Alexandra Peitsch

Eine blutige Theaterprobe (Teil 2)

     „Komm mit.“, sagte Norah leise zu Finn und zog sie mehr oder weniger mit sich. Am liebsten wäre auch sie in Tränen ausgebrochen, aber dies könnte jetzt ihren Tot bedeuten. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren, genau wie es Finn auch tun sollte. Norah zog ihre Leidensgenossin auf den Boden und versteckte sich zusammen mit ihr hinter dem Treppengeländer.
     „Die anderen sind in großer Gefahr. Wir müssen ihnen Bescheid sagen.“, flüsterte Norah hektisch. Es schien so einfach die Treppe hinunterzugehen, die Pausenhalle zu durchqueren und die Aula zu betreten. In diesem Moment traute sich Norah jedoch nicht mal mehr zu atmen. Ohnehin konnte sie kaum denken.
     „Der Schlüssel.“, sagte Finn fast atemlos. „Er ist noch im Klassenzimmer. Vielleicht brauchen wir ihn.“, würgte sie weiter. Der Gedanke war sehr gut, weshalb sie nochmal leise aufstanden und gebückt zurück zu dem Raum liefen, in dem die tote Liz lag. Hektisch suchten sie das ganze Zimmer ab – vergeblich.
     „Er ist nicht mehr hier.“, stellte Finn panisch fest und versuchte nicht zu ihrer besten Freundin zu gucken. Norah war sofort klar, dass der Täter ihn mitgenommen haben musste. Aufgeregt zog sie Finn wieder am Arm und lief mit ihr zurück hinter das Treppengeländer. Sie mussten unbedingt in die Aula.
     „Es ist seit Liz´ Tot nichts mehr passiert. Keine Auffälligkeiten, kein nichts. Wir müssen versuchen zu den anderen zu gelangen.“, versuchte Norah Finn zu motivieren, die nun ebenfalls versuchte sich zusammenzureißen. Ohne ein weiteres Wort zu sprechen, standen sie auf und wollten gerade loslaufen, als sie einen Schatten am Fuße der Treppe sahen. Reflexartig ergriffen die beiden Mädchen die Flucht und rannten die nächste Treppe hinauf in das oberste Stockwerk. Dort versteckten sie sich erneut hinter dem Treppengeländer und versuchten ihren Puls zu senken. Ihre Herzen rasten jedoch unerbittlich und schienen im ganzen Schulgebäude hörbar zu sein.
     Plötzlich hörten die beiden Schritte. Der Täter war ihnen also die Treppe hinauf gefolgt, doch machte auf einmal im ersten Stockwerk wieder kehrt. Wäre er auch nur ein paar Stufen weiter hinauf gegangen, hätte er die Mädchen entdeckt. Dem war allerdings nicht so und die Schritte verhallten wieder. Anscheinend war der Mörder zurück ins Erdgeschoss gegangen. Vielleicht war sein nächstes Ziel auch schon die Aula.
     „War das der Mörder?“, fragte Finn mit zittriger Stimme. Auch Norahs Puls war wieder nach oben geschossen. Es war eine schwierige Situation. Sie saßen nun im obersten Stockwerk und wussten, dass unten jemand auf sie wartete. Vermutlich war diese Person auch noch mit einem blutigen Messer bewaffnet, das nur darauf wartete weitere Herzen zu durchbohren.
     „Bitte sag mir, dass er das nicht war.“, flehte Finn nun und weinte. Norah hatte ihr nicht geantwortet, weswegen sie noch panischer geworden war. Es musste aber eine Lösung geben – bloß welche?
     „Ich weiß es nicht.“, sagte Norah, der gerade ein Gedanke durch den Kopf schoss. „Vielleicht haben sich die anderen aber auch Sorgen um uns gemacht und jemand sollte uns holen kommen. Er hat dann Liz gesehen und ist wieder zurück in die Aula gerannt.“
     „Aber warum hat er denn dann nicht nach uns gerufen?“, fragte Finn völlig aufgelöst, dennoch war sie tatsächlich in der Lage gewesen eine solche Frage zu stellen. Norah war ratlos. Sie hoffte in diesem Moment so sehr, dass sie einfach aus ihrem Alptraum aufwachen könnte.
     „Wir müssen Hilfe holen.“, stellte Norah auf einmal fest. Dieser Gedanke kam ziemlich unerwartet, war aber ein gescheiter Geistesblitz. Dabei dachte sie jedoch nicht an ihre Mitschüler, sondern an die Polizei. Wofür gab es denn auch Handys? Eilig griff Norah in ihre Hosentasche, als ihr plötzlich einfiel, dass sie ihr Telefon Sam gegeben hatte. Das konnte doch nicht wahr sein!
     „Hast du ein Handy hier?“, fragte Norah verzweifelt. Die Antwort konnte sie sich fast schon denken. So viel Glück konnten sie einfach nicht haben. Die Ausgangslage wurde ihnen dadurch erheblich erschwert. Sie hatten kein Handy und keinen Schlüssel. Somit konnten sie nicht aus dem Schulgebäude heraus, da Frau Rüdinger den Hintereingang wieder verschlossen hatte. Die restlichen Glasscheiben waren viel zu dick um sie zu zerbrechen und die Fenster in jeglichen Räumen wurden jede Nacht zum Schutz versiegelt.
