls durch den Amokläufer bedurfte es nicht mehr. Es reichte bereits, bewusst an eine Örtlichkeit zu denken, die ich irgendwann gesehen oder auf einem Foto erblickt hatte. Es war, als würde ein bedingter Reflex ausgelöst, und die Reaktion in Form eines Sprungs setzte zuverlässig ein. Meine neue Fähigkeit beherrschte ich immer besser, nahezu routinemäßig, und konnte nun auch große Entfernungen samt schwerem Gepäck per Teleportation zurücklegen. Das war aber nicht so gut für die Banken, weil ich statt Alditüten bald Umzugskartons (so schön  praktisch und leicht faltbar…) zum Verstauen des Geldes verwandte.

Jetzt, zwei Monate später lag mein Kontostand bereits bei ca. 120 Millionen Euro, verteilt auf verschiedene Schweizer Geldinstitute. Wahnsinn.

Meine kleine Wohnung in der Stadt hatte ich aus Gründen der Tarnung bisher nicht aufgegeben, und meinen Kleinwagen fuhr ich noch immer. Das aber wollte ich jetzt ändern.

Ein Haus mit Garten, oder lieber eine Villa mit Seeblick und Motoryacht? Einen Aston Martin oder lieber einen Ferrari? Oder zwei? BMW kommt auch nicht schlecht. Das waren die Sorgen, von denen ich immer träumte.

Es wurden einige noble Penthauswohnungen mit Blick über die Stadt, darunter in Frankfurt, Paris, New York, Dubai, und ich weiß nicht wo sonst noch. In den diversen Tiefgaragen standen Karossen von Mercedes SLC, BMW, Rolls Royce, fette Corvetten oder Ferrari. Und natürlich Harley Davidsons, die Traumvehikel meiner Jugend. Mein Outfit habe entsprechend angepasst: Ich bin jetzt ein Anzugträger und bewege mich in Kreisen, in denen über Geld und seine Herkunft nicht gesprochen wird. Mit der Zeit konnte ich meine Englischkenntnisse (Danke, liebe Eltern, die ihr mir diese Schulbildung ermöglicht habt) so verbessern, dass ich mehr als nur den Small Talk beherrschte und mich recht sicher auch auf internationalem Parkett bewegte. Meine Legende besteht darin: Privatier, Erbschaft, Geldanlagen...

Mittlerweile war mein Kontostand entsprechend schnell gestiegen, die Sprung-Routine macht’s. Mit etwa 2,5 Milliarden Euro schläft es sich recht angenehm. Gewissensbisse plagten mich nicht mehr, fühlte mich doch im Recht. Und als Freak soll man sein Leben ruhig genießen dürfen. Keine der Banken war pleite, nur deren Rückversicherungsprämien dürften gestiegen sein. Möglicherweise gab´s Staatsknete wegen Systemrelevanz der Geldinstitute und so. Dafür scheint es ja Geld genug zu geben. Und seltsam: Offiziell wurde nie bekannt, dass eine dieser Banken beraubt worden ist. Vermutlich wurde der Geldverlust mit einigen Bilanzierungstricks vertuscht. Nun, mir sollte es recht sein.
Gegen eine horrende Beratungssumme war man mir in der Schweiz behilflich, Kontakt zu einer Liechtenstein-Connection aufzubauen. Formell bin ich jetzt Direktor einer Stiftung, die mir monatlich ein üppiges Gehalt für meine Dienste zahlt. Stiftungszweck ist die „Erforschung rückstandsfreier Transportmöglichkeiten“. Ha, Ha…!

 

 

Ich wurde ein immer stärkerer Teleporter. Nach einem Jahr war meine Fähigkeit durch Routine und häufige Übung dermaßen ausgeprägt, dass mir ohne weiteres selbst ein Sprung von 20 000 Kilometern um die halbe Welt möglich war. Wahnsinn. Hongkong, Sydney, Karneval in Rio, Südafrika zur Fußball-WM, in Bangkok um die Häuser zieh´n  - alles kein Problem. Ein kleiner Nachteil war jedoch, dass ich meist im Schutz eines Waldes, Gebüsches, bei Dunkelheit oder im Sichtschutz einer Toilette materialisieren musste, um nicht durch mein plötzliches Erscheinen aufzufallen.
Geld bedeutete mir nicht mehr ganz soviel, aber wahrscheinlich nur, weil ich nicht mehr wusste, wie sich ein Zustand mit zu wenig Kohle anfühlt...

