Alfred Hermanni

Bekifft in Deutschland - Ein Abend Im Grand Hotel

 

 

 

von Alfred Hermanni und Peter Jaskewitz

(Alle Rechte vorbehalten)  07.06.2010

 

Eine lange und anstrengende Autofahrt lag hinter uns. Die Abenddämmerung hatte bereits begonnen. Und endlich waren meine Frau und ich am Ziel, besser gesagt der Zwischenstation auf unserer Reise in die Toskana, angekommen. Es war das erste Haus am Platze, ein Vier-Sterne Grandhotel in einer süddeutschen Metropole - wollten wir uns schon immer einmal gönnen.

Ich stellte den Motor unseres Autos im Bereich der Hotelvorfahrt ab und wartete ungeduldig auf einen Pagen, der sich unseres Wagens und des Gepäcks annehmen sollte. Doch niemand erschien. Nun ja, auch die Angestellten eines Luxushotels müssen mal gelegentlich für Königstiger, dachte ich, und vielleicht lag gerade jetzt ein solch dringender Fall vor. Also stieg ich nach etwa drei Minuten aus, öffnete den Kofferraum, nahm unser recht umfangreiches Gepäck heraus und stellte es persönlich im Hotelfoyer ab. Meine Frau blieb derweil im Wagen sitzen, weil sie noch ihre Zigarette zu Ende rauchen wollte.

Neben dem Lift sah ich einen Kofferkuli stehen. Also ging ich zur Rezeption und entdeckte die einzige sichtbare Person weit und breit: die junge Dame am Empfang hinter einer Theke. Ohne genau hinzusehen, fragte ich sie, ob ich das Gefährt benutzen dürfte. Aber sie telefonierte intensiv und ignorierte mich. Ich fragte nochmals nach, und sie nickte mir ungeduldig und kaum merklich zu. Auch gut. Vielleicht war das Gespräch sehr wichtig und erforderte ihre ganze Konzentration.

Doch der Kofferkuli hatte einen Plattfuß, und mit dem vielen Gepäck, immerhin zwei schwere Koffer und zwei Reisetaschen, sah ich nur die Möglichkeit, es selbst zu schleppen oder ein anderes Hilfsmittel zu finden - oder vielleicht einen Pagen.

Ich fragte die Dame am Empfang leise nach einer solchen Möglichkeit, doch die junge Frau telefonierte immer noch und schien mich nicht gehört zu haben. Ich fragte also noch einmal nach, diesmal ein wenig lauter und hatte Erfolg. Sie nahm mich unwillig zur Kenntnis.

„Sie sehen doch, dass niemand anderes hier ist, der Kofferkuli ist platt und einen Hoteldiener haben wir nicht“, antwortete sie ziemlich schnippisch und führte ihr Telefongespräch unbeeindruckt fort.

Das ist aber ein netter 4-Sterne-Empfang, dachte ich mir. Dann werde ich mich zunächst einmal anmelden.

Ich kramte meine Reservierungsbestätigung hervor und folgte dem Hinweisschild zur Rezeption, die sich demzufolge an der Theke um die Ecke befinden sollte.

Aber die junge Frau leitete wohl den Empfangsbereich und die Rezeption gemeinsam, kein Kollege war in Sicht, und sie telefonierte ungerührt weiter. Ich wartete ab. Nun konnte ich das Gespräch, ob ich wollte oder nicht, mitverfolgen. Obwohl sie sich Mühe gab leise zu sprechen, war deutlich zu vernehmen, dass sie privat telefonierte. Sie äugte zu mir herüber, verzog ihre Mundwinkel und beachtete mich nicht weiter.

Ein wenig wartete ich noch und hüstelte. Sie reagierte jedoch nicht und sprach weiter ins Telefon. Mangels anderer Möglichkeiten betrachtete ich sie: etwa 25 Jahre, blond, ein wenig zu stark geschminkt, recht ansprechende Figur und so gekleidet, dass ihr Sex-Appeal gut zur Geltung kam. Allerdings entsprach sie nicht meinem Beuteschema. Nach einigen Minuten räusperte ich mich diesmal vernehmlich und erntete einen bösen Blick. Rechts neben mir sah ich eine kleine Glocke und benutzte sie.

