Rüdiger Nazar

Mama ...Lupus...autobiographisch...

Es ist 1969...ich bin 15 Jahre alt. Habe gerade eine Lehre als Automechaniker begonnen...ein Beruf...der mir garnicht zusagt. Quäle mich jeden morgen herum...dort hin zugehen.Mein Stiefvater schlägt mich fast täglich windelweich...aus lauter Frust...weil er sich auf seiner Arbeitstelle jüngeren Vorgesetzten gegenüber  nicht durchsetzen kann. Ich bin da der willkommene Blitzableiter. Meine Mutter bekommt dieses nicht mit...da sie Wechselschicht haben...das heißt...Früh-und Spätschicht...so daß nur immer einer  zuhause ist. Ich halte diese ganze Misere nicht mehr aus. Wie sagt man so schön...ich bin Schlägefaul...spüre es schon lange nicht mehr...wenn er auf mich eindrischt. Wenn sie mal da ist und sieht...das er seinen Ledergürtel mit einem lauten Knall aus seiner Hose zieht...schließt sie die Haustüre hinter sich...und geht bei  Nachbarn Kaffee trinken...ich halte es nicht mehr aus. Angelika...meine Freundin die ich im Leichtatlethikclub kennengelernt habe...hat zuhause das gleiche Problem.Also beschließen wir von zuhause auszureißen. Meine Mutter ist zuhause und hat gerade eine Nachbarin zu Besuch. Ich hatte alles bis in`s kleinste Detail geplant. Ein Schulkollege von mir...kam...und fragte meine Mutter ob ich mit zum Schwimmen gehen könnte. Komm`aber nicht zu spät sagte sie zu mir...du weißt ja dann was dir blüht. Dieser Satz erzeugte ein Würgen in meinem Hals.Verbittert sagte ich...ja ja...schüss. Ich lief in den Keller...wo ich schon Tage vorher meine Reisetasche verstaut hatte. Ich verließ unser Haus ohne eine Gefühlsregung.FREI...Frei schoss es durch meinen Kopf. Ich stieg in den Bus und fuhr nach Kempen...wo meine Freundin auf mich wartete. Wir waren noch so jung...und die Tragweite unseres Handelns kam uns nicht in den Sinn...sie nahm die Ladenkasse mit...aus dem Geschäft wo sie arbeitete.  3600DM...das war ein Batzen Geld für uns.Wir waren so aufgeregt. Der Zug kam...unsere Fahrkarten...von Kempen nach Riva am Gardasee in Italien. Man...war das aufregend. Der Zug fuhr den ganzen Tag und auch die Nacht hindurch. An den Grenzen gab es keine nennenswerten Probleme. Früh morgens lachte uns die Sonne und der blaue Himmel an...Gardasee. In Portese aßen wir erst eine Portion Spagetti und hörten aus der Dukebox...Adriano Celentano...man was waren wir doch Spitze. Wir kauften uns ein Schlauchboot...verstauten die Taschen  darin...und schwammen los.Sie zog das Boot...und ich schwamm hinterher und schob es. Die Nacht brach sehr schnell herein...und wir sahen absolut nichts mehr. Wir waren mitten auf dem See...alles war so unwirklich und geheimnisvoll...das dunkle Wasser gluckste und meine Phantasie spielte mir einen Streich. Überall sah ich Gegenstände auftauchen...ja das mußten wohl riesige Seeschlangen sein...ich lachte über mich selber. Dann berührte etwas mein Knie. Ich denke ich war kreideweiß vor Schreck...aber es war ein Felsen. Hier schliefen wir die Nacht durch...bis die Sonne wieder schien. Es war eine schöne Zeit. Nach cirka drei Wochen hielt Angelika es nicht mehr aus...sie wollte nach hause. Und so fuhr sie dann auch wieder nach Deutschland. Ich stand am Ufer und winkte ihr nach...als das Schiff sich langsam entfernte. Ich atmete tief durch...alleine. Mit dem Geld hatten wir ganz schön geschludert in den drei Wochen....und so blieb mir nicht viel übrig...vielleicht mal gerade so einige Tausen Lire....was nicht viel war. Ich verkaufte das Schlauchboot...und fuhr mit dem Dampfer über den Gardasee nach Dezenzarno. Hier am Bahnhof löste ich eine Karte nach Genua. Der Zug fuhr über Mailand einige Stunden. In Genua versuchte ich dann...es war schon sehr spät...auf einem Schiff als Schiffsjunge anzuheuern. Alle Bemühungen waren umsonst. Lief am Hafen hin und her und wurde überall abgewiesen. War nicht so einfach wie ich es mir vorstellte...Seefahrtspapiere mußten beantragt werden...und da ich nicht volljährig war...war die Einverständniserklärung meiner eltern notwendig. Nein oh Gott...nur das nicht...wollte mit diesen nie mehr etwas im Leben zu tun haben. Also blieb mir nichts anderes übrig als mich auf Schusters Rappen zu machen. Wurde auf meiner Wanderung von sehr vielen Homosexuellen belästigt...Italien ist eine Brutstätte der Schwulen...aber ich schlug mich unbeschadet durch. Ich lief Tage...und Wochen. Rom war eine wunderschöne Stadt. Ich bettelte mich für Lebensmittel durch...wurde auch des öfteren fortgejagd und geschlagen. Von Tag zu Tag wurde ich härter...der Überlebenswille siegte. Verrichtete Gelegenheitsarbeiten für Kost und Logie. Wollte Richtung Napoli...machte aber einen Schwenker und lief in Richtung der Abruzzen. Ich spürte meine Füsse nicht mehr...als ich in einem kleinen Dorf ankam...Atri. Die nächsten großen Städte waren....Pescara und Chieti. Atri lag im abruzzerischen Nationalpark das im Süden der Abruzzen liegt. Hier war die Gegend so schön und geheimnisvoll...teilweise unwirklich. Ich war mitten im Gebirge...keine Menschenseele. Es war so heiß...und nachts so kalt. Die Bergwände waren schroff...die Wälder dunkel und schienen undurchdringlich. Zu essen gab es genug...Früchte...Wurzeln...Bast...!Wasser war aus den aller reinsten Quellen vorhanden...es war so schön kühl. Hirsche...gewaltige durchstreiften die Wälder...ihr Röhren schien dumpf aus einer anderen Realität. Ich hatte Ehrfurcht.

