Lieselore Warmeling

Internetdate

Serena traf ihn in der öffentlichen Kantine der Postverwaltung und
alleine die Wahl  des Ortes hätte sie warnen sollen.
Ihr erstes Internetdate und dann in einer Kantine?
Viel schien er in dieses Treffen nicht investieren zu wollen.

Dennoch, prüfend wagte sie einen Bick in den großen
Garderobenspiegel im Foyer, mehr als bereit, in den riesigen
überfüllten Raum zu schreiten wie die Versuchung persönlich.

Es hatte zwar ewig gedauert, bis sie sich entschließen konnte, die virtuelle
Bekanntschaft zu vertiefen, aber als zu erkennen war, dass
sein Interesse nachließ, sprang sie über ihren introvertierten
Schatten.
Er schien zudem ein wenig launisch  zu werden, wenn seine Wünsche
torpediert wurden und so gab sie dann nach.
Seine Einladung erging dann sehr kurzfristig und ließ den
Verdacht aufkommen, dass er seine Chance nutzen und ihr keine weitere Überlegungszeit
mehr zugestehen wollte.
Sie fühlte sich ein wenig überfahren, hätte allzu gerne noch vorher
einen Kosmetiktermin wahrgenommen, aber das, was sie dennoch aus sich
gemacht hatte, musste genügen.
Entschlossen warf sie ihre Tasche über die Schulter und sah sich
suchend um.

Wie sollte sie ihn hier finden?
Sein Foto war etwas unscharf  gewesen, sie sah sich
außerstande, ihn zweifelsfrei zu erkennen.

Zögernd stand sie am Eingang, wich pausenlos den mit Tabletts
beladenen Gästen aus und fühlte sich nun doch leicht verunsichert.

"Wenn ich Dich sehe meine Liebe, kommt mir der Verdacht, Du hast
maßlos übertrieben als Du mir erzählen wolltest, ein
Schönheitsoperateur hätte bei Dir mehr zu tun, als zum Ausbau der A 1
aufgewendet wurde", raunte eine männliche Stimme in ihrem Rücken und
Serena fuhr lachend herum.

"Markus?"

"Richtig , neben Deiner Schönheit komme ich mir zwar gerade vor, wie
ein Teller bunter Knete, aber seis drum, ich schmücke mich nur allzu
gern mit Dir."
Der große, etwas schlacksige Mann nahm sie kurzerhand
in den Arm und küsste sie auf beide Wangen.
Seine grauen Augen sahen sie beifällig an. Was er sah schien ihm zu
gefallen.

Während er sie zu einem der Tische geleitete, gelang es Serena, ihn
unauffällig zu mustern.
Er musste um die 25 sein und legte wohl keinen grossen Wert auf eine
allzu konventionelle Kleidung. Jeans und krawattenloses Hemd passten
aber ebenso zu ihm, wie die Basballkappe deren Schirm verwegen
hochgeklappt war. Er überragte sie um Haupteslänge

War das ein Symptom für irgendwas?
Aber was solls, alles was wir tun ist schließlich ein Symptom für
irgendwas dachte sie und beschloss, ihn auf sich wirken zu lassen.

"Wer eine schöne Tussi zum Weibe nimmt, ist garantiert automatisch von
der Vergnügungssteuer befreit." Markus grinste sie fröhlich an.

"Was, wie? Du sprichst doch nicht etwa von mir, ist das aus Deiner Kiste für
Internetdates?
Ohne die Bezeichnung Tussi hätte es allerdings glatt
als Kompliment durchgehen können.

" Pardon meine Schöne, ich befinde mich noch im Auswahlprozeß, ob ich
heute als biophysikalische Niete oder als Senkrechtstarter bei Dir
Furore machen sollte. Lass mich also austesten, welche Version hier
und heute die Richtige wäre".

"Ach sei wie Du wirklich bist, oder
wie Du nach unseren langen Gesprächen im Chat zu sein scheinst, das
passt dann schon."

"Lassen wir das Geplänkel, was darf ich Dir vom
Servierwagen bringen? Gehörst Du zur weiblichen Spatzesser-Brigade, oder kannst
Du tüchtig reinhauen?"

"Ach ja, das Gewicht, das ist so eine Sache, aber heute vergesse ich
mal, dass der Kampf  bei mir ja nur noch darum geht, ab wann ich meine
Kledage aus der Kollektion für heranwachsende Gorillas auswählen
kann".

" Das fasst man ja nicht, schlank wie eine Gerte und dennoch diese
*Huch ich werde zu dick* Performance?"
Markus sah sie kopfschüttlend an.

"Wehret den Anfängen, so bin ich nun mal mein Bester.
"Mische ein bisschen Torheit in dein ernsthaftes Tun und Trachten!
Albernheiten im rechten Moment sind etwas ganz Köstliches.
Sagte das nicht schon Horaz?"

"Sei getrost, es wird noch ein Weilchen dauern, bis jemand bei Deinem
Anblick ausruft; Oh, sie hat ja ein Hinterteil wie ein Hubschrauber-Landeplatz."