„Sehen sie denn nicht, dass ich telefoniere?“, fuhr sie mich gereizt an. „Sie müssen schon noch ein wenig Geduld mitbringen“, fügte sie ärgerlich hinzu.

Großzügig übersah sie, dass ich mich mittlerweile fast 10 Minuten in diesen heiligen Hallen aufhielt. Aber ich hatte Geduld und wartete bis sie sich zu mir bequemte.

„Sie wünschen?“, flötete sie nun mit falscher Freundlichkeit.

Endlich war sie wieder im Dienst. Ihr Arbeitgeber wäre hocherfreut über dieses vermutlich seltene Ereignis. Das gab Anlass zur Hoffnung.

„Guten Abend, ich habe ein Doppelzimmer für mich und meine Frau reserviert“, stellte ich mich mit Namen vor und überreichte ihr meine Buchungsbestätigung.

Sie übertrug die Daten in ihren Computer, blickte mich an und schüttelte ihren Kopf. Ihre wasserstoffblonde Lockenpracht wippte dabei hin und her.

 

„Nein, eine Reservierung unter ihrem Namen kann ich nicht finden“, stellte sie fest.

„Das kann nicht sein, ich habe persönlich mit ihrer Kollegin telefoniert. Sie hat mir, wie sie ja sehen können, die Reservierung schriftlich bestätigt“, entgegnete ich freundlich.

Sie tippte weitere Daten ein und schüttelte wieder ihren Kopf. „Ich kann leider nichts finden, was ihre Reservierung bestätigt.“

„Ist denn dieses Schreiben nicht Bestätigung genug?“, fragte ich - immer noch freundlich.

„Meine Kollegin von der Reservierungsabteilung hat schon Feierabend, ich kann das jetzt also nicht überprüfen.“ Wieder dieser schnippische Unterton. Wieso hatte ich bloß die ganze Zeit das Gefühl, dass ich sie belästige, fragte ich mich.

„Okay, versuchen wir es noch mal von vorn“, sagte ich mit nicht gespieltem Ernst:
„Guten Abend, haben sie noch ein Doppelzimmer frei?“, fragte ich. Jetzt guckte sie mich ziemlich blöd an. Passend zu ihrer Haarfarbe, dachte ich spontan.

„Da muss ich aber erst mal nachschauen“, antwortete sie unwillig, als der sprichwörtliche Groschen bei ihr fiel. Hastig hackte sie auf der Tastatur herum, las ein paar Daten ab und murmelte dabei vor sich hin.
„Ja, da hätte ich noch etwas. Wir haben da noch ein Doppelzimmer frei“, brachte sie fast enttäuscht hervor.
„Danke! Sehr freundlich“, knurrte ich, diesmal nicht mehr höflich, eher neutral.

Die Empfangsdame machte endlich ihren Job und übergab mir die Schlüsselkarte, nachdem ich die Buchungspapiere unterzeichnet hatte.

„Zimmer 208 in der zweiten Etage, der Aufzug befindet sich gleich hinter ihnen“, heuchelte sie mit geschäftsmäßiger Freundlichkeit.

„Vielen Dank. Wecken sie uns bitte morgen früh um sieben“, bat ich.

„Ich ganz bestimmt nicht, das macht der Nachtportier.“ Endlich war sie wieder schnippisch, offenbar ihr Standardverhalten.

So langsam bekam ich einen dicken Hals, obwohl ich gewöhnlich von einer gewissen Langmut bin. Ein wenig genervt ging ich zum Wagen, um meine Frau zu holen, damit wir endlich auf´s Zimmer kamen. Vorher brachte ich noch unseren Wagen in die Tiefgarage des Hotels, weil der zuständige Page angeblich erkrankt sei.

Das Gepäck schleppten meine Frau und ich gemeinsam zum Lift und fuhren hinauf in die 2. Etage.

Am Zimmer angekommen, nahm ich die Schlüsselkarte und zog sie durch den Schlitz am Türschloss. Es klickte leise, und die Tür öffnete sich.

Auf dem ersten Blick sah das Zimmer recht gut aus, auf dem zweiten bemerkte ich einige Gepäckstücke, die neben dem Schrank standen.

