Andreas Rüdig

Erlebnisse in Duisburg

Bürgerkrieg in Duisburg! So und nicht anders läßt sich die Lage in der einstmals blühenden Metropole am westlichen Rand des Ruhrgebiets beschreiben. "Schuld sind nur die Konföderierten," betont Ugur Kemal Yilmaz-Yildirim-Türkmann. Er ist Vorsitzender der Union Duisburger Gemeinden, die die Stadtteile nördlich der Ruhr vertritt.

Die Ausgangslage...

...im Norden

Marxloh - in Duisburg war dies lange ein Synonym für einen unterentwickelten Stadtteil. "Wir galten als asozial," berichtet Yilmaz-Yildirim-Türkmann. Ein höher Ausländeranteil, Armut, Dreck und Alkoholgenuß auf den Straßen führten zu dem schlechten Ansehen.

Doch das Bild hat sich inzwischen grundlegend geändert. Bund, Land, Europa, Arbeitsverwaltung, Kirchen und Wirtschaftsverbände legten milliardenschwere Förderprogramme extra nur für die Stadtteile nördlich der Ruhr auf. "Früher galten wir als Klein-Anatolien," berichtet Yilmaz-Yildirim-Türkmann. "Wir Marxloher haben beantragt, daß wir in Istanbul eingemeindet werden. Marxloh wird dann der erste Stadtteil sein, der zwei Städten und zwei Staaten gehört."

Schwarze Schuhe, weiße Hose, weißer Mantel, schwarzer Rauschebart, weiße Kappe - der geschwätzige Mann gehört wohl immer noch der Religion seiner Eltern an? "Ja und nein. Sie haben wohl nicht richtig hingeschaut," gibt er prompt zur Antwort. "Wäre ich nur Islamanhänger, wäre mein Oberlippenbart wesentlich kürzer. Mein Schnäuzer ist aber lang, ein untrügliches Zeichen, daß ich auch Christ bin. Ich bin Baptist. Freitags gehe ich in die Moschee, sonntags in die Kirche und habe so ein herrlich verländertes Wochenende."

Doch nun zurück zu den Duisburger Stadtteilen. Marxloh hat heute die größten sunnitischen und schiitischen Moscheen Westeuropas. Das konnten die christlichen Kirchen natürlich nicht so auf sich sitzen lassen. Inbesondere die evangelischen Gemeinden traten auf den Plan. Sie renovierten ihren imposanten Kirchgebäude und wiederbelebten ihre Gemeindeaktivitäten. "Es entstand eine Kirchenkultur, die in ganz Nordrhein-Westfalen ihresgleichen sucht," ist von dort zu hören. "Die katholische Kirche überlegt gerade, wie sie ihre Gemeinden fördern kann. Aber auch Unitarier und Bahai wollen hier ihre Zentren einrichten."

Der Norden ist aber nicht nur ein religiöses Zentrum, wie die örtlichen Wirtschaftsförderer betonen. "Hier ruft nicht nur der Muezzin, oh nein!"

Aler er den Landschaftspark Nord sah, kam ihm der Gedanke, alte ausgestorbene Berufe wiederzubeleben, berichtet Ernst-August Baldur Edler von Minnesfeld. "Wir haben hier viele Hufschmiede. Sie verkaufen ihre Produkte vor allem in Westfalen und anderen Pferdehochburgen."

Ein Beruf erlebt seine Renaissance im Duisburger Norden, nämlich der des Platterns. Aus historischen Quellen ist bekannt, daß er Ritterrüstungen, Tunierlanzen, Pferdeschutz (für Turniere) und ähnliche Gegenstände herstellte. "Das hat ja auch was mit Eisen- und Stahlbearbeitung zu tun," berichtet Edelbert Egbert von Thyssian. "Was liegt da näher, als den Beruf in die Neuzeit zu bringen und ihn heutigen Gegebenheiten anzupassen. Zuwanderer aus dem Orient fühlen sich leicht in ihrer Ehre gekränkt. Duelle sind also wieder an der Tagesordnung.

Plattner reparierten heute also nicht nur alte, historische Ritterrüstungen. Sie stellen auch Schutzbekleidung für Duelle mit Feuerwaffen her. Außerdem reparieren sie heute Metallwerkzeuge.

