Heike Clarissa Conundrum

Das Ende

 

Nie hatte Cynthia sich das träumen lassen. Sie war doch kürzlich noch in der Blüte ihres Lebens!

Wieviele Jahre liegt das eigentlich zurück?

Das Leben war toll, wundervoll und mit ein paar Ausnahmen, naja, was heißt mit einigen… es waren wohl ein paar mehrere Ausnahmen, durchaus erträglich.

Und nun war es soweit, es kam plötzlich und unerwartet.

Nicht die Tatsache, dass Cynthia erst vor wenigen Tagen ihren neununddreißigsten Geburtstag hatte, nein,  es war die Tatsache, dass es früher als erwartet passierte. Genau ein Jahr zu früh.

Hinterhältig, rücksichtslos und ohne jegliche Vorwarnung schlug es zu.

Dabei wollte sie sich darauf vorbereiten. Darauf, dass das unbeschwerte Leben eines Tages vorbei sein wird. Nämlich mit vierzig Jahren.

Vierzig war die Zahl, die aufs Alter bezogen, Unbehagen in Cynthia aufsteigen ließ, schon immer.

Es war einfach so.

Und pünktlich zum neununddreißigsten Geburtstag stellten sich diverse Wehwehchen ein.

 
Fast jeden Tag etwas.

Es geschahen seltsame Dinge. Fast nichts, was es nicht hätte geben können.

Dort ein Ausschlag, da ein Zieperlein und hier ein Pieksen.

Und mit dieser traurigen Bilanz kam Cynthia zu der Erkenntnis, dass alle weltweit existierenden Omis athletische Gesundheitsprotze gegen sie selbst sein müssen.

 

Ihre Familie, bestehend aus  Mann und Tochter, lachten sie nur aus.

„Manche blühen mit vierzig noch mal richtig auf und bei dir ist das Leben bereits mit neununddreißig gelaufen oder wie?“, stichelte die Tochter.

Der Mann  schüttelte grundsätzlich nur süffisant grinsend den Kopf.

 

So begann das Drama mit einem unerklärlich auftretenden Ausschlag. Das an den unmöglichsten Körperstellen. Bei den Apotheken-Angestellten machte sich sichtliche Besorgnis breit, wenn Cynthia einen Tag mal keine Salbe oder ähnliches kaufte.

Nach nur guten zwei Wochen hatte Cynthia dann doch irgendwann mal das richtige Cremchen gekauft und voller Stolz berichtete sie, dass es ja doch ohne Arzt gehe.

Nicht lange.

Denn nach dem Sieg gegen den Ausschlag ging es abwärts.

Es ging an die Lauf-Kapazität, denn das wurde für Cynthia von Tag zu Tag mühseliger, da sie auf einmal einen schlimmen Zeh hatte.

Nach ein paar Tagen ging das Laufen dann in ein witzig aussehendes Humpeln über.

Die Kollegen rieten ihr, doch mal einen Arzt aufzusuchen.

Tja Pech gehabt, liebe Kollegen. Dieser Rat brachte Cynthia eine gemeine Zeh-Operation ein und einen Krankenschein. Sie fiel für schlappe vier Wochen aus.

Zur schnelleren Überwindung Ihrer „Scheiße-ich-bin-neunundreißig“- Depression trug das nicht gerade bei.

Sie war quasi ans Bett gefesselt, konnte nicht laufen und musste sich dem fügen, was die Familie ihr befahl. „Leg dich hin, kühl deinen Fuß und wackel ja nicht versehentlich auch noch mit dem gesunden Fuß!“

Und das schlimmste, draußen in der Freiheit war Hochsommer.

In geregeltem Abstand wechselten somit Schmerz-Heul-Anfälle mit „Warum-immer-ich“ - Heulanfälle.

Cynthias Familie war fürsorglich besorgt, kümmerte sich rührend. 

Zwei Wochen später fand sie das jedoch  zu rührend und die aufbauende Frage der Tochter: „Na was macht dein Ekelfuß heute?“ schrie förmlich nach Rache. Irgendwann einmal.

