»Meister? Meister, wo seid
Ihr?«
»Ich liege vor dir, du
Schwachkopf!«
Kaum dreihundert Schritt vom
brennenden Dorf entfernt lagen Gundrak und Nephanius im dichten Unterholz
versteckt, nachdem sie mit dem Werwolf über den Abhang gesprungen waren – das
Tier war inzwischen tot, es hatte die Verletzungen durch den Sprung nicht
überlebt, als es von einem abgetrennten Baumstamm aufgespießt wurde. Nephanius
war schwindelig, doch musste er gerade jetzt schnell und präzise denken. Sie
mussten fliehen, in den Wald. So tief wie es ging in den dichten Wald
vordringen und ihre gewiss kommenden Verfolger abschütteln – am besten, ohne
viel Blut fließen lassen zu müssen.
»Steh auf Gundrak, und mach
dich fertig für einen langen Marsch!«, sagte Nephanius und erhob sich in
geduckter Position und mit gezogener Waffe. »Bis zur Morgendämmerung werden wir
uns ducken müssen, alles andere wäre zu riskant!«
»Ja-jawohl, Meister.« Auch
Gundrak stand nun schwankend auf. »Erlaubt mir die Frage, Meister: Was waren
das für Angreifer? Welches Ziel verfolgen sie?«
»Ich weiß es nicht, Gundrak,
und ehrlich gesagt, ist es mir auch egal. Wichtig ist, dass ich den Dämon
finde, den es zu töten gilt.«
»Was ist das für ein Dämon,
Meister?«
»Nicht hier und nicht jetzt,
du Narr! Erst einmal müssen wir von hier verschwinden, also komm und blicke
nicht zurück!«
Ohne auf weitere Worte
Gundraks zu achten, schlich Nephanius los durchs dichte Unterholz, die
tollpatschigen Schritte seines Schmiedes hinter ihm. So entfernten sie sich vom
brennenden, zerstörten Dorf immer tiefer in den dichten, engen Wald.. Selbst
das eisig kalte Mondlicht drang nicht durchs verstrickte Blätterdach, und auch
kein Tier war zu hören; kein Eule, keine Vögel, ja nicht einmal die Grillen,
die für gewöhnlich in der Nacht zirpten.
Eine Ewigkeit, so schien es,
marschierten Nephanius und Gundrak durch den dichten dunklen Wald, bis sich
plötzlich die ersten Sonnenstrahlen erhoben und ein neuer Tag anbrach. »Eine
rote Sonne, ein blutiger Himmel.«, hatte Gundrak gesagt, als sie an einer
Klippe gestanden hatten und sich ein unbeschreiblicher Anblick vor ihnen
erstreckt hatte: Ein weites, grünes Tal mit dem nebeligen Duft der
Morgendämmerung, und dahinter der gewaltige Sonnenaufgang. Gundrak hatte lange
auf die Sonne gestartet und Nephanius dabei völlig aus den Augen gelassen.
»Wie weit ist es noch bis
nach Hujhal'drak, Meister?«, hatte er kurze Zeit später gefragt.
»So weit, dass wir nicht
zögern sollten«, sagte Nephanius. »In zwei Tagen sollten wir da sein, wenn wir
uns beeilen, vielleicht auch nur in einen. Das hängt ganz von dir ab, Gundrak,
beweg dich!«
»Ja, natürlich, Meister.«
Sie gingen eine Ewigkeit,
der Dämonenjäger gab keinen Ton von sich, wie ein Geist glitt er durch die
Wälder und Wiesen, während Gundrak ihn, tollpatschig wie er war, folgte und
beinahe über jeden Baumstamm und jeder Wurzel stolperte.
Sie erreichten Hujhal'drak
nach zwei Tagen.
Das Dorf war an einer
großen, imposanten Schlucht gebaut worden. Ein Wasserfall viel in der Mitte in
einen großen See, während außen herum Holzhütten und Brücken entlang der Klippe
gebaut worden waren. Höhlen führten ins Innere der Schlucht. Hujhal'drak war
bekannt für seine Minenarbeit und den Mineralien, sowie für das Goldgraben und
den Abbau von Erzen. Das Dorf finanzierte sich so, während sich in den
verlassenen Höhlen Söldner, Banditen und Sekten verschanzen, die den Untergrund
des Dorfes beherrschten.
Über vier Meilen reichte die
Klippe in die Höhe, sie war fast fünfzig Meilen lang, doch bebaut waren nur
sechs oder sieben Meilen, den der Rest der Felsvorsprünge und Kanten war von
Wurzeln und Gestrüpp überwuchert worden.
