Jürgen Berndt-Lüders

Der Eingriff in den Eingriff

Gestern habe ich mir Unterwäsche gekauft. Ein reiner Spontan- oder auch Ersatzkauf, denn das, was ich wollte, stand mir nicht zur Verfügung.

 

Ich lief beim Einkaufen an einer attraktiven Verkäuferin und ihrem Stand mit Unterwäsche vorbei. Sonderangebot. Feinripp mit Eingriff, ein Restposten der Firma, die unlängst pleite gemacht hat.

 

Ich stellte meinen frisch erworbenen Terrakotta-Hasen neben mir auf den Boden durchdachte drei Fakten.

 

Erstens: wie kam ich mit dieser Frau ins Gespräch? Nichts leichter als das, denn es ist nichts dabei, eine Verkäuferin um eine fachliche Auskunft zu bitten. Dazu musste ich so tun, als interessierte mich das Produkt, dass sie feil bot. Und dazu wiederum musste ich mir Gedanken über etwas machen, über das ich mir noch nie Gedanken gemacht hatte.

 

Demzufolge überlegte ich: benutze ich den Eingriff eigentlich? Seitdem ich Sitzpinkler bin, ziehe ich das weiße Teil mit Gummizug über den durchtrainierten Po und setze mich. Da brauche ich keinen Eingriff. Und außerdem erinnert mich das Wort an eine OP im Krankenhaus. 

 

Zwischenergebnis: sind diese Männerschlüpfer überhaupt sexy genug, um bei einer sich möglicherweise spontan ergebenden Karambolage mit einer Frau nicht einen Lachkrampf bei ihr auszulösen?

 

Also ging ich zu der Verkäuferin, die dabei war, andere Utensilien zu sortieren und auf Feierabend zu warten.

 

Glücklicherweise trug sie einen Ehering, und ich konnte sie ansprechen, ohne dass meine Worte gleich wie ein ungeschickter Baggerversuch wirkten.

 

„Entschuldigung“, sagte ich in möglichst gleichgültig klingenden Tonfall. „So von Ehehälfte zu Ehehälfte. Wir wirken diese Feinripp-Unterhosen eigentlich auf Frauen?“

 

Sie sah mich erstaunt von oben bis unten an und antwortete schnippisch, „warum fragen sie nicht ihre Frau, wenn sie verheiratet sind?“

 

Mist. Ich hatte den falschen Impuls bei ihr ausgelöst.

 

„Ehrlich gesagt bin ich gar nicht verheiratet. Aber es könnte sein, dass ich bald verheiratet bin, oder besser gesagt, dass ich eine finde, die ich heiraten könnte. Und da möchte ich...“

 

Sie unterbrach mich. „Und ich dachte schon, sie wären einer von diesen Männern, die ihren Ehering im Portemonnaie tragen, denn sie tragen ja keinen.“

 

Sie wirkte schon viel entspannter.

 

„Nein“, sagte ich. „Ich wollte nur nicht den Eindruck erwecken, als wolle ich sie anbaggern. Und weil sie einen Ehering tragen...“

 

Wieder unterbrach sie mich.

 

„Den Ehering trage ich, damit mich nicht jeder Mann anbaggert, der hier vorbei kommt. Die Kollegen, die Kunden, letzt kam sogar ein Chinese vorbei, der fragte mich, ‚solly, können sie mil sagen, welche Glöße ich habe?’

 

Ich bezweifele ernsthaft, ob er die Größe der Unterhose meinte.“

 

„Also sind Sie wie ich Single“, stellte ich  mit Genugtuung fest. „Da können sie mir doch erst recht sagen, wie sie reagieren würden, wenn ihnen ein für sie neuer Mann mit Feinripp-Unterwäsche gegenüber stünde.“

 

„Das kommt auf den Mann an“, meinte sie und betrachtete mich wieder von oben bis unten. „Einen schönen Menschen verunziert nichts.“

 

„Oh, danke“, sagte ich glücklich.

 

„Das war doch bloß ein Beispiel“, murmelte sie und holte mich von meinem frisch erklommenen Thron herunter. „Sie müssten die Unterwäsche mal anziehen. Dann könnte ich es Ihnen sagen.“

 

Ich schluckte. „Ich kann doch nicht in die Umkleidekabine gehen und...“

 

Schon wieder unterbrach sie mich.

 

„Nein, doch nicht hier. Vielleicht nach Feierabend nebenan im Hotel. Sie müssten eine Auswahl treffen und jedes Stück nacheinander anziehen. Ich sage ihnen dann, welche ihnen am besten steht.“

 

„Am besten steht...“, sinnierte ich nachdenklich, weil mich das an was erinnerte. „Ja, aber muss ich dann eine mit Eingriff nehmen? Wozu soll so ein Eingriff gut sein?“

 

„Das kommt auf den Mann an“, wiederholte sie sich. „Ich weiß noch nicht, ob ich da hinein greifen würde oder nicht.“

 

Mein Blutdruck stieg. Aber nicht, weil sie solche leckeren Andeutungen gemacht hatte, sondern weil so ein Typ auf sie zuging, sie anlachte und ihr einen Kuss auf die Lippen hauchte.

 

„Bis gleich, Schatz“, rief sie ihm hinterher. „In zwanzig Minuten habe ich Feierabend.“

 

Ich habe mir einen Fünferpack Feinripp mit Eingriff geschnappt und bin damit zur Kasse. Mir doch egal, was sie bei dem Typen da analysiert, diagnostiziert oder therapiert oder sonstwas macht.

 

Mist, Mist, Mist! Ein Eingriff in meine bis dahin so gute Laune. Meinen Terrakotta-Hasen hole ich mir heute, wenn sie mal nicht da ist. Wenn er noch da ist.