Hardy Schneck

Krumbatte raffe (Kartoffelernte) 1948

Ja das war noch eine schöne Zeit. Der Spätsommer 1948. Ich war damals gerade einmal vier Jahre alt und doch ist es mir, als wäre es gestern gewesen. Wir wohnten in einem kleinen Dorf mit 157 Seelen in den Ardennen, hoch in der Eifel. Mein Vater tat Dienst als Zollbeamter an der luxemburgischen Grenze und meine Mutter war "nur" Hausfrau und Mutter. Wir lebten dort bis 1952 und es war eine ruhige und friedvolle Zeit. Doch nun zur Geschichte: Im Dorf gab es damals noch keinen Traktor und keine Pferde. Nur einige Ochse als Zugtiere hatten manche der Landwirte. Als nun im Spätsommer die Kartoffelernte anstand, machten auch die Familienangehörigen der Zollbeamten an der Ernte mit.So gingen also meine Mutter und ich zusammen mit noch acht weiteren Personen zum Bauern, oder richtiger, zur Bäuerin "Susanna". Sie herrschte über ihren Hof alleine, weil ihr Mann in den Kriegstagen Opfer einer Tretmine wurde, die ihn samt Ochsengespann in die Luft sprengte. Ein paar Haare und die Tabakdose war alles was von ihm übrig blieb.Da es in der dortigen Einöde so gut wie keine Männer mehr gab, mußten die Frauen und Kinder bei der Feldarbeit tatkräftig mithelfen. Susanna hatte da noch Glück. Sie hatte wenigstens noch einen Knecht namens Theo, der als Soldat hier hängen geblieben war und mit ihm schmiss sie ihren Hof.Heute also ging es ins Feld. Die Kartoffeln, wichtigstes Nahrungsmittel überhaupt, waren erntereif und alle freuten sich darauf, die goldgelben Knollen zu sammeln.Es war immer wieder ein Erlebnis, diese Ernte. Schon früh am morgen brachen wir auf. Jeder hatte seinen Beutel dabei mit Wasserflasche und Brotdose, manche hatten sogar Thermosflaschen mit dem damals bliebten "Lindes Kaffee", einem Kaffee Ersatz aus Getreide.Am Feld angekommen, wurden die Körbe verteilt und einige stellten schon mal die Säcke auf. Dann kam Theo mit dem Ochsengespann und der Erntemaschine, einem einfachen Gerät das durch vier sich drehende krallenähnliche Greifer, die Kartoffeln aus der Erde klaubten. Zwar blieben immer noch einige übrig, die durfte man sich nach der Aberntung "raffen" und behalten. Das alles ging ziemlich gemächlich vonstatten, da die Ochsen bekanntlich keine Rennpferde sind. So wurden also die 'Krumbatte', wie die Einheimischen die Kartoffeln nannten, eingesammelt und in die Säcke aus Jute verbracht. Wir Kinder hatten die Aufgabe, zumindest die Jüngeren, das welke Kartoffelkraut einzusammeln und auf einen Haufen zu werfen. Abends sollte es dann, ähnlich einem Lagerfeuer verbrannt werden und das war für uns immer der Höhepunkt. Als um zwölf Uhr die Mittagsglocke des kleinen Kirchleins läutete rief die Susanna laut:"Mättisch" (Mittag). Alle gingen nun auf den Waldrand zu und im Schatten der Bäume wurde gegessen und getrunken. Die Bäerin hatte für uns "Kanner" (Kinder) extra eine groe Kanne "Maläsch" (Milch) bringen lassen, die wir gierig tranken. Es wurde geredet, gelacht und der Theo erzählte immer wieder Geschichten aus seiner Heimat, er kam nämlich aus Schlesien, die stets vom Berggeist "rübezahl" handelten und dessen Abenteuer im Riesengebirge. Dann ging es weiter und so gegen Schlag sechs war die Arbeit getan.Das kleine Feld war sauber abgeerntet und 28 Säcke wurden auf den Leiterwagen geladen. Theo fuhr schuon los zum Hof. Die Bäuerin und die beiden ältesten Söhne, Rudi (11) und Paul (9) hatten das Privileg, den Krauthaufen anzuzünden, was sie auch mit Eifer und Stolz taten. Fasziniert schauten wir alle in die Flammen. Noch heute habe ich den herrlichen Geruch des Rauches in der Nase, wenn ich daran denke. Die Frauen sangen "...am Brunnen vor dem Tore" und andere Volkslieder und wir Kinder warfen unsere "Broatkrumbatte" (Bratkartoffeln) mitsamt der Schale in die Glut. Wie friedlich dies alles war. Unten im Tal das kleine Dörfchen mit dem Bach und den saftigen Wiesen, kein Laut war zu vernehmen, außer dem heiseren Ruf der Krähen. Kaum zu glauben, dass noch vor dreineinhalb Jahren hier, genau hier der schreckliche Krieg tobte. Wenn man den Kopf wendete und zum Hügel schaute, sah man überall noch die gesprengten Bunkeranlagen des sogenannten "Westwalls", der die Alliierten aufhalten sollte und doch nichts brachte. Doch das war gestern und heute ist Frieden. Wir zogen uns mittels Stöcken unsere Kartoffeln aus der Glut, spießten sie auf und .."Dreck macht Speck" aßen sie mit einem Heißhunger. Nie wieder haben mir Kartoffeln so gut geschmeckt wie damals bei der Ernte. Als Lohn für die  Arbeit bekam meine Mutter einen Zentner Kartoffeln und durfte auch noch nachlesen. Abends zu Hause rochen unsere Kleider nach Rauch und Freiheit. Tolle, schöne Kinderzeit.

