Andreas Rüdig

Der Barbier

Der Barbier ist ein Handwerksberuf. Leute, die im Mittelalter und in der beginnenden Neuzeit in der Körperpflege, Wundheilung und Krankenpflege tätig waren, wurden als Barbiere bezeichnet. Badeknechte, Krankenpfleger und Bartscherer waren von dieser Berufsbezeichnung eingeschlossen.

Barbiere versorgten überwiegend männliche Klienten. Er kümmerte sich um die Haare und Bärte, zog aber auch Zähne, ließ zur Ader und verabreichte Klistiere.

Der Beruf des Barbiers entwickelte sich vermutlich aus dem des Badeknechtes. Der Beruf wird erstmals 1397 in einem Kölner Amtsbrief erwähnt. Barbierzünfte sind den Hänsestädten ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zu finden.

Mit dem Niedergang der Badestuben ab dem 16. Jahrhundert überflügelten die Barbiere oft den Stand der Bader. Beide Berufe gehörten zwar zum Chirurgenhandwerk. Die Barbiere konnten oft aber auch außerhalb ihrer Barbierstuben tätig sein. Barbiere unternahmen auch riskante Operationen wie Amputationen oder operative Eingriffe bei Geburten. Die Mehrheit der Barbiere lebte aber von einfachen und dementsprechend schlecht bezahlten Tätigkeiten – Aderlassen, Rasieren, Schröpfen, Zähneziehen sowie der Wund- und Heilung von Brüchen. Auch wenn die gesetzlichen Vorschriften etwas anderes vorsahen, kannten sich die Barbiere und Bader oft auch in der inneren Medizin und Pharmazie aus.

 

Mit der Entwicklung und Professionalisierung des Ärztewesens entwickelte sich auch der Beruf des Barbiers weiter. Der Zweig der Perückenmacher entstand mit der Perückenmode. Die Perückenmacher etablierten sich später als Damenfriseure, die Barbiere als Herrenfriseure.

 

Der Barbier sei ein aussterbender Beruf, meinen Sie? Vordergründig mag dies so scheinen. Doch wer genauer hinsieht, wird feststellen, daß sich der Beruf wandelt.

 

Kommen Sie doch bitte mal in meinen Laden, dann ist es leichter zu erklären. Sehen Sie die Dame da drüben? Sie hat Halbglatze, also nur noch einen Haarkranz, sowie einen dichten und buschigen Damenbart. „Ich sehe wie ein Mann aus,“ jammerte die Damen, als sie mein Ladenlokal betrat. „Das muß sich ändern!“ Also muß ich mir jetzt nicht nur überlegen, wie ich eine Perücke für sie anfertige.

 

Ich habe auch eine neue Kundin gefunden. „Ich war noch nie verheiratet. Ich habe keine Ahnung, wie man sich rasiert,“ meinte die Dame bei unserem Beratungsgespräch. Ich konnte sie dazu überreden, jeden Morgen zu mir in den Barbierladen zu kommen und sich rasieren und eine Gesichtspflege angedeihen zu lassen. An Feiertagen mache ich Hausbesuche bei ihr. Frau will ja ansprechend aussehen und Erfolg in Beruf und in der Männerwelt haben.

 

Burkhard. Ich bin entsetzt. Schau dir doch mal Sebastians Babiersalon an. Wieso ist der so überlaufen?

 

Er hat sich für die Damenwelt geöffnet. Sie kommen jeden Morgen zu ihm und lassen sich rasieren und eine Hautpflege verpassen.


Dürfen die das denn?

 

Aber natürlich. Sebastian hat einen eigenen Raum für sie. Er hat einen Transvestiten eingestellt, der sich um die weibliche Kundschaft kümmert.

 

Einen Transvestiten?

 

Ja, ein Mann, der sich ständig als Frau verkleidet. Sein Vorteil wäre nicht nur, daß er sich mit beiden Geschlechtern auskennt. Er würde auch alle Kosmetika und Hautpflegeprodukte kennen, die ein Mannsweib wieder wie eine feminine Frau aussehen läßt.

 

Darf der das?

 

Aber natürlich. Gegen Kosmetika, Hygiene und Körperpflege ist ja nichts einzuwenden.

 

Da muß ich mir was einfallen lassen.

 

 

Mein Kuriositätenkabinett ist das beste seiner Art weit und breit. Menschliche Zwerge und Riesen laufen hier genauso herum wie Damen mit Bart, Leute mit 6 Fingern an jeder Hand. Wir führen auch Gegenstände aus exotischen Ländern. Afrikanische Masken, Friedenspfeifen und Federschmuck von den nordamerikanischen Indianern, fliegende Teppiche aus Indien oder Schrumpfköpfe aus Papua-Neuguinea haben wir auch.

 

(Neuschnapfinger Tagesanzeiger) Eigentlich hätte Sebastian glücklich sein können. Er ist der Inhaber eines florierenden Barbiersalons. Doch Unbill ist jetzt angesagt – Gregorius, der Besitzer des benachbarten Kuriositätenkabinetts, hat ihm den Fehdehandschuh hingeworfen. „Die Damen, die sich bei Sebastian den Bart scheren lassen, dürfen eigentlich gar nicht dort hingehen. Sie sind bei mir angestellt, um sich bewundern zu lassen. Ihnen wäre lediglich Bartpflege erlaubt.“

Boykottaufrufe fruchteten bislang genauso wenig wie Mahnwachen vor dem Ladenlokal, Halloween- und Karnevalsstreiche oder andere Aktionen gegen den Barbiersalon.

Erst ein Bartschneidewettbewerb brachte die Kehrtwende. 5.000 Mark lobte das Kuriositätenkabinett für den schönsten Damenbart aus. „Ich kann das Geld gut für einige Investitionen gebrauchen,“ sagte sich Sebastian. Er ging mit einigen kunstvoll geschnittenen und frisierten Damenbärten an den Start. Sebastian gewann sowohl den dritten wie auch zweiten und ersten Preis. Seitdem herrscht ein Burgfrieden zwischen Sebastian und Gregorius. Sebastian pflegt die Kunstwerke, von denen niemand ahnt, daß sie Barttoupets sind. Und Gregorius unternimmt nichts dagegen. 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 01.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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