 

Immerhin konnte Cynthia nach diesen zwei Wochen wieder laufen. Die Fäden waren gezogen, und der Zeh sah verschoben und eklig und eklig und eklig aus.

Da sie aber sowieso, laut Anweisungen des Arztes, Pflaster drauf tun sollte, war dieses Drama nur noch halb so dramatisch.

Vermutlich, so dachte Cynthia, würde dieser Zeh nie wieder die Freiheit sehen können, sie würde den Rest ihres Lebens wohl verpflastert rumlaufen.

Der Chirurg, eine sehr spaßige  Frohnatur, sprach davon, dass sie einfach NUR ein wenig Geduld bräuchte. Geduld steht aber auf Cynthias Mängelliste oben an erster Position.

Und um sich in tapferer Geduld zu üben, bot Cynthia ihrem Fuß einen Spaziergang an.

Einen Testspaziergang sozusagen.

Er führte nur zweihundert Meter weiter zu einem Freund. Sie hatte einen Schlüssel von ihm, schnappte sich diesen, zog Ekel-Zeh laufgerechtes offenes Schuhwerk an und düste los.

Stolz auf ihre Laufkünste schloss sie die Haustür auf, ging ein Treppchen nach oben, hantierte mit dem Schlüssel an der Wohnungstür herum und klingelte um sich anzukündigen.

Während sie sich freute, dass Carlos endlich eine vernünftige und nicht mehr so erschaudernde Klingel-Bimmel hat, wunderte sie sich, dass der Schlüssel nicht passte.

An den bösen Blicken der drei Sekunden später öffnenden Wohnungsinhaberin erkannte sie dann auch den Grund.

Verzweifelt stotternd erklärte sie der Frau, dass sie sich in der Haustür geirrt habe.

Noch mehr geriet sie in Erklärungsnöte, als sie darauf den noch böseren Blick des Gatten der Dame sah.

Das Prozedere dauerte etwa drei Minuten, bis Cynthia merkte, dass sie gegen eine Wand stotterte.

Die Zwei Leute verstanden kein Wort. Sie sprachen nicht Cynthias Sprache.

Und da Cynthia keine Russisch-Sprach-Expertin war, zog sie schlüsselfuchtelnd eine winkende Handbewegung vor und lief langsam los.

Niemand  versuchte sie auf ihrer Flucht aufzuhalten und Cynthias heldenhafte Gehprobe wurde zum wahren Meisterwerk.

Versuch zwei, den richtigen Hauseingang zu erwischen, gelang ohne Zwischenfälle.

Richtiges Haus, richtiger Haus- und sogar Wohnungsschlüssel,  richtige nervige Klingel-Bimmel.

 

Und wo doch so ein Spaziergang gut funktionierte, warum sollte es dann nicht auch möglich sein, eine winzig kleine Radtour zu unternehmen?

Nur ein bisschen auf Cynthias Lieblingswiese. Entspannen, ein wenig Sonne und frische Luft tanken und einfach nur faul die Temperaturen über dreißig Grad genießen.

Alles zum Wohle und zur schnelleren Heilung des Zehs wohlgemerkt.

Und vielleicht auch, um an Teil Drei von „“Innere Unruhe“ zu arbeiten?

Nein, Papperlakram.

Ihre ganze Konzentration gehört der Genesung ihres Zehs. Jawohl.

 

Die eine Stunde Sommer-Sonne-satt war toll. Für Cynthias Kreislauf jedoch eine Stunde zu viel.

Nur eine winzige Stunde brach ihr förmlich das Kreislauf-Genick.

Und das, wo sie doch im letzten Jahr noch fünf Stunden am Stück auf ihrem geliebten Fleckchen dort verharren konnte. Ohne jegliche Komplikationen.

So suchte sie ihre Flasche Wasser, in der Hoffnung, dass dieses kühle Nass es ihr ein bisschen besser gehen ließe. Sie hatte sie nicht dabei.