Die erste bundesweite, wenn auch kleine Berufsfachschule für Plattner ist in Hamborn angesiedelt. "Die örtliche Gastronomie und Hotellerie ist uns dankbar dafür. Da viele Nachwuchskräfte aus ganz Süddeutschland zum Lernen zu uns kommen, sind die Hotelbetten gut belegt," so von Thyssian.

Können Sie sich, liebe Leser, noch an den alten Revierpark Mattlerbusch erinnern? Auch er hat inzwischen sein Gesicht deutlich verändert. Es gibt natürlich noch den Bereich, in dem die alteingesessene deutsche Minderheitsbevölkerung regelmäßig baden und schwimmen geht.

Ansonsten ist hier ein türkisches Dampfbad angesiedelt. Es gibt eine Sauna und glühendheißen und kalten Räumen. Es gibt Schwitzbäder. Und Massageräume. In dem Räucherzimmern ganz am Ende gibt es dann eine Wasserpfeife zum Abschluß...

...und im Süden

Der Duisburger Süden ist demgegenüber ganz anders aufgestellt. Landschaftlich reizvoll gelegen, herrschten hier schon in grauber Vorzeit Landadelige und Großgrundbesitzer. Später kamen der Geldbaron und der Bildungsbürger dazu. Jetzt, da die großen Industrieunternehmen ihre Produktionsstätten woanders hin verlagert haben, herrscht an der Rheinschiene entlang wieder die bäuerliche Landwirtschaft vor. Ehingen kontne so wieder zu dem bedeutenden Dorf werden, das es früher einmal war. Viele Volksdeutsche aus den ehemaligen deutschen Siedlungsgebieten konnten hier angesiedelt werden. Die Bevölkerung ist homogen, kernig und urwüchsig. Jeder Völkerkundler und Vokskundler würde hier ein leuchtendes Auge bekommen. "Hier kann man ein Volk so beobachten, wie es ist - die moderne, heutige Seite und die historische Seite, wie es früher einmal war. Hier können wir lernen, wie sich Völker entwickeln."

Je weiter es in Richtung Düsseldorf geht, desto mehr Getreideanbau gibt es. Viehwirtschaft steht nicht so sehr im Vordergrund. Eine bemerkenswerte Entwicklung gab es auf dem ehemaligen Mannesmann-Gelände. Dort siedelten sich diverse Fischzuchtbetriebe an. "Dafür gibt es auch einen handfesten Grund," berichtet August Theobald Mannsweib von der örtlichen Fischwirtschaft-Genossenschaft. "Mannesmann hat sich peu-a-pau von dem Gelände zurückgezogen. Das staatliche Umweltschützeramt hat schnell festgesellt: Die Stahlwerke lassen sich zwar schnell und leicht abbauen und recyclen. Im Boden bleiben aber viele Steinkonstruktionen zurück, die wie Auffangbecken für Regenwasser wirken. Das Erdreich war durch Öle, Chemikalien und anderen Dreck verunreinigt. Die staatlichen Umweltschützer begannen, Algen, Bakterien, Plankton und anderes Kleinstgetier als Dreckfresser einzusetzen. Das Viehzeug muß sich jedenfalls prächtig wohlgefühlt und vermehrt haben. Bei den vielen sintflutartigen Regenfälle der letzten Jahre haben sich die Steinbassins jedenfalls schnell mit Wasser und Lebewesen gefüllt. Ob die Fische mit dem Grundwasser nach oben kamen, neu entstanden oder vom Rhein herübergesprungen sind, kann ich nicht sagen. Wir haben sie gefangen und zuhause in die Pfanne geworfen. Echt lecker, das Zeug." Der Fischwirt ist heute der Beruf der Zukunft.

In Neudorf und Wedau sind mehr Forstwirtschaft und Gartenbau angesiedelt. Dort gibt es auch Unternehmen, die Landmaschinen herstellen. Nein, nicht so sehr diese riesigen Mähdrescher, wie wir sie aus Amerika aus dem Fernsehen kennen. Heckenscheren, Rasenmäher, Vertikulierer, Sägen, Spaten und Gießkannen sind hier eher gemeint.