 

Und was sollte mich jetzt noch aufhalten? Nur ich selbst oder wirkliche höhere Gewalt konnten es. Und... ich tat es auch. Um eine schöne Frau zu beeindrucken, ich Blödmann.

 

Doch dazu gibt es eine Vorgeschichte:
Mir ist nun mal klar, dass viel Geld die hübschesten Frauen irgendwie magisch anzieht. Instinkt. Oder Geld macht sexy, lernte ich. In meinem Falle war es nicht anders. Aber nie ging es in die Tiefe. Und doch traf Amors Pfeil auch mich. Nach vielen One-Night-Stands und flüchtigen Bekanntschaften und mehr oder minder nutzlosen Frauengeschichten traf ich auf sie  - oder sie auf mich. Wie auch immer. Es war im Rahmen einer Vernissage, die eine Galerie in Frankfurt veranstaltete. Ein neuer farbverliebter Shootingstar sollte inszeniert werden. Ungeschickt wie ich so manchmal bin, stieß ich ihr Rotweinglas um. Zum Glück ist nichts Gravierendes passiert. Aber wir kamen ins Gespräch. Sie war wohl gerade ohne Freund und mir auf Anhieb sympathisch, roch gut und hatte diesen besonderen tiefgründigen Blick, auf den ich so abfuhr. Ein sinnlicher voller Mund. Und ein herrliches Lächeln, das fast immer auch ihre Augen erreichte  - blaue Augen, herrlich geschwungene Brauen und lange Wimpern, die eingebettet waren in ein Gesicht, wie es nicht mal Mona Lisa aufzuweisen hatte. Und wenn diese Augen die sprichwörtlichen Fenster zu ihrer Seele waren, dann habe ich das Paradies gesehen… Blondes volles Haar umrahmte ihr Gesicht, um dann auf ihre schmalen Schultern zu fallen, sie passte somit perfekt in mein Beuteschema. Und diese langen Beine, die eine so perfekte Komposition mit ihrer übrigen Figur bildeten. Ich war hin und weg, auf der Stelle, verliebt… Bis heute weiß ich nicht, wer wessen Beute war  - sie gab mir aber das Gefühl, dass ich sie erobert und verzaubert hätte. Ein schönes Gefühl, dort oben auf Wolke sieben…
Wir kamen uns näher und sahen uns immer öfter. Bald täglich. Katrin war bezaubernd. Und die Schmetterlinge in meinem Bauch kamen gar nicht zur Ruhe… Sie war eine hochgebildete und selbstbewusste Frau, die sich als freischaffende Künstlerin betätigte  - mit einer Affinität zu Amedeo Modigliani, dem großen französischen Maler, und dessen Gesichtern und langen Hälsen. Auch sie war nicht gerade arm und konnte ihr Leben aufgrund einer Erbschaft unabhängig und frei gestalten. Dass sie gerade meine Nähe suchte, machte mich glücklich. Und als ich durch einen Agenten eines ihrer Werke für teures Geld heimlich ankaufen und zentral in meinem Frankfurter Wohnzimmer installieren und beleuchten ließ, hatte ich ihr die richtige Referenz erwiesen und wohl auch vollends ihr Herz erobert. Es wurde eine intensive, flammende Liebesbeziehung. Ich dachte nur an sie und zählte die Tage, Stunden und Minuten ihrer Abwesenheit…

Irgendwann, einige Wochen später im Sommer, saßen wir bei einem Glas Rotwein im Wintergarten auf der Terrasse meiner Frankfurter Penthousewohnung und genossen den abendlichen Ausblick hoch über den Dächern. Wir kuschelten uns ganz romantisch aneinander, natürlich auf meiner geliebten alten Couch. Ich hatte sie in einer sentimentalen Anwandlung mitgenommen und ihr dort ihren Platz zugewiesen. In dieser romantischen Stimmung erwähnte Katrin beiläufig, dass sie mal wieder große Lust auf eine Shoppingtour in New York hätte.
Spontan und ohne darüber nachzudenken, nahm ich sie bei der Hand, und einen Lidschlag später befanden wir uns in meiner Penthousewohnung am Central Park. Ein großer Fehler, wie sich herausstellte.

