Lieselore Warmeling
Sankt Johannisweihler
Graf Friedrich würde einen neuen Busen finden um
Nektar zu schlürfen, dessen war sie sicher, als sie auf dem gleichen Weg
floh, auf dem die Belagerer offensichtlich ihre Spione in die Burg
geschleust hatten.
Sie hatte einige ihrer besten Kleider zu einem
handlichen Bündel geschnürt und versuchte, nackt wie Gott sie schuf,
durch den Latrinenschacht ins Freie zu gelangen.
Mit einem
schmerzhaften Plumps landete sie auf dem harten Boden, mitten in den
auseinander spritzenden Exkrementen.
Das würde sie diesem feigen
Schuft nie verzeihen.
Bei dem Gedanken, wie er sie getäuscht und
sich selbst in Sicherheit gebracht hatte, schnürte ihr der Zorn fast die
Kehle zu.
Fluchend rappelte sie sich auf, schnappte das zum Glück
weit neben den Latrinenschacht gefallene Kleiderbündel und lief, die
Deckung der hohen Ginstersträuche nützend, hinunter zum Fluss.
Waffenlärm
und Todesschreie aus der Burg wurden leiser, bis sie ganz verstummten.
Sie war entkommen.
Ohne ein Geräusch zu machen, stieg sie in das
klare Flusswasser und reinigte sich gründlich.
In der Sonne
liegend, trocknete sie ihr hüftlanges Blondhaar und wartete die Nacht
ab.
Wenn die Eroberer ihren Sieg gebührend gefeiert hatten, musste es
gelingen, in die Stallungen außerhalb der Burg zu gelangen, in denen
ihr Zelter stand.
Zuvor galt es, die hinderliche Kleidung einer
Dame der Gesellschaft so schnell als möglich los zu werden.
Für den
bevorstehenden, beschwerlichen Ritt riss sie kurzerhand die
bodenlangen Ärmel ihres weißen Seidensamt - Houppelande aus, entfernte
Rubine und aufgestickte Perlen und verstaute alles in dem mit
Goldmünzen gefüllten Beutel um ihre Hüften.
Dann kürzte sie ebenso
flink den Saum des Niderkleits.
Es klappte alles. Das Glück der
Tüchtigen war mit ihr.
Die Soldaten lagerten im Burghof und ihre
Anführer lärmten trunken im Rittersaal.
Niemand bewachte die
Stallungen und sie konnte ihrem Pferd ungestört die Hufe umwickeln und
es lautlos herausführen.
Weit hinter der Burg schwang sie sich im
Herrensitz auf den Zelter und preschte davon.
Sie fühlte den
kühlen Luftzug, roch die feuchte Erde, den Geruch des nahen Waldes so
intensiv wie nie zuvor.
Der Tod, ihr so nahe wie nie, begann seinen
Schrecken zu verlieren, dennoch blieben ihre Sinne aufs äußerste
geschärft.
Die Gefahren die vor ihr lagen ließen es nicht zu, auch
nur einen Moment unaufmerksam zu werden..
Sie musste versuchen,
sich nach Rom durchzuschlagen, der Stadt, in der Kurtisanen ein allseits
geachtetes und einflussreiches Leben führen konnten, so es ihnen
gelang, einen der mächtigen Adeligen oder Kleriker zu beeindrucken.
Diesmal
aber würde sie sich ihren Gönner sorgfältiger aussuchen.
Durch
subtile Erpressung eines Mächtigen die eigenen Ziele zu erreichen, das
schien
noch immer der beste Weg, in dieser harten Zeit einigermaßen
komfortabel zu leben.
Immerhin war sie erst achtzehn und
Schönheit hatte noch immer ihren Wert. Ihre Karriere würde nicht dadurch
aufzuhalten sein, dass die Burg Hohenzollern gerade gefallen war, der
Graf schnöde die Flucht ergriffen und sie den angreifenden Feinden
ausgesetzt hatte.
Zuerst allerdings hatte sie eine heilige
Pflicht zu erledigen.
Einerlei, wie sehr sie sich damit in Gefahr
begab, es musste sein.
Sie biss die Zähne zusammen und versuchte, die
aufkommenden Ängste abzuschütteln.
Niemand sollte ihr je
Hasenherzigkeit vorwerfen können.
Ihren feigen Gönner hatten zum
Schluss nur noch die Vasallen ihrer Heimatgemeinde Sankt Johannisweihler
umgeben, der Rest der Burgbesatzung hatte sich abgesetzt, als deutlich
wurde, dass auch die Wagenladung Schwarzpulver, die sie unter Einsatz
ihres Lebens durch Feindeslinien geschmuggelt hatte, die Burg
Hohenzollern nicht vor dem Fall retten würde.
