Rüdiger Nazar

Pilgerweg VI.

 

 

 

 

Ja Nevers...noch 22 Kilometer...würden wir schon schaffen. Aber bei dieser Hitze bestimmt erst in zwei Tagen. Mittlerweile geht es auf den späten Abend zu...unsere Füße schmerzen und durch die ständige Sonneneinwirkung auf meinen Kopf...habe ich Kopfschmerzen. Einen Sonnenschutz in Form eines Hutes kann ich leider nicht tragen...vertrage ich nicht...bekomme auch davon Kopfschmerzen. Binde mir ein Stirnband um...so auch Renate.

Bei dem nächsten Haus wo jemand im Garten steht...werden wir mal wieder nach Wasser fragen...damit wir genug in unseren drei Feldflaschen für die Nacht haben.

Nein keine zwei Tage...wir haben es tatsächlich unter größter Mühe geschafft...22 Kilometer...wir sahen Nevers im Abendlicht der untergehenden Sonne. Was ein betörender Anblick. Aber es ist Nevers Süd...und...wie weit noch bis zum Zentrum?

Drei Kilometer ...oh Mann...schaffen wir das noch ? Der Rucksack landet erst mal auf den Boden an einer Bushaltestelle. Hier stehen zur Dekoration etliche riesige Felsblöcke in der Reihe auf einer Grünanlage. Schuhe aus und Füße lüften...sie schmerzen. Wasser und etwas trockenes Baguette...nicht viel...aber es reicht um den ...Weitergehwillen... zu mobilisieren.Dennoch sitzen wir hier erst mal eine halbe Stunde so herum. Aus Erfahrung kenne ich...lange Pause = keine Lust mehr...also Rucksack auf und weiter. Verdammt...hat man uns heimlich einige Steine in den Rucksack gesteckt ? Wird Zeit das wir lagern und uns eine passende Nachtstelle aussuchen.

Eine Stunde weiter kamen wir im Zentrum von Nevers an...nein...wir krochen hinein...über eine unendlich lang scheinenden  Brücke...die den Fluss überspannte...die Loire. Unter der Brücke  tobte das Wasser in kleinen Strudeln...dann wieder schoss es zwischen Felsgestein einige Meter in die Tiefe.

Uns wurde schwindelig beim hinunterschauen. Die untergehende Sonne färbte den Himmel rot...was auf dem Wasser ein phantastisches  Panorama erzeugte...erstarrt vor Schönheit standen wir dort bestimmt so zehn Minuten herum und genossen das Schauspiel. Als wir die Brücke dann überquert hatten...rief eine männliche Stimme...hello you two...where are you going to ? Muß ich das jetzt übersetzen ? Nö ne ! Jedenfalls war es ein Radfahrer...ein Mann so um die sechzig... fünfundsechzig...schätze ich.Mein Gott sagte er...ihr seht aber schwer bepackt aus...ihr müßt kaputt sein...alles auf englisch...!  Mal gut das es meine Muttersprache war...und so erzählte ich ihm unser Vorhaben. Er war begeistert und seine Augen leuchteten.Good sagte er...very good ! Als er dann weiterfuhr...hatten wir es nicht mehr weit bis  zur Mitte der Stadt.

Was war denn das ? So gut wie kein Mensch auf der Strasse...alle  Geschäfte zu...nicht mal ein Kaffee oder ein Restaurant auf...! Wir sahen die Kirche von Nevers und traten ein...ein Wunder das sie auf war. Innen war es angenehm kühl.

Ein wunderschönes Gebäude...vielleicht fanden wir einen geistlichen ...so wir unseren Stempel bekommen konnten...Hustekuchen...nur ein paar eilige Touristen...die mehr oder weniger desinteressiert durch die Kirche liefen und im Fluge mit der Digitalcamera Bilder schossen. Wir setzten uns auf eine Bank in der Kirche...und wer kennt diese Bänke nicht ? Schmal und unbequem...nach einigen Minuten mußten wir wieder aufstehen da der Hintern weh tat. Wunderschöne Fresken...Heiligenbilder aus dem dreizehnten bis sechzehnten Jahrhundert...alte Wandbemalung...eine ruhige und besinnliche Stimmung...der Raum roch nach Weihrauch...diesen Duft mag ich sehr.