Schwummerig schwindlig raffte sie sich auf, klemmte sich hinter ihr Fahrrad und schob es puterrot  und knieschlackernd durch den Wald.

All ihre Freude dort war vergessen und verblasst. Cynthia wollte nur irgendwie nach Hause um sich mindestens heulend aufs Bett zu werfen.

Oder wenigstens eine Tasse Senseo-Crema von ihrer Tochter serviert zu bekommen.

Letzteres klappte auch.

 

Zwischen all dem  erzählte Cynthia einem guten Freund, von ihren Miseren.

Dabei war das wohl eher eine Ausheulung als eine Erzählung.

Er horchte ihr zu, kommentierte dann und wann und meinte am Ende: „ Du musst dir einfach mal irgendetwas gönnen.“

Diese Aussage wurde zu einem weiteren persönlichen Problem Cynthias.

„Was gönnen, … irgendetwas. WAS ist irgendetwas?“

 

Urlaub in absehbarer Zukunft? Geht nicht. Ein bisschen zu Pleite dafür.

Ein spontaner Wochenendtripp? Auch unmöglich. Dafür derzeit ein bisschen zu krankgeschrieben.

Eine Diät? Zu ungönnerhaft, eher eine Qual. Und das in der derzeitigen Frust-Depri-Fressens-Situation.

Ein Geliebter oder möglicherweise doch eine Geliebte sogar? Albern.

Vielleicht beides? Hm, warum eigentlich nicht? Aber woher so schnell nehmen?!

Gemeinsam mit dem Mann Fussball-WM schauen und dabei unkontrollierte Kommentare geben?

Tolle Idee, allerdings riskant. Sehr riskant.

Ein Tattoo? Das käme als totale Gegnerin dessen überhaupt nicht in Frage.

 

Also ein Tattoo.

Am besten noch in der krankgeschrieben-Phase.

Ein Schmerz überdeckt den anderen, ein Abwasch.

Ein Tattoo mit neununddreißig Jahren. Das kam in Cynthias schlimmsten Grusel-Alpträumen nicht vor.

Aber was solls, in dem Fall kann man dann wenigstens nicht mehr von unüberlegter Jungendsünde reden. Wohl eher von vorverlegten Wechseljahren.  

 

Das Motiv stand längst fest, längst vor der überlegenden Tatsache, dass Cynthia sich ein Tattoo stechen lassen würde. Umgesetzt wurde das schneller, als je ein anderer Mensch eine Jugendsünde hätte begehen können.

Und fast wie ein Wunder, dabei gab es keinerlei Komplikationen. Keine sonderlichen unnötigen Schmerzen oder Beschwerden. Keine Entzündung, einfach Nichts-Nichts.

Wunderbar.

Und der Haken? Na mal abwarten. 

 

Und so kam es, dass Cynthia einen Anruf von ihrer Freundin bekam.

Jene Freundin, die direkt nach Cynthia ihren Geburtstag feierte.

In ganz großem Stil und mit viel Tara und viel Tammtamm.

Sie schwärmte lange von dieser Feier und betonte sehr oft, wie schade es doch war, dass sie, Cynthia daran nicht teilnehmen konnte und ausgerechnet diesen Geburtstag verpassen musste.

Ausgerechnet den vierzigsten Geburtstag.

 

Cynthia, immer an irgendeine Magie glaubend, wusste auf einmal, dass noch nicht alles verloren ist und so ein paar kleine Pannen längst nicht das Ende sind.

Sie setzte sich an diesem Abend auf ihren kleinen Balkon, schaute der untergehenden Sonne zu und lauschte den Vögeln bei ihrem letzten Abendgesang.

Sie nahm sich vor, die nächsten zehn Monate des vorgezogenen Dramas „neununddreißig“ meisterhaft zu bewältigen um dann der vermeintlich bösen „Vierzig“ belustigt entgegenzuzwinkern.

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 29.06.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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