     „Nein, es ist in meiner Tasche in der Aula.“, bestätigte Finn Norahs böse Vermutung. Ein weiteres Telefon gab es auf jeden Fall noch im Sekretariat. Die Tür war aber sicherlich abgeschlossen, genau wie fast alle anderen auch. Nur die Toiletten waren Tag und Nacht geöffnet.
     „Es hilft alles nichts. Wir müssen ins Erdgeschoss.“, sagte Norah und sah in Finns ängstliches Gesicht. Wahrscheinlich wollte sie gerade sagen, dass dies unmöglich sei, doch sie brachte kein Wort heraus. Stattdessen stand sie gemeinsam mit Norah auf und schlich leise die Treppe hinunter.
     Erfolgreich kamen sie im ersten Stockwerk an und schlichen zurück zur nächsten Treppe. Dort angekommen, hörten sie jedoch erneut Schritte. Schnelle Schritte. Sie sprinteten zu der Treppe, wo Norah und Finn waren. Reflexartig duckten sie sich und hielten die Luft an. Sie beide dachten schon an ihr Ende, doch dann erblickten sie die zwei Gestalten, die gerade die Treppe hinauf sprinteten.
     Es waren Erik und Sam. Freudestrahlend stand Norah auf und lief ihnen entgegen. Die Jungen rannten dennoch erst bis nach ganz oben und setzten sich dann zu Finn um Luft zu holen.
     „Frau Rüdinger ist tot!“, sagte Erik geschockt und sah zu den anderen. Sam schien ohnehin gerade nicht ansprechbar zu sein und Finn stand wieder kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Nur Norah brachte ein paar Worte heraus, auch wenn es ihr schwer fiel.
     „Liz ist auch tot.“ Die Nachricht schockte die Jungen noch mehr. Sie sahen Norah erst so an, als ob sie einen Scherz machte und ihnen nicht glauben würde. Schnell wurde aber klar, dass sie die Wahrheit sagte und tatsächlich ein Mörder unter ihnen war.
     „Wer könnte das getan haben?“, fragte Erik verwirrt und versuchte sich all dies zu erklären. Norah ging es genauso. Auch in ihrem Kopf schwirrte dieselbe Frage und für sie konnte es nur einer sein.
     „Entweder ist in diesem Gebäude ein Unbekannter, was ich garantiert nicht glaube, oder es ist Chris.“ Norah tat es so Leid dies auszusprechen, doch nur er konnte es sein. Er war angeblich auf Toilette, als Liz umgekommen war und nun war er auch nicht anwesend.
     „Chris?“, fragte Sam nun ungläubig. Er schien die Welt nicht mehr zu verstehen – genau wie Finn. Die beiden hatten sich sogar inzwischen schon in den Arm genommen um sich gegenseitig Mut zuzusprechen.
     „Es könnte aber tatsächlich Chris gewesen sein.“, flüsterte Erik. „Wir wollten ihn suchen gehen, da er immer noch nicht von der Toilette zurückgekommen und er mir dort auch nicht begegnet war. Als Sam und ich jedoch zurückkamen, lag Frau Rüdinger tot auf dem Boden. Überall war Blut und…“ Erik musste abbrechen. Der Schock saß noch zu tief. Für Norah war der Fall jedoch so gut wie gelöst: Chris musste der Mörder sein. Sie belastete dieser Gedanke sehr. Immerhin war sie mal mit ihm zusammen gewesen und auch heute würde sie ihm so etwas noch nicht einmal annähernd zutrauen.
     „Habt ihr ein Handy hier?“, fragte Norah hoffungsvoll, doch die beiden Jungen schüttelten nur die Köpfe. „Sam, wo hast du meines hingelegt, nachdem ich dir das gegeben hatte?“, fragte Norah nun schon etwas wütend. Sie waren inzwischen zu viert und immer noch schien die Lage aussichtslos zu sein.
     „Ich habe es wieder zurück in deine Tasche gelegt.“, antwortete Sam eingeschüchtert und versteckte sich hinter Finns Armen. Wahrscheinlich hatte er Todesangst, genau wie die anderen Drei auch.
     „Es gibt noch Schlüssel in der Hausmeisterloge.“, flüsterte Finn plötzlich. Das war die Idee! Sie mussten irgendwie in das Erdgeschoss und zu dem Büro des Hausmeisters gelangen. Zu viert war dies vielleicht möglich und eine Tür aufzubrechen war in diesem Fall vollkommen gerechtfertigt.
     Nachdem alle zugestimmt hatten, standen sie leise auf und untersuchten ihre Umgebung. Alles war ruhig. Nichts bewegte sich und alles war still. Vorsichtig schlichen die Vier die Treppe hinunter und versuchten die Kontrolle über die Situation zu behalten. Ruhig gingen sie auch noch ein Stück durch einen der vielen dunklen Korridore und sahen bei einer Abzweigung gespannt nach links, wo die Hausmeisterloge war. Was sie dort sahen, erschrak sie, denn die Tür des Raums war bereits aufgebrochen.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.08.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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