Aber nun wurde es Zeit eine Bleibe für die Nacht zu suchen...was wollten wir auch hier...alles zu und wie ausgestorben.

Draußen am Portal verweilte Renate einige Minuten...es gab einen Wortaustausch...ein Disput...warum weiß ich wirklich nicht mehr zu sagen... ! Sie meckerte herum das sie keinen Schritt mehr gehen wollte. Hallo sagte ich...willst du hier in der Kirche schlafen oder was ? Wenn es sein muß...sagte sie...ich kann nicht mehr. Dann sagte ich etwas dummes...und sie war total eingeschnappt...zu recht...mein Satz war unfair...aber auch ich war fertig und klagte dennoch nicht. 

Laß uns wieder über die Brücke zurück gehen...dort finden wir am Fluss bestimmt einen Nachtplatz...wird bestimmt romantisch. Sie schaute mich mißtrauisch an. Gut sagte sie...aber erst wenn du dich für das Wort entschuldigt hast. Ach...mein Gott...ja ja ich entschuldige mich für das was ich gesagt habe. Blödmann sagte sie...dann sage doch so etwas nicht. Aaaaaahhhhhhhhhhhh.....

Der Weg...zurück über diese lange Brücke war echt beschwerlich...er kam uns doppelt so lang vor wie auf dem Gang hin zur Stadtmitte. Als wir diese überquert hatten...überschlichen hatten... ging eine schmale Steintreppe rechts hinunter zur Loire...auch dieser Weg war mit Hindernissen gepflastert. Wir kamen an einem ausgetrockneten Seitenbarm der Loire an...der Boden war übersät mit Kieselsteinen und einigen Muscheln. Jeder Schritt sank einige Zentimeter in den weichen Boden...der Rucksack zog uns runter. Wir gingen wie auf  Eiern laufend...so als wäre die Schwerkraft aufgehoben...so als wären wir Marionetten die an Fäden hingen...Arme und Beine baumelten bei jedem Schritt wahllos fuchtelnd in der Luft herum...ein groteskes Bild.

Ziemlich nahe unter der Brücke...war eine schöne Stelle...hier wollten wir bleiben. Das Wasser der Loire rauschte laut zwischen den Felsen die ab und zu aus dem Wasser schauten. Hoffentlich gab es nicht Hochwasser...und wir würden morgens im Wasser erwachen ?  Was ein Gedanke...und ich mußte wirklich darüber lachen.

Renate...ließ es sich wieder nicht nehmen und schlug das Lager alleine auf. Ich gab es auf...ihr da hereinzureden. Sie hatte ihre eigene Vorstellung und Willen. Gut...sollte sie. Und was mache ich bitte schön ? Suche Holz für das Feuer...ich möchte mal einen vernünftigen heißen Kaffee trinken...und wenn möglich mal eine heiße Suppe. Jooooo...sagte ich...ging mit meinem Haumesser los. Meine Nerven lagen etwas blank...wie ein Stromkabel aus Kupfer...die  man  die Isolierung abgezogen hatte. Ich ließ mir Zeit...strolchte durch das Unterholz...verweilte ohne ersichtlichen Grund einfach so mal  an einem schönen Platz...und dachte nach...über die ganze Tour...über uns...über meine Vergangenheit...meine Gegenwart und Zukunft.

Irgendwann tauchte ich dann wieder bei ihr auf...eine handvoll Späne.

