Christiane Mielck-Retzdorff

BURKA

 

 

Sie war einfach nicht schön. Zwar maß sie mit 176 cm groß, doch trug sie dabei auch ein erhebliches Gewicht mit sich herum. Ihr Haar war dünn, der Mund zu schmal, die Nase breit und geformt wie die eines Affen und der kleine Busen stand in umgekehrter Proportion zu ihrem ausladenden Hinterteil. Sie war nicht schön, doch einem Gott hatte es gefallen, ihr große, braune Augen zu schenken, die von langen, seidigen Wimpern umrahmt wurden. Augen von fast magischer Ausstrahlung, die jedoch niemand bemerkte, ob des unförmigen Gesichtes über einem unförmigen Körper in einer Welt, in der schlanke, elfengleiche Wesen mit anschmiegsamen Shirts und freien, gepiersten Schlankbäuchen auf wohl geformten Beinen mit bemalt befußten Sandalen einherstolzierten. Und während die prallen Ärsche dieser Zauberwesen die Blicke der geilen, jungen Erzeuger zukünftigen Lebens anzogen, ging sie vorüber, glücklich wenn sie unbemerkt blieb und niemand den Spott über sie verschüttete, der prächtig gedieh, wo das Bild wertvoller war als der Gedanke, die Illusion mehr galt als die Wahrheit.

 

Und sie sah Bilder, Bilder von Frauen, die ihre Körper, ihr Gesicht verstecken durften. Und diese Frauen schritten erhobenen Hauptes einher, befreit von der Pflicht schön sein zu müssen, makellos. Sie durften existieren um ihrer selbst Willen. Alles Äußere war verhüllt, für keinen Lästerer sichtbar, nur denen vorbehalten, die diesen Frauen nahe waren, und die liebten, was in der Hülle steckte, die das schwarze Gewand verbarg. Und während sie, so herausgeputzt wie irgend möglich, durch ein Einkaufzentrum ging, begleitet von den hämischen Blicken schlanker, vollbusiger Mädchen mit wallendem Haar und vollen, geglossten Lippen, die beißenden Kommentare der schmucken Jünglinge im Ohr, beschloß sie, sich fortan zu verhüllen.

 

Es war schwer sich in diesem, so freien Land eine Burka zu besorgen, aber für den Preis der Schönheit war ihr jedes Mittel recht. Und so nun endlich sah sie sich im Spiegel, groß und schlank unter dem Gewand. Nichts störte das perfekte Bild, keine Affennase, keine schmalen Lippen, kein schüttres Haar, nur ihre Augen, ihre wunderschönen Augen waren auch verborgen hinter einem Gitter wie das eines Gefängnisses. Aber dieses Gitter zu dem letzten Schritt in die Freiheit waren leicht zu überwinden. Es bedurfte nur einer Nagelschere, und schon war ihr Blick frei auf eine Welt, in der nunmehr eine schwarze Fee wandelte mit großen, magischen von langen, schwarzen Wimpern umrahmten Augen.

 

So schritt sie stolz durch das Einkaufszentrum und brachte das belanglose Plaudern der anderen jungen Frauen zum Verstummen, wenn ihr Blick diese vorbeihuschend traf. Und mit einem im Schwarz verborgenen Lächeln auf ihren schmalen Lippen ließ sie ihre Augen im Schatten ihrer schwarzen Wimpern leuchten hinüber zu den jungen Männern, deren Phantasie nun unter dem schwarzen Gewand einen Körper wähnten wohlgeformt, makellos und bereit, ihnen alle Wonnen zu schenken.

 

Endlich war sie frei! Nichts hatte sie verändert. Wie Gott sie geschaffen hatte, war sie auch jetzt. Sie hatte sich nicht die Nase operieren lassen oder die Lippen korrigiert, kein Fett absaugen, keine Haarverlängerung. Aber alles an ihr war nun ein Geheimnis, dessen Verlockung, es zu ergründen, in ihren Augen lag, dem Spiegel ihrer Seele.     

 

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Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

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