Jürgen Berndt-Lüders

Meine rotzfreche Nachbarin

Neulich stieg ich aus meinem Auto und hatte eine Telefonnummer im Kopf, die ich eben auf einem Plakat gelesen hatte. Ich wiederholte die Nummer immer wieder, um sie ja nicht zu vergessen, als meine Nachbarin, die grad beim Fensterputzen war, auf mich herunter blickte und was von fünftausendachthundertsechsundzwanzig in einer ziemlichen Lautstärke erzählte.

 

Ich bin bekanntlich ein Mann und kann immer nur eines zur Zeit, und deshalb kapierte ich nicht, was sie damit meinte, bis ich meine Telefonnummer gewählt hatte. Dann fiel mir die Zahl wieder ein.

 

Fünftausendachthundertsechsundzwanzig Euro? ah, diese Nachbarin meinte wohl, dass mein Auto und ich zusammen fünftausend Euro Abwrackprämie und Restwert brächten. Oder hatte sie gar nichts zu mir, sondern zu einer Person im Zimmer gesagt, die ich von draußen nicht sehen konnte?

 

Ich konnte sie nicht fragen, aber nicht, weil ich mich nicht getraut hätte, sondern weil sie mit Fensterputzen fertig war und dieselben bereits geschlossen hatte.

 

Ich beschloss also, beim nächsten Zusammentreffen eine ähnliche Spitze gegen sie abzuschießen, die immer noch eine Ausrede zuließ, falls sie keinen Spaß vertrug. Und deshalb sprach ich sie an, als sie dabei war, ihren Sperrmüll für die nächste Abfuhr nach draußen zu stellen.

 

„Bleiben sie bitte nicht übermäßig lange neben dem Haufen stehen. Vor allem nicht, wenn der Sperrmüllwagen auftaucht.“

 

Wenn sie pfiffig war, verstand sie meine Anspielung.

 

Sie lachte. „Mich nimmt eh keiner mehr mit. Wenn ich hier stehen bleibe, denken die Leute, dass ich auf den Bus oder auf Freier warte.“

 

„Nichts mehr Wert? keine fünftausendachthundertsechsundzwanzig Euro?“, fragte ich listig.

 

Sie überlegte, aber dann fiel ihr ein, was ich meinte. „Ah, Sie glauben, dass ich von Ihrem Wert gesprochen habe, als sie letzt ins Haus gingen? Nein, ich bin zwar eine Frau, aber ich kann auch immer nur eins zur Zeit. Ich hatte gerade im Radio eine Nummer gehört, die ich mir merken musste, und deshalb habe ich sie so lange wiederholt, bis das Fenster fertig geputzt war.“

 

„Aber weshalb haben Sie mich dabei angesehen?“

 

„Ich sehe Sie immer an, wenn ich Gelegenheit dazu habe.“

 

Auha, dachte ich, welch ein Kompliment, aber mittlerweile hatte ich überprüft, was sie und andere Nachbarn bereits raus gestellt hatten.

 

„Das Vertiko nehme ich“, sagte ich und deutete auf ein braun gebeiztes Monster aus der Gründerzeit, mit einer geschnitzten Krone.

 

„Das will ich aber“, sagte sie.

 

Ich lachte. Das Teil würde sie nie und nimmer tragen können. „Dann nehmen Sie es doch“, sagte ich.

 

Sie sah mich an wie einen schwachsinnigen Trottel. „Zwei Gründe, warum nicht“, dozierte sie. „Erstens... zu schwer für ein schwaches Weib wie mich. Zweitens... zu früh. Im Grunde könnte ich nie Eigentümerin werden, außer, der Vorbesitzer schenkte es mir. Bis jetzt gehört das Teil noch Herrn Surbier, der mich nicht leiden kann, und wenn es die Männer vom Sperrmüll berührt haben, gehört es der Stadt.“

 

Ein Wagen mit einem polnischen Kennzeichen hielt. Der Fahrer stieg aus und betrachtete das Vertiko.

 

„Das...nix...deinseins sein“, radebrechte ich. „Das... ihr seins sein. Zieht um nach Ukraine. Hat Klitschko-Bruder geheiratet.“

 

Der Pole verzog sich ängstlich.

 

„Das Ding ist weg, ehe wir pap sagen können“, stellte ich fest. „Wir müssen es bewachen, egal wer von uns beiden es kriegt.“

 

Ein Tscheche kam vorgefahren. Zwei gewaltige Brecher von Männern stiegen aus.

 

„Das nix euers. Außerdem kaputt. Bandwurm drin. Hör’ wie es nagt. Wenn Holz aufgefressen, kriecht bei euch rein.“

 

Einer der Tschechen lauschte am Holz, schüttelte den Kopf, stieg in sein Auto und fuhr mit dem anderen davon.

 

„Wir müssen es gemeinsam bewachen und noch eine Kompanie Soldaten anfordern“, sagte ich. „Falls der ganze, ehemalige  Ostblock auftaucht.“

 

Sie wollte eben zwei Klappstühle für uns holen, als ein anderer Nachbar eine Doppelbettcouch heraus stellte.

 

Wir ließen uns vom Straßenverkauf zwei Pizzen bringen und eine 5-Liter-Flasche Lambrusco, die wir manuell leerten, weil wir nichts hatten, worauf man Gläser hätten stellen können. Mit dem letzten Schluck tranken wir Brüderschaft. Und ein paar Kerzen fanden wir auch noch, und Streichhölzer.

 

Es wurde erst dunkel und fast gleichzeitig romantisch, die Sperrmüllpiraten wurden weniger und wir beide uns immer vertrauter.

 

„Warum heiß... du Denkfix?“, lallte sie.

 

„Erst sagen wie du heiß...“, forderte ich.

 

„Karrr...olala“, sagte sie

 

Ich verstand nicht, was sie sagte, deshalb sagte ich ihr nicht, warum ich wie hieß, und gegen Mitternacht klappten wir die Doppelbettcouch aus.

 

Nun wurde es noch romantischer.

 

Am nächsten Morgen weckte uns das Geräusch zerberstender Holzteile. So, als wenn Spongebob Miesmuscheln essen würde.

 

„Das Vertiko lassen wir heil“, rief einer der Müllmänner. „Das kriegt meine Schwiegermutter, damit sie ihre tausend Paare Schuhe nicht immer bei uns im Ehebett zwischenlagern muss.“

 

„Auf der Couch liegen welche“, sagte der andere. „He ihr, seid ihr Sperrmüll?“

 

Unsere Nieren und die Lebern hatten die fünf Liter billigen Weins inzwischen verkraftet. Zumindest ich war einigermaßen klar.

 

„Du ...kriegen...hundert Euro, wenn du anfassen, damit deins, und du uns dann schenken und nach oben bringen.“

 

„Wir sind Deutsche“, sagte der eine.

 

„Deshalb wollen wir auch zweihundert“, sagte der andere. „Mindestlohn.“

 

Die Müllmänner brachten den Schrank nach oben in ihre Wohnung. Als die beiden wieder nach unten kamen, war die Straße leer geräumt. Auch die Couch, auf der Carola und ich unsere erste, gemeinsame Nacht verbracht hatten. Die Polen waren’s nicht, die Ukrainer auch nicht. Es müssen wohl die Mongolen gewesen sein.

 

Woran ich das gemerkt habe?

 

Auf dem Boden lag als einziges eine Single von „Dschinghis Khan.“ Die spielen Carola und ich jetzt immer.

 

 

 

 

 

 

 

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