Denn an diesem Punkt begann das Verhängnis, überraschend und mit katastrophalen Folgen. Es nahm seinen bitteren Lauf, unangekündigt und brutal.
Noch heute sehe ich ihre großen Augen vor mir, als sie verständnislos nach draußen blickte und erkannte, wo wir uns befanden. Dann brach sie langsam zusammen, ganz so als ginge ihr unablässig Lebensenergie verloren. Sie stammelte meinen Vornamen und griff nach meinen Händen. Fast schien es, als würde sie zunehmend fragil und transparenter. Ich streichelte sie, wiegte sie weinend in meinen Armen, bat um Vergebung und flüsterte zärtliche Worte der Liebe… - in der Hoffnung, sie zurück zu holen. Doch nach einigen Minuten fiel Katrin in Agonie und atmete nicht mehr. Sie erlosch wie eine Kerze im Wind. Ihr Herz hörte einfach auf zu schlagen. In meinen Armen starb sie dahin. Ich war schockiert, wie versteinert, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen.
Dann folgten die vielen Fragen und Selbstvorwürfe. Warum? Wieso starb sie nach einem Teleportersprung. Ich selbst hatte schon tausende Sprünge hinter mir und keinerlei Auswirkungen gespürt. Dennoch gab ich mir die Schuld und verfluchte den Amokläufer, der mich auf diesen Weg gebracht hat. Hätte er nur schneller abgedrückt und mich getötet… Katrin wäre dann noch am Leben.

Ich fand keine Antworten auf all diese Fragen. Nach stundenlangem Dahinstieren fand ich langsam zurück in die Realität. Ich musste versuchen, ihre Leiche ohne Aufsehen zu bestatten. Heimlich. Alles andere würde mein Todesurteil bedeuten. Aber wie und wo? Einfach in eine Wüste springen und sie den Geiern überlassen? Nein, auf keinen Fall, das hatte sie nicht verdient. In ein Krankenhaus und sie dort ablegen? Nein, die Spur hätte zu mir geführt.

Ich musste in Ruhe darüber nachdenken. In meiner jetzigen Verfassung würde ich ohnehin nur Fehler begehen, das war mir klar. Ich sah sie vor mir auf dem Boden liegen, ihre großen, offenen, aber leblosen Augen starrten ins Nichts. Und dann brach es wieder durch, ich begann hemmungslos zu weinen und danach zu schluchzen. Meine Trauer war unermesslich. Ich war schuld an ihrem Tod und konnte es einfach nicht fassen. Ich habe sie getötet, ich, der Freak, der verdammte Mutant. Nur weil ich angeben wollte, um sie zu beeindrucken, aus Überheblichkeit. Weil ich vergessen hatte, was ich mir selbst vorher geschworen habe. Niemals sollte jemand von meiner Gabe erfahren. Und aus einem Impuls heraus, vielleicht aus Eitelkeit, beging ich dann diesen großen unverzeihlichen Fehler.

Jetzt war ich hier, mit der Leiche meiner geliebten Gefährtin zu Füßen und ratlos, was zu tun sei. Niemand konnte mir jetzt helfen, allein musste ich eine Lösung finden. So schwer es mir auch fiel, sie durfte auf keinen Fall in nächster Zeit gefunden werden.

 

 

 

Es war Nacht. Im New Yorker Krematorium war es dunkel und sehr kühl. Mit einer Taschenlampe orientierte ich mich innerhalb der Räumlichkeiten. Ich wollte zunächst das Terrain sondieren, bevor ich mich zu weiteren Maßnahmen entschloss. Das Bild dieser Örtlichkeit hatte ich dem Branchenverzeichnis entnommen, in dem die Betreiber der Verbrennungsstätte ihre Dienste anpriesen. Es war ein schauriger Ort, der mir eine kreatürliche Furcht einflößte. Aber da musste ich durch, wollte ich Katrin noch einen letzten Liebesdienst erweisen