Copyright by Hardy Schneck 2010

Ich war vor zwei Jahren nochmals in dem Dorf. Viel verändert hat es sich nicht. Die Straße ist neu und ein paar Häuser mehr. Auf dem damaligen kartoffelacker steht heute ein großer Starkstrommast.Von den Bunkern sind nur noch Hügel zu sehen, Man hat einfach Erde auf die Trümmer geschüttet und bepflanzt.Hardy Schneck, Anmerkung zur Geschichte

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Hardy Schneck).
Der Beitrag wurde von Hardy Schneck auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.03.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Der Autor:

  Hardy Schneck als Lieblingsautor markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Tambara: Oh Stadt, oh meine Stadt von Heike M. Major



Tambara ist unser Traum von einer perfekten Stadt, einer Stadt, in der die Wirtschaft floriert, nachwachsende Organe und eine optimale medizinische Versorgung Gesundheit und ein langes Leben garantieren und ein breites Freizeitangebot die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Bürger befriedigt. Doch einigen Städtern ist dies nicht genug. Sie ahnen, dass ihnen etwas vorenthalten wird, etwas, von dem sie instinktiv spüren, dass es ein Teil von ihnen ist. Sie stöbern in der Vergangenheit und entdecken ... die Natur. Doch Nachforschungen sind nicht gern gesehen in der Stadt Tambara. Informationen verschwinden aus dem »Net«, und auf eine rätselhafte Weise verschwinden auch die Bürger, die sich dafür interessieren. Auf der Suche nach ihren spurlos verschwundenen Eltern entdeckt Soul den Getreidekonzern, ein Reservat, das von drei Klonen geleitet wird. Mit ihrem Bruder Reb und den Freunden Mortues und Botoja will sie das Geheimnis der Klonbrüder erkunden. Doch Geduld ist nicht gerade Souls Stärke. Noch bevor die anderen ihre Vorbereitungen beendet haben, ist sie schon auf dem Weg ins Reservat […]

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Erinnerungen" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Hardy Schneck

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

SAFARI von Hardy Schneck (Humor)
Schatten an der Wand von Mirjam Horat (Erinnerungen)
Englischer Humor von Rainer Tiemann (English Stories)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen