Serena traf ihn in der öffentlichen Kantine
der Postverwaltung und
alleine die Wahl des Ortes hätte
sie warnen sollen.
Ihr erstes Internetdate und dann in einer
Kantine?
Viel schien er in dieses Treffen nicht
investieren
zu wollen.
Dennoch, prüfend wagte sie einen Bick
in den großen
Garderobenspiegel im Foyer, mehr als
bereit,
in den riesigen
überfüllten Raum zu schreiten wie
die Versuchung persönlich.
Es hatte zwar ewig gedauert, bis sie
sich entschließen
konnte, die virtuelle
Bekanntschaft zu vertiefen, aber als zu
erkennen
war, dass
sein Interesse nachließ, sprang sie
über ihren introvertierten
Schatten.
Er schien zudem ein wenig launisch zu
werden, wenn seine Wünsche
torpediert wurden und so gab sie dann nach.
Seine Einladung erging dann sehr
kurzfristig
und ließ den
Verdacht aufkommen, dass er seine Chance
nutzen
und ihr keine weitere Überlegungszeit
mehr zugestehen wollte.
Sie fühlte sich ein wenig überfahren,
hätte allzu gerne noch vorher
einen Kosmetiktermin wahrgenommen, aber
das,
was sie dennoch aus sich
gemacht hatte, musste genügen.
Entschlossen warf sie ihre Tasche über
die Schulter und sah sich
suchend um.
Wie sollte sie ihn hier finden?
Sein Foto war etwas unscharf gewesen,
sie sah sich
außerstande, ihn zweifelsfrei zu erkennen.
Zögernd stand sie am Eingang, wich
pausenlos
den mit Tabletts
beladenen Gästen aus und fühlte
sich nun doch leicht verunsichert.
"Wenn ich Dich sehe meine Liebe, kommt
mir
der Verdacht, Du hast
maßlos übertrieben als Du mir erzählen
wolltest, ein
Schönheitsoperateur hätte bei Dir
mehr zu tun, als zum Ausbau der A 1
aufgewendet wurde", raunte eine männliche
Stimme in ihrem Rücken und
Serena fuhr lachend herum.
"Markus?"
"Richtig , neben Deiner Schönheit komme
ich mir zwar gerade vor, wie
ein Teller bunter Knete, aber seis drum,
ich
schmücke mich nur allzu
gern mit Dir."
Der große, etwas schlacksige Mann nahm
sie kurzerhand
in den Arm und küsste sie auf beide Wangen.
Seine grauen Augen sahen sie beifällig
an. Was er sah schien ihm zu
gefallen.
Während er sie zu einem der Tische
geleitete,
gelang es Serena, ihn
unauffällig zu mustern.
Er musste um die 25 sein und legte wohl
keinen
grossen Wert auf eine
allzu konventionelle Kleidung. Jeans und
krawattenloses
Hemd passten
aber ebenso zu ihm, wie die Basballkappe
deren
Schirm verwegen
hochgeklappt war. Er überragte sie um
Haupteslänge
War das ein Symptom für irgendwas?
Aber was solls, alles was wir tun ist
schließlich
ein Symptom für
irgendwas dachte sie und beschloss, ihn auf
sich wirken zu lassen.
"Wer eine schöne Tussi zum Weibe nimmt,
ist garantiert automatisch von
der Vergnügungssteuer befreit." Markus
grinste sie fröhlich an.
"Was, wie? Du sprichst doch nicht etwa
von
mir, ist das aus Deiner Kiste für
Internetdates?
Ohne die Bezeichnung Tussi hätte es
allerdings
glatt
als Kompliment durchgehen können.
" Pardon meine Schöne, ich befinde mich
noch im Auswahlprozeß, ob ich
heute als biophysikalische Niete oder als
Senkrechtstarter bei Dir
Furore machen sollte. Lass mich also
austesten,
welche Version hier
und heute die Richtige wäre".
