Christine Holzinger

Vielleicht ein Engel?

 
 
 
Unglücklich verliebt zu sein ist schrecklich. Aber unglücklich verliebt zu sein ohne jede Hoffnung ist unerträglich. Monatelang weinte ich IHM hinter her. Ihm, der mich so bitter enttäuscht hatte. Der sich am Ende unserer wunderschönen Beziehung für seine Frau und das finanziell abgesicherte Leben mit ihr entschieden hatte. Der nicht bereit war, mit mir einen Neuanfang zu wagen.
 
Ich war nicht mehr ich selbst. Ich litt wie ein Hund und das so sehr, dass ich schwer erkrankte. Nachts konnte ich nicht schlafen und jeder Traum handelte nur von ihm. Verschiedene Chaträume wurden mein Zuhause und ich stürzte mich wahllos in einige Affären, um mich zu betäuben und um zu vergessen. Seelisch stand ich vor einem tiefen Abgrund. Eine Reiki-Meisterin versprach mir zu helfen – doch ihre Sitzungen verschlimmerten alle Symptome ohne jede Spur der Heilung.
 
Sogar ein Urlaub weit weg linderte nicht meinen Schmerz. Ich hatte diesen Menschen so sehr geliebt….
 
Immer wieder bat ich Gott und alle Engel um Hilfe. Ich bat darum, diesen unglaublichen Schmerz zu lindern – mir irgendjemanden zu schicken, der mir half zu vergessen.  Ich bat um ein kleines Wunder. Doch meine himmlischen Helfer waren taub – blieben unsichtbar – und ich verzweifelte immer mehr.
 
Wieder einmal trieb ich mich nachts in einem Chatraum herum als mir ein neuer User auffiel. Sein Profil las sich sympathisch und er schrieb intelligente Antworten auf Fragen, die andere im Chat stellten. Ich kann mich heute nicht mehr an seinen Chatnamen erinnern, doch später sollte ich erfahren, dass er Jo hieß.
 
In meinem Gästebuch fand ich einen Eintrag von ihm. Einen Spruch, der mich überraschte und verwirrte:  Wir müssen von Zeit zu Zeit eine Rast einlegen und warten, bis unsere Seelen uns wieder eingeholt haben.
 
Was meinte er damit? Er wusste doch gar nichts über mich….
 
In den folgenden Tagen und Nächten unterhielten wir uns immer öfter im Chat. Irgendwann fragte er mich, ob er mich einmal anrufen dürfe. Wir tauschten unsere privaten Mailadressen und Telefonnummern aus.
 
Bereits beim ersten Anruf bat er mich darum, die Webcams einzuschalten, er würde gerne in meine Augen sehen. Jo sah sympathisch aus und sein Lachen war herzlich und offen. Und er fragte mich, warum ich so traurig wäre. Obwohl ich ihn nicht kannte (oder vielleicht deswegen) platzte alles aus mir heraus. Er hörte ruhig zu ohne mich zu unterbrechen und als meine Tränen langsam versiegten antwortete er ruhig „Das Schicksal hatte es so vorgesehen für Euch“.

Über einige Tage führten wir abends unsere Cam-Gespräche, Jo schickte mir per Mail einige Songs die er selbst komponiert und gesungen hatte. Sie wurden meine Lieblingsmusik.

Irgendwann erzählte er mir, dass er lange mit Indianern (Craws) gelebt und von ihnen zum Schamanen ausgebildet worden sei. Und alles war er sagte klang wahr. Ich begann mich langsam auf die abendlichen Gespräche mit ihm zu freuen, nur tagsüber war ich immer noch gefangen in meinem Leid.

Zu dieser Zeit musste ich meinen alten Kater einschläfern lassen und sein Tod war entsetzlich. Nach der letzten Spritze lebte er noch viele Minuten und konnte nicht sterben. Abends erzählte ich Jo davon. Er blieb wie immer sehr ruhig und tröstete mich mit den Worten: „Schau, sein Platz  war noch nicht frei, er musste ein wenig warten. Sei nicht traurig, er ist  jetzt angekommen“. Immer wenn Jo etwas sagte, war es ernst - ohne jede Theatralik.
 
An diesem Tag fragte er mich, ob ich Vertrauen zu ihm hätte. Das hatte ich und so bat er mich vor der Cam die Augen zu schließen und alles zuzulassen, egal  was geschehen würde.
 
Ohne zu zögern schloss ich meine Augen und konzentrierte mich auf das Kommende. Es war ein merkwürdiges Gefühl, mir wurde schwindelig und es war als würde jemand tief in meinem Innersten wühlen. Irgendwann fühlte ich einen großen dicken Strick auf mich zukommen – den ich wie hilfesuchend fest umklammerte.
 
Nach einer Weile bat mich Jo die Augen zu öffnen und dankte mir für mein Vertrauen. Auf meine Frage, was das zu bedeuten hatte, meinte er nur, es würde mir helfen. Jo sah sehr erschöpft aus und wir beendeten die Cam-Sitzung.
 
Wir führten noch einige Tage unsere abendlichen Gespräche weiter bis Jo sich eines Tages verabschiedete, da er nach Berlin zu einem Schamanentreffen fahren wollte.
 
Als Jo in Berlin war, merkte ich, dass mit ihm mein Leid gegangen war – es war vollkommen ausgelöscht – er hatte meine Seele geheilt. Alles war wieder hell und voll Licht.
 
Jo hat sich nie mehr gemeldet – und auch ich habe ihn nicht angerufen. Er verschwand ohne eine Lücke in meinem Herzen zu hinterlassen. Er war einfach nicht mehr da.  Es sollte so sein. Im Chat war sein Profil gelöscht.
 
Ich bin mir noch heute sicher, Jo wurde geschickt um das Leid von mir zu nehmen. Es war seine Aufgabe und diese hatte er erfüllt.
 
Irgendwann viele Wochen später fuhr ich auf der Autobahn und meine Gedanken schweiften nach langer Zeit wieder einmal zurück zu dem, der mich so enttäuscht hatte. Genau in dieser Sekunde fiel aus meinem Handschuhfach die CD mit Jo*s  Songs….
Ich lächelte …….
 
Alles nur ein Zufall?
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.08.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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