Das Tor zum Dorf befand sich
links neben dem großen See, am Fuße der Klippe. Eine Hängebrücke führte im
steilen Winkel über einhundert Meter nach oben, bevor die ersten Hütten zu
sehen waren. Nephanius und Gundrak erreichten das Tor, ließen sich von den
Wachen überprüfen und traten schließlich ein.
Ihr erstes Ziel war es, die
Taverne Hüpfenden Magier zu finden,
um dort mit den Informanten über Dämonen zu sprechen. Nephanius hoffte
insgeheim darauf, wichtige Informationen über den Dämon zu finden, doch sicher
war er sich nicht. Wer wusste schon mehr über Dämonen als er?
Zwei Meilen gingen sie; auf
Hängebrücken und befestigten Stegen am Rand der Schlucht, während sie enge
Wohn- und Händlerviertel passierten. Am beeindrucktesten fand Gundrak das
Theater, das halb in Stein gehauen war und dennoch größer war als drei
Wohnhäuser zusammen.
Die Taverne jedoch hing an
Spannseilen befestigt am Ende eines Steges, der etwa dreißig bis vierzig Meter
in die Luft reichte. Es knarrte und schaukelte, als Nephanius und Gundrak über
die wackeligen Bretter gingen. Der Steg besaß kein Geländer.
»Was waren das nur für
Architekten?«, hörte Nephanius Gundrak sprechen. Ihm selbst war die
schwindelerregende Höhe von zwei Meilen egal. Man brauchte im Grunde nur nach
vorne gucken.
Oben und unten waren
Spannseile angebracht und befestigten die Kaserne so mit dem festen Stein der
Klippen. Das Gebäude selbst besaß zwei Stockwerke, unten das Gasthaus und oben
die Gästezimmer. Nephanius und Gundrak betraten die in dunkel gehaltene
Gaststätte. Rauch und der Duft von Met hing in der Luft, die Wände bestanden
aus schwarzem Holz, die dunklen Stühle und Tische waren mit rotem Stoff überzogen.
Die beiden fingen sich hin und wieder finstere Blicke von den stummen Sitzenden
ein, doch Nephanius schaute gelassen darüber hinweg und warf diesen dummen
Tölpeln ebenfalls einen Blick zu. Provozierend und herausfordernd, sodass sie
seinen Augen auswichen. Man musste nur wissen wie, und schon war man der Herr
über die Situation.
Ein Mann mit Kapuze winkte sie zu sich herüber. Er saß an
einem Fenster hinter der Treppe der Taverne und rauchte eine Pfeife.
Ȇberlass mir das Reden,
Gundrak.«, sagte Nephanius und nahm stumpf aber selbstbewusst gegenüber des
Informanten platz. Gundrak setzte sich links
neben seinem Meister.
»Nephanius, der
Dämonenjäger.«, sagte der Informant. Dünne Rauchschwaden entschwanden seinem
verdunkelten Gesicht unter der Kapuze und vielen gegen die Zimmerdecke. »Es ist
mir eine Ehre, euch kennenzulernen.«
»Ich bin nicht hier, um ein
höfliches Geschwätz zu führen. Mein Auftraggeber sagte mir, ich würde euch hier
antreffen.«
»Ganz recht, Nephanius.«,
sagte der Informant und würdigte Gundrak nicht mal eines Blickes. »Ich bin es,
der euch die Schwächen des Dämons benennen soll.«
Nephanius nickte.
»Er hat keine Schwächen.«
Normale Menschen – geistlich
schwache, wenig intelligente – würden in dieser Situation mit einer Antwort
zögern. Aber Nephanius nicht. »Warum sitzt Ihr dann hier? Habe ich den
Dreitagesmarsch etwa umsonst angetreten?«
»Nein, natürlich nicht,
Nephanius.«, sagte der Informant. »Ich will Euch nur sagen, dass ihr diesen
Dämon, diese Bestie, überraschen müsst, um an ihn heranzukommen. Eine solche
Kreatur rechnet nicht mit Angriffen, weil sie weiß, dass nichts und niemand sie
aufhalten kann.«
»Dann kennt sie mich nicht.«,
sagte Nephanius.
»Vielleicht ist das so, aber
seit versichert: Dieser Dämon ist der wohlmöglich stärkste aller Zeiten.«
»Und wenn sucht diese
Bestie?«
»Nun, das ist eine andere
Frage. Auf jeden Fall verbirgt dieses Monster ein Geheimnis, denn es sucht nicht
grundlos jemanden. Niemand weiß, worin die Absicht liegt.«
»Wie sieht dieser Dämon aus?
