Jürgen Berndt-Lüders

Die Gartenlaube III: Liebe ist nicht nur ein Wort.

Vorgestern Abend klingelte bei Robert kurz vor Mitternacht das Telefon. Carmen war dran.

 

„Ich wollte dir nur sagen, dass du ein guter Jogger bist, aber das reicht mir nicht.“

 

Robert hatte mit sowas gerechnet.

 

„Sagst du mir vielleicht noch, was dir am meisten an mir missfallen hat?“

 

Carmen lachte spöttisch. „Damit du es bei der nächsten besser machen kannst?“

 

„Weniger. Das zu wissen gehört bei mir zur Allgemeinbildung.“

 

Carmen war offensichtlich froh, ihren Ärger beim Verursacher los zu werden.

 

„Meinetwegen. Ich denke, du interessierst dich in Wirklichkeit gar nicht für mich. Du weißt, dass du ein attraktiver Mann bist und willst mich gefügig machen. Die Zeit arbeitet für dich, irgendwann werde ich nachgeben, und das weißt du. Aber ich bin kein Opfer.“

 

Carmens letzte Worte klangen nach unterdrückten Tränen.

 

Robert nahm sich zusammen.

 

„Willst du mir nicht alles in Ruhe erzählen?“

 

„Du willst ja nur, dass ich wieder nachgebe. Ich kippe um und hinterher bin ich wieder die Blöde, die ...“

 

Der Rest ging in Tränen unter.

 

„Vorschlag“, sagte Robert, als sie wieder zu Atem kam. „Wir treffen uns in der Gartenlaube, und dann erzählst du mir, was ich wieder mal falsch gemacht habe.“

 

Robert wartete auf eine Antwort, aber es kam keine. Sie putzte sich umständlich die Nase.

 

„Bist du einverstanden?“

 

Sie durchbrach ihre Schallmauer und lachte gequält. „Ich nicke doch, siehst du das nicht?“

 

Robert atmete auf. „Nein, ich sehe es nicht, aber ich hätte es ahnen sollen. Bis gleich.“

 

Robert fand Julia Scheibners Telefonnummer auf seinem Display und rief sie an. Sie hatte einen Schlüssel für die Praxis und die Gartenpforte. Obwohl es spät war, half sie gern.

 

Carmen war noch nicht da, als Robert eintraf. Er überbrückte seine Ungeduld, indem er die Sternzeichen am Himmel identifizierte.

 

Robert hörte es rascheln.

 

„Carmen?“

 

Keine Antwort. Stattdessen quietsche gleich darauf die Gartentür und Carmen kam herein. Sie sah Roberts Figur, die sich gegen das mondbeschienene Grün des Rasens abzeichnete und setzte sich genau auf die Mitte der Bank.

 

Robert war entsetzt. Sollte er  jetzt vor ihr auf die Knie gehen oder wollte sie von oben herab angesprochen werden? Doch wohl nicht. Aber warum setzte sie sich dann so besitzergreifend?

 

Mach nicht immer die gleichen Fehler, befahl sich Robert. Sag ihr, was du denkst und fühlst. Nicht wieder diese permanente Angst davor, das Falsche zu sagen.

 

„Rück bitte ein Stück, ich möchte dir auf Augenhöhe zuhören“, flüsterte er.

 

„Und ich dachte, du wolltest stehen“, rief sie überrascht. „Weshalb hast du dich nicht gesetzt?“

 

„Weil ich...dummerweise gut erzogen bin“, bekannte Robert.

 

Sie rückte und er setzte sich. Er nahm ihre Hand und presste sie auf sein Herz. Sie fühlte eine Weile und zählte in Gedanken mit.

 

„Mindestens hundertzwanzig“, vermutete sie. Ihre Stimme klang wieder fröhlich.

 

„Deine innere Uhr geht nach dem da oben“, rief Robert und zeigte auf den Mond. „Es sind mindestens hundertsechzig.“

 

Beide lachten erlöst. Das Eis schien gebrochen.

 

„Du, ich habe...“ begann Carmen eifrig.

 

„Psst“, machte Robert. „Ich habe auch, und alle haben, und immer werden alle wieder neu gemacht haben und wieder gehabt haben, es kommt nur darauf an, was wir beide daraus machen.“

 

Carmen fand okay, was Robert sagte. „Dann mach doch“, rief sie kess.

 

„Müssen Männer immer machen?“, fragte Robert. „Nachher sind wir wieder die Bösen.“

 

„Psst“, machte Carmen und legte ihm den Finger auf den Mund. Seine Zungenspitze stieß den Finger nach vorn. Beinahe hätte er „erst waschen“, gesagt, aber er konnte sich gerade noch bremsen.

 

Ihre Münder neigten sich einander zu, und sie küssten sich. Er spürte ihre Nähe, empfand sie als berauschend, und weil er sich nicht zu trauen schien, schob sich Carmens vorwitzige Hand unter sein Hemd. Wohl, um seinen Herzschlag noch authentischer spüren zu können.

 

Hinten im Gebüsch raschelte es wieder. Die Gartenpforte quietschte.

 

„Hallo?“, rief Robert und hielt den Atem an.

 

„Mennooo“, rief Julia Scheibner. „Scheiß-Dilemma. Ich muss doch noch abschließen, aber spannen will ich nun auch wieder nicht.“

 

„Wirf den Schlüssel rüber“, rief die praktische Carmen. „Ich schmeiß ihn dir nachher in den Briefkasten.“

 

Sich in einem herrlichen Garten, bei Vollmond und der ganzen Fülle eines Sommernachtshimmels lieb zu haben war beider Traum. Er war es immer gewesen, und das war die erste Übereinstimmung in dieser Nacht.

 

Im Vertrauen gesagt: es folgten noch einige...

 

---

 

Anmerkung des Autors:

 

Wer in einer guten Beziehung lebt, weil er gelernt hat, sich immer wieder mit seinem langjährigen Partner zu einigen, kann nicht ermessen, wie verhängnisvoll eine romantisierte Vorstellung von einer Partnerschaft sein kann.

 

Gerade jungen Frauen haben eine oft viel zu unrealistische Vorstellung von ihrem zukünftigen Partner. Bei der ersten Konfrontation mit seinen Macken, die nicht ihren Vorstellungen von liebevollem Verhalten entsprechen, glauben sie, doch nicht den richtigen gefunden zu haben und trennen sich. Und sie erleben immer wieder irgend welche Dinge mit Männern, die sie gewaltig stören, und je öfter sie solche Dinge erlebt haben, desto wahrscheinlicher kommt es zu solchen Konflikten.

 

Die Folge: Sie verlieben sich, und dieses Gefühl verbindet sich mit ihren Erfahrungen, die sie gemacht haben, wenn sie verliebt waren. Sie projizieren Erwartungen, die zwangsläufig gar nicht eintreten müssen.

 

So auch unsere Carmen, und wenn sie nicht gerade auf einen Mann wie den Robert trifft, wird derjenige kopfschüttelnd denken:

 

„Was’n das für eine?“

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.04.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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