Sonntagstalk
oder Ausstieg aus einer Beziehung
"Aber klar, rief er durch die offene
Tür,
"das mache ich sofort,
direkt nachdem ich damit fertig bin, das
Rote
Meer zu teilen."
Na die Sprüche kannte ich ja schon, nichts würde passieren, wie immer.
Erneut dachte ich resigniert darüber
nach,
ob Nieten mein unabänderliches
Schicksal sein und bleiben würden, solche,
die außer tollem Wortgeklingel
nichts drauf hatten und dem schon gar keine
Taten folgen ließen.
Womit er diesmal beschäftigt war, konnte
ich deutlich aus dem Nebenzimmer
hören, auch wenn er den Sportkanal ziemlich
leise gestellt hatte.
"Gehst Du schon mal auf Friedhöfe?" Ich
stellte mich in den Türrahmen und
setzte mein harmlosestes Gesicht auf.
"Und ist Dir da auf Familiengräber noch
nie aufgefallen, welche
erstaunlichen Schlüsse man aus Sterbedaten
ziehen kann?
Stirbt der Mann zuerst, dann lebt die Frau
sehr oft noch lange Zeit
danach, manchmal sogar Jahrzehnte.
Stirbt aber die Frau zuerst, dann liegen
zwischen
den Sterbedaten sehr
oft nicht mehr als zwei Jahre."
Aufgeschreckt sah er mich an. " Geht’s Dir nicht gut?"
Und dann mit einem beruhigten Blick auf meine offensichtliche Unversehrtheit;
" Du bist mal wieder so ausgelassen, wie
bei
der Abschlussveranstaltung
des Sanitätsfachhandels, Deine Witze
verlieren Niveau".
"Witze? Dem ist so Kerlchen, darüber
darfst
Du jetzt mal Betrachtungen
anstellen, es kann durchaus sein, dass die
damit enden, Dich von Deinem
Knackarsch zu erheben und endlich den
Garten
winterfest zu machen,
bevor die Maiglöckchen drücken.
Denn merke, Bewegung ist das A und O eines
sportlich gesunden Lebens."
Mein Lebensabschnittsgefährte lag
hingegossen
auf dem Sofa, und
verströmte Attraktivität und Glamour
der Preisklasse häuslicher Penner.
Er trug einen schlabberigen Jogginganzug
,
mit ausgeleierten Bündchen
an Hose und Ärmel, sein Kinn hatte schon
mehr als drei Tage keine Klinge
mehr gesehen und seinen Bauchansatz der
Kategorie
*trainiert* zuzuordnen,
hätte mehr Fantasie erfordert, als ich
gerade aufbringen konnte.
Seit er sich bei mir einquartiert hatte,
sah
ich ihn kaum anders.
" Ich habe andere Stärken", sagte er und
sah mich mit dem lüsternen
Sonntagnachmittag-Blick an, der zu
eindeutig
war, um noch Vermutungen auszulösen.
"Aber ja," ich war nicht gesonnen mich
ablenken
zu lassen.
"Deine Genialität ist sprichwörtlich,
leider passiert damit nur nie etwas,
außer dass sie Dir aberkannt wird.
Wars nicht erst gestern das Finanzamt, dass
Deine Steuerklärung
in die Sparte außergalaktische Projekte
eingeordnet hat?"
Er gähnte ausgiebig. " Es kann einem
nicht
alles im Leben gelingen.
Man soll das Jahr nicht mit Programmen
beladen wie ein krankes Pferd.
Wenn man es allzu sehr beschwert,
bricht es zu guter Letzt zusammen."
dozierte er und sah aus, als sei der
Kästner-Spruch
zu seiner Lebensphilosophie
geworden, einer, die er sich keinesfalls
ausreden
ließe,
es sei denn durch ein sonntägliches
Schäferstündchen.
Meine Absichten allerdings, die würden
an diesem schönen Sonntag ganz
gewiss nicht mit seinen übereinstimmen.
Es gab nichts mehr, dass mich zu Stürmen
des Begehrens hingerissen hätte.
In meinem Fall wurde dieses Gefühl wohl
doch mehr vom Kopf
als von den Hormonen gesteuert, denn ich
war
gerade dabei
ihn in seine intellektuellen Bestandteile
zu zerlegen und das Ergebnis
war niederschmetternd.
Ich hatte den mir unbekannten,
gutaussehenden
Mann maßlos bewundert,
als er in einem politischen Gesprächskreis
das nervige Gelaber irgendwelcher
Politprofis einfach mit dem Satz
unterbrach,
das umstrittene Land existiere
seit Jahrmillionen, darüber zu streiten,
wem es gehöre, sei ungefähr so sinnvoll,
als stritten sich zwei Flöhe darüber,
wem der Hund gehöre, auf dem sie gerade sitzen.
Natürlich hatte er die Lacher auf seiner
Seite .
Die bereits gelangweilte Zuhörerschaft
– mich eingeschlossen –
hätte in dem Moment jedem begeistert
zugehört, der die Dinge
so leicht auf den Punkt zu bringen
vermochte.
Wer kann sich schon allen Ernstes der
Tatsache
verschließen,
dass bilaterale Kämpfe um Landbesitz,
bei denen keine der beiden
Seiten je siegen wird, schon immer
idiotisch
waren.