Ich ging leise durch die Leichenhalle und schaute mir die Särge an, bis ich den richtigen fand. Das Datum und die Aufschrift „Sarg bleibt geschlossen“ sagten mir, dass er vor der am nächsten Morgen stattfindenden Verbrennung nicht mehr geöffnet würde. Also löste ich die Verschlüsse und öffnete ihn. Ich machte mich auf einen unangenehmen Anblick gefasst, als ich den Deckel vom Sarg nahm. Dieser blieb mir aber erspart. Es lag lediglich eine ganz „gewöhnliche“ Leiche darin, keine Entstellungen oder Ähnliches, die mich belasten konnten. Ich berührte die Leiche und teleportierte mit ihr nur ein paar Meter zur Seite und legte den leblosen Körper auf dem kalten, gefliesten Boden ab. Danach sprang ich zurück in meine Penthousewohnung und holte Katrin, meine unglückselige Freundin. Traurig legte ich ihren toten Körper in den Sarg und verschloss den Deckel. Ich verharrte noch einige Zeit bei ihr, auch um meine Fassung wiederzugewinnen und um meiner Tränen Herr zu werden. Morgen früh würde sie verbrannt werden und nirgendwo mehr auftauchen.
 

Blieb jetzt noch das Problem mit der anderen Leiche. Natürlich hätte ich sie in irgendeinen anderen Sarg legen können, der zur Verbrennung freigegeben war. Aber das veränderte Gewicht hätte womöglich die Angestellten misstrauisch werden lassen, und die ganze Sache wäre dann aufgeflogen.
Aber ich hatte einen Plan. Ich sprang zurück in die Wohnung und zog mich warm an. Ich teleportierte zurück ins Krematorium, nahm die unbekannte Leiche bei der Hand und... teleportierte mit ihr zunächst an einen Ort in Feuerland, den ich bereits auf meinen Reisen kennengelernt habe. Die nächste Etappe führte mich in die Antarktis: zur deutschen Station, deren Bild ich in einem Journal gesehen hatte. Im Dämmerlicht des Südpols hatte ich einen guten Blick auf das dortige eisige Gebirgsmassiv. Dorthin sprang ich mit der Leiche auf Sicht und ließ sie in eine Gletscherspalte gleiten. Auch ihr entbot ich einen letzten respektvollen Gruß, indem ich mich in ihre Richtung verbeugte und mich gedanklich bei ihr für die Umstände entschuldigte.

Das Problem war gelöst, zumindest temporär. Wenn irgendwann, irgendwer diesen Körper fand, wäre das der Fund des Jahrhunderts, vielleicht ein neuer „Ötzi“, mitten in der Antarktis, dachte ich in einer Anwandlung schwarzen Humors kurz grinsend. Obwohl die ganze Aktion nur wenige Minuten gedauert hat, fror ich trotz der warmen Kleidung mittlerweile erbärmlich. Es wurde allerhöchste Zeit in eine meiner warmen Wohnungen zurück zu kehren.

Ich entschied mich für das Frankfurter Penthaus. Hier überkamen mich die ersten großen Zweifel, Unruhe breitete sich in mir aus. Ich haderte mit meinem Schicksal.

 

 

Zurück im morbiden Hier und Jetzt:

 

Es ging mir gar nicht gut. Warum, wusste ich nicht. Aber eines wurde mir klar, es verschlimmerte sich von Tag zu Tag, von Mal zu Mal.

Das Dilemma bestand darin, dass ich mit niemandem darüber sprechen konnte, mit keinem Arzt, keinem Psychologen. Denn das, was ich beherrschte, durfte unter keinen Umständen bekannt werden. Sonst wäre ich nicht mehr sicher. Man würde mich jagen und hetzen, um die ganze Welt. Ich würde von allen Geheimdiensten zum Abschuss freigegeben. Und wenn sie mich erst hätten, würden sie mich erpressen, ausnutzen und vermutlich töten, um mich dann zu sezieren, auszuweiden und bis zur kleinsten Zelle vordringen. Sie würden versuchen, hinter mein Geheimnis zu kommen, um zu festzustellen, warum ich es konnte und wie ich es machte. Und dabei fing alles so unspektakulär an, damals... als ich genau in die runde Mündung des Revolvers blickte.

 

Bald begann ich, mich auch körperlich krank zu fühlen, sehr krank. Es wurde immer schlimmer. Ich teleportierte morgens in die Tiefgarage, um mit dem Mercedes zum Arzt zu fahren. Den Weg zum Arzt fuhr ich fast wie in Trance und war froh, als ich nach der Untersuchung und einer Blutentnahme wieder gehen konnte.