Graf Friedrich war
entkommen, aber sie wusste, der Zorn seines Souveräns würde sich jetzt
auf diejenigen richten, die ihm bis zuletzt die Treue gehalten hatten.
Und da allseits bekannt war, dass sie sein Bett in der Kemenate geteilt
hatte, durfte sie auf keinen Fall den Kaiserlichen in die Hände fallen.
Ihre
Familie und mit ihnen die gesamte Gemeinde Sankt Johannisweihler war
ebenfalls in höchster Gefahr.
Sie rechtzeitig zu warnen war eine
gefährliche Mission, denn sie hatte auf ihrem Zelter durch besetztes
Gebiet zu reiten, was nur nachts ratsam war. Tagsüber musste jeweils ein
sicherer Unterschlupf gefunden werden.
Womit sie zu rechnen
hatte, wenn man ihrer habhaft wurde, stand angenagelt an allen
Kirchentüren:
'Es wird dem
Delinquenten von des Scharfrichters Knechten erstlich mit einem großen,
dazu bereiteten Messer ... die Brust gleich herunter von vorn
aufgeschnitten, die Rippen herumgebrochen und herumgelegt, sodann das
Eingeweide samt dem Herzen, Lunge und Leber, auch alles, was im Leibe
ist, herausgenommen und in die Erde verscharret, anbei wohl dem armen
Sünder vorhero aufs Maul geschmissen.
Nach diesem wird derselbe auf
einem Tisch, Bank oder Klotz gelegt, und ihm mit einem besonderem Beil
erstlich der Kopf abgehauen, nach diesem aber der Leib durch sohanes
Beil in vier Teile zerhauen, welche sämtlich, neben dem Kopfe ... an den
Straßen aufgenagelt werden.'
In dieser Nacht ritt sie gen
Mössingen, wo der Jude Melchior ihr weiterhelfen würde. Er handelte mit
allem, was sich denken ließ. Es würde ein leichtes sein, im Tausch
gegen die Rubine Wams und Kopfbedeckung eines fahrenden Sängers zu
erwerben und mit der Laute durchs Land zu ziehen. Eine Amalie de
Messingen ließ sich nicht unterkriegen.
Sie kam in völliger
Dunkelheit in Mössingen an. Es hatte angefangen zu regnen und sie war
durchnässt bis auf die Haut.
Die Gasse in der Melchiors Haus lag,
war totenstill, sie würde ihn wecken müssen.
Und dann sah sie
ihn. Melchior war auf eine Weise präsent, die ihr den Atem verschlug,
sein Kopf war an seine Ladentür genagelt und er starrte sie mit
schreckgeweiteten Augen und zum Schrei aufgerissenem Mund an.
Sekundenlang
war Amalie wie gelähmt vor Entsetzen und erbrach sich dann in den
schmutzigen Rinnstein vor dem Haus.
Jetzt wusste sie, dass die
Kaiserlichen schon einen Vorsprung hatten, es sei denn, sie
übernachteten gerade in Mössingen.
Wenn sie sich jetzt nicht
überwand, würden sie vor ihr in Sankt Johannisweihler sein.
Mit
abgewendetem Gesicht und kleine Stoßgebete murmelnd stieß sie Melchiors
Ladentür mit einem Stock auf und lavierte sich an seinem ausgebluteten
Kopf vorbei ins Innere.
Obwohl der im Halbdunkel liegende Laden fast
ausgeraubt war, fand sie Wams und Barett eines Minnesängers und in
einer alten Truhe sogar eine Laute.
Erschöpft setzte Amalie sich
auf einen Stapel zerrissener Vorhänge, ein paar Sekunden nur, die musste
sie sich gönnen, die Vorstellung, erneut an Melchiors Kopf vorbei zu
müssen, schreckte sie zutiefst.
Inzwischen graute draußen der
Morgen, sie konnte es sich nicht leisten einzuschlafen..
Schnell zog
sie sich um und betrachtete ihre Verwandlung in dem großen Ladenspiegel.
Nein,
so ging das nicht, das Opfer musste gebracht werden. Entschlossen griff
sie zu einer herumliegenden Schneiderschere bereit, ihr langes
Blondhaar bis auf Kinnlänge abzuschneiden.
„Halt“, die männliche
Stimme kam aus dem Halbdunkel hinter dem Ladentisch. Amalie hob
instinktiv die Schere, bereit sie einzusetzen, gegen wen auch immer
„Aber,
aber, wer wird denn, “der Mann, den sie nur umrissartig sah, lachte
spöttisch.
