I.
Eila ist 34, geschieden, lebt in
einer 3,5 Zimmer Wohnung, ist von Beruf Lektorin in einem Verlag für Gesundheitsratgeber,
hat einen festen Freundes- und Bekanntenkreis, steht mit beiden Beinen im Leben
und beschäftigt sich mit Esoterik, Meditation, Seelen.
Sie hat die Gabe, Menschen in
vergangenen Leben zu erkennen, Visionen aus der Vergangenheit ihrer eigenen
Leben zu erhalten. Und sie besitzt ein großes Maß an Empathie, die Gabe,
Menschen bis ins tiefste Ich zu begreifen und zu erkennen.
Sie glaubt an Schutzengel, das
Universum, höhere Mächte, daran dass es ein Schicksal gibt und daran, dass man
selber dazu beiträgt.
Meditiert oft mit ihrer Freundin
Lea, gemeinsam haben sie unter Trance herausfinden können, warum sie seit
Jahren eine starke Verbindung zueinander haben, denn sie lebten bereits mehrere
Male zusammen, einmal als gegnerische Krieger in Irland, einmal als Mutter und
Tochter um 1836 und vermutlich im 11. Jahrhundert, als Eila ihre 4jährige
Tochter Lea hinterließ als sie starb.
Im jetzigen Leben sind sie seit
vielen Jahren enge Freundinnen, teilen Schmerz und Freude miteinander, können
streiten und lachen und sich gegenseitig wieder aufrichten.
Oftmals verbringen sie ganze Wochenenden miteinander, meditieren, reden, diskutieren.
An einem dieser Wochenenden sind
sie bei Eila, beide kurz vor dem Einschlafen, als Eila plötzlich das Gefühl
hat, dass eine Präsenz im Raum ist, während sich genau in diesem Moment Lea
aufrichtet und sagt: „Da ist noch jemand!“
Eila ist fassungslos: „Ich habe
gerade genau dasselbe gespürt oder gedacht, da ist etwas.“
„Ja, definitiv. Es ist gut. Aber
ich glaube, es hat mir dir zu tun?!“
„Mit mir? Ich finde das ein
bisschen gruselig gerade…..“ Eila hat Gänsehaut.
„Marius…“ flüstert Lea.
„Nein.“ widerspricht Eila. „Nicht
Marius. Das stimmt nicht. Aber so ähnlich.“
Eine Weile liegen die beiden
Frauen im Dunklen und spüren der Präsenz nach bis sie verschwindet. Lea ist
überzeugt davon, dass es eine positive Kraft ist.
Einige Tage danach wird Eila
nachts wach. Sie ist allein in ihrem Schlafzimmer, liegt auf der Seite und
spürt wieder die Präsenz.
Darius erscheint ihn ihrem Kopf.
Sie hat das Gefühl, als liege
jemand hinter ihr, als beschütze sie jemand. Die Unsicherheit oder Angst vom
Wochenende ist wie weggeblasen. Sie fühlt sich sicher und geborgen und schläft
mit einem Lächeln wieder ein.
Am nächsten Tag telefoniert sie
von der Arbeit aus mit Lea und erzählt ihr von der Nacht.
„Ich hatte doch gleich das
Gefühl, dass es um dich geht.“ sagt Lea. „Er ist bestimmt dein Engel oder dein
Beschützer, jedenfalls ist er dir wohlgesonnen. Aber nachdem du daran
gezweifelt hast, hat er sich sicher deswegen zurückgezogen.“
„Aber warum jetzt?“ fragt sich
Eila.
„Ich glaube nicht, dass er erst
jetzt zu dir gehört, ich denke, er begleitet dich schon dein Leben lang.“
„Und warum spüre ich ihn erst
jetzt?“
„Vielleicht weil du wieder zu dir
zurückkehrst, zu deinen Gaben und Möglichkeiten?“ sinniert Lea.
„Aber das mache ich inzwischen
auch schon wieder seit fast zwei Jahren – warum also zu diesem Zeitpunkt?“
Lea kontert mit ihrer üblichen
Antwort: „Du wirst es herausfinden!“
Genervt verabschiedet sich Eila
von ihrer Freundin und widmet sich wieder ihrer Arbeit.
Auf dem Heimweg hat sie im Auto
plötzlich das Gefühl, dass die Präsenz wieder da ist, sie nach Hause begleitet,
dort hört das Gefühl wieder auf.
Sie ist später als sonst daheim,
durch die Anwesenheit von Darius verwirrt, ist sie einmal falsch abgebogen und
so einen Umweg gefahren.
Eila duscht und macht sich dann
ihr Abendessen zurecht, währenddessen hört sie im Radio, dass auf ihrem sonst
üblichen Heimweg ein schwerer Unfall passiert ist.
Ihre Hand, die gerade den Reis
umrührend wollte, verharrt über dem Topf. Sie ist wie versteinert.
Sie murmelt ein leises Danke.
