Mara Krovecs

Die geheimen Wälder der Libellchen

Es war ein unglaublicher Zufall .Sophie war nur ungehorsam gewesen, denn sie ging später ins Bett , als sie sollte. Und das an einem Tag , an dem man den Mond und die Sonne am Himmel sehen konnte. Manchmal geschieht so etwas , der Himmel kann sogar strahlend blau sein und der Mond schimmert geheimnisvoll hindurch . Wer an einem solchen Tag auch noch um Mitternacht wach ist und , das ist sehr wichtig , drei Kekse der Sorte Tante Mathildas Geheim – Makronen , nascht , aber sie müssen aber unbedingt stiebitzt sein , der kann sicher sein , von den Libellchen der geheimen Wälder entführt zu werden .

Genauso erging es Sophie . Sie aß ihre Kekse , während sie mit angezogenen Beinen auf dem Bett saß . Kaum war der dritte Keks verschlungen , so musste man es wohl nennen , spürte Sophie auf ihrer Haut ein eigentümliches Klingen . Ja ,es hört sich ungewöhnlich an , aber sie konnte auf einmal mit der Haut ihrer Beine hören. Sophie musste lachen , denn es kitzelt fürchterlich , mit den Beinen zu hören . „ Schnell , schnell“, klingelte es an ihnen ,
„die Libellchen sind schon da“.
Sophie rannte zum Fenster , denn unten im Garten sollten sie warten . Und so war es , sie standen mit den schönen schillernden Flügeln wedelnd auf dem grünen Rasen .Sophie rannte , alle Ermahnungen und Vorsicht außer acht lassend , die Treppen hinunter auf den Rasen zu .

„Sophie , das darfst du nicht“, flüsterte es tief in ihr, „darf ich doch , darf ich doch“,
flüsterte es übertönend zurück und in Sophies Herzen kribbelte es vor Jubel , denn sie war sich sicher , nun ein Märchen zu erleben .

Das Gras glitzerte und glänzte , denn die Flügel der Libellchen hinterließen mit jedem Wedler tausend und abertausend kleine Tröpfchen , die silbern flimmerten . Ohne weiter nachzudenken schwang die kleine Sophie sich auf den prächtigen Sattel der eleganten Libelle. Sie hatte , wie das Mädchen es von einigen Pferden kannte , Klappen seitlich an den Augen .
„ Halt dich fest“ girrte es an ihren Beinchen und schon flog das Libellchen los, ganz hoch in den Himmel . Auch das zweite , das Sophie außer acht gelassen hatte , schwang sich neben sie in die Lüfte. Die beiden schönen Tiere stimmten einen eigentümlich girrenden Gesang an und Sophie dachte dabei an tausend kleine Engelchen . Dann schlief sie tief und fest ein .

Als sie erwachte , lag sie in einem Bett , aber nicht in ihrem eigenen. Es war viel größer und die Laken und Bezüge waren strahlend weiß. Es stand mitten auf einer Lichtung im Wald.
Das kleine Mädchen fürchtete sich , denn es schien ganz alleine zu sein . Von den Libellchen war weit und breit nichts zu sehen.
Dieser Wald wirkte anders als jeder Wald , den Sophie je in ihrem Leben gesehen hatte . Das lag sicher auch an den Bäumen , an deren Ästen und Zweigen, außer den Blättern, verschiedene wundersame Dinge hingen.

„ Bin ich nun wach oder träume ich doch?“, flüsterte sie sich zu , richtete sich auf , befühlte ihr Gesicht , kniff sich in den kleinen Zeh und hüpfte sitzend auf dem Bett herum, aber alles blieb wie es war.

An der großen Tanne , neben ihrem Bett , hingen zwischen den Nadeln lauter kleine Tänzerinnen . Sie bewegten sich anmutig schaukelnd mit dem Wind .Dabei machte jede für sich eine kleine Figur , die so wunderschön aussah , dass Sophie dreimal laut seufzte . Die Tänzerinnen waren so klein , wie eine Nadel lang war .

Das Mädchen konnte seine Augen nicht von ihnen abwenden und versuchte eine Tänzerin
vorsichtig zu berühren. Ach du liebe Güte , das hätte sie nicht tun sollen. Die kleine liebliche
Gestalt sah sie böse an und rief etwas , das zwar fein und leise in ihr Ohr schlüpfte
sich jedoch sehr unfreundlich anhörte , auch wenn sie die Worte nicht verstand.

„ Entschuldigung“ , rief Sophie entsetzt und entfernte sich flugs von diesem Baum.

Die Sonne hatte neben ihren goldenen auch noch silberne Strahlen und die waren anscheinend für einige Bewohner des Waldes begehbar . Denn im Augenblick tanzten dort winzige blaue
Hirsche . Die ganze Luft schien davon erfüllt und plumps , saß einer von ihnen auf Sophies Schulter .

