Christiane Mielck-Retzdorff

Eine Fremde im Haus





 
 
 
Das alte, rote Backsteinhaus, das Peter Seifert bewohnte, war schon seit Ewigkeiten im Besitz seiner Familie. Es hatte mindestens zwei Kriege überstanden und die Geburt und den Tod einiger Generationen. Manchmal war es ihm, als irrten die Geister seiner Vorfahren noch durch die Räume, auch wenn er ansonsten eher bodenständig war.
 
Das Gebäude machte seiner wechselvollen Geschichte auf  recht unverfälschte Art alle Ehre, in dem es den Zauber des Verfalls zelebrierte. Das Flickwerk an vielen Stellen zeugte von dem guten Willen und den mangelnden, finanziellen Mitteln der Eigentümer. Auch auf dem imposanten Grundstück ließ die Natur ihre eigene Kreativität walten. Seine herbe Romantik stand im krassen Widerspruch zu den strahlenden Hochhäusern in der Ferne.
 
Auch die Ausstattung des Innenbereichs beschränkte sich auf das Nötigste. Aus alten Rohren rann bedächtig verbleites Wasser in die von Rissen durchzogene Spüle. Strom stand nur in wenigen Räumen zur Verfügung, und die maroden Leitungen verlangten Respekt vor der tödlichen Macht der Elektrizität. Die Klospülung funktionierte nach dem Zufallsprinzip, und das Betreten der knarrenden Holztreppe erinnerte ständig an die Vergänglichkeit des Lebens.
 
Doch Peter Seifert hatte es sich gemütlich gemacht. Wenn die Orientteppiche, die den bröckelnden Boden bedeckten, auch zerschlissen waren, so vermittelten sie doch Wärme, die in der Luft oft fehlte, wenn die alten Öfen sich nicht gegen die Kälte behaupten konnten. Das Mobiliar bestand aus den Stücken, die die Zeiten überdauert hatten. Da Porzellan besonders anfällig für die Ungeschicklichkeiten seiner Benutzer ist, war nur noch ein seltsames Sammelsurium verschiedenster Stück übrig geblieben. Und überall standen, lagen und stapelten sich Bücher, die Peter Seifert sich vorgenommen hatte, eines Tages zu lesen, wenn der die Zeit dazu finden würde.
 
Seinen bescheidenen Lebensunterhalt bestritt Peter Seifert durch Gelegenheitsarbeiten, denn er liebte seine Freiheit über alles. Nie wollte er einem anderen Menschen dienen. So musste er auch erkennen, dass er für die Ehe nicht geboren war. Seine Frau hatte ihn mit dem gemeinsamen Sohn schon vor Jahren verlassen.
 
Eines Tages stand plötzlich mitten in seinem Wohnzimmer diese fremdartige Frau vor ihm, das Haar unter einem Kopftuch verborgen und sah sich interessiert um. Höflich fragte er sie, was sie in seinem Haus zu suchen habe und sie entgegnete fröhlich, aber mit fester Überzeugung, dass sie hier sei, um ihm zu helfen.
 
Peter Seifert war höchst erstaunt, denn er hatte weder inseriert noch sonst wie um Hilfe gebeten. Außerdem war er auch gar nicht in der Lage, eine solche zu bezahlen. Diese Bedenken wischte die Frau weg, mit der Versicherung, dass sie Geld nicht interessiere und begann sogleich aufzuzählen, was in diesem Haus alles zu beanstanden sei. Es herrsche Unordnung und Unsauberkeit, die es als erstes zu bekämpfen galt. Sie sei darin tüchtig und erfahren. Dann schnappte sie das Bündel mit ihren Habseligkeiten und beanspruchte das Gästezimmer im Obergeschoss für sich.
 
Ihre keine Zweifel aufkommen lassende, herrische Art ließ Peter Seifert ohne Gegenwehr kapitulieren. Einen gewissen Ausschlag gab dabei auch, dass diese Frau ihn um Haupteslänge überragte und vor Kraft nur so strotzte. In einer körperlichen Auseinandersetzung musste er zwangläufig der Verlierer sein. Außerdem hatte diese fremde Frau nicht ganz Unrecht. Sauberkeit und Ordnung wohnten nicht an diesem Ort, aber er hatte sie auch nicht vermisst. Nun wollte er einfach abwarten, was passierte.
 
