Christian Häfner

Der Wald

Der Wald (Kurzgeschichten-Version)

„Nein. Das kann nicht sein.“, schnauft er. Seine Schritte werden immer schneller. Vergebens.
„Du kommst hier nicht heraus.“, hallt die Stimme immer wieder nach.
Er schreit.
Dabei
schlägt er mit den Armen so weit aus, dass er die kleine, weiße
Porzellanvase auf seinem Nachttisch gegen die Wand schmettert.
Er
sitzt kerzengerade und schweißgebadet in seinem Bett. Schon immer
plagten ihn solch heftige Träume. Auch jetzt mit 32 Jahren. Doch dieser
Traum, diese Bilder, sie bringen ihn noch um seinen Verstand.

Wie jeden Morgen verlässt er sein Haus und geht spazieren.
„Hier
auf dem Land ist das sehr gesund.“, denkt er. Er entscheidet sich für
das kleine Waldstück am Dorfrand. Schon seine Eltern sind mit ihm dort
gewesen. Der Wald bietet Schutz vor Regen und vor der heißen Sonne,
sagten sie immer.
Seine Eltern suchten den Wald mit ihm
hauptsächlich zum Pilze suchen auf. Sie aßen diese für ihr Leben gern.
Er allerdings nicht. Im Gegenteil, er von der ganzen Pilzsucherei schon
eine regelrechte Phobie, so satt war er sie. Aber er wollte seine
Eltern nicht enttäuschen, deshalb ging er stets mit ihnen.
Als er 18 war, sah er seine Eltern zum letzten Mal.
Auf
dem Weg zum Waldstück, läuft er über den Friedhof. Ihm fällt auf, dass
er den Teil, der hinter der Kirche liegt, noch nie gesehen hat. Er
entschließt sich, ihn in Augenschein zu nehmen.
Die Atmosphäre der
ganzen Dorfumgebung ist bedrückend. Die des Friedhofs noch viel mehr.
Er läuft langsam und schaut sich öfters um. Der Geruch von Tod liegt in
der Luft.
Als er den hinteren Teil des Friedhofs erreicht hat, fällt
ihm ein Grab sofort ins Auge. Es ist relativ klein. Der Stein ist sehr
roh behauen und die Inschrift kurz gehalten.Von ihr kann er entnehmen,
dass das Grab einer vermissten und für tot erklärten Person gewidmet
ist.
Er steht lange vor dem Grab.
Langsamen Schrittes, verlässt
er den Friedhof und läuft in Richtung Waldrand. Dort angekommen, dreht
er sich um. Er betrachtet die Landschaft. Das Dorf, umgeben von Wiesen
und Weizenfeldern.
Er hat Zeit seines Lebens dieses Dorf noch
niemals verlassen. Während er diesen Gedanken hat, weicht auch das
letzte Quäntchen Freude aus ihm.
Er betritt den Wald, in dem die Sonne noch viel weniger Macht hat, als über das Dorf.
Es wird kühl.
Sein
Weg führt durch dichtes Farngestrüpp, dass er mit seinen abgewetztem.
braunen Lederstiefeln breit tritt. Es herrscht Stille im Wald. Weder
ein Kuckuck, noch ein Eichelhäher, nein nicht einmal eine Fink
zwitschert sein Lied.

Er
ist höchstens 20 Schritte in den Wald hinein gegangen, da hört er eine
Stimme. Wie ein Lied. Eine Art Kinderlied. Seine Mutter hatte es ihm
mal beigebracht. Sie schwillt immer weiter an. Schließlich verebbt sie.
Nach
kurzer Zeit, vernimmt er diese Stimme abermals. Wieder schwillt sie an
und wieder verebbt sie. Währenddessen sieht er so etwas wie ein
Schatten, der sich in Richtung Waldrand bewegt. Zu dem Weg, den er
gekommen ist. Doch mit der Stimme, verschwindet auch der Schatten.
Mit Gänsehaut in den Knien, die sich anfühlen, als wären sie aus Wachs, bewegt er sich tiefer in das Waldstück hinein.
„Schönen
guten Tag, junger Mann. Auch am Pilze suchen?“ Eine tiefe Stimme
spricht ihn an. Ein Mann, etwa 60 Jahre alt und mit grauem Haar, steht
vor ihm. Aus dem Dorf kann er nicht sein, sonst hätte er ihn bestimmt
schon früher getroffen. Trotzdem scheint das Lächeln dieses Pilzsuchers
vertraut.
Er unterhält sich mit dem Pilzsucher. Immer
ausgelassener und teilnahmsvoller. Dabei erzählt er die Begebenheit mit
den Stimmen. Daraufhin erklärt ihm der Pilzsucher, dass sich die Leute
hier von einem Fluch erzählen. Angeblich soll der Wald deswegen von
Geistern heimgesucht werden. Ein paar Minuten gehen beide schweigend
nebeneinander her.

„Ich würde jetzt gerne nach Hause gehen.“
„Aber ist doch selbstverständlich.“, entgegnet der Pilzsucher freundlich.
„Auf Wiedersehen.“
„Das denke ich auch.“
Er geht festen Schrittes in Richtung Feldweg. Schon nach kurzer Zeit, sieht er diesen und ein Teil des Dorfes.
Plötzlich
bleibt er irritiert stehen und dreht sich ein paar Mal um 360 Grad.
Gerade hatte er den Feldweg zum Dorf einschlagen wollen, nun sieht er
ihn nicht mehr. Stattdessen ist er wieder umgeben von Bäumen und
Sträuchern. Die Stelle kommt ihm bekannt vor. Hier hat er sich von dem
Pilzsucher verabschiedet.
Er erinnert sich an den Fluch.
Mit
Schweiß auf der Stirn, steuert er erneut den Feldweg an. Doch wieder
steht er mitten im Wald, den Tränen nahe und sinkt auf die Knie.
„Ich wusste, wir sehen uns wieder.“, spricht die wohlbekannte Stimme des Pilzsuchers zu ihm.
Er zuckt zusammen. Wie ferngesteuert erhebt er sich und rennt erneut auf den Feldweg zu.
„Der junge Mann kommt ja gleich wieder.“, denkt der Pilzsucher und macht keine Anstalten, ihm zu folgen. So geschieht es auch.
Der
Pilzsucher tritt an ihn heran. „Du hast mir noch nicht gesagt, wie du
heißt, junger Mann. Und hör auf zu rennen! Du kommst hier nicht
heraus.“

„Du kommst hier nicht heraus.“, hallt die Stimme immer wieder nach.
 

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