Auf dem dritten Blick sah ich ein junges Pärchen im Bett liegen, das gerade Sex hatte.

Er lag auf ihr und fickte sie ohne uns zu bemerken, sie lag teilnahmslos unter ihm und blickte in ehelicher Pflichterfüllung ganz offensichtlich gelangweilt zur Decke.

Ein Kinderwagen stand neben dem Bett, sie hielt eine Hand am Wagen und schaukelte ihn. Noch immer hatten sie uns nicht bemerkt.

Er penetrierte sie weiter und schnaufte ordentlich, anscheinend kurz vor dem Orgasmus. Sie schaukelte weiterhin den Kinderwagen und betrachtete noch immer ausgiebig die Zimmerdecke. Ich folgte ihrem Blick, konnte allerdings keine Spinnweben oder andere Auffälligkeiten entdecken. Gerade wollte ich mich leise zurückbewegen, als meine Frau anfing zu kichern.

Und jetzt hatten sie uns bemerkt.

Der junge Mann war gar nicht so jung, vielleicht Anfang vierzig. Die Frau schrie nun auf und versteckte sich schamhaft unter der Bettdecke. Es war wohl eine türkische Familie, in deren erotisch-eheliche Verrichtung wir hineingeplatzt waren. Das Kopftuch der Frau bemerkte ich erst jetzt. Sie erschien mir erheblich jünger, vielleicht gerade zwanzig.

„Was wollen sie denn hier, raus, das ist unser Zimmer, wie kommen sie überhaupt hier hinein?“, erregte er sich zu Recht.

„Mit der Schlüsselkarte, wir haben das Zimmer gerade gebucht“, antwortete ich.

„Unmöglich, raus, ich beschwer´ mich bei der Direktion! Das hat ein Nachspiel, ich geh´ vor Gericht. Das gibt es doch gar nicht!“, zeterte er weiter. Er drohte mir schließlich Schläge wegen Voyeurismus an und wollte sich so gar nicht beruhigen. Muss wohl was mit Ehre zu tun haben, dachte ich.

Ich konnte ihn ja verstehen und versuchte ihn zu beschwichtigen, aber er regte sich nur noch mehr auf. Die Erregung seiner Männlichkeit schwoll dagegen proportional zu seiner Aufregung deutlich sichtbar ab.

Beschwichtigend bewegte ich meine Hände auf und ab.
„Entschuldigung, wir konnten das ja nicht wissen... die Dame vom Empfang... darf ich mal ihr Telefon benutzen?“, Wir durften. Schließlich hatte er es uns aus seiner Sicht ja so richtig gegeben…

 

Während er sich anzog, telefonierte ich mit der Empfangsdame und bat sie nach oben. Die junge türkische Frau versteckte sich weiterhin unter der Bettdecke, nur ihr hochroter Kopf lugte darunter hervor. Peinlich das Ganze, besonders für sie als Muslima.

Selbstverständlich wollte die Empfangsdame ihren Arbeitsplatz nicht verlassen. Vermutlich hatte ich wieder ein wichtiges Privattelefonat gestört. Also bat ich sie, diesmal in bestimmtem Ton, den Direktor zu uns zu schicken.

„Es ist Wochenende, von der Geschäftsführung ist niemand mehr hier“, entgegnete sie. „Dann schicken sie uns bitte den Manager on duty“, forderte ich sie auf.

„Das könnte aber ein wenig dauern“, kam es schnippisch zurück.

Einige Minuten später erschien sie aber doch persönlich und wurde gleich mit einer Schimpfkanonade des türkischen Hotelgastes empfangen. Immerhin hatten wir ihn um seinen Orgasmus gebracht und vermutlich sehr entehrt. Grund genug, sich aufzuregen.

Als sie endlich erkannte, worum es ging, wandte sie sich ungnädig uns zu: „Ich habe ihnen doch Zimmer 108 zugeteilt, wie sind sie denn überhaupt hier hinein gekommen?“
„Mit der uns von Ihnen übergebenen Schlüsselkarte für das von mir vorhin gebuchte Zimmer 208. Hier ist sie die Karte, sehen Sie? Da steht ganz deutlich 208 drauf“, erwiderte ich diesmal ziemlich unwirsch.
 "Und für Zimmer 208 habe ich gerade eben auch unterschrieben. Offensichtlich haben Sie einiges durcheinander gebracht, verehrte Dame“, erwiderte ich förmlich.