Zuhause in der Garage angekommen, stellte ich den Wagen ab und sprang mit Mühe in meine in meine Wohnung. Zu Fuß ging es im Moment gar nicht. Bar jeglicher Empfindungen schleppte ich mich zu meiner Couch und schlief erst einmal. Nach Stunden wachte ich auf. Doch danach fühlte ich mich noch schlechter.

Und so ging es in den nächsten Tagen weiter. Mein Arzt konnte sich meinen Kräfteverfall nicht erklären. Sein Bemühen mir helfen zu wollen, war erkennbar (kein Wunder, war ich doch ein besonders gut zahlender Privatpatient). Ich wusste auch, dass ich einen der fähigsten Mediziner der Stadt vor mir hatte. Keinerlei Befund, einwandfreies Laborergebnis. Von meiner psionischen Begabung konnte ich ihm kaum berichten, wollte ich nicht in einer geschlossenen Abteilung der Psychiatrie landen.
 

 

Nach und nach machte ich mir selbst einen Reim auf meinen Zustand. Anscheinend bewirkten unnötige Teleportersprünge eine Verschlechterung meines Befindens, aber warum diese grauenhafte Hinfälligkeit, die mich außerdem völlig lähmte? Wer konnte mir eine Antwort geben, wen konnte ich überhaupt danach fragen? Ich zermarterte mir seit Tagen das Hirn und wurde zunehmend depressiver. Mein Lebenswille schmolz dahin.

Dann endlich fiel mir ein, dass ich vor ein einigen Monaten in einen Buch eines Parapsychologen gelesen hatte, der über einen indischen Guru berichtete. Dieser sollte angeblich über so starke Heilkräfte verfügen, die sich der Parapsychologe diese nur mit außerordentlichen Psi-Fähigkeiten erklären konnte.

Vielleicht sollte ich mal mit diesem Guru reden. Also googelte ich nach seinem Namen und wurde schnell fündig. Sogar die Adresse und Telefonnummer in Neu Delhi und Bilder seiner eher bescheiden wirkenden Residenz waren auf dessen Homepage zu sehen. Welch ein Glück. Nach mehrmaligen Klingeln bekam ich ihn sogar persönlich ans Telefon, und ich glaubte es kaum: auch einen kurzfristigen Termin für ein Gespräch am nächsten Morgen in seiner Zeitzone. Trotz meiner zunehmenden Schwäche mobilisierte ich meine letzten Kräfte und sprang 8 Stunden später nach Neu Delhi, um pünktlich dort zu sein, direkt in ein Gebüsch vor der Haustür seiner kleinen Residenz. Das Gebüsch habe ich mit Hilfe von Google Earth entdeckt. Es bot mir zunächst hervorragenden Sichtschutz. Ich war gut gerüstet mit internationalen Kreditkarten und Bargeld, um etwaige Kosten bei ihm bestreiten zu können.

Ich trat heraus aus dem Sträuchergewirr. Noch bevor ich anklopfen konnte, öffnete sich die Tür, und eine junge schöne Frau, vermutlich eine Schülerin, mit großen braunen Augen geleitetet mich lächelnd, aber schweigend in das Arbeitszimmer dieses seltsamen Gurus.

Vom Meister wurde ich ebenfalls freundlich und respektvoll begrüßt.
„Bitte, setzten Sie sich. Darf ich Ihnen einen Tee anbieten?“, fragte mich er mich lächelnd und stellte sich als Gowinda Prangh vor. Der Mann war von kleiner Statur und undefinierbaren Alters. Er trug einen sandfarbenen Umhang nach Landessitte und stellte eine selbstbewusste stolze Erscheinung dar, ohne jedoch arrogant zu wirken. Eine intensive charismatische Aura umgab ihn. Sein Lächeln gefiel mir, erreichte es doch seine sanften braunen Augen. Ich mochte ihn auf Anhieb und fasste sofort Vertrauen zu ihm. Etwas Hoffnung keimte in mir auf.
„Es geht Ihnen nicht gut. Sie fühlen sich krank“, stellte er ungefragt nach einem intensiven Blick auf mich fest.
„Ja, ich fühle mich sehr krank“, bestätigte ich. Nachdem ich ihm ausführlich von meinem leidvollen Zustand berichtet hatte, bot ich ihm selbstverständlich Geld für das Gespräch und eine etwaige Therapie an. Er lehnte jedoch dankend ab und erklärte, mit ruhiger Stimme, dass er sich und seine Maximen nicht über Geld definiere, aber durchaus eine Spende für ein regionales Entwicklungsprojekt akzeptieren würde. Das war doch mal ein Angebot, auf das ich sofort einging und 10.000,-- US $ in bar spendete. Er war beeindruckt. Ich erfuhr, dass er schon lange auf m
einen Anruf warte.
„Und wissen Sie warum?“, fragte er und blickte mir tief in die Augen.
„Nein, keine Ahnung“, antwortete ich.