"Ach sei wie Du wirklich bist, oder
wie Du nach unseren langen Gesprächen
im Chat zu sein scheinst, das
passt dann schon."
"Lassen wir das Geplänkel, was darf ich
Dir vom
Servierwagen bringen? Gehörst Du zur
weiblichen Spatzesser-Brigade, oder kannst
Du tüchtig reinhauen?"
"Ach ja, das Gewicht, das ist so eine
Sache,
aber heute vergesse ich
mal, dass der Kampf bei mir ja nur noch
darum geht, ab wann ich meine
Kledage aus der Kollektion für
heranwachsende
Gorillas auswählen
kann".
" Das fasst man ja nicht, schlank wie
eine
Gerte und dennoch diese
*Huch ich werde zu dick* Performance?"
Markus sah sie kopfschüttlend an.
"Wehret den Anfängen, so bin ich nun mal
mein Bester.
"Mische ein bisschen Torheit in dein
ernsthaftes
Tun und Trachten!
Albernheiten im rechten Moment sind etwas
ganz Köstliches.
Sagte das nicht schon Horaz?"
"Sei getrost, es wird noch ein Weilchen
dauern,
bis jemand bei Deinem
Anblick ausruft; Oh, sie hat ja ein
Hinterteil
wie ein Hubschrauber-Landeplatz."
Beladen mit ihren Tabletts nahmen Serena
und
ihr Mailpartner mitten
im Getümmel der Massenabfertigung Platz
und sahen einander prüfend an,
erkennbar beide nicht sicher, ob der Start
gelungen und die Sprüche
ihren Zweck, das Eis zu brechen, erfüllt
hatten.
"Warum hast Du diesen Treffpunkt
ausgewählt
Markus? Meinst Du nicht,
wir werden Mühe haben, bei dieser
Lautstärke
einander überhaupt zu
verstehen?
Wäre es nicht leichter gewesen, wenn
wir uns mehr aufeinander
konzentrieren könnten?"
" Jedes Ding hat zwei Seiten, Du weisst,
dass
ich mein Geld als
Diskjokey verdiene, für mich ist das
hier, gemessen an meinem
Arbeitsfeld, eine echte Oase."
Fast hätte Serena ausgesprochen, was ihr
gerade durch den Kopf ging,
beschloss aber dann, ihre Vermutung, dass
er mehr Intimität unbedingt
hatte vermeiden wollen, lieber nicht zu
äußern.
Es würde sich zeigen,
ob er einer dieser Burschen war, deren
linke
Schulter bereits eine
Hornhaut aufwies, obligatorisch bei
Schaumschlägern,
die sich dauernd
selbst auf die Schulter klopfen.
Hatte sie nicht soeben selbst völlig
atypisch reagiert und die
kess-coole Biene gespielt, während ihr
doch das Herz bis zum Halse schlug?
Er würde einen völlig falschen Eindruck
von ihr bekommen, wenn sie
dauernd so bemüht war, das Gespräch
auf einem Level zu halten, das
derart an der Oberfläche blieb.
Hier gings doch nicht darum, wer am
witzigsten
parieren konnte.
Obwohl, wenn sie sich an die vergangenen
Wochen
virtuellen Austausches
erinnerte, da war er doch auch nicht so
unbedingt
daran interessiert
gewesen, tiefschürfende Gespräche
über Gott und seine Welt zuzulassen.
Man würde sehen, bei welchem Thema seine
Oberfläche sich zu kräuseln
begann.
" Darf ich unser erstes Offline-Thema
vorgeben
Serena ?
Sprechen wir über die Kunstszene, über
Politik, Religion, oder darf ich Dir erzählen, wann
man mir zuletzt Damen-Höschen auf die
Bühne geworfen hat?"
Letzteres war zwar ein einmaliger Vorgang,
aber ich zehre noch heute
von dem Ereignis, dass ich einen Abend mit
Brad Pitt gleichziehen
durfte."
"Was ist los mit dir, haben deine Hormone Betriebsfest? "
"Ja ich weiß, das war richtig
angeberisch,
aber dafür werde ich nun den
ganzen Tag gute Laune haben."