Berichtenswert ist die Entwicklung im Stadtteil Großenbaum. Dort gibt es ja immer noch die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik. Rings herum hat sich Handwerk etabliert, das Körperersatzstücke herstellt. Augenoptiker, Hörgeräteakustiker, Chirurgiemechaniker und Orthopädieschuhmacher sind ja noch die modernen Berufe. Die Korsettmacher haben ihr Angebot um Halskrausen, Stützstrümpfe, Pampers, Gummiunterhosen und ähnliche Bekleidungsgegenstände erweitert.

"Wir im Süden sind gut bürgerlich, ehrlich, fleißig, sittsamm und anständig. Wir erarbeiten den Wohlstand, den der Norden verpraßt. Es wird Zeit, daß wir auch etwas davon abbekommen," fordert Bernward Graf vom grünen KLee. Er führt die Konföderation der Stadtteile des Duisburger Südens.

"So wie die Frischlinge von der anderen Rheinseite zurück zur Grafschaft Moers möchten, möchten wie wieder dem Amt Angermund angegliedert werden."

Der Beginn des Zwists

Romeo und Julia - bei William Shakespeare (im Volksmund "Wilhelm die Schüttelbirne" genannt) verlieben sie sich ineinander. Swamibadan, der deutsche Hindu aus Hüttenheim, und Ayse, die muslimisch-christliche Kolumbianerin aus Obermarxloh, dachten, sie könnten das auch. Also verliebten sie sich ineinander. Was sie dabei nicht bedachten: Romeo und Julia konnten nicht zueinander finden. Und schieden daher gemeinsam aus dem Leben. Ayse und Swamibadan wollten nicht einsehen, daß die Ruhr ein unüberwindbares Hindernis für die beiden Liebenden darstellt.

"In Neuenkamp gibt es einen Flugplatz," gibt Swamibadan hoffnungsvoll zu bedenken. "Stimmt. Der Wasserflugplatz in Wanheim ist aber nicht mehr in Betrieb," kann da seine Mutter Hildegard nur traurig erwiedern.

"Ich sende Rauchzeichen," sagt Ayse beim abendlichen Gang in den Gemüsegarten. "Vergiß nicht, daß die Hufschmiede und Plattner jetzt immer noch arbeiten," erinnert ihre Mutter Santa Maria. "Das ist die Luft immer noch am Flirren. Das verzerrt die Lichtbilder. Er schreibt: `Ich liebe dich.´ Und du denkst, er sagt: `Ich verlasse dich.´"

Irgendwie schffen es die Liebenden doch noch, sich an der Ruhr zu treffen. Natürlich jeder auf seiner Seite. Schnell schnappen sie sich ein Boot und rudern in die Mitte des Flusses, wo sie sich endlich küssend in den Armen liegen. Doch oh wehe! Die Bootsbesitzer haben den Diebstahl der Nachen entdeckt! Da werfen sie Angeln, Netze, Seile und Enterhaken aus, um die Boote an Land zu ziehen. Als sie merken, daß dies alles nichts fruchtet, greifen sie zu schärferen Mitteln: Sie schießen mit brennenden Pfeilen in Richtung der Boote. Eigentlich wollen sie liebenstrunkenen Glücklichen nur auf sich aufmerksam machen; doch die Bootsbesitzer treffen die Wasserfahrzeuge des jeweils anderen - die Holzkonstruktionen gehen lichterloh brennend unter. Ayse und Swamibadan können sich zum Glück schwimmend retten. Doch die Bootsbesitzer schwören sich fäusteringend Rache.

Seitdem nimmt das Unglück weiter seinen Lauf. Die einzige Autoverbindung zwischen Nord und Süd ist eingestellt. Die Postverbindung zwischen Union und Konföderation ist unterbrochen. Müssen die Lokalpolitiker beider Stadtgebiete dienstlich miteinander reden, ist der Rheinhausener Bezirksbürgermeister ihr Sprachrohr. Tritt der Rat der Stadt zusammen, geschieht dies auf neutralem Boden - zumeist in Oberhausen. Dorthin gibt es nämlich Bahnverbindungen, die nicht durch feindliches Territorium führen.

Eines Tages sprach dann die Bezirksregierung ein Machtwort. Seitdem ist die Union ein Teil Dinslakens, die Konföderationn (wie erträumt) ein Teil Düsseldorfs und der Westen gehört (wie gewünscht) zu Moers.

"Jetzt können wir endlich heiraten," geben sich Ayse und Swamibadan glücklich.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.08.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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