Er fuhr fort: „Bevor wir weiter reden, muss ich Ihnen noch etwas erklären. Ich weiß fast alles über Sie. Ich bin in der Lage, jede psionische Aktivität, auf diesem Planeten zu erkennen, die vor sich geht, sie zu fühlen oder zu erspüren. Sie sind ein starker Teleporter und wurden dank ihrer Gabe sehr, sehr reich. Oder sollte ich sagen, Sie haben sich reich gemacht? Aber das spielt keine Rolle. Ich möchte Ihre Taten nicht moralisch bewerten. Sie sind nämlich der einzige Teleporter dieser Welt, und genau das macht Sie so interessant für mich. Doch jetzt sind Sie krank, und wir müssen herausfinden warum. Ich schätze, Sie waren bei einem Arzt, und der hat nichts entdeckt, richtig?“
„Ja, genau. Keinerlei Befund“, erwiderte ich.

Erzählen Sie mir bitte in allen Einzelheiten von ihren letzten Sprüngen!“, forderte er mich auf. Ich vertraute ihm alles an. Von den Bankrauben, vom Tod meiner Freundin bis hin zu den Sprüngen mit den Leichen.

Gowinda Prangh unterbrach mich.
„Halt, ich glaube wir haben eine wichtige Spur. Sie sprangen und nahmen Leichen mit, sagten Sie?“
„Ja, zweimal, und einmal von New York bis in die Antarktis.“
„Wie weit Sie sprangen, ist nicht von Belang, aber dass Sie mit Toten sprangen, sehr wohl. Sie müssen wissen, dass sich während der Sprungphase ihre Molekülstruktur kurz mit der des mitgenommenen Objektes vermischt. Bei der Materialisation entmischt sich die Struktur gewöhnlich. In ihrem Fall, vermute ich, dass ein Rest der Nekrotoxine in Ihnen verblieben ist. Allerdings in molekularbiologischen Bereichen, die nicht durch normale medizinische Diagnosen erkannt werden können. Ich vermute, dass der ganze Bereich im Zentrum Ihres Gehirns verseucht ist, und zwar dort, in dem die psionische Aufladung erfolgt. Mit den üblichen Mitteln der Medizin ist das nicht erkennbar oder gar behandelbar“, trug Gowinda Prangh vor.

Was kann ich nun tun, kann überhaupt etwas für mich getan werden?“, fragte ich nach dieser für mich schrecklichen Mitteilung ohne viel Hoffnung. Wie gewonnen, so zerronnen, dachte ich. Es trifft dich nur die gerechte Strafe! folgerte ich voller Selbsterkenntnis.

Aber der Meister beruhigte mich.
„Da Sie der einzige Teleporter dieser Welt sind, verfüge ich naturgemäß nicht über viel Erfahrung in diesem Bereich. Aber ich hatte schon mit Telepathen, Telekineten, Hellsehern und anderen Medien zu tun. Daher glaube ich dennoch, dass ich Ihnen helfen könnte.
Springen sie weiter, aber mit lebenden Objekten, vorzugsweise mit Menschen“, riet er mir. „Vielleicht „verdünnen“ sich die Nekrotoxine nach und nach. Ich bin zwar guter Hoffnung, garantieren kann ich es jedoch nicht“, ergänzte er.

Mit anderen Menschen, lebenden Menschen, das hatte ich schon, und sie ist gestorben“, erklärte ich. Der Guru entgegnete: „Sie war schwach, geschockt, nicht darauf vorbereitet. Und das Psi-Zentrum ihrer Gefährtin war vermutlich nur rudimentär ausgebildet. Sie sollten wissen, dass jeder Mensch ein Psi-Zentrum besitzt, mal stärker, mal weniger stark. Wenn ein so starker Psi-Begabter wie sie auf ein anderes Psi-Zentrum trifft, kann das schwächere im übertragenen Sinne einfach durchbrennen. Während des Sprunges mit ihrer Freundin haben sich ihre Zentren während der Materialisation vermutlich verschmolzen, und das stärkere Zentrum hat sich das schwächere, sagen wir mal einverleibt, es schmelzen lassen, oder wie auch immer“, dozierte der Guru.