In der Folge lernte ich ihn als einen
aufgeschlossenen
und ungeheuer
schlagfertigen Mann kennen und verliebte
mich
Hals über Kopf in die
Leichtigkeit, mit der er das Leben zu
meistern
schien.
Es dauerte, bis mir klar wurde, dass der
Mann,
den ich mir da ins Haus
geholt hatte, ein intellektueller
Trockenpisser
der Sonderklasse war.
Er hatte einfach nur ein gutes Gedächtnis
und das ließ ihn zu allen Situationen
des täglichen Lebens irgendwelche Sprüche
absondern, die aber alle nicht
auf seinem geistigen Humus gewachsen waren.
Er adoptierte sie für passende – leider
auch unpassende – Situationen
und streute sie dann mit leichter Hand ins
Gespräch.
Absolut hinreißend in einer Runde, in
der Unterhaltung und Amüsement
gefragt waren, aber tödlich dann, wenn
es darum ging, diesen Sätzen
Überlegungen folgen zu lassen, die zu
Problemlösungen beigetragen hätten.
Dann war der schöne Leo nicht zuständig,
er wurde fast unsichtbar in solchen
Gesprächsrunden und sprach ihn jemand
direkt an, kam nicht selten der Satz ;
" vergiß Deine Frage nicht, ich bin
gleich wieder da".
Weg war er, und wenn er wieder auftauchte,
war das Gespräch entweder
weitergerollt, oder aber er gab ihm
geschickt
eine neue Wendung.
Leo war also nicht dumm und...er kannte
auch
seine Fähigkeiten, wusste,
dass er die weltpolitischen Zusammenhänge
weder kannte,
noch sich je dafür interessiert hatte
und so war es mit vielen,
zu vielen, anderen Themen ebenfalls.
Darüber, wie er in die Führungsetage
einer Großbank gekommen war,
gab es unterschiedliche Versionen, aber
keine
davon bescheinigte
ihm außergewöhnlichen Fleiß,
oder ein bemerkenswertes Talent,
wirtschaftliche Zusammenhänge zu erkennen
und sie umsetzen zu können.
Aber Leo Herbstreit hatte einen Blick
für
Könner auf diesem Gebiet
und Dank seiner außerordentlichen Gabe
auf dem gesellschaftlichen Parkett
gewann er diese Leute für sich und musste
nun nur noch darauf achten,
dass sie in allen wichtigen Geschäften
seine Berater blieben.
Ich weiß nicht, wie lange es dauerte,
bis ich erkannte, dass er ein echter
Schmarotzer war und dazu auch noch einer
von
der hartnäckigen Sorte,
er ließ sich nicht abschütteln.
Zumindest dann nicht, wenn der Nutzen, den
er aus seiner Hartnäckigkeit zog,
größer war als der zu erwartende
Ärger.
Er war also auch nicht gesonnen, meine immer deutlicher werdende Kritik ernst zu nehmen.
Ich deckte unter seinen Bedürfnissen die
Sparte Sexualität ab,
das reichte ihm, eine Trennung gar nicht
erst
ins Auge zu fassen.
Für mich wurde er immer mehr zum
unliebsamen
Kostenfaktor,
ich zahlte für ETWAS, das ich schon lange
nicht mehr bekam, eigentlich,
die rosaroten trügerischen Anfangsphasen
unserer Bekanntschaft ausgenommen,
auch nie bekommen hatte.
Meine sexuelle Verweigerung war zwar
erst jüngeren
Datums,
aber wenn ich daraus nicht eine
Endlosschleife
machen wollte,
musste ich stärkeres Geschütz auffahren,
Leo reagierte auf Entwicklungen,
die nicht in seinem Sinne verliefen selten
bis nie.
" Wieso hast Du Dich denn so in Schale
geschmissen".
Er sah mich bewundernd an.
" Du siehst aus, als hättest Du vor die
Party der Saison zu besuchen, Desdemona?
Komm her, ich zeige Dir, wie
Leidenschaft ein
Partyoutfit verändert,
fünf Minuten und Dein Othello macht Dich
mal wieder zur willenlosen Sklavin."
Ich unterdrückte einen jähen Lachreiz.
Er hatte sich aus seiner liegenden Stellung
aufgerichtet, versuchte vergebens
meine Hände zu erhaschen und über
seine ausgeleierte Hose quoll der weißliche
Speckrand eines ehemaligen
Waschbrettbauches.
Es musste sein, jeder Zweifel, ob das,
was
ich ihm nun antun würde,
nicht doch zutiefst boshaft war, verließ
mich.
Es klingelte langanhaltend an der Tür.
" Du hast allenfalls noch 30 Sekunden,
Dich
entweder in Sicherheit zu bringen Leo,
oder die Flucht nach vorne anzutreten.
Ich besuche nicht nur die Party der Saison,
sondern ich veranstalte sie gerade.
Die ersten Gäste sind schon da mein Bester,
Du kannst sie gern begrüßen, Dein
Boß und seine Gattin werden sicher höchst erfreut
sein, festzustellen, wie relaxed Deine
Sonntag-Nachmittage
aussehen.".
Ich öffnete weit die Flügeltür
zur Diele und warf Leo den Löwen der
VIP-Elite unserer Stadt zum Fraße vor.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 13.04.2010.
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