Nachts schlief ich in den Felsspalten...sie boten etwas Schutz...ich weiß nicht wovor...aber ich fühlte mich sicher.  Mußte wohl aufpassen...da ich sah...das die Gegend mit Skorpionen übersät war...auch ab und zu eine Schlange...die meinen Weg kreuzte. Aber diese nahmen Flucht...sie hatten wohl mehr Angst als ich. Nachts hörte ich sie dann zum ersten mal in meinem Leben...und ich erstarrte voller Ehrfurcht...Wölfe. Ich hatte einiges über Italien gelesen...aber Wölfe ? Doch es gab sie...und gerade hier in den Abruzzen...und zwar den großen Apenninwolf...Canis Lupus italicus. Sie heulten die ganze Nacht durch...so das ich kein Auge schließen konnte. Aber es war schön. Bäume und Sträucher sahen wie zu Weihnachten geschmückt aus...sie hatten kleine Lichter.Ich wußte nicht was es war. Ich warf einen stein...und die Lichter schwirrten empor...ein heilloses Durcheinander...es waren Leuchtkäfer und Glühwürmchen. So etwas hatte ich nie zuvor in dieser Form gesehen. Ich war überwältigt...und schlief darüber hinaus ein.

Am nächsten morgen...es war kalt...erwachte ich durch eine Berührung auf meinem Haupt. Ich erschrak und sprang hoch. Vor mir stand eine alte Frau...hielt den Finger an den Mund und machte....ppppsssst. Ich konnte auch ohne ihrem pppsssst keinen Ton hervorbringen. Sie wies mit ihrem Finger bergabwärts. Ich folgte dem knöchernden Finger und erstarrte. Das hatte ich in freier Wildbahn noch nie gesehen...ein Braunbär...mein Gott ein Bär. Sie zog mich nach einiger Zeit mit sich. Wir durchquerten Felsen...Büsche...dornenbewehrt...meine Arme bluteten. Aua sagte ich...sie lachte nur. Nach geraumer Zeit kamen wir an einem kleinen Häuschen an...und es erinnerte mich irgrndwie unwillkürlich an die Geschichte von Hänsel und Gretel. Es war so windschief und erinnerte mehr an eine Höhle als an einen Haus. Innen war es archaisch. Ein Holztisch...und mehere Stühle...überall hingen Kräuter...Dörrobst...Flüssigkeiten in Glasflaschen. Ein großer Hund lag in der Zimmerecke und rührte sich nicht. Aber sein Blick verfolgte mich auf Schritt und Tritt. Lupus sagte sie...und dieser erhob sich. Er war so zerfleddert im Fell...als käme er gerade aus einer Wäscheschleuder. Er kam näher und beschnupperte mich. Mir war nicht gerade Wohl zumute. Er stupste mich an...so das ich einen Schritt nach hinten gedrückt wurde. Dann machte er kehrt...drehte sich in seiner Ecke ein paar mal imKreis...und ließ sich fallen.