„Meine Liebe, Ihr werdet doch nicht annehmen, ich hätte
Euch nicht längst überwältigt, wenn ich das vorgehabt hätte. Als Ihr
nackt wart, wäre mir das doch ungleich leichter gefallen, meine Schöne.“
Er
trat aus dem Schatten.
Ohne sie aus den Augen zu lassen verbeugte er
sich elegant, als sei er bei Hofe.
„Gnädigste gestatten, Francois
Villon.“
Er war ein großer, kräftig gebauter Mann, der aussah, als
müsse er Schaftstiefel und die Kleidung eines Landjunkers tragen.
Stattdessen aber war er in die feinste burgundische Herrenmode
gekleidet. Sein schwarzes, lockiges Haar fiel ihm bis auf die
Schultern. Der dunkle Oberlippenbart betonte beim Lächeln kräftige,
weiße Zähne. Stahlblaue Augen waren von beneidenswert dichten Wimpern
umgeben und trotzdem wirkte er keine Spur weibisch.
Er sah sie
aufmerksam an.
„Ich schließe aus Eurer Verkleidung, dass es gute
Gründe gibt, als Minnesänger durchs Land zu ziehen, auch wenn ich eher
davon ausgehe, dass eine schöne Frau ungleich mehr Möglichkeiten hat,
sich durchzuschlagen. Die Risiken dürftet Ihr aber wohl überdacht und
Euch für diese Rolle entschieden haben.“ Er sah Amalie fragend an.
„Das
ist nicht Euere Sache,“ sagte sie schnippisch.
„ Sagt das nicht,
vielleicht können wir einander von Nutzen sein. Ich brauche ebenso wie
Ihr eine perfekte Tarnung.
Sollten wir also dieselbe Richtung haben,
könnt Ihr Euch mir anschließen. Ihr reist ungleich sicherer und ich
kann als Euer Mann ebenso unbehelligt durchs Land ziehen.
Ich schlage
Euch also vor, verschont Euer wunderschönes Haar und vertraut Euch mir
an.
„Wie komme ich dazu, Euch zu vertrauen, was tut Ihr hier, was
ist Euer Ziel und vor wem habt Ihr Euch zu verstecken?“
Amalie sah
den eleganten Fremden misstrauisch an.
„Unsere Geschichte können
wir uns unterwegs erzählen, jetzt müssen wir hier weg, oder wir finden
uns ebenfalls an irgendeine Holztür genagelt wieder und dann habt Ihr
nur noch wenig davon, zu wissen, woher ich komme und wohin ich gehe
Madame,“ er verbeugte sich und grinste sie verwegen an.
Amalie
sog überlegend die Unterlippe zwischen die Zähne, ihre Stirn krauste
sich, „in welche Richtung gedenkt Ihr Euere Reise fortzusetzen,“ sagte
sie dann zögernd.
„ Seit man in diesem Land nicht auf einen
Abtritt gehen kann, ohne dass ein kaiserlicher Anhänger sich bemüßigt
fühlt, die Pisse der Majestät zu preisen, läuft man wohl Gefahr, sich
unvermittelt an eine Kirchentür genagelt wiederzufinden, wenn man als
Ziel die Burg Hohenzollern nennt.
Es hat zudem keinen Sinn mehr für
mich, diesen Ort noch erreichen zu wollen.
Graf Friedrich von
Hohenzollern hatte mich zu einem Dichtertreffen eingeladen.
Aber
derzeit besteht erkennbar kein Bedarf an derb-zynischen und zugleich
ehrlichen Balladen.
Vagantendichtung ist mit ziemlicher Sicherheit
nichts, womit die Hohenzollern im Moment allzu viel anfangen können.
Sie
sind offensichlich dabei ihre Haut zu retten. Ich gedenke also, mich
über die Grenze abzusetzen, der Versuch, in dieses Land so etwas wie
Kultur zu bringen, kann wohl als gescheitert betrachtet werden.“ Villon
lachte spöttisch.
„Ihr seid das“, Amalie trat einen Schritt
näher und legte die Schere aus der Hand.
„ Habt Ihr Euere Werke nicht
unter dem Titel „Le grand testament“ veröffentlicht?
Und hat nicht
der oberste Gerichtshof Euch wegen Bandentätigkeit für zehn Jahre aus
Stadt und Grafschaft Paris verbannt?“
Als sie seine Überraschung
sah, setzte sie lächelnd hinzu, „Friedrich hat genau dieser Widerspruch
gereizt, er ließ Euch kommen um festzustellen, ob Ihr für seine Zwecke
einsetzbar seid, denn wie man weiß, beherrscht Ihr exzellent wie niemand
sonst die Verächtlichmachung eines Gegners in Liedern, Traktätchen und
Schauspielen.