„ Huch“ piepste das Mädchen erschrocken .
„ Oh Gott“, brummte der kleine Hirsch mit erstaunlich tiefer Stimme,
„ wie peinlich“,
und schwupps , saß er wieder auf einem Silberstrahl der Sonne .Sophie blinzelte ihm erleichtert hinterher , mit blauen sprechenden Hirschen auf ihrer Schulter kannte sie sich schließlich überhaupt nicht aus!

Die Angst war nun verschwunden , denn was Sophie um sich herum erblickte , war so unfassbar schön , dass sie sich ganz fest wünschte noch lange hier bleiben zu dürfen .
Mit nackten Füssen tanzte sie im Gras umher und klatschte begeistert in die Hände schaute in jeden Winkel und entdeckte immer neue wundersame Dinge .
Während sie sich fröhlich einen Haarkranz aus leuchtenden Blumen band , fiel ihr Blick auf eine Birke , mit weiß-silbernem Stamm .Der Baum trug goldene Blätter , die in Seifenblasen schwebten . Einige der Seifenblasen schwebten auch frei in der Luft herum und es schien für Hirsche und Tänzerinnen ein Spaß zu sein, sich eine zu fangen und mit ihr in den türkisfarbenen Himmel zu fliegen .
Schade überlegte sich das Mädchen , die Seifenblasen sind für mich zu klein , sonst würde ich mitfliegen .Sehnsüchtig blickte sie ihnen nach .

Das Mädchen wagte sich nun von der Lichtung fort , auf einen breit angelegten Waldweg. Auch hier hingen an den Bäumen eigentümliche Dinge , an einem z.B. lauter kleine Kochtöpfe , an einem anderen grüne Fahrräder , wieder an einem anderen zwitscherten hunderte von winzig kleinen Vögeln .

Ich wüsste so gerne , wer das alles hier aufgehängt hat , und wem das alles gehört , dachte sie. Möglicherweise taucht hier gleich eine Fee auf und ich darf mir etwas wünschen , oder ein Zauberer hat hier irgendwo sein goldenes Schloss stehen. Vor sich hinsummend und träumend schlenderte Sophie gemütlich durch den Wald.

Auf einmal erblickte sie in der Ferne eine Gestalt , die sich auf sie zu bewegte. Sie schien genauso groß zu sein wie Sophie selber und war, bei genauerem Hinsehen , auch ein Mädchen. Da das andere Mädchen sehr ratlos aussah , war Sophie sich ziemlich sicher , dass ihr das gleiche passiert war , wie ihr auch.
„ Hallo“ ,sagte sie daher , „ Ich bin Sophie und ich bin mit den Libellchen hierher geflogen , und du ?“
„ Hallo“ , sagte auch das andere Mädchen . Ich heiße Marie und weiß nicht , warum ich hier bin“.
Dann erzählten sie einander von den Keksen , den Libellchen und den weißen Betten . Sophie war sehr froh , nicht mehr allein zu sein und sie beschlossen natürlich ab jetzt zusammen zu bleiben .Während sie also erzählend und sich an den Händen haltend den Waldweg entlang gingen ,hörten ihre dünnen Beine das Girren ihrer Libellchen .Und weil sie auf jeden Fall noch bleiben wollten , versteckten sie sich unter einem besonders großen Tannenzweig.
Die zwei Libellchen girrten und flimmerten nun den Waldweg entlang und suchten die Mädchen offenbar. „ Nun müssen sie aber zurück in ihre Betten“, girrte die eine der anderen zu .“ Ja, „ und sie sollen doch auch noch ihre Geschenke bekommen“.

„ Geschenke?“ , riefen die beiden wie aus einem Mund und schoben den Zweig von
ihren Köpfen.
Wenn sie es sich recht überlegten, wollten sie eigentlich doch lieber nach Haus.
Sie hatten doch so viel zu erzählen und ihre Augen wurden auch immer schwerer.

Die Libellchen lachten , als sie die beiden Mädchen unter dem Zweig hervorkriechen sahen.
„ Nun schaut euch mal diese beiden an !“
„ Wenn sie das Wort Geschenke hören , bekommen sie leuchtende Augen“.
Und so war es auch. Mit roten Wangen und wippenden Beinen standen die Mädchen vor den
großen schönen Insekten und warteten gespannt auf das , was wohl geschehen sollte.

„ Ihr habt die Wahl“, begann eines der beiden Tiere geheimnisvoll,
„ entweder ein Spiel eurer Wahl und ein schönes Buch dazu“,
„ oder“ , fuhr die andere Libelle fort , „ die Möglichkeit jederzeit wieder hierher zu kommen , für zwei oder drei Stunden in der Woche“.

„ Wieder kommen !“ jubelten die Mädchen so laut , dass sicher einige Tänzerinnen von den Bäumen fielen .

Und so geschah es auch , Marie und Sophie kamen noch oft in die Wälder der Libellchen und
erlebten viele Abenteuer.
Aber das sind ganz andere Geschichten.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 23.12.2002. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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