Norbert Wittke

Eingesperrt


Ein ganz normaler Tag im Büro des Finanzamtes in S. Es ist 10 Uhr morgens.
Ich sitze am Schreibtisch, der Mitarbeiter ein Hauptsekretär von 130 kg mit
stark ausgeprägten X-Beinen mir gegenüber.

Es klopft, die Tür geht auf. Ein sogenannter Steuerpflichtiger steht vor uns.
Beschwert sich lautstark, dass er immer noch nichts von der erwarteten
Steuererstattung gehört hat. Ich bitte um seinen Namen und die Adresse.
Stelle dann fest, dass ein anderer Kollege zuständig ist. Ich biete ihm an,
mit ihm zur zuständigen Stelle  zu gehen. 

Er weigert sich mit zu kommen. Beharrt darauf, dass ich ihm den Steuer-
bescheid und die Steuererstattung fertig mache. Ich erkläre ihm, dass ich
das nicht darf. Ich habe keine Akte, keinerlei andere Unterlagen von ihm,
kann mich nicht in die Zuständigkeit des Kollegen einmischen.

Er setzt sich auf den Besucherstuhl. Erklärt, er bleibe hier so lange sitzen,
bis ich seine Erstattung fertig gemacht habe. Ich erkläre ihm, dass ich das
nicht kann. Nur zum Kollegen im zuständigen Bezirk könne ich mit ihm gehen.

Er bleibt stur. In meinem Kopf regen sich die grauen Zellen. Was tun? Die
Möglichkeit die Geschäftsstelle anzurufen, um ihn durch die Polizei entfernen
zu lassen. Mein Telefongespräch dann mit dem zuständigen Kollegen führt
zu nichts. Er ist nicht bereit zu meinem Dienstzimmer zu kommen, um den
Mann zu sich in sein Büro zu bitten.

Geschäftsstelle  wäre blöd für mich, denke ich. Dann sagen sie, der junge
Inspektor kann sich nicht durchsetzen und kann nicht mit Publikum umgehen.
Also alle paar Minuten mein Vorschlag: " Sehen Sie doch bitte ein, dass ich
Ihnen nicht helfen kann. Ich kann Sie nur zum zuständigen Kollegen bringen."

Er bleibt sitzen. Ich rede mit meinem Mitarbeiter über ihn. "Was machen wir
mit ihm?" so die Frage, die wir uns gegenseitig stellen.

Die Uhr geht auf die Mittagspause zu. Bald 12.30 Uhr. Nichts hat sich geändert.
Er sitzt noch immer. Also nochmals Versuche. "Es ist bald Mittagspause. Wir
wollen gerne etwas essen gehen." - Keine Reaktion von ihm.

Also ein letzter Versuch. "Wir gehen jetzt in die Mittagspause." Keine Reaktion.
Wir beschließen, alle Schränke zu verschließen, auch die Schreibtische. Er will
immer noch nicht. "Sie haben jetzt die letzte Chance, mit uns das Büro zu verlassen."
Keine Reaktion, er bleibt einfach sitzen.

Wir schließen mit einem unguten Gefühl ab und gehen. Hoffentlich kriegt er keinen
Tobsuchtsanfall und demoliert das Büro. Nach dem Essen kommen wir zurück.
Ich schließe die Tür auf. Er stürmt an mir ohne ein Wort vorbei und geht.

Ich erwarte an sich, dass irgendwann noch eine Beschwerde von ihm nachkommt.
Aber wir können nach einigen Tagen aufatmen. Gott sei Dank ist nichts passiert.
Aber an der Landesfinanzakademie lernt man nichts darüber, wie man sich hier
verhalten soll. Bei den ganzen Vorschriften und Beurteilungskriterien zieht man
als junger Inspektor immer den Kürzeren.

Höflichkeit und Freundlichkeit waren bei mir immer die Eigenschaften, die für
mich besonders wichtig waren. Aber was nutzen sie, wenn der andere nicht
mitspielt.

27.05.2010                             Norbert Wittke

 

 

 

 

 

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