„Potztausend Madame Ihr seid ausgezeichnet
informiert. Heißt das, Ihr habt bei Hofe gelebt und Friedrich hat Euch
in seine Pläne eingeweiht?“ Er trat so dicht an sie heran, dass sie
seinen Atem spürte.
„ Wo hatte ich denn nur meine Augen, Ihr seid
Amalie de Messingen, aber ja, Ihr müsst es sein, Das Gerücht über Euere
Schönheit und Eueren Mut ist bis Burgund gedrungen und ich habe sogar
in diesem Halbdunkel sehen dürfen, dass zumindest Euere Schönheit kein
Gerücht ist.“ Er verbeugte sich galant.
„Nachdem feststeht, dass
Ihr Euch den Weg zur Burg sparen könnt, gehe ich davon aus, ihr werdet
durch die Alb gen Westen zur französischen Grenze reisen,“ sagte Amalie,
“ das ist auch meine Richtung, ich werde jedoch einen
Zwischenaufenthalt in Sankt Johannisweihler einplanen müssen, danach
aber eine Reisegelegenheit nach Rom suchen.“
„ Bestens Madame,
dann schließt Euch mir an und steigt wieder aus diesem lächerlichen Wams
heraus. Als Dame der Gesellschaft seid Ihr in meiner Begleitung
geachtet und so sicher, wie das in dieser Zeit nur möglich ist. Ich habe
eine Kutsche hinterm Haus, aber leider nur ein Pferd, das andere hat
man mir sozusagen unterm Hinterteil weg geschossen.
Euer Zelter
draußen ist also hochwillkommen.“
„ Ich bin einverstanden, werde
aber die Zügel selbst führen , ich kenne jeden Winkel der Schwäbischen
Alb und wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn die Kaiserlichen erst
das Terrain bis zur Grenze erobert haben, kommen wir nicht mehr aus dem
Land und enden wie Melchior, der sich garantiert nicht mehr hat
zuschulden kommen lassen, als seinen Geschäften nachzugehen. Wie man
aber sieht, erkennbar mit den falschen Leuten.“
„Das kommt nicht
in Frage, ihr könnt gerne neben mir auf dem Kutschbock sitzen und mir
den kürzesten Weg weisen, aber ich werde unser Gefährt lenken, das ist
nichts für Euere zarten Hände.“
Er klang so entschlossen, dass Amalie
schwieg. Die Gewissheit, sich verlässlichen Händen zu übergeben, war
so stark, dass sie nicht länger zögerte und hinter den Ladentisch
huschte, um sich erneut umzuziehen.
Villon schirrte inzwischen den
Zelter an, der sich nach anfänglichem Scheuen in sein Schicksal ergab
und sich nicht mehr gegen den kräftigen Braunen wehrte, der zusammen mit
ihm die Kutsche ziehen sollte.
Als die Sonne aufging entrollte
Villon mit äußerster Sorgfalt eine Landkarte und verschaffte sich die
nötige Orientierung. Er gedachte die Grenze nach Burgund auf dem
schnellsten Wege zu erreichen.
Der Regen hatte nachgelassen und
es versprach eine angenehme Fahrt zu werden.
Diese Erwartung aber
wurde bereits beim ersten Siedlungsflecken hinter Mössingen jäh
zerstört.
Durchdringender Qualm lag über dem Ort und Villon hielt das
Gefährt unter drei hohen dichtbelaubten Eichenbäumen an.
„Wartet“,
sagte er , „ich will herausfinden, ob der Gegner den Flecken bereits
gebrandschatzt hat."
Er war sehr schnell wieder zurück.
„Um
diesen Ort haben die Kaiserlichen einen Riesenbogen gemacht und das
werden wir jetzt auch tun. Was da brennt sind die Scheiterhaufen des
schwarzen Todes. Die Pest hat diese Siedlung ereilt, betete Madame,
dass Flucht da noch viel nützen wird."
Sie hielten den ganzen Tag
nicht an und das war auch nicht ratsam, denn der Geruch des Todes lag
über der ganzen wundervollen Landschaft wie ein unsichtbares
Leichentuch.
Irgendwann aber waren die Pferde zu Tode erschöpft.
Mensch und Tier brauchten Ruhe. Villon hielt auf einer kleinen Lichtung
weit ab von jeder Siedlung und nun erwies sich, dass er ein umsichtiger
Mensch war. Es dauert nicht lange und er hatte ein kleines Feuer
entzündet, die Pferde versorgt und sein Reisegepäck enthielt zu Amelies
Entzücken alles, was hungrige Reisende sich nur wünschen konnten.