Markus sah sein Gegenüber aufmerksam an
und
schloss innerlich eine
Wette ab, wann sie damit beginnen würde,
das übliche
Beziehungskistengerangel aufzulegen, nach
denen sie natürlich, von den
Verflossenen masslos enttäuscht,
zurückgeblieben
sei.
Dergleichen pflegte dann mit der Bemerkung
zu enden, wie sinnlos es
doch sei, darüber zu sprechen. Männer
wüßten doch gar nicht, wann sie
überhaupt eine Beziehung haben.
" Na, wie fällt die Realprüfung aus
Markus?
Überlegst Du gerade, ob ich zu der Sorte
gehöre, die jeden Morgen
zuerst die Todesanzeigen liest und sich
erst
ihr Frühstück macht, wenn
sie nicht darin erwähnt ist?"
"Musst du immer so seltsame Fragen
stellen?
Im Grunde wollen wir doch beide dasselbe,
keine Federn lassen in
unserem ersten Gespräch unter vier Augen."
" Vier Augen? Also wenn ich das hier so
überfliege,
fühle ich mich
eher wie eine Elevin, die vor dem
versammelten
Publikum einer
mittleren Kreisstadt versucht, den
*sterbenden
Schwan * zu tanzen."
" Keine Sorge, ich werde Dich in meinen
Armen
auffangen, wenn Du zu
stolpern drohst."
"Pffft...dann lieber Kunstszene, okay reden wir über Rodin?"
"Ach ja, dessen Freikörper-Skulptur
steht
doch in Paris, und der
Betrachter fragt sich unwillkürlich,
was die Denkerpose aussagt.
Ich tippe darauf, dass er sich nicht so
recht
schlüssig werden
kann, wieviele Drinks er gebraucht hat, um
sich nackt auf dem Platz
wiederzufinden."
"Apropos Paris, ich war letzte Woche dort,
es war aber nur ein
Kurztrip, gewonnen in einer
Baumarkt-Offerte
und dann fand ich mich
in einer etwas obskuren Unterkunft wieder,
die mitten im Quartier
Latin lag.
Da im Quatier Latin nicht nur viele
Studenten,
sondern auch viele
Touristen anzutreffen sind, wird natürlich
jede Menge Unterhaltung
geboten. Es gibt hier zahlreiche
Diskotheken,
Kinos, Bars und
Restaurants. Also ein perfektes Arbeitsfeld
auch für Diskjokeys wie mich."
"Nach Paris?
Dahin reise ich nur der Liebe wegen ,
ansonsten
gehöre ich zu der Sorte,
die im Lande bleibt und sich redlich nährt.
Außerdem habe ich gehört,
dass die Franzosen fremdsprachige Besucher
nicht unbedingt schätzen.
Das würde bedeutet, mit meinem Englisch
komme ich dort ebensowenig an,
wie mit Deutsch und zu mehr hats bei mir
dann
nicht gereicht."
Serena zuckte bedauernd die Schultern.
Oha, Markus lachte..."solltest Du je
erwägen,
den Trip an einem Wochenende zu
wiederholen, ich bin für ein Doppelzimmer
in Montparnasse, dem
Künstlerviertel."
" Nur wenn Du versprechen kannst, nicht
zu
schnarchen und kein
Schlafwandler zu sein, denn ich möchte
nicht unbedingt vorher noch
einen Karatekurs belegen müssen." Serena
grinste übermütig.
"Wollten wir uns nicht näherkommen? Wie
nahe gedenkst Du es denn
zuzulassen? Markus sah sie neugierig an.
Vergiss nicht, ein Freund ist immerhin
jemand,
dem man all das dumme Zeug sagen
kann, das einem in den Sinn kommt.
Ich weiss zwar nicht, wer diesen
intelligenten
Spruch von sich gab,
aber eines scheint klar, Du bist gerade
dabei,
mich auf Herz und
Nieren zu prüfen, während ich durchaus
bereit wäre, mich mit dem zu
begnügen, was ich mit bloßem Auge
sehen kann."