Beladen mit ihren Tabletts nahmen Serena und ihr Mailpartner  mitten
im Getümmel der Massenabfertigung Platz und sahen einander prüfend an,
erkennbar beide nicht sicher, ob der Start gelungen und die Sprüche
ihren Zweck, das Eis zu brechen, erfüllt hatten.

"Warum hast Du diesen Treffpunkt ausgewählt Markus? Meinst Du nicht,
wir werden Mühe haben, bei dieser Lautstärke einander überhaupt zu
verstehen?
Wäre es nicht leichter gewesen, wenn wir uns mehr aufeinander
konzentrieren könnten?"

" Jedes Ding hat zwei Seiten, Du weisst, dass ich mein Geld als
Diskjokey verdiene, für mich ist das hier, gemessen an meinem
Arbeitsfeld, eine echte Oase."

Fast hätte Serena ausgesprochen, was ihr gerade durch den Kopf ging,
beschloss aber dann, ihre Vermutung, dass er mehr Intimität unbedingt
hatte vermeiden wollen, lieber nicht zu äußern. Es würde sich zeigen,
ob er einer dieser Burschen war, deren linke Schulter bereits eine
Hornhaut aufwies, obligatorisch bei Schaumschlägern, die sich dauernd
selbst auf die Schulter klopfen.
Hatte sie nicht soeben selbst völlig atypisch reagiert und die
kess-coole Biene gespielt, während ihr doch das Herz bis zum Halse schlug?
Er würde einen völlig falschen Eindruck von ihr bekommen, wenn sie
dauernd so bemüht war, das Gespräch auf einem Level zu halten, das
derart an der Oberfläche blieb.
Hier gings doch nicht darum, wer am witzigsten parieren konnte.
Obwohl, wenn sie sich an die vergangenen Wochen virtuellen Austausches
erinnerte, da war er doch auch nicht so unbedingt daran interessiert
gewesen, tiefschürfende Gespräche über Gott und seine Welt zuzulassen.
Man würde sehen, bei welchem Thema seine Oberfläche sich zu kräuseln
begann.

" Darf ich unser erstes Offline-Thema vorgeben Serena ?
Sprechen wir über die Kunstszene, über Politik, Religion, oder darf ich Dir erzählen, wann
man mir zuletzt Damen-Höschen auf die Bühne geworfen hat?"
Letzteres war zwar ein einmaliger Vorgang, aber ich zehre noch heute
von dem Ereignis, dass ich einen Abend mit Brad Pitt gleichziehen
durfte."

"Was ist los mit dir, haben deine Hormone Betriebsfest? "

"Ja ich weiß, das war richtig angeberisch, aber dafür werde ich nun den
ganzen Tag gute Laune haben."

Markus sah sein Gegenüber aufmerksam an und schloss innerlich eine
Wette ab, wann sie damit beginnen würde, das übliche
Beziehungskistengerangel aufzulegen, nach denen sie natürlich, von den
Verflossenen masslos enttäuscht, zurückgeblieben sei.
Dergleichen pflegte dann mit der Bemerkung zu enden, wie sinnlos es
doch sei, darüber zu sprechen. Männer wüßten doch gar nicht, wann sie
überhaupt eine Beziehung haben.

" Na, wie fällt die Realprüfung aus Markus?
Überlegst Du gerade, ob ich zu der Sorte gehöre, die jeden Morgen
zuerst die Todesanzeigen liest und sich erst ihr Frühstück macht, wenn
sie nicht darin erwähnt ist?"

"Musst du immer so seltsame Fragen stellen?
Im Grunde wollen wir doch beide dasselbe, keine Federn lassen in
unserem ersten Gespräch unter vier Augen."

" Vier Augen? Also wenn ich das hier so überfliege, fühle ich mich
eher wie eine Elevin, die vor dem versammelten Publikum einer
mittleren Kreisstadt versucht, den *sterbenden Schwan * zu tanzen."

" Keine Sorge, ich werde Dich in meinen Armen auffangen, wenn Du zu
stolpern drohst."

"Pffft...dann lieber Kunstszene, okay reden wir über Rodin?"

"Ach ja, dessen Freikörper-Skulptur steht doch in Paris, und der
Betrachter fragt sich unwillkürlich, was die Denkerpose aussagt.
Ich tippe darauf, dass er sich nicht so recht schlüssig werden
kann, wieviele Drinks er gebraucht hat, um sich nackt auf dem Platz
wiederzufinden."
"Apropos Paris, ich war letzte Woche dort, es war aber nur ein
Kurztrip, gewonnen in einer Baumarkt-Offerte und dann fand ich mich
in einer etwas obskuren Unterkunft wieder, die mitten im Quartier
Latin lag.
Da im Quatier Latin nicht nur viele Studenten, sondern auch viele
Touristen anzutreffen sind, wird natürlich jede Menge Unterhaltung
geboten. Es gibt hier zahlreiche Diskotheken, Kinos, Bars und
Restaurants. Also ein perfektes Arbeitsfeld auch für Diskjokeys wie mich."

