Nicolas Gelis

Florenz

 

 

Angelehnt an den Schreibstil des Homofabers von Max Frisch
 

„Was man besaß

Merkt man erst,

Wenn man es verloren hat.“

 

Auf der Durchreise in Italien passierte in natürlich das, was ich nicht für möglich gehalten hätte. Am ersten Abend, an dem ich am Hotel ankam, ging ich in den Club, der mir empfohlen wurde. Die Sommernacht war wundervoll und die Musik genau nach meinem Geschmack. Ich bestellte einen Martini. Das azurblaue Licht der Anlage umgab mich. Der Bass massierte meine Gedanken, der Beat war stimmig, verglichen mit dem was ich unter einem guten Elektrobeat auffasste. Es musste mich in eine Art Trance-zustand bringen. Das war wichtig, denn sonst wäre es das zuhören nicht wert gewesen. Dann sah ich sie. Was machte sie hier? Ich meine in Italien. Wie groß ist da die Wahrscheinlichkeit. Abstrus! „Das regt mich auf.“, dachte ich. Ich trank einem nach dem anderen und versuchte die Musik zu genießen. Dann sah ich sie wieder, dort voller Freude am Tanzen und ich glaubte sie sah auch mich. Jetzt war klar, ich musste weg, in mein Bett, sonst würde ich den Tag mit diesen Gefühlen nicht überstehen. Am nächsten Morgen stand ich auf, wusch mich. Das war ein Traum. Es musste einer sein. Dachte ich das wirklich? Als ich mich auf den Weg in die Innenstadt von Florenz machte, um meine Arbeit am Charakter Alighieris zu beenden, es war meine Doktorarbeit, brauchte ich jede Konzentration, doch ich dachte nur an sie. Wie sie da war und die Musik genoss. Warum tat sie das Früher nie? Dann dachte ich, sie würde nicht alleine unterwegs sein und wurde eifersüchtig. Ich wusste das sie ein Typen hatte. Zu meiner Verwunderung sah ich sie dann vor dem Hotel Balestri, Arm in Arm mit jemanden am Arno entlang laufen, während ich mich hinter einer der unzähligen Statuen versteckte. Aber das war nicht ihr Typ, den ich kannte. Das war jemand anderes. Er hatte die creme-dunkle Haut eines Italieners. Sie lachten und küssten sich. Ich muss hier raus! Ich muss eh noch zum Casa di Dante. Mein Bauchgefühl wurde schummrig. Mir wurde schlecht. Ich zitterte. Das war nicht Produktiv für meine Arbeit. Spät abends kam ich wieder an meinem Zimmer an. Überarbeitet und todmüde ging ich schlafen. Ich hatte unruhige Träume. Ich erwachte urplötzlich, weil ich dachte ein Hundekopf würde auf mich herabstürzen und mich fressen wollen. Es waren aber nur mein schwarzer Anzug, der auf dem Schrank lag und meinen Augenlidern, die mir bei dem Verschließen den Anschein gaben, etwas stürze auf mich hernieder. Trotzdem war etwas merkwürdig. Ich stand auf. Hatte ich mein Portemonnaie wirklich auf der Küchenablage vergessen? Ich ging zum Zwischenraum von Haustür und Flur und schloss ab. Egal wer hier war, ich würde ihn kriegen. Ich lief durch mein Apartment, fand aber nichts. Dann sah ich die neuen Blumen auf dem Küchentisch. Zimmerservice? Geld war noch da. Zu meiner Überraschung sah ich dann ihren Italiener vor meiner Verandatür. Ich schloss auf. „Was wollen sie?“ „Reden. Sie kennenlernen.“ Ich zog mich an. Ich wusste nicht, ob ich sauer sein sollte. Wie kam er dazu? Hatten sie mich besser ausspioniert, als ich sie? Egal was er wollte, er hatte ja nichts verbrochen. Wir gingen in den Garten des Hotels und setzten uns in die Nähe des Wassers. Er fing an von sich zu erzählen. Hatte in Deutschland studiert und sie dort kennengelernt und wollte sie durch Italien führen, solange sie frei hatte. Ich erzählte von meiner Arbeit hier und was ich noch vorhatte. Wir lachten und schäkerten ein wenig. Ein toller Typ, dieser Marco. Es war lang her, dass ich mich so gut unterhalten hatte. Die Bedienung kam und fragte uns, was wir trinken wollten. Sie gaben auch draußen Frühstück aus. Wir beide verweigerten und bestellten nicht. Die horrenden Preise wollten wir nicht bezahlen. Die Bedienung fluchte beim Gehen auf Italienisch. Ich fragte was sie sagte. „Nichts, nur das wir geizige Schweine wären.“ Wie dreist. „Lass uns abhauen.“ Im Vorbeigehen des Frühstücksbüfetts war ich so wütend, ich wollte zur Bedienung gehen, um ihr ein paar Manieren beizubringen. Marco hielt mich ab. „Lass sie. Dadurch wird es auch nicht besser.“ Und er hatte recht. Wir saßen uns an einen abgeschirmten Tisch in der Ecke der Bar, des Restaurants. Marco sah jetzt nicht überdurchschnittlich Gut aus, er hatte eher ein schlechten Kurzhaarschnitt und Schuppen, was man leicht sah, wegen den dicken Haaren. Und er war dünn. Das war ich auch, aber er war schlechter gebaut. „Und was macht sie?“ „Schläft noch und ich geh auch gleich, war ne lange Nacht.“. Das Wollte ich jetzt nicht wissen. Er ging auf sein Zimmer und ich tat es ihm gleich. Es war noch relativ früh und ich schrieb einiges für meine Arbeit und bekam Hunger. Ich konnte nur an sie denken. In der Bar ging ich zum Essbereich füllte mir Mittag auf und ging mich an den Tischen um gucken. Da saß sie, mit einem älterlichen Ehepaar an einem Tisch. Ich ging auf sie zu. Sie starrten mich an. Ich setzte mich. „Hey, was machst du denn hier?“ Sie lächelte unüberrascht. Ich konnte ihr Freude nicht richtig zuordnen. Früher war sie eher das Gegenteil. Immer deprimiert. Aber jetzt? „An meiner Doktorarbeit schreiben.“ „Darf ich dir Herr und Frau Margo vorstellen.“ Sie geht allem mal wieder aus dem weg. „Schön sie kennen zu lernen, aber bitte entschuldigen sie uns. Wir müssen uns für die Stadtrundfahrt fertig machen. Einen schönen Tag noch.“ Das Ehepaar grinste, ging und ich blieb mit ihr allein. „Wie geht es dir so?“ „Ich kann mich nicht beschweren. Und wie geht es dir?“ „Mir geht es auch fabelhaft. Florenz ist wunderschön und ich genieße das alles.“ Wir unterhielten uns herrlich, lachten und freuten uns. Sie erzählte mir alles über ihr leben und ich über meines. Es war so lange her und trotzdem waren es diese alten Gefühle, die ich so vermisst habe. Warum habe ich es getan? War ich einfach zu jung? Mein Herz pochte bei ihrem Anblick. War sie die Beatrice, die schon Aligheri so beschäftigt hatte? Das war sie. Ich schenkte ihr und mir den Rest des zweiten guten Weines ein. Das Fenster an unserem Tisch erstrahlte, als wir anstießen. Die Sonne ging in einem Farbspektakel von blau, zu lila bis rotorange über dem Arno unter. Normalerweise hätte ich jetzt gesagt, das hätte etwas mit der Umweltverschmutzung zu tun, dass die Farben der Sonne in der Nähe des Horizontes erzeugten, aber das war in diesem Moment egal. Ich drehte meinen Kopf zu ihr. Wir sahen uns an. Ich blickte ihr tief in die Augen und nahm ihre Hand. „Ich vermisse dich.“ Sie zog sie nicht zurück und blickte zum Boden. „Warum sagst du das?“ Sie war verwirrt und trotzdem wurde ihr Griff fester „Ich liebe dich noch immer und es ist der Fehler meines Lebens. Es gibt nichts, was mich mehr glücklich machen kann, außer dir.“ Angespannt schaute sie mich an. Ihre Augen schlossen sich ein wenig, Ihre Lider zuckten, ihr Mund wurde dünn. Dann, im Abendlicht, erschienen sie, die Perlen der Trauer. Es war nicht so, als hätten sie sich erst lange im Auge gebildet, nein, sie waren wie hergezaubert. Einfach da. Die Tränen liefen ihr über das Gesicht. Sie liebte mich. Tortz der Zeit, tortz allem was passiert war. Liebe die immer bleibt. Ich wusste das.
Egal, was ich hier tat, es war Unfair! Ich habe ihr Herz gebrochen. Sie hat sich soviel Schönes aufgebaut und jetzt mache ich ihr dies alles kaputt. Aber was war es denn schon wert, wenn sie mich nicht verdrängen konnte, ich unvergessen blieb. Sie drückte meine Hand, wischte sich die Tränen von der Wange. „Wo ist dein Zimmer?“.