Hat man ihn schon gesehen? Ist er menschlich?«
Der Informant – immer noch
rauchend – schien unter seine Kapuze zu grinsen. »Dieses Geschöpf der Hölle kann nicht menschlich sein. Es ist die
Grundform eines Dämons, diese Bestie verkörpert das absolute Böse. Auch ein
Sieg gegen dieses Wesen ist unwahrscheinlich. «
»Hat man es gesehen? Ich
wiederhole mich nur ungern.«
»Nein. Alle die dieses Geschöpf
sahen, waren danach tot.«
»Woher weiß man dann, dass
es sich um einen Dämon handelte?«
Eine dicke Rauchschwade entschwand
dem verdunkelten Gesicht des Informanten. »Weil es Anzeichen darauf gibt, dass
es der Dämon war. Sein Weg wird
eingeläutet, wenn er auf der Erde erscheint.«
»Was sind das für Anzeichen?«,
fragte Nephanius.
»Nun. Zuerst soll die Erde
beben, als wenn tausend Riesen zugleich marschieren würden. Anschließend sollen
gewaltige Flammenschwaden erscheinen, die größer sind als Feuer, die einem
Drachen entsteigen. Und zuletzt soll die Bestie brüllen, als wenn zehntausend
Löwen zugleich brüllen würden. Sie soll so laut brüllen, dass jeder in der Nähe
taub von diesem Gebrüll wird.«
Eine Zeit lang schwiegen sie
alle.
»Wo«, begann Nephanius
wieder. »kann ich ihn finden? Wie kann man ihn heranlocken?«
Der Informant schien wieder
zu Grinsen. Gundrak schaute abwechselnd zu Nephanius und dem geheimnisvollen
Informanten. Die ganze Taverne schien einen Ton leiser und angespannter zu
sein.
»Es muss ein Ritual
durchgeführt werden.«, sagte der Informant. »Dazu bedarf es sechs Seelensteinen
und einen Beutel von magischem Pulver. Außerdem wird trockene und staubige Erde
benötigt, am besten sogar erhitzte Erde, wie man sie in den Wüsten dreihundert
Meilen südlich von hier findet. Und man benötigt einen Köder. Einen menschlichen Köder.«
»Und dann erscheint der
Dämon?«
»Man formt aus den Steinen
ein Sternenbild des Dämons. Sechs Ecken, drei oberhalb, drei unterhalb, die Mittleren
etwas in die Höhe versetzt. Dann verbindet man diese Seelensteine mit dem
magischen Pulver. Eine weitere Linie muss von jedem Stein exakt in die Mitte
führen. Dort muss der Köder aufgestellt werden. Dann wird der Dämon erscheinen.«
»Findet man diese Materialien
hier?«
»In diesem Dorf findet Ihr
alles, Nephanius. Sogar einen Köder.«
»Und wer ist das?«, mischte
sich Gundrak ein. Nephanius warf ihm einen drohenden Blick zu, doch der
Informant antwortete, ohne Gundrak anzusehen. »Ja. Innerhalb der Höhlen
befindet sich ein Sklavenhändler. Der Händler gehört wahrscheinlich der
Werwolfssekte an, aber er verkauft billig.«
»Werwolfssekte?«, fragte
Gundrak. »Meister, unser Dorf?«
»Die Werwolfssekte ist eine
Organisation, die das Züchten von Tieren mit schwarzen Magien unterstützt. Sie
hat ihren Sitz im Norden, innerhalb des Schneegebirges. Sie lernen dort das
Reiten auf Werwölfen.«, sagte der Informant. »In letzter Zeit sind sie wieder
auf Beutezug. Sie vernichten alles, was sich gegen Hölle und schwarze Magie
wenden könnte.«
»Deswegen haben sie unser
Dorf angegriffen.«, sagte Nephanius. »Wegen mir und meinem Meister. Aber wozu?«
»Sie denken, sie werden von
der Dunkelheit und der Hölle verschont, wenn sie stattdessen alles Gute und
Reine vernichten. Und da der Dämon sein Unwesen treibt, hoffen sie auf
Kapitulation mit diesem.«
»Diese Narren. Sollen sie in
ihrem eigenen Blut ertrinken!«
»Tötet den Dämon, Nephanius,
und vielleicht werden auch ihre Morde dann enden. Ich habe euch alles gesagt,
was ich weiß.«
Nephanius erhob sich;
Gundrak stand schwankend auf. »Dann soll es so sein. Komm, Gundrak.«
Nephanius und Gundrak
kehrten dem Informanten den Rücken zu, aber dennoch sagte er etwas.
Ausnahmsweise etwas, das Nephanius überraschte. »Auch apokalyptische Magien
werden nicht viel nützen, im Kampf gegen der Bestie.«
»Gehen wir, Gundrak. Wir
müssen ein paar Dinge erledigen.«
Sie verließen die Taverne.
Das Ritual sollte schon
morgen stattfinden.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 06.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).
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