„Das kann nicht sein“, behauptete sie immer noch schnippisch.
„Offensichtlich doch, und ich denke, dass darüber am Montag der Direktor persönlich befinden wird“, beharrte auch ich diesmal auf meinem Standpunkt.

„Trotzdem. Ich werde das klären, kommen sie bitte mit zur Rezeption“, verfügte sie weiterhin rechthaberisch auf ihrer Ansicht.

Da die Empfangsdame es mit der Höflichkeit nicht so hatte, entschuldigte ich mich bei den Gästen wegen der Störung. Die junge Frau lag noch immer unter der Bettdecke, und das Baby begann jetzt zu schreien. Wir beeilten uns nun, das Zimmer zu verlassen, denn Babygeschrei gehört zu den Geräuschen, vor denen mein Therapeut mich gewarnt hatte.

Wir schleppten das Gepäck also wieder zum Lift und fuhren herunter zur Rezeption.

Dort angekommen überprüfte die junge Dame die Angelegenheit. Als sie ihren Fehler nicht mehr ignorieren konnte, suchte sie wie erwartet die Schuld bei mir, weil ich sie vorhin mit meiner Ungeduld durcheinander gebracht hätte. Aber schließlich entschuldigte sich mit ihrer gekonnt gespielten Freundlichkeit und teilte uns ein neues Zimmer zu.

 

Wir schleppten unser Gepäck also wieder zum Lift, fuhren wieder hinauf und bezogen endlich unser neues Zimmer. Ich ließ gleich das Badewasser ein, um mit meiner Frau den anstrengenden Tag vom Körper zu spülen.

Während das Wasser einlief, drehte meine Frau uns einen kleinen Joint. „Mach aber das Fenster auf, wenn wir rauchen“, bat ich sie.
„Natürlich, ich habe auch schon die Türritzen mit dem Teppichläufer verdeckt. Gut so?“ fragte sie . 
"Ja, ja, okay, bin nur ein wenig genervt heute“, antwortete ich.

Wir rauchten schweigend den Joint und freuten uns schon auf das Bad, als unverhofft das Telefon klingelte. Ich nahm den Hörer ab und hatte meine schnippische blonde Freundin, die Empfangsdame, in der Leitung.

„Es tut mir leid“, begann sie das Gespräch „Aber mir ist vorhin tatsächlich ein klitzekleiner Fehler unterlaufen. Ich habe Ihnen aus Versehen ein falsches Zimmer gebucht, das eigentlich schon vergeben ist, und der vorgesehene Gast ist gerade jetzt angekommen. Ich muss Sie und ihre Frau leider wieder umquartieren.“

„Können Sie dem Gast nicht ein anderes Zimmer geben?“, fragte ich genervt nach.

„Leider nein, es ist ein Stammgast. Er besteht auf diesem Zimmer, weil er es immer bewohnt, wenn er bei uns bucht.“

Das passte ja gut. Der Raum roch mittlerweile wie ein holländischer Coffeeshop, das Bad war längst voll und wir sollten schon wieder umziehen. Von den vier Sternen des Grandhotels blieben nur noch zwei übrig, wenn man den ganzen Ärger veranschlagt und in Abzug bringt.

Ich musste irgendwie Zeit gewinnen. „Meine Frau liegt gerade in der Badewanne, da müssen sie sich nun aber auch ein wenig gedulden.“

Ich hörte, wie sie mit dem neu angereisten Gast etwas besprach. „Ja, das geht in Ordnung. Der Gast geht solange ins Restaurant, sie haben also genügend Zeit für den Umzug. Ich habe Ihnen als Entschädigung eine Suite reserviert. Extrakosten entstehen keine, der Preis bleibt derselbe“, erklärte sie nun beschwichtigend. Das wäre ja noch schöner, dachte ich für mich. Merkwürdig wie viele Zimmer jetzt plötzlich frei waren.