"Nach Paris?
Dahin reise ich nur der Liebe wegen , ansonsten gehöre ich zu der Sorte,
die im Lande bleibt und sich redlich nährt. Außerdem habe ich gehört,
dass die Franzosen fremdsprachige Besucher nicht unbedingt schätzen.
Das würde bedeutet, mit meinem Englisch komme ich dort ebensowenig an,
wie mit Deutsch und zu mehr hats bei mir dann nicht gereicht."
Serena zuckte bedauernd die Schultern.

Oha, Markus lachte..."solltest Du je erwägen, den Trip an einem Wochenende zu
wiederholen, ich bin für ein Doppelzimmer in Montparnasse, dem
Künstlerviertel."

" Nur wenn Du versprechen kannst, nicht zu schnarchen und kein
Schlafwandler zu sein, denn ich möchte nicht unbedingt vorher noch
einen Karatekurs belegen müssen." Serena grinste übermütig.

"Wollten wir uns nicht näherkommen? Wie nahe gedenkst Du es denn
zuzulassen? Markus sah sie neugierig an.
Vergiss nicht, ein Freund ist immerhin jemand, dem man all das dumme Zeug sagen
kann, das einem in den Sinn kommt.
Ich weiss zwar nicht, wer diesen intelligenten Spruch von sich gab,
aber eines scheint klar, Du bist gerade dabei, mich auf Herz und
Nieren zu prüfen, während ich durchaus bereit wäre, mich mit dem zu
begnügen, was ich mit bloßem Auge sehen kann."

"Serena lächelte, "aber Du weisst schon, dass dann durchaus die Gefahr besteht, ein
Gespräch endet in einem Feuerwerk nichtssagender Sprüche, als habe
jemand ein Bierdeckeldrehbuch im Vollrausch geschrieben."

"Und? Wäre das ein solches Fiasko?
Wir können die Sache auch abkürzen und ohne jede Rücksicht sagen, was
wir voneinander erwarten, klar und schnörkellos, was hälst Du davon?"

" Was bliebe denn dann? Welchen Erkenntnisstand haben wir denn
voneinander, der ausreichen würde, ein Urteil zu fällen?"

"Urteil? Also vor Gericht sehe ich mich hier aber nicht Mädel."

" Dann nenne es eine *Entscheidung*. Und...*das Mädel* sagt Dir jetzt,
Du kannst den Panik-Level herunterfahren, dies hier ist wirklich keine
Prüfung auf Herz und Nieren, die sähe wesentlich anders aus.

"Seufz...ich sehe, das wird schwierig, das Maikätzchen hat Krallen"

"Und der April-Widder stößt meines Erachtens zu schnell ins
Sperrgebiet vor. Pass auf, dass Du Dir beim Übersteigen des Gatters
nicht die Haxen brichst Gevatter."

" Ohh, der Spruch kommt jetzt aber nicht in die Sammlung *zur
Nachahmung empfohlen*. Dennoch, Du siehst bei dem Versuch, mich in die
Schranken zu weisen außerordentlich aufreizend aus, ich liebe
Widerstand, man wächst daran, ihn zu brechen."

" Ich finde, Du bist schon gross genug. Oberflächlich getippt
mindestens EINSNEUNZIG, Du musst also schon jede Menge Widerstand
gebrochen haben."

" Touché Serena, EINSFÜNFUNDNEUNZIG, soviel Zeit muss sein.
Du erwartest jetzt aber nicht, dass wir uns über moderne betriebliche
Kennziffernanalyse ,Vulkanasche, Bildungsmisere, Wirtschaftskrise: oder die schlimme Welt in der wir leben, unterhalten?

Wie ich die Welt retten würde, wenn ich Zeit dafür hätte" das hat bereits jemand zu einem Taschenbuch verarbeitet.
Falls Du aber doch eines dieser Themen auflegen möchtest,, stoße bitte einen Sirenenton aus, damit meine Fluchtmechanismen geölt werden können."

" Ich bin eigentlich ziemlich bescheiden, hast Du mich im Chat nicht
mal *Veilchen am Wegesrand* genannt? Meine Ansprüche an Kommunikation
müssen also doch so fordernd nicht gewesen sein und daran hat sich
nichts geändert. Du musst hier nicht einen Gag nach dem anderen
ablassen, das bringt mich dermaßen in Zugzwang, dass mir in der
nächsten Sekunde bei der Suche nach einer adäquaten Antwort der
Angstschweiß ausbricht."

"Hurra, eingelaufen ins Ziel. Ich muss meine Karten aufdecken Serena.
Das ist die Taktik eines idiotischen  Knaben, der noch immer nicht
kapiert hat, dass er nicht Superman sein muss, um Interesse bei einer
wirklich netten und normalen Frau zu wecken und deshalb versucht, ein
Feuerwerk von Sprüchen abzulassen, damit seine Hemmungen möglichst
nicht schon in den ersten Sekunden über alle Ufer treten.
In Wahrheit bin ich heilfroh, wenn mein IQ nicht pausenlos auf dem
Prüfstand steht, solltest Du das auch nicht wollen, ist nur noch eine Frage offen:

"Wohin? Zu mir oder zu Dir?"

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.05.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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