Mein Gott sagte sie....hast dich aber nicht überarbeitet ?  Innerlich zuckten meine Nerven wie unter einem Stromschlag . Sie verlangte viel von mir...ohne es zu merken oder es bewußt zu sein. Hatte ich doch alleine die Tour geplant...die Orte und Wege auf der Karte in mein Gedächnis wie mit Feuer gebrannt...verewigt...hatte ich nicht die Erfahrung...nach jahrzehnterlanger Wanderschaft in aller Herrenländer ?

Ich bin kein Matcho...nein weiß Gott nicht...aber was ich weiß...weiß ich...aus Erfahrung....das Leben hat es mir gelehrt...aber gut...es war ihre erste lange Tour...und sie war aufgeregt...voller Tatendrang...und das war gut so...und ich akzeptierte es...mußte ich wohl akzeptieren.

Endlich war das Feuer entfacht...bist ein rechter Neandertaler sagte sie...kannst sogar Feuer machen...ich fühlte mich total verarscht.

So gab es einen heißen Kaffee...auch die Nudelsuppe war nicht lauwarm wie üblich und schmeckte garnicht schlecht. Renate war fertig und müde...legte sich hin und ihre Augen fielen zu. Ich lief noch etwas im Sand herum und fand schöne Steine ...so schöne Farben...glatte Steine...durch jahrtausende Schleiferei des Wassers absolut glatt...einige so rund wie Kugeln...steckte mir einige ein.

Saß dann gedankenverloren am Ufer der Loire...das Wasser umspülte meine brennenden Füße. In der untergehenden Sonne leuchteten die Kirchtürme in der Ferne...die Türme von Nevers. Es waren zwei Kirchen nebeneinander....natürlich schon etwas entfernt voneinander...aber aus dieser Entfernung sah es so aus...als ständen sie kurz beieinander.Verdammt...es war noch immer kein Geld auf meinem Konto...wieso nicht...was war geschehen ? Mein Tabak ging zu Ende...Heiland...was ein Maleur. Ich war nicht weit entfernt...hatte Renate immer im Auge...man weiß ja nie in der Ferne...es gibt nicht nur gute Menschen.

Die Nacht ist kühl...feucht...das Rauschen des Wassers läßt uns bald kein Auge zutun...unaufhörlich rauscht es...wie eine Maschine...irgendwann vor Übermüdung schlafen wir ein...wir merken es nicht...kein Übergang von wach zu Schlaf.

Morgens werden wir durch sanfte Sonnenstrahlen wach...der Wind weht leicht...und das Wasser rauschte  immer noch...natürlich...wie könnte es auch aufhören zu rauschen ? Renate bleibt liegen...während ich lostigere um Feuerholz zu suchen ...mit Erfolg. Borrr...sagt sie...trockenes Holz. Ich überhöre diese Spitzfindigkeit und fertige den Brand...und siehe da...es brennt. Milch haben wir nicht mehr...und so ist der Kaffee schwarz...was soll´s ? Vorräte ?  Oh ja...Frühstück...Trockenobst...hing mir langsam zum Halse heraus...aber gut...was zum Beißen.

Um elf Uhr brechen wir auf...nachdem alles gepackt ist...ich würde am liebsten alles liegen lassen und einfach so los gehen...aber das geht natürlich nicht. Wieder laufen wir über die lange Brücke der Loire ...bitte nicht noch einmal...es reicht jetzt. Wir kommen im Ort an...alle Geschäfte auf...und Menschen auf der Strasse...Menschen. Ich will eine Pommes sagt Renate. Hallo...ich will...es heißt ich möchte. Nein sagte sie...verdammt ich will eine Pommes...ist das zu viel verlangt...mit viel viel ekeliger dicken fetten Majonaise. Ach...und wir finden  eine Pommesbude...ein türkischer Besitzer. Es liegt auf der Rue du Quartorze...Juilett...in Richtung...Porte  du Croux.