Ich willigte ein und überlegte, wie ich nun den Geruch vertreiben konnte. Das offene Fenster hatte nicht viel bewirkt. Im Badezimmer fand ich aber eine Dose mit Raumspray, das ich ausgiebig versprühte und den Raum damit völlig einnebelte.

Meine Frau hatte unterdessen unser Gepäck zusammengestellt. Ich ging zur Rezeption und holte die neue Schlüsselkarte ab.

In der Hoffnung, dass uns weitere Zwischenfälle erspart blieben, schleppten wir uns samt unserem Gepäck in die uns von der Empfangsdame zugewiesene Suite.

 

 

 

„Ich lass uns Badewasser ein“, sagte meine Frau und ging ins Badezimmer.

„Schatz, komm mal schnell!“, hörte ich sie rufen.

Ich ging zu ihr ins Bad und sah einen schönen, großen Whirlpool.

„Hey, super, das ist geil. Lass Wasser ein, ich dreh´ noch eine Tüte, und dann machen wir es uns schön gemütlich“ .

Gesagt, getan, geraucht und ab in den Whirlpool. Der hinter uns liegende Stress verflog, je länger wir im Becken lagen und uns von der Wassermassage verwöhnen ließen. Und mir fiel ein, dass unser türkische Zeitgenosse von Zimmer 208 keine so schlechte Idee gehabt hatte, und ich bekam ebenfalls Lust... Man befindet sich ja schließlich nicht jeden Tag mit einer schönen Frau in einem Whirlpool. Aber ich kam nicht dazu, sie zu verführen - nein, das Telefon klingelte diesmal nicht. Sie war schlicht und einfach schneller, indem sie mich vernaschte. Auch gut, so hatte ich es gern…

 

 

 

„Gehen wir später noch ins Restaurant?“, wollte mein Schatz nach der Zigarette danach wissen.

„Sollten wir machen, ich bin ziemlich hungrig, obwohl ich noch eine weitere Vorspeise vertragen könnte“, antwortete ich träge. Ich drückte einen Knopf am Rande des Beckens und leise Musik erfüllte den Raum. Ein anderer Knopf tauchte den Raum in ein wohliges Halbdunkel. Entspannt lagen wir noch weiter im Pool und genossen die angenehme Wirkung des Joints davor.

Es gefiel mir nun sehr gut hier, und unsere Stimmung wurde immer besser…

 

***

 

Mittlerweile hatten wir uns doch angezogen und für den Restaurantbesuch zurechtgemacht. Wir nahmen den Lift und fuhren hinunter, ließen uns einen Tisch zuteilen und setzten uns.

Das Restaurant war nahezu vollständig besetzt. Eine Reisegruppe hatte sich eingefunden, alles Damen und Herren älteren Semesters, fast so als wäre es die Endstation nach einer Kaffeefahrt.

Vor dem noch leeren Tisch neben uns stritt sich ein Ehepaar gut hörbar um den besten Platz. Als sie ihre Sitzordnung geklärt hatten, tippelten beide in Richtung Buffet. Auffällig war deren Figur. Beide hatten sie einen nahezu fassförmigen Körper auf ziemlich dünnen, sehr kurzen Beinen und einen dicken, rundlichen Kopf, der sich auf einem kurzen stämmigen Hals befand.

Am Buffet verlangte sie: „Lass mich zuerst!“
„Nein, lass mich erst“, beharrte er auf seinem männlichen Vorrecht. „Ich will aber zuerst“, kam es von ihr zurück.
„Nein, ich...“
„Ich bin aber dran“. Und so weiter, und so weiter...

Ich hörte nicht mehr hin und studierte die Speisekarte.

„Guck mal unauffällig nach links“, raunte meine Frau mir zu. Das machte ich und sah, wie die lebenden Fässer vom Buffet zurück kamen.

Beide hatten einen großen Teller mit Schinkenbroten in ihren Händen. Ich schätzte mindestens sieben bis acht gut belegte Brotscheiben je Teller, und die noch garniert mit allerlei geräucherten Wurststücken sowie diversen Kartoffel- und Nudelsalaten.