II.
Abends liegt Eila wieder einmal
schlaflos in ihrem Bett und grübelt über Darius als sie ihn plötzlich neben
sich spürt. Als sie die Augen öffnet, nimmt sie schwache Umrisse eines Körpers
neben sich wahr. Sie schreckt hoch und blinzelt mehrmals als ob sie das
vermeintliche Trugbild auf diese Weise verscheuchen könnte. Ihr stockt der Atem
und ihr Herz klopft schnell und hart gegen ihre Rippen. Wie hypnotisiert schaut
Eila in ein Gesicht, das sie ruhig und abwartend beobachtet. Da ist eine
Lichtgestalt in ihrem Bett, die Umrisse eines menschlichen, männlichen Körpers,
zarte Umrisse, mehr eine Ahnung als eine Tatsache, ein schwaches Licht geht
davon aus. Sie spürt die Präsenz der Erscheinung, aber anders als man einen
menschlichen Körper wahrnimmt.
Hab keine Angst klingt es in ihrem Kopf.
„W…was passiert hier?“
Anscheinend kannst du mich sehen? fragt die Stimme in ihrem Kopf.
„J… ja, nein, ich… weiß nicht…“
Du schaust mir direkt in die Augen, du musst mich sehen.
„Ich glaube, ich drehe durch.“
Eila wendet sich ab, um ihre Nachttischlampe anzuschalten, sie dreht sich
langsam um und sieht immer noch die Umrisse eines Körpers, nun auf ihrem Bett
sitzend. „Was ist das?“
Unglaublich? fragt die Stimme verunsichert. Die Erscheinung lächelt
ebenso unsicher dazu.
„Wer bist du? WAS bist du?“ fragt
Eila. „Und was machst du hier? In meinem Bett? Warum höre ich dich in meinem
Kopf?“
Ich bin Darius, du kennst mich. Ich bin dein Beschützer, du
kommunizierst doch schon eine Weile mit mir. Bisher habe ich dir nur keine
Antwort geben können so wie jetzt.
„Das kann nicht sein!“ Eila rauft
sich die Haare, „Das gibt es doch nicht?! Ich… es ist ja nicht so, dass ich
nicht an sowas glaube, aber es … ich kann dich SEHEN!!!!!!!!“ Eila macht große
Augen. „Ich meine, ich sehe dich nicht wie einen Menschen, aber ich sehe deine
Umrisse, ich sehe dein Gesicht, du hast einen Körper – es ist… wie geht das?“
Sag du es mir. Ich habe keine Ahnung. Ich hatte allerdings auch noch
niemals einen derartigen engen Kontakt zu einem anderen Schützling. Vielleicht
kommt es dadurch? Du hast mich gespürt, akzeptiert und mich zu einem Teil
deines Lebens gemacht.
„Ja, sicher, weil es dich gibt –
aber doch nicht SO! Ich verstehe nichts mehr. Ihr seid doch formlos, ohne
Hülle, nicht sichtbar. Moment mal,“ unterbricht sie sich selbst, „was sagst du
da überhaupt? Hast du noch mehr Schützlinge?“
Nein, ich habe immer nur einen, dein ganzes jetziges Leben lang schon
dich. Aber vorher habe ich eine andere Seele beschützt. Und davor andere.
„Mein g… ganzes Leben lang?“ Eila
versucht innerhalb von Sekunden über ihr Leben nachzudenken und wird von Darius
unterbrochen.
Ja, dein ganzes Leben lang, ich kenne alles von dir – und auch deine
Gedanken, deine Sorgen, deine unausgesprochenen Wünsche – alles. Es bringt
nichts, dass du jetzt darüber nachdenkst, was ich alles von dir weiß. Es ist
einfach alles, ich weiß einfach alles.
„Du liest meine Gedanken?“
schießt es aus Eila raus und sie wird rot.
Ja, alles.
„Oh mein Gott!“
Das muss dir nicht peinlich sein, normalerweise wüsstest du das ja gar
nicht.
„Hat jeder Mensch einen
Beschützer?“
Ja, jeder – und bevor du die nächste Frage laut stellst – ja, auch
jeder Beschützer kennt alles von seinem Schützling. Du musst auch nicht laut
mit mir kommunizieren, wir können uns auch in deinem Kopf unterhalten – aber
ich nehme an, es ist dir leichter, wenn du mit mir redest?
„Ich hab schon genug Chaos, das
verwirrt mich gerade einfach zu sehr. Ich muss nachdenken.“
Das tust du doch schon die ganze Zeit während unseres Gesprächs.
Eila spürt sein Lachen. Es ist
unglaublich, auf wie vielen Ebenen gleichzeitig du denken kannst. – Oh nein,
beantwortet Darius Eilas nächste unausgesprochene Frage, ich war nie ein Mensch, ich war schon immer ein Beschützer.