Die Pommes...mein Gott...ein Gericht wie ein Weihnachtsessen...Kaffee heiß und mit Zucker und Milch...die Preise angenehm. Der Besitzer spricht deutsch...hat einen Cousin der auch eine Pommesbude in Deutrschland hat...in Gelsenkirchen...was ein Zufall.  Bevor wir gehen...fülle ich erneut die Wasserflaschen auf der Toilette.  Nevers ist eine schöne alte geschichtsträchtige Stadt...ist echt sehenswert...zig tausende Touristen besuchen jährlich Nevers.

Ich frage den Inhaber des Restaurantes wo es Richtund Moulins geht...Oh nein...was er sagt läßt meinen Glauben in den Grundmauern erschüttern. Ja..ihr müßt erst über die Brücke der Loire. Punkt...Punkt...Punkt.

Ich glaube es nicht... das dritte mal über diese verdammte...aber schöne Brücke. 

Mitten in Nevers legt sich Renate auf eine Mauer...total ermattet...die Rucksäcke stehen erwartungsvoll auf Weitermarsch herum. Ich sitze neben ihr und schaue mir die schönen Gebäude an...dann höre ich sie schnarchen...auch das noch...verspricht ein etwas längerer Aufenthalt zu werden...ich lasse sie.

Ein Mann sitzt etwas weiter entfernt auf eben der gleichen Mauer. Ich steuere auf ihn zu...bonjour Monsieur...le Route Moulins ...und halte ihm die Landkarte hin. Er studierte sie lange...sieht mich dann an und sagt...bon...sein Finger wandert kreuz und quer über diese geographische Kleinkunst. Hier Nevers...hier Moulins.Ok sage ich...und welche Route...wie kommen wir aus Nevers heraus ?

Über die Brücke der Loire sagt er...ja...über die Brücke der Loire. Es ist schon später Nachmittag...jetzt noch losgehen würde sich nicht lohnen. Und sagt Renate ...was jetzt...wieder eine Nacht an der Loire ? Und sage ich...warum nicht ? Wer hetzt uns denn ?  Wir sehen uns noch Nevers an...alte enge Strassen...auf der le Poste bekommen wir sogar einen Tagesstempel. Jetzt wird es aber Zeit das wir wieder diesen Ort verlassen...es dunkelt schon. 

Jetzt wollen wir aber auf der anderen Seite der Loire übernachten...auf der Seite an der Stadt...so brauchen wir nicht über diese Brücke...jedenfalls nicht heute....morgen vielleicht...nein...morgen ganz bestimmt. 

Auch hier finden wir eine super schöne und romantische Stelle. Einige Leute sind noch anwesend. Feuer gemacht...es klappt auf Anhieb...Renate bereitet das Nachtlager. Wir baden unsere geschundenen Füße im kühlen Naß der Loire...es tut so gut. Renate schläft ausnahmsweise mal schnell ein...sie ist total fertig...sie tut mir leid.

Heute bekam ich einen Vorwurf von ihr. Du hast mir so viel versprochen...Jugendherbergen unterwegs ...Duschen ...saubere Wäsche. Ich war in meiner Ehre gekränkt...warum ? Hatte ich ihr nicht versprochen...hatte gesagt...wir gehen schon in Paris los...wir schlafen nur in der Natur...Jugendherbergen gibt es erst ab Le Puy...dem Sammelort der Pilger. Hier...und erst ab hier gibt es nach jeder Etappe eine Herberge...die mal gerade fünf  Euro pro Person kostet...Übernachtung...und Wäsche waschen...und Frühstück...aber nicht ab Paris...vielleicht hätte sie etwas besser  zuhören sollen. 

Ich weiß...das es verdammt hart für sie war...so von heute auf morgen die warme Wohnung zu verlassen...um draußen...jede Nacht...bei jedem Wetter zu leben....meistens unbequem...nicht immer...aber meistens...heiße Sonne...Sturm...Regen...Gewitter...nasse Klamotten...schlechte Laune.

Aber das war das Leben auf der Strasse das ich ihr mal näher bringen wollte...sie sollte es mal erleben.

 

Morgen geht es weiter...gute Nacht...ihr lieben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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