"Was kann ich nun machen?“, wollte ich wissen.
„Ganz einfach, springen Sie mit mir!“, sagte er.
„Mit Ihnen?“, erwiderte ich erstaunt.
„Ja, mit mir. Ich bin stark, stärker als Sie glauben, und als Katalysator tauge ich allemal. Ich bin zwar noch nie teleportiert, aber ich freue mich schon darauf“, sprach er mit einer Autorität, die keinen Widerspruch duldete. „Und wir wollen auch niemanden sonst gefährden, der nicht vorbereitet ist. Oder? Nicht zuletzt bleibt dann ihr kleines Geheimnis gewahrt, wenn sie mir vertrauen wollen“, fügte Gowinda Prangh noch hinzu. Die Kost und Logis sollten aber auf meine Rechnung gehen, darauf bestand er.

 

 

Und wir sprangen, was das Zeug hielt. Der Guru hatte seinen, Spaß, lernte er doch Länder und Städte kennen, die er noch nie gesehen hat  - alles gratis, zumal er, gemessen an den Verhältnissen des Geldadels, recht arm war. Aber Gowinda Prangh war auch ein guter, listiger Pädagoge, das ging mir erst viel später auf. In der Auswahl seiner Reiseziele, zu denen ich mit ihm sprang, war er sehr seltsam  - wie mir zunächst schien. Nur selten waren es die großen pompösen Bauwerke oder gar touristisch interessanten Ziele dieser Welt, die er sich ansehen wollte. Immer wieder fand ich mich mit ihm in den Slums und sozialen Brennpunkten dieser Erde wieder. Ich glaubte es einfach nicht. Eine Teleportation nach Rio führte uns nicht zum Zuckerhut, nein es waren die Müllkippen und Elendsviertel dieser von Bandenkriegen gemarterten Stadt. Ebenso lernte ich Manila nicht von seiner Schokoladenseite, sondern im Zentrum ihrer Elendsquartiere kennen. In New York und Detroit schritten wir durch die Slums, und niemand tastete uns an. Nicht anders war es in Port-au-Prince in Haitis Hardcore-Hauptstadt. Oder in den Zeltstädten Darfurs, bei den geschundenen Flüchtlingen im Westen Sudans. Heute weiß ich, dass es seine Aura war, die uns unbehelligt bleiben ließ. Nach und nach kamen mir verschiedene Einsichten. Ich schämte mich sehr ob meiner früheren Oberflächlichkeit… Der Anblick all dieser Not sprach für sich. Der Meister musste nicht argumentieren, und als ich mir nach einem Besuch eines indischen Steinbruchs, in dem kleine Kinder Figuren aus Granit schlugen, heimlich die Tränen trocknete, da nickte er weise  - wie konnte ich auch nur glauben, meinen Zustand vor ihm geheim halten zu können?

Etwa einen Monat später ging es mir wieder richtig gut. Ich war geheilt. Mehr noch, ich war ein Anderer geworden, glaube ich…  
Der Meister hat mir etwas sehr Wichtiges vermittelt: Meine Kraft gehörte allen Menschen und war mir von der Natur nicht zur persönlichen Bereicherung geschenkt worden. Es galt, sie nützlich und sozial einzusetzen  - den Menschen zu helfen, die Hilfe am dringendsten nötig hatten. Die Sprungtherapie des Meisters hatte meine Energien geweckt und mir einen Lebenssinn vermittelt.

 

Es wurde Zeit Abschied zu nehmen. Voller Zuversicht blickte ich in die Zukunft, ein wenig traurig nur, sobald ich an Katrin dachte.
Gowinda Prangh sah mich an, als ich erkennen ließ, dass es nun die Zeit wurde. Er lächelte sein Lächeln und zeigte seine Freude an meinem Tatendrang, obwohl er nicht wissen konnte, was ich konkret zu tun gedachte.
„Wer früher stirbt, ist länger tot!“, scherzte er und fügte hinzu: „Halt´ dich fern von Leichen, sie bekommen dir nicht.“ Sieh an, dachte ich, in jedem Yogi steckt auch ein Freak oder Sponti. Wir umarmten uns, und weg war ich mit einem schnellen Sprung, um meine Tränen der Rührung zu verbergen, denn er war mir ans Herz gewachsen. Das satte „Plopp“ nach meinem Sprung hörte nur noch Gowinda Prangh, als die Luft in das entstandene Vakuum drang.