Hand in Hand gingen wir den Flur entlang. Sie zog mich, so als wollte sie nicht, aber trotzdem musste. Sie konnte nicht anders. Warum fühlte ich mich so schlecht? Es war doch genau das, was ich wollte. Mich wieder mit ihr zu vereinen. Sie zu spüren. Der Lust aufeinander nachzugeben. In mir fand ein Kampf statt. Ich war ein dunkler Ritter mit platinblonden Haaren und Marco ein Heller mit dunklen Haaren. Ich entnahm einer Statur das steinerne Schwert, welches sofort zu einem echten wurde und ging in meiner Wut auf ihn los. Er hatte ein helles silbernes Schwert und wich gekonnt meinen Schlägen aus. Ich war eindeutig der Bessere. Eigentlich hätte er keine Chance gehabt. Er versuchte es, doch ich besaß in meinem Traum unweltliche Kräfte und stieß ihn ohne Berührung davon. Er grinste nur. Warum war er sich seines Sieges so sicher? Im Kampf entnahm ich ihm sein Schwert, sodass ich beide besaß. „Das ist dein Ende!“ Mit voller Power ging ich wieder auf ihn los, doch irgendetwas schirmte ihn ab, beschützte ihn. Ich konnte ihn nicht besiegen! Schlussendlich war ich der dunkle Ritter. Ich hatte die Wut in mir, für die nur ich etwas konnte.
Es war nicht Gerecht. Er machte keinen Fehler, ich tat ihn.
Ich erwachte aus dieser Traumsequenz. Ich blieb stehen und nahm ihre Hände in die meine. „Es tut mir leid. Ich kann nicht.“
Erstaunt sah sie mich an. Ich gab ihr einen Kuss auf die Stirn und rannte davon.

 

„When you were here before,
Couldn't look you in the eye
You're just like an angel,
Your skin makes me cry

You float like a feather
In a beautiful world
I wish I was special
You're so fuckin' special

But I'm a creep,
I'm a weirdo
What the hell am I doin' here?
I don't belong here ...“

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.07.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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