Klaus Eylmann

Auf Null zurueck

Hans atmete tief, schlenkerte mit den Armen und vertrat sich auf dem Rastplatz die Beine. Kalte Luft füllte seine Lungen. Schnee lag auf Weg und Rasen. Auf dem anderen Parkplatz standen riesige Laster wie aufgereiht. Hinter ihnen röteten sich die Gipfel der Rocky Mountains unter den Strahlen der Sonne.
Colorado. So weit waren sie mit ihrem Camper, in dem Shirley, seine Frau herumräumte, noch nie gekommen. Hans schlug mit Armen und Händen gegen seine Brust. Ihm wurde trotzdem kalt. Er hätte seine Jacke mitnehmen sollen, und er ging zum Camper zurück. Der fuhr plötzlich los. Etwas flog aus seinem Fenster in den Schnee. Hans stand da wie vom Blitz getroffen, rief und brüllte den Namen seiner Frau, dann lief er hinter dem Camper her, bis dieser auf der Highway verschwand. Dort stand Hans, keines klaren Gedankens fähig. Er begriff nicht, was in Shirley gefahren war. Jeans und Flanellhemd schlotterten um seine hagere Gestalt. Benommen stapfte er zurück, auf einen dunklen Fleck im Schnee zu. Es war seine Waschtasche, die aus dem Fenster geflogen war. Mit klammen Fingern zog er am Reissverschluss, sah Zahnbürste, Seife, Rasierzeug und einen Zettel.
“Dreckiger Bastard! Hätte ich nicht zufällig zu Hause ein Gespräch angenommen, wüsste ich nicht, dass du in Deutschland eine Frau hast. Ich lasse unsere Ehe ungültig erklären, nehme den Camper und übergebe deine Klamotten der Altkleidersammlung. Lass dich nicht mehr zu Hause blicken.”
Mist aber auch, dachte Hans. Seine Kreditkarten steckten in der Jacke. Die Jacke war im Camper. Wie hatte Anna bloss seine Telefonnummer rausbekommen? Und seinen Job in Shirleys Blumengrosshandel konnte er abschreiben. Verloren stand er auf dem schneebedeckten Parkplatz, sah hinüber zu den Trucks, zur Toilette, dem Cola Automaten davor, zum Telefon. Er kramte in seinen Hosentaschen, holte ein paar Münzen hervor, die mit hohlem Klang in den Apparat schepperten. International Call.
“Hallo Anna, mein Schatz! Ich bins, dein Hans.” Hundegebell hatte er noch nie ausstehen können. Die Stimme seiner Frau klang so ähnlich, dann klackte es. Hans sah wieder zu den Lastern hinüber.

“Ich steck in der Scheisse.” Die Highway lief wie ein silbernes Band den Bergen entgegen. “Meine Frau ist mit unserem Camper abgehauen.”
Hans blickte auf den Fahrer. Grinste der? Er konnte nichts erkennen. Dessen Bart war im Weg. Der Laster frass die Meilen. Die Berge rückten immer näher. Der Mann neben ihm schob sich einen Kaugummi in den Mund und betätigte das Horn.
“Einen starken Rig hast du hier.” Das hörte sich komisch an. Hans wusste, Grosslaster wie dieser Freightliner wurden Rig genannt. Aber ‘starker Rig’? Man sagte auch Eighteenwheeler. Achtzehnrädriger. Bei ihren Doppelreifen zählte jedes Rad einzeln. ‘Starker Eighteenwheeler’ klang noch bescheuerter. Sie näherten sich Colorado Springs.
“Lass mich bei der Ausfahrt raus,” sagte Hans. “Eine Stadt ist so gut wie jede andere.”
Es zischte, als der Laster auf der Notspur hielt. Hans kletterte aus der Kabine. Frierend stand er mit seiner Waschtasche am Strassenrand, während der Truck im gleissenden Licht der Sonne verschwand.
Jetzt brauch ich nen Wagen, der mich in die Stadt mitnimmt, dachte er, stampfte mit den Füssen und blies in die Hände. Und dann brauch ich nen Job und Vorschuss, damit ich mir Klamotten zum Wechseln kaufen und in irgendnem Motel übernachten kann. Und dann brauch ich ne Frau. Verdammt kalt hier. Und dann …

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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