Beate Minderjahn

Endlich am Meer! - Unser neues Leben am ...

Endlich am Meer!

Unser neues Leben am Ende der Welt – 4.November 1999

Es geht uns wunderbar und nach zwei Wochen es ist immer noch wie ein Traum, endlich in Neuseeland zu leben.  Es fuehlt sich an wie ein Abenteuer , ein bisschen gestrandet auf einer „einsamen Insel“.  Alles ist neu, vieles unverstaendlich oder unlogisch (vermutlich nur unlogisch fuer uns Auslaender) und man muss  einfach offen sein fuer andere Sitten , Gebraeuche und Denkweisen. Obwohl  wir  dachten, unser Englisch waere nach so vielen Jahren Schulenglisch ganz gut und nach einem fuer die Einwanderung notwendigen und bestandenen  IELTS Test, verstehen wir nicht allzu viel. Von den Nachrichten und sonstigen Fernsehsendungen verstehe ich ueberhaupt nichts und die Leute hier sprechen so schnell und mit starkem Akzent, dass meine Gerhinzellen einfach nicht schnell und flexible genug sind.  Wenn ich ueber die ersten drei Woerter nachdenke, sind die Sprecher schon beim vierten Satz. Aber trotzdem geben wir uns Muehe und lernen jeden Tag neue Woerter und „Redewendungen“.  Gestern habe ich gelernt, dass „Power Steer“ kein wildgewordener Bulle, sondern die Servolenkung im Auto ist. Ich nehme an, in 20 bis 30 Jahren kann ich mich mal wieder richtig unterhalten.
Leider kann ich noch immer keine e-mails schreiben, da  wir zwar endlich  ein Modem, aber keine passende Software haben, die Software ist  auf einer CD, aber unser Computer hat kein CD-Laufwerk und somit begnuegen wir uns weiterhin mit dem mysterioesen Faxgeraet, das gleichzeitig auch noch ein Telefon, ein Anrufbeantworter, eine Registrierkasse, ein Dampfbuegeleisen und elektrische Zahnbuerste ist. Falls mir jemand ein Fax schicken will, meldet sich vermutlich erst der Anrufbeantworter mit der Nachricht, dass er noch zwei Gebisse reinigen, 37 Hemden buegeln und die Umsatzsteuererklaerung  machen muss, bevor er ein Fax entgegennehmen kann! Das schlimmste ist allerdings, dass ich offensichtlich keinerlei Einfluss darauf habe, in welcher Reihenfolge die Arbeiten ausgefuehrt werden und somit gibt dieses Hoellengeraet alle 5 Minuten eine neue Kombination von Klingel- und Buschtrommelgeraeuschen von sich, von denen ich nicht weiss, was sie bedeuten, geschweige denn, wie man sie abstellt.
Gestern morgen habe ich mich sogar aufgerafft, meine neuen Turnschuhe zu testen und bin um 7.30 Uhr morgens zum Strand gelaufen, der nur 2 Minuten von unserem Haus entfernt ist. Es war wunderschoen, warm, einsam, die frische Luft tat gut und trotzdem bin ich nicht weit gekommen, da meine Kondition eher die einer alten Suppenkelle entspricht anstatt der einer  enthusiastischen Pionier-Frau bei der Entdeckung neuer Kontinente.  Hier gbit es so viele tolle, einsame Buchten und Straende. Das ist so romantisch. Wenn man jetzt jung , schoen, reich, begehrt und frisch verliebt waere.... Mein letzter Strandspaziergang mit meinem fast vier Monate alten Sohn Henry war allerdings nicht so romantisch, weil er von Anfang bis Ende fuerchterlich geschrien hat. Zum Glueck war ausser uns niemand am Strand. Kaum waren wir wieder zu Hause, hat er gelacht.  Das hat er sicherlich von seinem Vater, denn wenn Bernd etwas nicht passt, oder irgendwo sind zu viele Bazillen und Bakterien, dann will er auch sofort nach Hause!