„Lecker Vorspeise“, sagte der Mann zu seiner Frau, ließ sich auf den Stuhl plumpsen und begann übergangslos zu essen - besser ausgedrückt: zu schlingen. Erstaunlich war, wie weit sich sein kleines Mündchen dabei öffnete, als er sein Brot in einer kunstvollen Drehung in die Futterluke schob.

Er biss einmal hinein, dann noch einmal, und mit dem dritten, letzten Pro-Forma-Bissen verschwand die Brotscheibe mitsamt dem Schinken in seinem Mund. Gekaut hatte er bis jetzt noch nicht. Damit fing er nun an. Zweimal, vielleicht dreimal kaute bzw. presste er die Masse zusammen und würgte sie geradezu reptilienartig hinunter.

Deutlich wölbte sich sein Hals und erinnerte mich stark an eine fressende Riesenschlange. Ich stellte mir vor, wie die halb zerkaute Masse seine Speiseröhre hinunter in den Magen gepresst wurde und dort einen Großteil seines Volumens ausfüllte. Das nächste Brot war fällig und verschwand in seinem Körper. Der Hals blähte sich auf und zog sich wieder zusammen, das nächste Brot wartete schon vor seinem Schlund. Der Einfachheit halber hatte er vorsorglich zwei Scheiben aufeinander gelegt, womit er den Fressvorgang zwar erheblich beschleunigte, mir allerdings die Faszination desselben verkürzte. Und seine Frau blieb ihm in puncto Geschwindigkeit und Fressmenge nichts schuldig. Es war ein Gemetzel.

Irgendwie faszinierend, befand ich, als wieder eine Brotscheibe samt Schinken entmaterialisierte. Ich blickte jetzt offen herüber und wünschte guten Appetit.

„Danke, Danke!“, quetschten beide mit hochroten Köpfen zwischen den spärlichen Kaubewegungen hervor, und zwar ohne die Geschwindigkeit der Nahrungsaufnahme zu reduzieren. Überhaupt hegte ich den Verdacht, dass sie während des schon etliche Minuten währenden Fressvorgangs nicht atmeten, auch nicht durch die Nase, weil mir dies anatomisch nicht möglich schien: Der permanente Fluss der erheblichen Nahrungsmengen musste die Luftröhre einfach abdrücken. Ein anatomisches Wunder, das wissenschaftlich untersucht gehört, dachte ich. Und überhaupt, das ist nur die Vorspeise, erinnerte ich mich. Wie mag der Sex zwischen diesen Figuren wohl aussehen?, sinnierte ich vor mich hin.
Von den Wurststücken und diversen Salaten abgesehen, lagen auf beiden Tellern noch einige wenige Scheiben Brot mit Schinken. Serano-Schinken, dick belegt. Keines der Brote hatte jemals eine Chance. Danach ging es dem schmählichen Rest an den sprichwörtlichen Kragen. Doch das große Fressen war noch nicht vorbei.

Beide bewegten sich zum Buffet, auf der Suche nach was Neuem. Wahrscheinlich einen Eimer Vorsuppe, dachte ich. Und danach vielleicht etwas Lebendiges… Es wurde Zeit, sich in Sicherheit zu bringen, dachte ich in einem Anflug schwarzen Humors. Zum Glück befanden sich keine kleineren Kinder im Restaurant.

 

 

 

Inzwischen hatte meine Frau unsere Bestellung aufgegeben. Der Kellner brachte mir ein Bier und meiner Frau eine Tasse Kaffee.

Wenn ich je auf ein ruhiges Abendmahl gehofft hätte, so sah ich mich getäuscht.
Am anderen Tisch gegenüber saß eine ältere Dame und löffelte ihre Suppe. Eigentlich von sympathischem Äußeren, sehr elegant gekleidet und distinguiert wirkend.
Es roch nach Hülsenfrüchten, vermutlich Erbsensuppe. Sie löffelte und löffelte, einen Löffel nach dem anderen, in völliger Monotonie mit steinernem Gesicht. Sah aus wie ein Roboter, der ständig dieselben Bewegungen in exakter mechanischer Gleichmäßigkeit ausführt: Löffel in die Suppe, zum Mund, Löffel in den Mund, schlucken, Löffel in die Suppe... Fasziniert sah ich zu. Aber irgendwann war der Teller leer und der Kellner kam zu ihr.