"Serena lächelte, "aber Du weisst schon,
dass dann durchaus die Gefahr besteht, ein
Gespräch endet in einem Feuerwerk
nichtssagender
Sprüche, als habe
jemand ein Bierdeckeldrehbuch im Vollrausch
geschrieben."
"Und? Wäre das ein solches Fiasko?
Wir können die Sache auch abkürzen
und ohne jede Rücksicht sagen, was
wir voneinander erwarten, klar und
schnörkellos,
was hälst Du davon?"
" Was bliebe denn dann? Welchen
Erkenntnisstand
haben wir denn
voneinander, der ausreichen würde, ein
Urteil zu fällen?"
"Urteil? Also vor Gericht sehe ich mich hier aber nicht Mädel."
" Dann nenne es eine *Entscheidung*.
Und...*das
Mädel* sagt Dir jetzt,
Du kannst den Panik-Level herunterfahren,
dies hier ist wirklich keine
Prüfung auf Herz und Nieren, die sähe
wesentlich anders aus.
"Seufz...ich sehe, das wird schwierig, das Maikätzchen hat Krallen"
"Und der April-Widder stößt meines
Erachtens zu schnell ins
Sperrgebiet vor. Pass auf, dass Du Dir beim
Übersteigen des Gatters
nicht die Haxen brichst Gevatter."
" Ohh, der Spruch kommt jetzt aber nicht
in
die Sammlung *zur
Nachahmung empfohlen*. Dennoch, Du siehst
bei dem Versuch, mich in die
Schranken zu weisen außerordentlich
aufreizend aus, ich liebe
Widerstand, man wächst daran, ihn zu
brechen."
" Ich finde, Du bist schon gross genug.
Oberflächlich
getippt
mindestens EINSNEUNZIG, Du musst also schon
jede Menge Widerstand
gebrochen haben."
" Touché Serena, EINSFÜNFUNDNEUNZIG,
soviel Zeit muss sein.
Du erwartest jetzt aber nicht, dass wir uns
über moderne betriebliche
Kennziffernanalyse ,Vulkanasche, Bildungsmisere, Wirtschaftskrise: oder die schlimme Welt in der wir leben, unterhalten?
Wie ich die Welt retten würde,
wenn ich Zeit dafür hätte" das hat bereits jemand zu einem Taschenbuch verarbeitet.
Falls Du aber doch eines dieser Themen auflegen möchtest,, stoße bitte einen
Sirenenton
aus, damit meine Fluchtmechanismen geölt werden können."
" Ich bin eigentlich ziemlich
bescheiden, hast
Du mich im Chat nicht
mal *Veilchen am Wegesrand* genannt? Meine
Ansprüche an Kommunikation
müssen also doch so fordernd nicht gewesen
sein und daran hat sich
nichts geändert. Du musst hier nicht
einen Gag nach dem anderen
ablassen, das bringt mich dermaßen in
Zugzwang, dass mir in der
nächsten Sekunde bei der Suche nach einer
adäquaten Antwort der
Angstschweiß ausbricht."
"Hurra, eingelaufen ins Ziel. Ich muss
meine
Karten aufdecken Serena.
Das ist die Taktik eines idiotischen
Knaben, der noch immer nicht
kapiert hat, dass er nicht Superman sein
muss,
um Interesse bei einer
wirklich netten und normalen Frau zu wecken
und deshalb versucht, ein
Feuerwerk von Sprüchen abzulassen, damit
seine Hemmungen möglichst
nicht schon in den ersten Sekunden über
alle Ufer treten.
In Wahrheit bin ich heilfroh, wenn mein IQ
nicht pausenlos auf dem
Prüfstand steht, solltest Du das auch
nicht wollen, ist nur noch eine Frage offen:
Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Lieselore Warmeling).
Der Beitrag wurde von Lieselore Warmeling auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 05.05.2010.
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