Das Vorgehen der Frau war rigoros, was Peter Seifert immer wieder dazu zwang, liebgewordene Gegenstände aus dem Müll zu fischen. Dazu gab es heftige Auseinandersetzungen, bei denen er immer unterlag. Er hatte ihrem Streben nach Ordnung und Sauberkeit keine stichhaltigen Argumente entgegenzusetzen, außer dass ihn das Gefühl beschlich, dass Haus würde bei ihren Aktionen langsam seine Seele verlieren.
 
Da wurden alte Schränke und Kommoden mit weißer Lackfarbe, die vom Streichen der Fenster übrig geblieben war, auf modern getrimmt. Das bunt zusammen gewürfelte Geschirr wurde durch eines vom Flohmarkt ersetzt. Die Stromversorgung brach regelmäßig unter der Last des neuen Fernsehers zusammen, der angeblich so notwendig war, dass Peter Seifert dafür einen Kredit aufnehmen musste. Und die Bettwäsche aus Großmutters Aussteuer wurde zu Wischlappen degradiert.
 
Langsam gewöhnte sich Peter Seifert an sein neues Zuhause. Er nahm das Leben immer so, wie es kam. Angenehm war es, dass er nun ohne zur Hilfenahme einer Machete in den Garten gehen konnte, doch wurde er von der Frau genötigt, die Früchte der Obstbäume und -sträucher zu ernten und auf dem Markt zu verkaufen. Überhaupt erfuhr sein Alltag nun eine Organisation, die seinem Innersten zu wider war. Zwar erkannte er durchaus die Vorteile, doch erschien es ihm, als hätte er endgültig seine Freiheit verloren.
 
Als sein Sohn Andreas ihn nach Jahren mal wieder besuchte, hegte dieser sofort arges Misstrauen gegenüber der fremden Frau, die sich anmaßte das Haus und den Vater zu regieren. Peter sah in ihr eine Gefahr für sein Erbe, denn er war sich sicher, dass diese Person eines Tages das Eigentum an dem Haus an sich reißen würde. Was sollte sie sonst im Schilde führen?
 
Andreas lag nicht wirklich etwas an dem maroden Gebäude oder seinen veralteten Innereien. Aber er wusste, dass das Grundstück einen gewissen Wert hatte, der irgendwann an ihn fallen würde. Außerdem hatte ihn seine Erfahrung gelehrt, dass man Weibsbildern nie trauen konnte. Also musste sie verschwinden, auf welche Weise auch immer.
 
Deshalb kam Andreas nunmehr täglich zu Besuch, sabotierte die Ordnung, wo er konnte, ließ bewußt Geschirr fallen und klaute soviel Obst, wie eine Tragetaschen fassten. Peter Seifert betrachtete das Geschehen einerseits mit Empörung und andererseits mit Amüsement. Durch seinem rebellischen Sohn winkte wieder etwas von der verlorenen Freiheit.
 
Als Andreas merkte, dass er die Frau auf diese Art nicht aus dem Haus zu ekeln vermochte und sie immer noch in fester Überzeugung zu ihrer Ordnung und Sauberkeit stand, beschloss er Verbündete einzuladen. Die betrügerische Hexe musste vernichtet werden. Verschwörerisch trafen sie sich an einem geheimen Ort und redeten sich gegenseitig ein, dass alles Böse dieser Welt von dieser Frau ausging. So bestärkt, machten sie sich auf den Weg, das Übel zu vernichten.
 
Die Frau jedoch hatte schon lange etwas derartige geahnt und war nicht bereit ihre eigene Überzeugung für eine Hand voll Verrückter aufzugeben. Sie allein war die Retterin dieses Hauses und seines Eigentümers. Also hatte sie ihrerseits einen ganzen Haufen Gleichgesinnter zur Hilfe gerufen. Der Kampf dauert bis heute. Nur Peter Seifert sitzt traurig in seinem alten Lehnstuhl und weiß gar nicht mehr, worum es eigentlich geht.  
 
   

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