„Hör auf, in meinem Kopf zu
lesen, das macht mich verrückt.“ Eila schüttelt den Kopf. „Ich dachte immer,
dass Beschützer oder Engel oder wie auch immer mal gelebt haben….“
… aber eigentlich hast du dir nie wirklich genau darüber Gedanken
gemacht, beendet Darius ihren Satz.
„Lass das.“
Entschuldige. Ich finde es gerade mindestens ebenso verwirrend und
spannend wie du.
„Also von vorne. Du bist ein
Beschützer… -geist, -engel? Du hast nie als Mensch gelebt, du beschützt
Menschen ihr Leben lang, aber immer nur einen, nie mehrere gleichzeitig und du
weißt immer alles von deinem Schützling?“
Ja. Beschützer trifft es, Geist bin ich nicht und Engel trifft es auch
nicht.
„Wie alt bist du?“ fragt Eila.
Alter ist relativ. Da ich nicht altere, zähle ich keine Jahre.
„Seit wann beschützt du?“
Seit ich da bin.
„Seit wann bist du da?“
Schon immer
„Darius, willst du mich
wahnsinnig machen?“
Nein, er lacht, obwohl das
manchmal wirklich schnell passiert bei dir. Er zwinkert ihr zu und Eila
schüttelt den Kopf. Sie sitzt mit einem körperlichen Umriss auf ihrem Bett, der
sich mit ihr in ihrem Kopf unterhält und ihr auch noch frech zuzwinkert.
Als Darius lacht, wird ihr bewusst, dass er diesen Gedankengang natürlich auch
mitbekommen hat. Darius nickt und lacht wieder.
„Raus aus meinem Kopf.“ schimpft
sie.
Entschuldige, du bist wirklich mein interessantester Schützling.
„Na danke für das Kompliment.
Zurück zu meiner Frage: seit wann bist du da?“
Sagen wir mal so, ich habe bereits einige Seelen beschützt durch die
Jahrtausende. Mehr musst du nicht wissen, darfst und sollst du nicht wissen.
„Hm. Wäre es möglich, dass du
mich schon einmal beschützt hast?“
Ja, das wäre möglich.
„Würdest du das wissen, wenn es
so wäre?“
Was du dir für Gedanken machst. Ja, das würde ich natürlich wissen.
„Und?“
Und was?
„Ist es so?“
Sag du es mir.
Eila setzt zu einer Antwort an,
aber bevor sie etwas sagen kann, hört sie Darius in ihrem Kopf: Wenn du es weißt, dann sag es mir. Du wirst
es herausfinden. Du musst nicht blöffen, um von mir eine Antwort zu bekommen,
ich weiß, wann du blöffst. Irgendwann wirst du es einfach wissen.
Eila verschränkt trotzig die Arme
und fühlt sich ertappt.
Darius lacht. Geduld war noch nie deine besondere Stärke,
Trotzkopf, auch wenn du in den letzten Jahren Fortschritte gemacht hast, manchmal
möchtest du immer noch alles gleich und sofort.
„Es ist ekelhaft, dass du mich so
genau kennst. Und noch schlimmer, dass ich nichts über dich weiß!“
Es ist bloß neu für dich, dass mal jemand dich so genau kennt – sonst
ist es andersrum; mit deiner Empathie begreifst du Menschen immer sehr schnell
bis in die tiefsten Schichten ihres Ichs, manchmal begreifst du sie sogar
tiefgründiger als sie sich selber. Aber niemals kam jemand so tief in dein Ich
hinein. Und du weißt schon genug über mich, es gibt nicht wirklich viel mehr.
„Oh, das glaube ich nicht, es
gibt ….“ widerspricht Eila.
Nein, unterbricht Darius sie, du
musst nicht alles wissen. Du fragst zu viel, dein Wissensdurst ist unglaublich,
aber manche Dinge sind nicht dafür gedacht, dass Menschen sie kennen. Und du
bist schon auserwählt, weil du mich siehst und weil wir beidseitig
kommunizieren können. Verlang nicht zu viel, Eila, zu viel Wissen ist nicht
gut.
„Ich hab Angst, dass….“ setzt sie
an.
Ich gehe nicht weg, beruhigt Darius, ich verschwinde nicht, ich bin an dich gebunden – oder du an mich, wie
man es sehen möchte, solange du lebst. Und da wir nun schon auf diese Weise
kommunizieren können, wird uns das auch weiterhin bleiben. Du solltest jetzt schlafen,
es ist spät.
„Und du?“ gähnt Eila und legt sich
zurück auf ihr Kissen.
Ich werde über deinen Schlaf wachen, wie es meine Aufgabe ist zwinkert
Darius.
„Und wenn ich aufwache, bist du
wer weiß wo und ich bleibe mit meinen Fragen zurück.“ murmelt Eila im
Einschlafen.
Ich bin immer um dich herum, Eila, schlaf jetzt.
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Katja Heinrich).
Der Beitrag wurde von Katja Heinrich auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.03.2010.
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