Heidemarie Rottermanner

Die Tür öffnete sich

 knarrend,

 

der Raum lag in völliger Dunkelheit. Nur durch die zerbrochenen Fensterscheiben floss das fahle Licht des Morgens.
Die Stromleitung war schon seit ewigen Zeiten tot, darum knipste die junge Frau ihre Taschenlampe an.
Der Schein des Lichts tastete sich durch die Düsternis. Was hatte er all die Jahre an Schätzen zusammen getragen? Sie schüttelte den Kopf und schaute sich um.
Unzählige Bücherregale gefüllt mit Mengen von Büchern zierte die farblose, feuchte Wand. Wohin sie auch blickte nur Bücher und Schriften. Zögernd trat sie näher. Wischte mit dem Finger den Staub von einen der prächtigen Bildbände, innerlich schaudernd über den ekligen Schmutz.

Städte und unbekannte Länder, exotische Kochrezepte zwischen verspielten Kinderbüchern. Kluge Abhandlungen über Glaube, Kirche, Verwirrung und Kriege.
Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das schummrige Licht. Vorsichtig zog sie einen der Bildbände zwischen alle den unzähligen aus dem Regal. Dann setzte sie sich auf den wackeligen Stuhl in dem winzigen Raum. Modergeruch lag in der Luft. Welchen Wert mochten sie wohl alle haben? Über Jahrzehnte zusammengetragen, still und leise hier gehortet. Ab und zu hatte er einige dieser Schätze weitergeborgt um ihr Wissen hinauszutragen in eine unruhige, schnelllebige, rastlose Zeit.

War es die eigene Trostlosigkeit, der Versuch sich in diesen Schätzen zu vergraben, die fremden unbekannten Ziele im Gedanken zu bereisen und der Eintönigkeit des Lebens zu entrinnen? Sie wusste es nicht, sie konnte nur erahnen, wie sich in seinem Herzen das Feuer der Ratlosigkeit und der Trauer einbrannte und zu einem einsamen Tod führte.
Gerade zu liebkosend strich sie über die staubbedeckten Einbände und versuchte im Gedanken zu erahnen, warum er diese Schätze hier sammelte. Nie durfte jemand in diesen Raum, dieser lag sicher abgeschottet von den anderen. Doch wenn jemand der Dorfbewohner Rat und Hilfe suchten, bestimmte Bücher unbedingt benötigten, dann verschwand in eben diesem Zimmer und brachte das Gewünschte. Viele Leser fanden somit Zugang ins Reich der Fantasie. Doch so sehr sie darüber nachsann, sie konnte es nicht erspüren, warum sich niemand selbst die Bücher aussuchen durfte.

Ihr Blick glitt wieder zu den Regalen. Bücher gefüllt mit Inhalten aus verlorenen Zeiten, vergessene Geschichten von Heiterem und Traurigen, all dies lag gefangen in einem winzigen, feuchtem und kahlen Raum. Schaudernd zog sie die Jacke enger. Der Großteil der Bücher war verloren, Rechtschreibung und Grammatik aus einer versunkenen Zeit. Berichte die längst durch neue ersetzt wurden, Buchstabe für Buchstabe, Papier teilweise vergilbt, feucht und unbrauchbar. All dies war hier gestapelt, sortiert und nicht.

Sie wusste nicht, wie lange sie auf dem Stuhl ausgeharrt und blicklos in die vergilbten Seiten gestarrt hatte, als ein Geräusch sie aus der Verlorenheit weckte. Schritte kamen näher, jemand öffnete die Tür und knipste die Taschenlampe an. „Komm“, sagte er und legte tröstend die Arme um sie. „Wir werden die Bücher verschenken, Kinder und Erwachsene werden sich darüber freuen. Die Bildbände und Sachbücher verfrachten wir zum Flohmarkt, die vergilbten Nassen müssen wir entsorgen. Komm, gehen wir hinaus. Hier drinnen ist es düster, einsam und kalt. Wie sein Leben oft so einsam und kalt war. Doch wir konnten ihm nicht helfen, du hast dich bemüht. Er wollte nicht, versuche es zu verstehen. Es war sein Weg, sein Wille. Lassen wir ihn in Frieden, dort wo er nun ist, wird er glücklich sein, auch ohne seine Bücher. Wir werden es niemals erfahren, warum er sie hier auf den Regalen hortete. Damals vor langer Zeit waren sie kostspielig und teuer, aber heute wertlos. Nur noch wertlos."
 