Dieser
Mann verstand es zu leben.
Satt und müde rollte sie sich in eine
Decke ein und wartete, bis er das Feuer abgedeckt hatte.
„Das
Geistesleben in Burgund ist mehr als lebhaft, Ihr solltet es dem
römischen Lotterleben vorziehen Madame,“ sagte er plötzlich, als sei es
ihm gerade in den Sinn gekommen, wohin die Reise seiner schönen
Begleiterin gehen sollte.
„Dorthin kommen sie alle einmal, die
Größen unserer Zeit, dagegen ist Rom ein dekadenter Platz, nicht
wirklich bemerkenswert.
Sogar Euer Kunsttheoretiker Albrecht Dürer
hat sich mit verschiedenen Gleichgesinnten in Burgund getroffen.
Hier
sieht es so aus, als seien die Siege der Kaiserlichen nur noch ein
letztes Aufflackern. Es ist durchaus möglich, dass es die Stände in den
Städten sein werden, welche die Zukunft des Landes bestimmen.
In
Burgund geht man davon aus, dass Friedrich III der letzte sein wird,
der die Kaiserkrone vom Papst erhalten hat. Die Macht Roms neigt sich
dem Ende zu.
Graf Friedrich von Hohenzollern könnte also in
absehbarer Zeit durchaus wieder auf seine Burg zurückkehren.“
Er
sah Amalie forschend an.
„Pahh,“ sie stieß verächtlich die Luft
aus, „dem sei wie es wolle, er wird sich für seine Nächte einen
Buhlknaben suchen müssen. Meine Wege führen nicht zurück zu einem Mann,
der ohne mich die Burg schon viel früher hätte aufgeben müssen und der
dann, als er die Sache verloren sah, bei Nacht und Nebel das Weite
gesucht hat und alle die Menschen zurück ließ, die ihm über Jahre die
Treue hielten. Mein erstes Ziel ist Sankt Johannisweihler, alles andere
wird sich finden, Gute Nacht Villon.“
Sie kamen am
Spätnachmittag des folgenden Tages in Sankt Johannisweihler an und es
war die erste Siedlung auf ihrem Weg, über der nicht der Hauch der Pest
schwebte.
Hier war die Welt noch in Ordnung, Doch wie sehr es Amalie
auch drängte, sich auszuruhen, Pest und Kriegswirren hinter sich zu
lassen, es galt zu handeln und zwar ohne Aufschub.
Schon einen
Tag später zogen auch über Sankt Johannisweihler die typischen schwarzen
Rauchwolken verbrannter Leichen auf, die jeden Herannahenden abhalten
sollten sich dem Ort zu nähern.
In Wahrheit jedoch wurden die Gehöfte
von ihren Besitzern niedergebrannt, sie trieben ihr bestes Vieh vor
sich her, hatten ihre ganze bewegliche Habe auf Karren verladen und ihre
Spur verlor sich in den Kriegswirren jener Zeit.
Zwei Tage
später mussten die Schergen des Kaisers ihren Rachefeldzug
unverrichteter Dinge abbrechen.
Sankt Johannisweihler und seine
Bewohner, so wurde den Kriegsführenden von denen berichtet die der Pest
entkommen waren, seien bereits vom schwarzen Tod gerichtet worden.
Gott,
der selbstverständlich mit den Kaiserlichen sei, habe das Rebellennest
höchstselbst ausgeräuchert.
Sankt Johannisweihler wurde in der
Geschichtsschreibung als der Ort erwähnt, der einem Gottesurteil zum
Opfer gefallen sein müsse. Außer Asche sei nichts vom ihm geblieben.
Fünfzehn
Jahre später.....
1495, drei Jahre nach der Entdeckung Amerikas,
verließ ein Auswandererschiff den Hafen von Marseille.
An Bord ein
bekannter französischer Schöngeist namens Villon mit seiner hinreißenden
Gattin Amalie und ihren drei halbwüchsigen Söhnen.
Ach senliches leiden
meiden neyden
schaiden das tut we
besser wer versunken jn dem see
zart
minnikliches weib
dem leib mich schreibt und treibt gen josophat
hertz
mut syn gedanck ist worden mat
es schaidt der tod
ob mir dem gnad
nicht hellfen wil
auss großer not
mein angst ich dir verhil
dem
mundlin rot
hat mir so schier mein gier erwecket vil
des wart ich
genaden an dem zyl
(Oswald von Wolkenstein)
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