Wolfgang Scholmanns

Wo Liebe stirbt (Ein mahnender Traum)

Und wieder gab mir irgendetwas das Gefühl hinaus zu müssen, hinaus in die Nacht. Es war schon die dritte Nacht in Folge, in der ich Spaziergänge unternahm. Immer, wenn der dumpfe Klang der Kirchenglocke die mitternächtliche Stunde ankündigte, hielt mich nichts mehr in meinen vier Wänden. Tief versunken in seltsame Gedanken, führte mich mein Weg zu der alten Friedhofsmauer, die im fahlen Laternenlicht einen dunklen Schatten auf den Gehsteig warf.
Als ich nach einigen Minuten den Friedhofseingang erreichte, griff ich plötzlich, wie von Geisterhand geführt, an die Klinke des großen Tores. Ich bemerkte, dass es nicht verschlossen war und wunderte mich über die Leichtigkeit, mit der es sich öffnen ließ. Bei den letzten Friedhofsbesuchen musste ich immer kräftig gegen das Gitter des Tores drücken um es bewegen zu können.
Plötzlich drangen, aus der nächtlichen Stille weinende Klänge, die wohl von einer Violine stammten, an mein Ohr. Ich konnte nicht anders, musste diesem  Jammergesang einfach folgen. Vorbei an den alten Kastanienbäumen, die im Licht des Vollmondes gespenstische Grimassen auf die Gräber malten, blieb ich plötzlich vor einem Grab stehen, aus dem sich diese weinenden Klänge in die stille Nacht hoben. Auf einem verwitterten, hölzernen Kreuz war in großen Buchstaben das Wort – Liebe – eingeritzt. Unten am Fuß des Kreuzes blinkte ein Licht und als ich näher hin sah bemerkte ich, dass dieses Licht mich auf ein Buch aufmerksam machen wollte, das sich auf dem Grabhügel befand. Ich bückte mich, wollte es gerade aufheben, da verstummten die weinenden Violinenklänge. Ein plötzlich aufkommender kalter Wind öffnete das Buch. Ich war erstaunt, denn in seinem Inneren befand sich nur eine einzige Seite.
Im Schein des Vollmondes las ich die Zeilen, die hier niedergeschrieben waren:

Nun sind euch Menschen noch geblieben,
der Krieg, das Elend und die Not.
Von Neiden, Hass und Gier getrieben,
stets nur den eigenen Weg beschrieben,
teiltet ihr nie das tägliche Brot . 
Auf eigenen Vorteil nur bedacht,
um an Erfolgen sich zu laben,
aus Gier nach Reichtum
und nach Macht,
wurde die Liebe nur belacht,
die hier, in kalter Gruft, begraben.
 
Aufgeschreckt, erwachte ich aus meinem Traum. Aus dem Lautsprecher des Fernsehers drangen Schreie. Die Nachrichtensendung lief. Man berichtete von Krieg und Elend auf unserer Welt.
 

 


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.02.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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