„Hat es der gnädigen Frau geschmeckt?“, fragte er höflich.

„Ja, danke, sehr gut“, antwortete sie mit unbewegtem Gesicht, rülpste laut und kotzte urplötzlich alles wieder in ihren Suppenteller zurück. Ihr Kopf hing noch über dem Teller, als dieser schon wieder bis zum Rand gefüllt war. Es dampfte sogar noch leicht. Und es war tatsächlich Erbsensuppe…

„Das war aber ein feines Bäuerchen“, lobte meine Frau. Der Kellner schaute zu uns herüber, grinste uns an und fragte die Dame: „Darf ich abräumen, oder möchten gnä´ Frau noch weiter dinieren?“

Sie guckte ihn verwundert an, rülpste noch einmal, diesmal aber ohne Land dabei, und schüttelte ihren Kopf und verlangte die Rechnung, als wenn nichts geschehen sei. „Sehr wohl die Dame“, gab der Ober indigniert zurück, räumte das Gedeck auf sein Tablett und entfernte sich mit würdevollen Schritten, um das Mahl abzurechnen.

Die restlichen Gäste im Restaurant, denen nach dem Vorfall vor Staunen die Worte ausgegangen waren, gingen wieder zur Tagesordnung über.

„Zum Wohle“, prostete auch ich meiner Frau zu und trank einen Schluck Bier.

Die Erbsensuppen-Liebhaberin regulierte ungerührt ihre Rechnung, gab ein recht großzügiges Trinkgeld, wie ich aus den Augenwinkeln wahrnahm - hat ja schließlich geschmeckt - und ließ sich vom Ober in ihre Garderobe helfen. Danach verließ sie das Restaurant, mit Haltung versteht sich…

 

 

 

Derweil fuhr an einem anderen Tisch in Fensternähe ein junger Kellner einen Servierwagen vor, auf dem sich die leckersten Speisen befanden.

Der Kellner griff in seine Jackentasche und holte ein Feuerzeug hervor, mit dem er drei Kerzen anzündete.

Beinahe wäre der Kerzenständer umgefallen, aber flink wie ein Wiesel war der junge Mann zur Stelle und fing ihn gerade noch rechtzeitig ab.

Die Gäste, ein Seniorenpaar, waren sichtlich erschreckt und atmeten erleichtert auf.

Ich wandte mich wieder meinem Bier zu, als ich aus den Augenwinkeln heraus

bemerkte, wie der Kellner die Speisen auf einer der Servierplatten mit reichlich Rum übergoss. Mit Schwung wollte er die Platte auf dem Tisch abstellen und unterschätzte dabei wohl die Fliehkraft: Die gesamte Lage rutschte von der Platte und verteilte sich auf dem Oberkörper der älteren Dame, die sich instinktiv zurückgeworfen hatte.

Und dann passierte es doch. Der Tisch wackelte plötzlich, der Kandelaber mit seinen Kerzen kippte ganz langsam, fast wie in Zeitlupe auf die alte Dame: Und die alte Dame brannte, stand in Flammen...

 

Dann folgte eine surreale Szenerie aus Geschrei und Gekreische, einem hastigen Ober, der die Flammen mit der Serviette auszuschlagen versuchte, fluchenden Gästen und weiteren hinzueilenden Kellnern, die sich gegenseitig im Weg standen.

Eine brennende Perücke, ein nach Luft schnappender schimpfender Ehemann, an dem schon die ersten Flammen empor züngelten und schließlich noch der herbei eilende Koch samt Gehilfen vervollständigten das Bild eines chaotischen Durcheinanders. Ein wahrhaft absurdes Theater, allerdings ohne Schauspieler, sondern in echt.
Und der Höhepunkt fand statt, als die uns wohlbekannte Empfangsdame auf der Szenerie erschien, wohl alarmiert durch das Geschrei im Restaurant. Ohne sich über die Hintergründe zu vergewissern, fuhr sie die alte Dame ohne zu zögern recht unfreundlich an, endlich mit dem störenden Geschreie aufzuhören. Diese, eigentlich das Opfer im Schockzustand, erschrak ob dieser Unverschämtheit und wollte zurückweichen. Dabei stieß sie ihren Ehemann vom Stuhl. Dessen Fallrichtung fand statt: genau - in Richtung Blondie. Es kam wie kommen musste. Auch Blondie fing Feuer. Ihre Dienst-Uniform entzündete sich im Nu, als sie den fallenden Gast ungeschickt abwehren wollte.
Eine gute Figur hatte sie ja, das musste ich zugeben. Aber wie sie so herumsprang und nun selbst herum kreischte, so ganz ohne Rock und Bluse, im angeschmorten Tanga, das setzte dem Ganzen die Krone auf… Keine Spur mehr von Überheblichkeit. Nur ein Häufchen Elend. Grotesk das Ganze.