 

 

Mein Konzept stand fest. Zunächst wollte ich einige der überflüssigen Penthousewohnungen und Fahrzeuge verkaufen. Ein bis zwei davon reichten völlig. Nur eine der Harleys und den Mercedes SLC wollte ich behalten. Und die Milliarden? Geld kann man bekanntlich nicht essen, soll vor langer Zeit ein kluger Indianer dem weißen Mann verkündet haben. Recht hat er, das habe ich nun endgültig erkannt.
Nach und nach wollte ich die Milliarden in Form anonymer Spenden in mir sinnvoll erscheinende Projekte stecken, in Bereiche, in denen es Not tat  - allerdings in Deutschland, im Ruhrgebiet, aus dem ich komme. Die großen globalen Aktionen wollte ich Bill Gates und den anderen Champions überlassen. Man muss wissen, in welcher Liga man spielt. Meine läppischen 2,5 Milliarden waren ein Nichts gegen die Summen, die Billy mit seiner Stiftung aufbieten konnte. Und wenn wir schon von Geld sprechen: Ich brauche keine Milliarden, mir reichen ein paar Milliönchen. Und wenn ich mal knapp bei Kasse bin, hol´ ich mir Neues aus einem der Tresore. Sie wissen schon wie.
G
estern las ich im Regionalteil einer Ruhrgebietsstadt von den finanziellen Problemen einer Suppenküche, das Frauenhaus muss Stellen streichen, wenn kein Zuschuss kommt, einige Kindergarten-Initiativen gehen finanziell am Stock, der Förderverein einer Schule hat Geldsorgen, dem Kinder-Hospiz droht der finanzielle Kollaps… Es gibt also genug zu tun. Hier kann ich `was bewegen, schon Morgen. Einige Stipendien für die Bildung hochbegabter Kinder schweben mir ebenfalls vor. Na ja, mal sehen. Man muss nur die Augen offen halten. Tu´ Gutes und rede nicht darüber, dachte ich Abwandlung des bekannten Spruches, der Henry Ford zugeschrieben wird. Denn auf Spendenbescheinigungen oder eine verkaufsfördernde öffentliche Wirkung kam es bei mir ohnehin nicht an.

 

Von meiner Frankfurter Dachterrasse beobachte ich bei einem Glas Rotwein versonnen den Sonnenuntergang, natürlich sitze ich wieder auf Lieblingscouch. Gutes altes Möbelstück, Relikt aus einer Zeit des täglichen Kampfes im Jammertal von Hartz IV. Aber das gehört der Vergangenheit an. Als ich die Ereignisse des letzten Jahres so Revue passieren lasse, ertappe ich mich bei dem morbiden Gedanken, dass die völlig beknackte Aktion des Amokheinis ungewollt etwas Positives bewirkt hat. Sie hat nicht nur meinem Leben einen echten Superdrive und Sinn gegeben, sondern in vielfacher Hinsicht auch weitere Perspektiven eröffnet  - z. B. im Hinblick auf meine künftige Sozialarbeit.
Ich denke noch oft an Katrin und tröste mich mit dem Gedanken, dass mich mein letzter großer Teleportersprung irgendwann durch den großen unsichtbaren Schleier in ihre Welt bringt. Spätestens dann wird sie mich in ihre Arme schließen... Ich hoffe, sie ist heute zufrieden mit mir und meinen Absichten, wenn sie gerade durch den Schleier zu mir blicken sollte.

Und die Liebe?“, werden sie fragen. Nun, da verlass´ ich mich ganz auf Amors Pfeile. Entweder legt er an und trifft, oder eben nicht. Eine Chance hat er natürlich nur, wenn er mich sieht und ich nicht gerade auf dem Sprung nach irgendwohin bin…

Aber bis dahin bleibe ich wohl der einsame Teleporter, zumindest in dem Wissen um meine besondere Fähigkeit… Bis auf Gowinda Prangh sollte auch niemand davon erfahren.

 

 

Ende

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.02.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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