Seine warme Hand lag tröstend auf ihrer Schulter. „Du hast recht“, sie erschrak über den Klang ihrer Stimme. „Gehen wir hinaus, wir brauchen uns hier nicht einsperren und vergraben, das Leben geht weiter, wenn auch nur für uns.“

Er zog sie hoch und führte sie ins Freie. Wärme und Sonnenschein umgab sie im Garten. Sie legte den Kopf an seine Schulter und weinte …. „Es ist vorbei, er muss nicht mehr leiden. Er wollte es, lass es gut sein.“ Zärtlich strich er ihr über den Rücken, hielt sie umfangen und ganz langsam verebbte der Schmerz. Energisch wischte sie die Tränen von den Wangen und lächelte: „Wir werden alles ausräumen. Fenster und Türen öffnen, damit die frische Frühlingsluft den Modergeruch vertreibt. Dann kommt der Boden raus, die Wände werden frisch bemalt. Türen und Fenster erneuert und unsere Jungscharkinder haben endlich Platz zum Spielen und Toben. Und die Menschen in unserem Dorf helfen uns, da bin ich mir sicher.“

„Die Traurigkeit und Düsternis wird verbannt und er wird lächeln, dort im fernen, fremden Land, wo es keine Tränen mehr gibt.“

„Das hast du schön gesagt, wie ein Dichter, der mit Worten malt.“ Sie streckte sich empor und küsste ihn geradewegs auf die Nasenspitze. „Warum hast du gewusst, dass ich hier in der geschlossenen Pfarrbücherei in seinen Büchern lesen musste.“

„Weil ich dich kenne und voll Sorgen war. Du machst dir Vorwürfe. Ich weiß, schon seit Wochen läufst du verwirrt und traurig mit deiner Ungewissheit durchs Leben. Doch er wollte alleine mit seiner Krankheit fertig werden, er ließ sich nicht helfen, er meinte er sei stark genug. Sein Gott würde ihm helfen. Aber die Mühe war vergebens, er konnte nicht anders, weil er kein Vertrauen zu uns hatte. Seine Schäfchen hatten ihn betrogen, angelogen und ausgenützt, die wahren Freunde konnte er nicht mehr erkennen. Zu tief war sein Herz verletzt. Als du schon morgens aus dem Haus eiltest, wusste ich, dass es dich wieder hier her zog, zu seinen alten Büchern um die Wahrheit zu finden.“

Sie seufzte und antwortete: „Ich weiß, es ist vergeblich, ich werde die Gründe niemals erfahren.“
Sie legte wieder den Kopf an seine Schulter, da fiel ihr Blick zum Nachbarhaus. Im Wohnzimmerfenster stand der neugierige Mensch, der Tag für Tag hier lehnte um zu sehen, was sich in dem kleinen Ort abspielte.

„Er spioniert schon wieder, nicht wahr!“

„Natürlich. Wie öd muss doch sein Leben sein!“

„Aber er hat unseren alten Pfarrer aus dem Auto geholt, als er bei dieser Eiseskälte eingeschlafen war. Weißt du es noch?“
„Die Autotür stand weit offen, mich friert noch immer, wenn ich daran denke.“
„Das Leben ist ungerecht“.
„Das Leben nicht, die Menschen.“
Eng umschlungen, mit langsamen Schritten verließ das junge Paar den Pfarrgarten.

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 18.03.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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