Gestern abend gab Henry  alle moeglichen Laute von sich, nachdem Bernd und ich eine ganze Stunde Clown gespielt haben, um ihn bei Laune zu halten. Er hat gesabbert, gebrabbelt, gespuckt, geniesst, gegurgelt,  gelacht und dann hat er zum kroenenden Abschluss noch feierlich in die Hose gemacht. Henry ist auch fasziniert vom Fernsehen und er scheint der einzige im Haus zu sein, der etwas zu verstehen scheint. Jedenfalls amuesiert ihn das und letztlich sieht er ja auch mal ein paar andere Gesichter, ausser die von Mama und Papa.  Jetzt hat er schon wieder Verstopfung und produziert kleine Baellchen, mit denen man Tischtennis spielen oder mit der Schleuder auf Spatzen schiessen koennte. Apropos Spatzen:  In unserer Dachrinne nistet ein Vogelpaerchen und hat Junge. Sie sehen aus wie Spatzen, schwarz mit einem gelben Schnabel. Jedes Mal, wenn Bernd draussen auf der Terasse eine Zigarette raucht, sitzen die Vogeleltern auf der Fernsehantenne und schreien wie am Spiess. Unsere Terrasse liegt offensichtlich genau in deren Einflugschneise und die Vogelkacke bildet ein pfeilartiges Muster auf den Holzplanken. Vermutlich muessen wir warten bis deren Junge aus dem Nest geflogen sind, damit wir uns auf die Terrasse setzen koennen, ansonsten landen deren Verdauungsresultate auf unseren Koepfen oder auf den Grillwuerstchen oder die schwarzen Biester lassen frisch gefangene Wuermer in meinen Ausschnitt fallen.
Bernd ist jetzt stolzer Besitzer von einem alten Nissan „Station Wagon“, was in Deutschland ein alter „Kombi“ ist und dann hat er den ganzen Tag im prallen Sonnenschein damit verbracht, ihn zu putzen. Er hat in von oben bis unten , hinten bis vorne, innen und aussen geschrubbt (jetzt ist kaum noch weisser Lack drauf...), die Felgen poliert  und die Fensterscheiben gereinigt, bis es so aussah, als waere kein Glas mehr drin. Die Nachbarn haben sich hinter der Gardine koestlich amusiert und  wundern sich sicherlich ueber die merkwuerdigen Sitten und Gebraeuche unserer Heimat.  Hier ist ein Auto offensichtlich nur zum Fahren da, solange bis es auseinander faellt.  Habe ausser Bernd noch niemanden gesehen, der sein Auto putzt.  Vielleicht ist es ja oeffentlich verboten, und wir haben keine Ahnung und Bernd landet bein naechsten Mal im Gefaengnis oder wird wieder ausgewiesen oder zur Zwangsarbeit im Steinbruch verurteilt oder ihm wird oeffentlich eine Hand abgehackt...
Henry versucht nun immer alleine zu sitzen, aber noch faellt er immer um und dann strengt er sich ganz wild an, wieder alleine hochzukommen. Wenn ich ihm helfe, sitzt er da wie ein kleiner Buddha, schaut sich alles um ihn herum genau an (muss eine ganz andere Weltanschauung  sein als im Liegen) und grinst wie ein Honigkuchenpferdplattfussindianerhaeuptlingssohn mit Stinkfuessen, ohne Haare und ohne Zaehne.  Wenn wir zu Abend essen, liegt er im Kinderwagen neben dem Tisch  und laesst seinen Windproblemen freien Lauf . Wenn er gerade eine neue Windel an hat, macht er schnell hinein, um sein Revier zu markieren. Lieder  kommt bei diesen Neuseelaendischen Windel-Nappies alles wieder hinten am Ruecken raus. Vielleicht ist es auch Henrys ausgefeilte Bewaesserungstechnik, die unseren Verbrauch an un-oekologischen und un-wirtschaftlichen Verbrauchsmaterialien extrem steigert. Es geht doch nichts ueber die guten luft-,gas- und wasserdichten deutschen Windeln vom Aldi!
Beate Minderjahn 
 

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