Charles G. Dannecker

Inventur

 

 

                                    

Da sitze ich nun, zwei Stunden vor meinem 30. Geburtstag und mache Inventur.

Inventur meines bisherigen Lebens.

Ich besitze zwei Arme nebst zwei Händen. Zwei Beine nebst Füßen, einen Torso, Hals und Kopf mit Inhalt. Alles O.K. sollte man meinen.

 

Ich habe zwei Augen die viel gesehen haben. Nackte Frauenkörper, Lust und Begierde. Gebärendes Leben und siechenden Tod. Wärme und Treue, Kälte und Verrat. Begeisterndes menschliches Machwerk, Euphorie und Sieg, Rum und Ruhelosigkeit.

 

Mein Mund hat viel gesagt! Leise zärtliche, süße Liebesworte in höchster Ekstase. Harte, exakt artikulierende und ausbeutende Worte. Weiche, fast den „Anderen“ berührende. Worte die mit Hass gesprochen wurden. Worte die getötet haben- Gefühle getötet haben. Worte die gebären konnten- die zeugten, Hoffnung. Worte die gefährlich waren, die Angst machten, und Worte die ehrlich waren, Freundschaft.

 

Meine Ohren haben viel gehört. Laute, harte Töne, Kommandos und Befehle. Schreie des Schmerzes und Schreie der Lust. Melodien mit Sphärenklang, Arien von Opern, mal Melodram, mal heiter.

Aber auch Stimmen aus einer anderen Zeit, z.B., wenn die Vergangenheit mich einholte.

Versprechen, ja die hab` ich viel gehört, aber ohne erkennbares Fazit. Gehört habe ich auch den Geburtsschrei meines Sohnes und den meiner Tochter. Oft den Schrei der Verzweiflung. Aber auch Lieder die nach Hoffnung klangen, nach Glaube und Einigkeit.

 

Meine Hände haben viel getastet, berührt, gestreichelt, geschlagen, gearbeitet, gezeigt. Die sanften Linien eines schönen Frauenkörpers erforscht. Den Kopf eines Kindes beschützt. Stein für Stein eine Mauer gebaut, flink ein Instrument gespielt. Hart den Gegner niedergeschlagen. Sich selbst Lust verschafft. Die Hand des Freundes genommen um ihn, in einer schweren Stunde, zu begleiten.

Zahlen, ehrliche und unehrliche geschrieben, das gilt auch für die Worte die ich schrieb. Aber einmal, da war es ganz „ehrlich“, als meine Hände den Tabernakel im Petersdom in Rom berührten, bin ich vor Ehrfurcht und Autorität bewegungslos gewesen.

 

Meine Füße sind viel gelaufen. Zu Liebesabenteuern, zu manchem schönen Mädchen. Ganz schnell den Arzt holend, der die Tochter in die Welt bringen sollte, und schnell weglaufend, als der Klerus damals sagte, ich solle einen Apostelbrief vorlesen. Weggelaufen auch einmal vor mir selbst, weil der Stolz zu groß war. Schnell gelaufen bei den Meisterschaften als Junge, doch nie schnell genug, das große Glück erfassend. Zu langsam um das Leben zu beenden. Aber auch beschwingt oder sogar schwankend, wenn die Trinkeslust stärker als das Gleichgewicht war.

 

Mein Körper hat alles gespürt. Lust, Schmerz, Zärtlichkeit, Kälte und Wärme, Umarmung, Wegstoßung, Schläge, Küsse und Körper von anderen. Am schönsten aber war es, als die Frischgeborene, nackte Tochter auf meiner Brust lag.

 

Übrig bliebe also nur noch das Gehirn! Es ist schwer mit ihm zu leben. Es programmiert, organisiert, zensiert, rekapituliert, konkretisiert, abstrahiert etc. etc. etc. all diese, vom Menschen so geschätzten unfehlbaren Fertigkeiten.

Der eigentliche Macher des Körpers, der nicht eine einzige, zu spät durchgeführte Inspektion verzeiht. Unbestechlich  und an Intellekt erstickend. Es bewundert die eigene Größe und verliert sich, ach so schnell in Arroganz oder Infantilität.

 

Es schafft aber auch, als Chairman of Spirit, die Möglichkeiten, über sich selbst hinauszuwachsen. Die Welt“ ein Stück nach vorn zu bringen“. Menschsein zu artikulieren und Gefühle zu definieren.

 

O mein Gehirn, ich stelle mich, auch im neuen Lebensjahr, wieder zur Verfügung.

 

 

 

                                                                                                                   copyright Dannecker GvR

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.05.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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