Ich war begutachtet worden.Buh...meine Güte. Ich redete mit Händen und Füßen...französisch...englisch...und die paar Worte italienisch die ich kannte. Sie lächelte in sich hinein...aha...deutsch...deutsch...zischte sie durch ihre Zahnlücken. Ich nickte so heftig...als wäre mein Hinterhaupt an einem Gummiband fest gemacht...ja ja...deutsch sagte ich. Sie sprach ein deutsch...das man verstehen konnte. Ich erzählte ihr was ich so erlebt hatte...wieso ich von zuhause weg wäre. Sie hörte geduldig zu. Du kannst etwas hierbleiben ...wenn du möchtest ...sagte sie....das Haus hat viele Reparaturen. Ja genau...das war das erste was auch ich bemerkt hatte. Das Dach war undicht...die Türe hing schief in den Angeln...! Bueno sagte ich....ob das richtig war wußte ich nicht. Sie wies mir einen Schlafplatz zu...in der äußersten Ecke des Raumes...direkt neben dem Hund oder Wolf oder was es war. Es war nur Stroh auf  Brettern gelegt...als Zudecke Hirschfelle. Und ich sage euch jetzt etwas...liebe Leser...ich habe nie  so gut in meinem Leben geschlafen. Gegen späten Abend bereitete sie einen Tee zu...der so bitter war...das sich meine Fussnägel aufkrämpelten...aber er tat gut...und ich schlief traumlos den Schlaf der gerechten. Vormittags zog sie dann mit mir los...ich sah so atemberaubende Gegenden...nein...es war nicht auf dieser Welt. Kräuter pflückte sie...und unterwies mich in deren Gebrauch und Anwendung. Die Zubereitungen waren so abenteuerlich...das ich mich bald nicht traue sie zu beschreiben. Täglich hatte sie Zulauf aus den Städten und Dörfern...auch Touristen...die mal hier mal da ein Wehwehchen hatten. Und...........sie nahm kein Geld. Ich lernte so viel von ihr in all`den Monaten...die ich da war. Handwerklich brachte ich ihre Hütte auf vordermann. Abends war für mich dann den Höhepunkt. Wenn sie ihre Kräuter und Tinkturen segnete...mit einem archaischen Singsang...Rasseln rasselten...und ihr Blick schweifte in weite Fernen. Einaml dachte ich sie wäre tot...reglos...aber sie summte noch eine seltsame Melodei...dann fiel ihr Kopf vornüber...ich erschrak...und sah in der gegenüberliegende Ecke...nebelartig ein Gebilde. Als ich sie darufhin im nachhinein ansprach...lachte sie nur.

Und jetzt komme ich zum Schluss...meiner ach so langen Kurzgeschichte...verzeiht.

Ich blieb einige Monate bei ihr...was ich lernte...hätte ich nie im Leben sonst wo gelernt.

Sie war ein Schamanin...und erzählte mir viel über sich...und über...mich...was ich nicht wußte.

Ich nannte sie nur Mama...Lupus...was sie gerne  mochte...

und Wölfe...lernte ich in den Abruzzen lieben und schätzen...sie sind scheu...lieb...und waren mein stetig  Begleiter...einer rettete sogar einmal mein Leben...

Mama...Mama ...Lupus...sie starb im Mai 1989...

 

Nachtrag...ihre Künste führe ich seitdem fort...im kleinen ...im stillen...

 

Und sollte ich in dieser Kurzgeschichte Tippfehler haben...so verzeiht...es ist spät und ich bin Wolfsmüde..

es grüßt euch Rudevicus...der einsame Wolf...

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.04.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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