Aus den Augenwinkeln registrierte ich, wie der Chef du Range einen der Kellner, der wohl selbst noch völlig durcheinander war, im letzten Moment davon abhielt, den Gästen nach dem Vorfall auch noch die Rechnung für ihr Menü überreichen zu wollen. Wahrhaftig: ein Chaos.

Ich winkte einen Kellner heran und sagte: „ Junger Mann, wir wollen unser Dessert doch lieber ändern.“

„Was hatten sie denn bestellt?“, fragte er höflich.
„Crêpe Suzette.“
„Kann ich gut verstehen. Darf ich etwas anderes vorschlagen?“, erwiderte er mit einem Lächeln. Ich glaubte darin eine gewisse Ironie zu erkennen.

„Und das wäre?“, fragte ich misstrauisch.
„Flammkuchen“, antwortete er und bemühte sich, dabei ernst und distinguiert dreinzuschauen.

Meine Frau lachte, ich lachte, und auch der Kellner fing an zu lächeln, natürlich verhalten und der ihm eigenen Standeswürde - versteht sich. Ich konnte nicht aufhören damit und prustete in unregelmäßigen Abständen wieder los. Hatte ich mich gerade gefangen, lachte meine Frau, und der Vorgang begann von Neuem... Einige der Gäste fielen ebenfalls ein. Dieses befreiende Lachen versöhnte mich schließlich mit dem ärgerlichen Empfang in der Rezeption und dem überheblichen rechthaberischen Getue der Rezeptions-Blondine. Sie hatte ihr Fett weg. Und bekanntlich ist Schadenfreude die beste Freude und somit auch nicht zu verachten. Und es gab sie also doch noch: die ausgleichende Gerechtigkeit…, dachte ich.
Fast tat es mir leid, dass wir am nächsten Tag weiterreisen mussten.

Allerdings hatten die gerade abgebrannten Gäste und Blondie, die uns einen bösen ungnädigen Blick (Sie ist also auf dem Wege der Besserung, dachte ich sarkastisch…) zuwarf, für unser Vergnügen wohl nicht soviel übrig, sie amüsierten sich so gar nicht.

Zum Glück hatten sich die älteren Herrschaften - und auch Blondie - am Ende nicht wirklich ernsthaft verletzt, von einigen leichten Hautreizungen mal abgesehen. Jedenfalls konnte der Notarzt nach kurzer Zeit abziehen.

Und ein wenig sahen alle aus wie schwarze Raben: voller Ruß und mit herabhängenden Kleiderfetzen, nachdem man ihnen die brennende Garderobe vom Körper gerissen hatte.

Und ich musste schon wieder lachen, wenn ich mich daran zurück erinnerte. Verstehen sie das?

 

 

ENDE

Liebe Leser, selbstverständlich sind die beschriebenen Vorfälle nicht an einem Abend so geschehen. Aber... während meiner Zeit als Empfangsmitarbeiter in einem First Class Hotel
kam ich in den Genuss so einiges zu erleben.
Ich habe mir erlaubt dieses fragmentarisch in die Story einzubetten. Der Empfang ist nicht unrealistisch, die lebenden Fässer habe ich in einem Hotel auf Mallorca erlebt und genossen, die kotzende ältere Dame sorgte in meinem Hotel für den Brüller und auch die brennende alte Dame ist nicht frei erfunden, sie war auch Gast in meinem Hotel und tut mir heute noch leid.
Alfred Hermanni, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.06.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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